Schwerpunkt Bausparen

Marktrisikomanagement in Bausparkassen - eine Balance zwischen Zinsniveau und Kundenverhalten

Die krisenhafte Entwicklung der Finanzmärkte hat in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass sich das Anlegerverhalten, aber auch das regulative Umfeld, in dem auch Bausparkassen agieren, wesentlich verändert hat. Nachdem die Umsetzung von Basel II mit wesentlichem Fokus auf den Kreditrisiken rund sechs Jahre in Anspruch genommen hat, wurden vor dem Hintergrund der dramatischen Ereignisse an den Finanzmärkten die Basel-III-Regeln auf Basis der G20-Beschlüsse zusammen mit den seit Dezember 2010 geltenden MaRisk in nur 18 Monaten durchgezogen. Im Ergebnis sind die Geschäftsmodelle von Banken vor dem Hintergrund der neuen aufsichtsrechtlichen Anforderungen in vielfältiger Hinsicht auf den Prüfstand zu stellen. Einen Kernbereich in diesem Zusammenhang stellt sicherlich das Risikomanagement in all seinen Facetten dar. Setzen die MaRisk überwiegend höhere prozessuale und qualitative Standards, so greift Basel III in das Risiko-, Kapital- und Liquiditätsmanagement und damit direkt wie indirekt in die Marktrisikosteuerung und deren Professionalitätsniveau nachhaltig ein; kurz: Die Latte wird höher gelegt. Dies schlägt sich nicht nur in den Regularien selbst, sondern auch in einem wesentlich restriktiveren und zeitnäheren Agieren der Bankenaufsicht nieder. Auch hier wurde und wird weiter nachhaltig personell aufgerüstet. Ein Zurück in die sogenannte Normalität wird es also nicht geben. Auch die materiellen Auswirkungen werden erheblich sein. Schätzungen gehen davon aus, dass allein in der Bundesrepublik Deutschland ein Kapitalmehrbedarf von 44 Milliarden Euro sowie durch die Einführung der Liquidity Coverage Ratio (LCR) und Net Stable Funding Ratio (NSFR) ein zusätzlicher Bedarf von mehr als 136 Milliarden Euro an kurzfristigen Refinanzierungsmitteln respektive mehr als 165 Milliarden Euro an mittel- bis langfristigen Refinanzierungsmitteln bei Zugrundelegung der gegenwärtigen Berechnungsformeln zu erwarten sind.1) Zusätzlich werden tendenziell risikoärmere Geschäftsmodelle, zu denen sicherlich auch das Bausparkassenmodell zählt, durch die Einführung einer undifferenzierten Leverage Ratio - gedacht als Korrektiv zu den modellierten Risikogewichten - strukturell benachteiligt. Die Umsetzung der neuen Regularien kommt darüber hinaus nicht zum Nulltarif, sondern wird zu einer weiteren Verengung der Margen führen, wenn es nicht gelingt, diese Kosten auf den Konsumenten von Finanzprodukten abzuwälzen. Betrachtet man nun mit dem Blickwinkel einer grundsätzlich gleichen Betroffenheit den Einfluss von Basel III auf die Geschäftsmodelle von Bausparkassen etwas genauer, so stellt sich heraus, dass sich in Abhängigkeit von der Rechtsform die Eigenkapitalanforderungen, die NSFR und die Leverage Ratio tendenziell am deutlichsten auswirken. Während letztere noch unter Beobachtung stehen und bis 2019 möglicherweise ganz wegfallen (Leverage Ratio), wird es bei den Eigenkapitalanforderungen und den Risikogewichten wohl nur noch wenig Spielraum geben. Gestiegene Anforderungen Damit werden auch die Parameter für das Marktumfeld gesetzt und für die Faktoren, die auf den Marktrisikomanagementansatz für ein Bausparkollektiv voraussichtlich nachhaltigen Einfluss haben werden. Wesentliches Charakteristikum eines Bausparkollektivs ist seine implizite Multioptionalität, in der die Bausparkasse zudem noch als Stillhalter fungiert, das heißt den Entscheidungen ihrer Kunden im Rahmen der vertraglichen Vereinbarungen nachkommen muss. Wir befinden uns also in einem Umfeld von - im Wesentlichen bedingt durch die optionalen Komponenten unsicheren Cash-Flow-Szenarien. Diese werden sowohl im Hinblick auf das Bestandsgeschäft als auch für das Geschäftsmodell notwendige Neugeschäft von Veränderungen der Zinslandschaft, staatlichen Fördermaßnahmen und natürlich auch alternativen Anlageformen und der Verhaltensdynamik der (potenziellen) Bausparer nachhaltig beeinflusst. Bedingt durch die mit dem Bauspargeschäftsmodell verbundene und durch die Multioptionalität ausgelöste besondere Risiko-Asymmetrie, welche sich von anderen Kreditinstituten deutlich unterscheidet, wird das Management von Marktpreisrisiken - in diesem Fall Zinsänderungsrisiken - nicht nur durch die Veränderungen der Marktpreise bestimmt, sondern vielmehr auch durch die Verhaltensänderungen der Bausparer bei sich verändernden Zinsumgebungen, aber auch durch die Verfügbarkeit alternativer Anlageformen. Zunächst muss man konstatieren, dass die in der Vergangenheit für das Bausparmodell getroffene Annahme, dass ein Bausparer auch tatsächlich die Absicht hatte, in der Zukunft eine Baumaßnahme durchzuführen, das heißt auch ein Darlehen in Anspruch zu nehmen, nicht mehr uneingeschränkt zu halten ist. Viele private Investoren haben in der nun schon lang anhaltenden Niedrigzinsphase den Bausparvertrag als reines Anlageprodukt betrachtet. Zinsbonusversprechen für den Fall der Nichtinanspruchnahme eines Darlehens haben diesen Trend noch verstärkt. Gleichwohl ist die Branche bemüht, durch die Einführung von Niedrigzinstarifen das Interesse der Bausparer wieder auf den eigentlichen Zweck des Bausparens zu lenken, nämlich die Erlangung von niedrig verzinslichen Bauspardarlehen. Wie oben ausgeführt muss darüber hinaus zukünftig mit einem nachhaltig verschärften Wettbewerb um Einlagen- und Eigenkapitalinstrumente gerechnet werden. Auch wenn Bausparkassen tendenziell nicht zu den Marktteilnehmern gehören, welche direkt am stärksten von den neuen Anforderungen betroffen sind, so wird sich zumindest der Wettbewerb um die Einlagen der privaten Kundschaft deutlich verschärfen und damit sicherlich auch das Anlageverhalten beeinflussen. Die fortschreitende Technologieaffinität und die damit einhergehende Transparenz über verfügbare "bedarfsgerechte" Finanzprodukte wird ein Übriges dazu beitragen Inwieweit dann noch Risikomanagementansätze ausreichen, die ausschließlich historische Verläufe fortschreiben, muss kritisch hinterfragt werden. In einem solchen Umfeld dürfte sich ein finanzrationales Verhalten der privaten Kundschaft immer mehr dem annähern, was ein Finanzmarkt als Begründung für kollektives Transaktionsverhalten - im Sinne einer unverzüglichen Ja/Nein-Entscheidung als Reaktion auf Veränderungen - akzeptieren würde. Für emotionale Faktoren und daraus resultierende längere Anpassungszeiträume an veränderte Rahmenbedingungen verbleibt immer weniger Spielraum. Insoweit sind Risikomanagementansätze zu entwickeln, die sich neben historischen Verläufen auch an zukünftig als hinreichend plausibel erscheinenden Verhaltensänderungen der Kunden orientieren. Damit kommt dem Einsatz von verhaltensgesteuerten Marktrisikomodellen nicht nur eine zentrale Bedeutung im Risikomanagement zu, sondern sie werden auch ein wesentlicher Eckpfeiler bei der Simulation von Produktinnovationen beziehungsweise bei der Standardisierung von Tarifen vor dem Hintergrund sich verändernder Verhaltensmuster der Kunden in den definierten Zielkundensegmenten. Notwendigkeit eines Simulationsmodells Um die Risiken des Bausparkollektivs adäquat bewerten zu können, muss zunächst ein geeignetes Modell für das Bausparkollektiv zugrunde gelegt werden. Eine nähere Auseinandersetzung mit dem Thema zeigt, dass hierfür ein Simulationsmodell - im Gegensatz zu einem rein analytischen Ansatz - zur Modellierung der Kollektiv-Cash-Flows als Basis erforderlich ist. Wesentliche zu nennende Gründe sind: a) Die Wechselwirkungen der Optionen in Bausparverträgen in Abhängigkeit von der Marktzinsentwicklung sind derart komplex, dass ein rein analytisches Modell diese nicht abbilden kann. b) Die Annahme von rein analytischen Modellen bezüglich der vollständigen Finanzrationalität der Bausparer ist in der Praxis nicht haltbar. Zu a) lassen sich als Beispiel die Wechselwirkungen zwischen dem Spar- und Fortsetzerverhalten einerseits und dem Wert von Bonus- und Darlehensoptionen andererseits anführen. Die Höhe und das Timing der Sparbeiträge des Bausparers beeinflussen das Zuteilungsdatum sowie den Bonus- respektive Darlehensanspruch. Über die Fortsetzeroption kann der Bausparer entscheiden, ob er seine Sparphase verlängert und später die (formale) Entscheidung über Darlehensund/oder Bonusinanspruchnahme trifft. Aufgrund der Verlängerung der Sparphase wiederum verändern sich Darlehens- und Bonusanspruch und damit auch die Entscheidungssituation des Bausparers. Konkret hängen diese Zusammenhänge von der tatsächlichen Ausgestaltung der Allgemeinen Bedingungen für Bausparverträge ab, die in der Praxis sehr unterschiedlich sein können.2) Zur Illustration dient das folgende Beispiel. Zugrunde gelegt wird ein (fiktiver) Bausparvertrag mit 2,0 Prozent Guthabenzins und 4,0 Prozent Darlehenszins. Bei Darlehensverzicht nach Zuteilung soll der Bausparer 100 Prozent der verdienten Zinssumme als Bonus erhalten, das potenzielle Darlehen wird als Bausparsumme abzüglich Bausparguthaben errechnet. Bei diesem Vertrag sinkt der Darlehensanspruch im Zeitablauf, während der Bonusanspruch steigt und sich damit die Entscheidungssituation bei gleicher Marktzinslage im Zeitablauf verändert. Betrachtet man nun die Entscheidungssituation des Beispiel-Bausparers nach sieben Jahren, so lässt sich die unter b) angeführte Begründung beispielhaft verdeutlichen. Dazu wird angenommen, dass der Bausparer plant, zu diesem Zeitpunkt die Zuteilung anzunehmen und dann vor der Entscheidung steht, ob er das Bauspardarlehen in Anspruch nimmt. Aus finanzrationaler Sicht müsste der Bausparer den Preis des Bauspardarlehens mit dem Preis eines Marktdarlehens vergleichen. Tatsächlich führt die Verwendungsbeschränkung des Bausparkassengesetzes3) jedoch dazu, dass der Bausparer zunächst einen zulässigen Verwendungszweck für das Bauspardarlehen haben muss. Ist dies nämlich nicht der Fall, so kann er die rechnerischen Vorteile einer Inanspruchnahme des Bauspardarlehens gegenüber der Inanspruchnahme eines Marktdarlehens nicht für sich nutzen. Eine Veräußerung der Bauspardarlehensoption ist im Regelfall ausgeschlossen.4) Darüber hinaus zeigt die praktische Erfahrung, dass Bausparer nicht über vollständige Information hinsichtlich der Möglichkeiten ihres Bausparvertrags und der aktuellen Finanzmarktlage verfügen. Diese Überlegungen zeigen, dass die Grundlage für ein qualitativ hochwertiges Risikomanagement einer Bausparkasse ein ausgereiftes bauspartechnisches Simulationsmodell bilden muss. Denn nur Risiken, die dort adäquat modelliert werden, können im Risikomodell bewertet werden. Dabei impliziert a), dass es vielfache Einflüsse und Interdependenzen gibt, die das Verhalten der Bausparer systematisch in Abhängigkeit von der Marktzinsentwicklung beeinflussen und b), dass dabei keine vollständige Finanzrationalität unterstellt werden darf. Die Qualität eines bauspartechnischen Simulationsmodells muss also daran gemessen werden, wie gut es gelingt, diese beiden Gegenpole mit empirischen Beobachtungen des Kollektivs in Einklang zu bringen. Eine wesentliche Rolle nimmt dabei die interne Modellvalidierung ein. Ergänzend kann das Management von Zeit zu Zeit sein Modell und dessen Ergebnisse auch einer externen Qualitätssicherung unterziehen, um so eine zusätzliche externe Meinung zu erhalten. Bei der Beurteilung des bauspartechnischen Simulationsmodells einer Bausparkasse sind selbstverständlich die Größe der Bausparkasse und die Komplexität der Tarife mit einzubeziehen. Um diesem Proportionalitätsprinzip Rechnung zu tragen, muss es zulässig sein, dass kleine Institute auch entsprechend einfachere Modelle als die im Folgenden beschriebenen einsetzen. Zinsabhängige Modellierung von Kundenentscheidungen Entscheidungen der Bausparer, die üblicherweise zinsabhängig modelliert werden, sind: - Zuteilungsannahmen, - Darlehensverzichte und - Sondertilgungen. Darüber hinaus kann beispielsweise auch das Kündigungsverhalten zinsabhängig abgebildet werden. Ob dieser Zusammenhang besteht, ist allerdings in der Branche nicht einheitlich nachgewiesen. Neben der Frage, welche Abhängigkeiten zu modellieren sind, ist natürlich auch noch zu diskutieren, wie diese modelliert werden. Betrachten wir dazu wieder unser Beispiel aus dem vorangegangenen Abschnitt. Der Bausparer nimmt nach sieben Jahren die Zuteilung an und steht nun vor der Entscheidung, ob er das Bauspardarlehen in Anspruch nimmt. Ein wesentliches Entscheidungskriterium für ihn ist dabei wie bereits diskutiert der Opportunitätszins eines Marktdarlehens. In der Abbildung auf der vorhergehenden Seite sind wesentliche Zusammenhänge exemplarisch dargestellt. Insbesondere sind dort die finanzrationale Entscheidung in Form einer digitalen Funktion in Abhängigkeit vom Marktzins sowie empirische Beobachtungen aus der Vergangenheit abgebildet. Das reale Verhalten weicht im Beispiel erwartungsgemäß vom vollständig finanzrationalen ab. Ein erster Ansatz könnte sein, das reale Bausparverhalten über eine lineare Regression zu messen. Die Abbildung zeigt jedoch, dass dieser Ansatz für eine Risikomessung nicht geeignet ist. Dazu interpretieren wir den Abstand zwischen dem finanzrationalem und dem modellierten Bausparverhalten als Maß für die modellierte Irrationalität der Bausparer. Bei stark steigenden Zinsen unterstellt die Gerade gegenüber der Situation niedriger Zinsen deutlich höhere Finanz-Irrationalität der Bausparer. Da es dafür keinen plausiblen Grund gibt, wird das Zinsrisiko des Kollektivs bei einem solchen Ansatz hinsichtlich steigender Zinsen signifikant unterschätzt.5) Eine bessere Alternative zur Modellierung stellen beispielsweise "S"-förmige Funktionen dar.6) Die Abbildung zeigt, wo der Vorteil liegt: Die "S"-förmige Kurve verläuft näher an der finanzrationalen Kurve. Sie kann so kalibriert werden, dass die Finanzrationalität im hohen wie im niedrigen Zinsumfeld in etwa gleich bleibt. Lediglich in der Nähe des Zinsumfeldes, bei dem sich die finanzrationale Entscheidung ändern würde, können größere "Finanz-Irrationalitäten" auftreten. Das lässt sich jedoch empirisch belegen, da zum einen dieses Optimum nur schwer - wenn für den Bausparer überhaupt - bestimmbar ist und eine "Fehlentscheidung" sich dort für den Kunden nicht materiell auswirkt. Nun betrachten wir die Entscheidungssituation unseres Beispiel-Bausparers nach sieben Jahren näher. Was wir bisher vernachlässigt haben ist der Einfluss eines Zinsbonus auf dessen Entscheidung. Denn wenn der Bausparer sich für das Darlehen entscheidet, muss er auf den Zinsbonus verzichten. Wir können den Bonusanspruch also als eine im Zeitablauf zunehmende entgangene Opportunität interpretieren, die das Bauspardarlehen wirtschaftlich gerechnet teilweise signifikant verteuert ("wirtschaftlicher Darlehenszins"). Gleichbleibende Finanzrationalität unterstellt nehmen die Darlehensverzichte folglich in einem alternden Bestand systematisch zu. Um diesen systematischen Effekt der Alterung des Kollektivs im Modell zu berücksichtigen, kann beispielsweise eine Variable zur Messung der Finanzrationalität der Entscheidung eingeführt werden. In unserem einfachen Modell könnte man beispielsweise anstatt des Marktzinses die Differenz aus wirtschaftlichem Darlehenszins und Marktzins7) als Entscheidungsgrundlage für den Kunden wählen. Bei unverändertem Marktzins nehmen die Darlehensverzichte dann über den erhöhten wirtschaftlichen Darlehenszins zu. Durch die dargestellte Modellierung des zinsabhängigen Kundenverhaltens geling es, systematische zinsabhängige Verhaltensweisen von nicht zinsinduzierten zu trennen. Zinsabhängige Verhaltensweisen werden im Rahmen des Marktrisikos bewertet und gesteuert. Die von nicht zinsinduzierten Verhaltensweisen erzeugte Varianz wird marktüblich im Kollektivrisiko gemessen. Kalibrierung, Validierung, Model Governance und Dokumentation Ausgangspunkt der Kalibrierung des bauspartechnischen Simulationsmodells ist eine hochwertige Datenbasis. Die Daten müssen korrekt sein und auch in der für die Schätzung und Validierung der Modellparameter geeigneten Detaillierung und Historie vorliegen. Gerade die für die Kalibrierung der Zinsabhängigkeiten8) benötigten historischen Zeitreihen liegen oftmals nicht im benötigten Umfang vor. Aufgrund der hohen Bedeutung der bauspartechnischen Simulation für die Gesamtbanksteuerung müssen die dann zugrunde gelegten Expertenschätzungen in einem transparenten Prozess festgelegt und in den Validierungsprozess einbezogen werden. Die vorzunehmende Modellvalidierung schließt die einzelnen Parameterschätzungen sowie die Modellergebnisse ein. Um eine durchgängig hohe Modellqualität des bauspartechnischen Simulationsmodells sicherzustellen, sollten Modellkalibrierung und Modellvalidierung in einem regelmäßigen Zyklus gemeinsam durchlaufen werden. Es sind standardisierte Entscheidungsprozesse hinsichtlich der Modell- und Parameteränderungen zu etablieren, um Transparenz und Akzeptanz im Unternehmen sicherzustellen. Da das bauspartechnische Simulationsmodell Grundlage für Managemententscheidungen ist, sollte dieses in den Prozess einbezogen werden. Integration des Kollektivmodells in das Marktrisikomodell Schließlich sind das Modell selbst, die Ergebnisse der Kalibrierung und Validierung sowie die Entscheidungen hinsichtlich Modell- und Parameteränderungen geeignet zu dokumentieren. Dies ist zum einen für interne Zwecke relevant, zum anderen wird dadurch auch die Prüfbarkeit des Simulationsprozesses durch Externe ermöglicht. Üblicherweise wird im Bausparen zur Messung des Marktrisikos auf Gesamtbankebene ein Value-at-Risk-Modell eingesetzt. Gemessen wird die negative Veränderung des Gesamtbankbarwerts innerhalb des Betrachtungszeitraums. Das gemessene Risiko wird der Risikodeckungsmasse gegenübergestellt und auf Basis vorgegebener Limite gesteuert. Die Bewertung zinsabhängiger außerkollektiver Positionen erfolgt wie im Finanzbereich üblich mittels anerkannter finanzmathematischer Bewertungsverfahren. Aufgrund der Anlagebeschränkung des Bausparkassengesetzes9) besteht das Anlageportfolio von Bausparkassen aus Zinspapieren. Derivate dürfen nur erworben werden, sofern sie nachweislich zur Absicherung eingesetzt werden.10) Die wesentliche (zusätzliche) Herausforderung einer Bausparkasse besteht darin, das Kollektiv in die Risikomessung zu integrieren. Die Herausforderung bezieht sich auf zwei Teilbereiche: Integration von kollektiven und außerkollektiven Positionen, die dem Kollektivprinzip Rechnung trägt, und marktnahe Bewertung des Kollektivs in den verschiedenen Kapitalmarktszenarien. Um zu verdeutlichen, wo die Herausforderung bei der Integration besteht, betrachten wir eine fiktive junge Bausparkasse, bei der sich alle Bausparverträge noch im Sparstadium befinden. Nehmen wir im ersten Schritt an, dass der sich ergebende prognostizierte Kollektiv-Cash-Flow des Bestandes in der Marktrisikobewertung als Kollektivposition berücksichtigt wird. Die Bauspareinlagen des heutigen Bestandes werden in den nächsten Jahren nach und nach abfließen und es werden zunehmend Bauspardarlehen ausbezahlt. Nach einiger Zeit sind die Bauspareinlagen vollständig ausbezahlt und stattdessen ist eine Bauspardarlehensposition aufgebaut, die dann wiederum nach und nach abfließt. Will sich die Bausparkasse in diesem Modell gegen Zinsänderungsrisiken immunisieren, so müsste sie den künftigen Bauspardarlehen bereits heute entsprechende außerkollektive Positionen gegenüberstellen. Integration von kollektiven und außerkollektiven Positionen Diese Sichtweise impliziert eine "kapitalgedeckte" Finanzierung der Bauspardarlehen. Tatsächlich funktioniert das Bausparen deutscher Prägung aber nach dem Kollektivprinzip: Bauspardarlehen werden durch Bauspareinlagen jüngerer Verträge refinanziert. Insbesondere findet dies im Bewertungszahlsystem Niederschlag, wonach sich die Zuteilung der Bauspardarlehen verzögert, wenn die Bauspareinlagen zur Refinanzierung nicht ausreichen.11) Der Kollektiv-Cash-Flow des Bestandes hängt also nicht nur von der Marktzinsentwicklung, sondern auch wesentlich vom Neugeschäft ab. Kommt das Neugeschäft in der implizit geplanten Form, so werden die künftigen Bauspardarlehen des heutigen Bestandes durch Bauspareinlagen des künftigen Neugeschäfts refinanziert. Kommt das Neugeschäft nicht in ausreichender Form, so werden die Bauspardarlehen aufgrund erhöhter Bewertungszahlen verzögert ausgereicht. Bezieht man wie zunächst angenommen nur den kollektiven Bestands-Cash-Flow in die Risikobetrachtung ein, so wird im Modell der sich ergebende außerkollektive Refinanzierungsbedarf überschätzt. Es entsteht der Steuerungsimpuls, die Duration der außerkollektiven Kapitalanlagen zu reduzieren und die Duration außerkollektiver Finanzierungen zu erhöhen. Folgt die Bausparkasse diesem Steuerungsimpuls, so erhöht sie ihr Risiko gegenüber fallenden Zinsen unter Umständen signifikant. Angesichts der bausparimmanenten Garantie der Guthabenverzinsung in den Bausparverträgen kann dies zu einer wesentlichen Fehlsteuerung führen. Eine Alternative ist, kollektives Neugeschäft vollständig über den Projektionszeitraum hinweg in die Betrachtung einzubeziehen. Dies bringt allerdings mehrere Nachteile mit sich. Zunächst einmal ist fraglich, wie lange die Projektion durchzuführen ist. Durch jeden einbezogenen Neugeschäftsjahrgang verlängert sich der potenzielle Projektionszeitraum. Mit zunehmender Dauer des Projektionszeitraums hängt die Bewertung des Weiteren zunehmend vom unterstellten Neugeschäft ab. Und schließlich ist die unterstellte Annahme der gleichbleibenden Tarifparameter des Neugeschäfts zunehmend unrealistisch, da die Bausparkasse auf Marktänderungen reagieren kann und wird. Aus den beiden dargestellten Extremen - kein Neugeschäft einbeziehen oder Neugeschäft über den vollen Projektionszeitraum berücksichtigen - sollte daher ein Mittelweg gewählt werden. Das Neugeschäft kann beispielsweise über einen Zeitraum von zwei bis vier Jahren einbezogen werden, für welchen die Tarifkonditionen üblicherweise beibehalten werden. Des Weiteren sollte der Projektionszeitraum des Kollektivs auf zehn bis 15 Jahre begrenzt werden, um eine zu starke Auswirkung künftiger Bauspardarlehen auf außerkollektive Steuerungsmaßnahmen zu vermeiden. Der am Ende des Projektionszeitraums vorhandene Kollektivüberschuss12) kann dann fiktiv über fünf bis zehn Jahre verteilt abgewickelt werden. Dadurch wird vermieden, dass wiederum ein Steuerungsimpuls in Richtung zu kurze Duration der Kapitalanlagen entsteht. Ein solches Modell ermöglicht die Steuerung der außerkollektiven Anlagen in Einklang mit der prognostizierten Kollektiventwicklung. Die Ausführungen machen aber auch deutlich, dass ein wesentliches Element der Risikosteuerung einer Bausparkasse im Kollektivmanagement liegt. Das Kollektivmanagement muss das Kollektiv langfristig im Hinblick auf kollektive Liquidität und kollektive Zinsmarge steuern. Während die kollektive Liquidität im Hochzinsumfeld knapp werden kann, kann die kollektive Zinsmarge sowohl bei fallenden Zinsen (garantierte Guthaben- und Bonusverzinsung) als auch bei steigenden Zinsen (Neugeschäft mit angehobener Zinsgarantie) unter Druck geraten. Die Steuerung des Kollektivs erfordert zusätzliche - auch auf der bauspartechnischen Simulation basierende - Bewertungsmodelle und schließt insbesondere eine Tarif- beziehungsweise Tarifvariantensteuerung zur Erhaltung eines langfristig tragfähigen Kollektivs auch bei nachhaltigen Marktzinsänderungen ein. Wesentliche Instrumente sind beispielsweise der kollektive Lagebericht oder der Fonds zur bauspartechnischen Absicherung, dessen Reformierung derzeit zur Diskussion steht.13) Die reine kollektive Steuerung kann des Weiteren durch außerkollektive Absicherungsmaßnahmen ergänzt werden.14) Bisher wurde diskutiert, wie Kollektiv-Cash-Flows in Abhängigkeit von der Marktzinsentwicklung modelliert werden sowie welcher Projektionszeitraum und welcher Neugeschäftszeitraum für die Marktrisikomessung zugrunde gelegt werden sollten. Abschließend wird nun noch betrachtet, wie die Bewertung des Kollektivs in den einzelnen Zinsszenarien der historischen respektive Monte-Carlo-Simulation erfolgt. Marktnahe Bewertung des Kollektivs Legt man die Arbitragetheorie zugrunde, so könnte in einer akademisch perfekten Welt das Kollektiv über eine stochastische Bewertung der künftigen Entwicklung anhand von sogenannten risikoneutralen Pfaden15) bewertet werden. Um auf diese Art und Weise eine vollständige Bewertung durchzuführen, sind - aufgrund der benötigten "eingebetteten Simulationen" - allerdings mehr als eine Million Kollektivsimulationen erforderlich. Dies übersteigt die heutigen technischen Möglichkeiten bei Weitem. In der Praxis hat sich daher der Standard herausgebildet, dass jedem Kapitalmarktszenario der historischen beziehungsweise der Monte-Carlo-Simulation ein Kollektiv-Cash-Flow zugeordnet wird. Dazu wird die Anzahl der unterschiedlichen Kollektiv-Cash-Flows auf eine standardisierte und technisch realisierbare Anzahl beschränkt. Die Zuweisung eines Kollektiv-Cash-Flows auf ein Kapitalmarktszenario erfolgt in der Regel auf Basis des gemessenen Abstands zwischen der zur Erzeugung des jeweiligen Kollek-tiv-Cash-Flows verwendeten Zinskurve und dem betrachteten Kapitalmarktszenario. Dieses "Mapping" bewirkt, dass der jeweils zugeordnete Kollektiv-Cash-Flow möglichst ähnlich zu dem ist, der sich bei Simulation des Kollektivs anhand des tatsächlichen Kapitalmarktszenarios ergeben würde. Die Vorgehensweise der Praxis ist vor dem Hintergrund der derzeitigen technischen Möglichkeiten eine angemessene Approximation. Die Zinsabhängigkeit des Kollektivs wird - entsprechende Qualität des bauspartechnischen Simulationsmodells vorausgesetzt - näherungsweise berücksichtigt und fließt damit in die Messung und Steuerung des Marktrisikos ein. Möglichkeiten der Weiterentwicklung Mit zunehmender Reduzierung der Simulationslaufzeiten und zunehmender Industrialisierung der bauspartechnischen Simulation sind Weiterentwicklungen denkbar. Beispielsweise könnten durch die Kalibrierung sogenannter Replikationsportfolios die Wertveränderungen des Kollektivs anhand von Kapitalmarktinstrumenten nachgebildet werden.16) Durch diese "Replizierung" würde die Laufzeit für die eigentliche Risikobewertung deutlich reduziert und Risikomargen für finanzielle Optionen und Garantien würden bei der Bewertung des Kollektivs explizit berücksichtigt. Die aufgrund der durch die Zinsgarantien und diversen Optionen hervorgerufene "Konvexität"17) des Bausparkollektivs könnte dadurch besser bewertet und gesteuert werden. Des Weiteren würden sich aus der Replikation Fortschritte im Hinblick auf Ad-hoc-Risikobewertungen ergeben, da dafür zum Teil keine separaten bauspartechnischen Simulationen mehr durchgeführt werden müssten. Zusammenfassend ist festzustellen, dass es - vor dem Hintergrund des sich verändernden Kundenverhaltens bedingt durch zunehmende Transparenz und Wettbewerbsdruck - eines Marktrisikomanagementansatzes für das Bausparkollektiv bedarf, welcher sich an den veränderten Umfeldbedingungen orientiert. Insoweit erscheint der vorgestellte Ansatz im Hinblick auf die Marktrisikosteuerung eines Bausparkollektivs (zinsabhängige Modellierung des Kollektivs und dessen Einbindung in ein angemessenes Governance Modell) sowie die Integration von kollektiven und außerkollektiven Positionen nebst einer marktnahen Bewertung geeignet, einen Beitrag zur Optimierung des Marktrisikomanagements in Bausparkassen zu leisten. Die Aussagefähigkeit wird jedoch wesentlich von der Qualität der Datenbasis und der Validität der Annahmen zur Modellierung von Cash-Flows im Kollektiv bestimmt. Fortschritte in der Informationstechnologie werden in den nächsten Jahren sicherlich dazu beitragen, die Einbeziehung des Kollektivs in die Marktrisikomessung weiter zu verbessern und insbesondere auch die Bewertung impliziter Optionen und Garantien weiter zu entwickeln. Fußnoten 1) Zusammenfassung der Bundesbank zur QIS Dezember 2010, Daten zu den "Gruppe 1"-Instituten per 31. Dezember 2009. 2)Zu gängigen Tarifmerkmalen vergleiche Hans Laux, "Die Bausparfinanzierung". 7., völlig neu bearbeitete Auflage 2005, Verlag Recht und Wirtschaft, Frankfurt am Main. 3) Vergleiche §1 BSpKGG. 4) Eine zulässige Ausnahme stellt im Regelfall die Übertragung im Verwandtenkreis dar. 5) Spiegelbildlich ergibt sich der gleiche Effekt, wenn man die Gerade anhand von Beobachtungen in einem Hochzinsumfeld kalibriert. 6) Darüber hinaus sind eine Vielzahl anderer Funktionen denkbar. Wichtig ist, dass die beschriebenen und gegebenenfalls weitere systematische Effekte adäquat abgebildet werden, sofern sie für den betrachteten Bausparbestand signifikant sind. 7) In komplexeren Modellen können je nach Zinsumfeld und modellierter Entscheidung verschiedene Zinssätze relevant sein, zum Beispiel kurzfristige Zinssätze zur Modellierung von Sparentscheidungen und langfristige zur Modellierung von Darlehensentscheidungen. 8) Die Kalibrierung zinsabhängiger Verhaltensweisen erfordert teilweise den Einsatz von nichtlinearen statistischen Schätzverfahren. In marktgängiger Statistiksoftware sind diese Schätzverfahren im Regelfall implementiert. 9) §4 BSpKG. 10) BAFin-Rundschreiben vom 26. Januar 2005, "Anwendung des §4 BSpKG auf derivative Sicherungsgeschäfte". 11)§10 BSpKG in Verbindung mit §7 BSpKV. 12) Differenz aus Bauspareinlagen und Bauspardarlehen. 13) Vergleiche Matthias Metz, "Der Fonds zur bauspartechnischen Absicherung im Wandel". In: Immobilien und Finanzierung, Heft 17/2010. 14) Beispielsweise wird ein Konvexitätshedge diskutiert in Jürgen Steffan, Josef Schürle, Christoph Püntmann, "Schutz für Bausparkassen um geeignete Instrumente ergänzen". In: "Bankmagazin", Heft 4/2010. 15) Hierzu werden sogenannte ökomoische Szenariogeneratoren eingesetzt. Ein in der Praxis etabliertes Anwendungsgebiet ist beispielsweise der MCEV im Bereich der Lebensversicherung. 16) Die Technik des Replikationsportfolios wird derzeit beispielsweise im Rahmen der Entwicklung interner Modelle nach Solvency II im Versicherungsbereich vielfach in der Praxis eingesetzt. Die Erfahrung daraus zeigt, dass die wesentliche Herausforderung in der Kalibrierung dieser Portfolios liegt. Bei der Umsetzung empfiehlt es sich daher, einen ausreichenden Entwicklungszeitraum sowie eine umfangreiche Testphase einzuplanen. 17) Zum Begriff und der Wirkung der Konvexität im Bausparkollektiv vergleiche Jürgen Steffan, Josef Schürle, Christoph Püntmann, "Schutz für Bausparkassen um geeignete Instrumente ergänzen". In: Bankmagazin, Heft 4/2010.1/3 hoch1

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