Gastkommentar

Die langsame Rückkehr zum Risiko

Das Volumen gewerblicher Immobilientransaktionen in Europa ist 2010 um rund 40 Prozent gestiegen. Nach den Krisenjahren 2008 und 2009, in denen das Volumen um insgesamt 75 Prozent einbrach, haben die Immobilienmarktakteure offenbar einen großen Schritt in Richtung Normalität getan. Doch was ist schon normal nach einer solch schweren Krise? Die Transaktionsvolumina der Jahre 2006 und 2007 sind auf jeden Fall keine sinnvolle Referenz, und zwar sowohl mit Blick auf das quantitative Volumen als auch hinsichtlich der Verteilung der Transaktionen auf die Risikoklassen. Es wäre demnach auch unzulässig, den Eindruck zu erwecken, die Transaktionsvolumina von damals seien in absehbarer Zeit auch nur annähernd wieder erreichbar. Dafür sind derzeit sowohl Investoren als auch finanzierende Banken zu Recht viel vorsichtiger bei der Vergabe von Fremdkapital als vor der Krise. Der Anteil der Investitionen in risikoarme Core-Immobilien ist folgerichtig von knapp 20 Prozent im Jahr 2006 auf 70 Prozent im letzten Jahr gestiegen, wobei für diese Anteilsverschiebung insbesondere der massive Rückgang der opportunistischen Investments mit sehr hohem Fremdkapitalhebel maßgeblich war.

Das gestiegene Sicherheitsbedürfnis der Marktakteure zeigt sich auch darin, dass die besonders großen und liquiden Immobilienmärkte wie London oder Paris aus zwei Gründen noch immer besondere Aufmerksamkeit genießen: Erstens gibt es dort eine hinlänglich große Auswahl an Core-Immobilien und zweitens bedeutet ein liquider Immobilienmarkt auch eine Versicherung gegen neue Turbulenzen, da ein möglicher Exit einfacher wäre.

Sowohl die Suche nach Core-Immobilien als auch der Fokus auf besonders liquide Märkte zeigt sich eindrucksvoll in der Entwicklung der Mietrenditen europäischer Gewerbeimmobilienmärkte: Die Mietrenditen für Top-Objekte sind 2010 in (fast) allen westeuropäischen Büromärkten gesunken; während die Mieten weitgehend unveränderlich blieben, nahmen die Preise zum Teil spürbar zu. Der jeweilige Rückgang auf den Märkten fiel freilich sehr unterschiedlich aus. In London und Paris gaben die Renditen seit ihren Höchstständen um über 150 Basispunkte nach, in Amsterdam um 90 und in Frankfurt nur um 30 Basispunkte. Dies mag auf den ersten Blick verwundern. Wieso profitieren zum Beispiel die deutschen Büromärkte nicht mehr von dem kräftigen gesamtwirtschaftlichen Aufschwung? Deutschland gilt doch derzeit als das neue Powerhouse Europas. Zwei Variablen erwiesen sich als statistisch hoch signifikant für die Erklärung der europäischen Renditekompression in den letzten zwei Jahren: Die erste Variable ist der vorherige Renditeanstieg im Zuge der Krise, und die zweite Variable ist der Büroflächenbestand eben als Proxy für die Marktliquidität. Das heißt, dort wo es zunächst den heftigsten Preisverfall gab, legten die Preise auch wieder am stärksten zu - der Weg zur Normalität glättet die Verwerfungen der Krise. Der fehlende Absturz in Deutschland erklärt also (teilweise) den bisher geringen Preisanstieg. Gleichzeitig bevorzugen Investoren die besonders großen Immobilienmärkte, allen voran London und Paris.

Nun bleiben auch 2011 und 2012 noch nennenswerte Risiken für die europäischen Immobilienmärkte: Die Eurokrise ist nicht gebannt, der Refinanzierungsbedarf bleibt als Spätfolge des Vorkrisenbooms hoch, und die Wachstumsdynamik in China wird selbst im günstigsten Szenario abnehmen. Dennoch wird der Weg zur Normalität auf den Immobilienmärkten auch zu einer Rückbewegung zu risikobehafteten Assets führen. Bei Kapitalmarktprodukten konnte man dies bereits 2010 sehr gut beobachten: Geldmarktprodukte haben tendenziell an Zuspruch verloren, höher verzinsliche Unternehmensanleihen sowie Aktien und Anleihen aus Schwellenländern haben gewonnen. Auf den Immobilienmärkten wird es allerdings kaum zu einer ruckartigen und heftigen Verschiebung der Risikoklassen, sondern eher zu einer graduellen und langsamen Gewichtsverlagerung kommen. Dafür spricht insbesondere, dass die Renditedifferenz zwischen Mietrenditen für Top-Büroobjekte und der Rendite für eine Staatsanleihe für einige Märkte erheblich reduziert wurde. Aktuell liegt diese Differenz für London bereits bei unter 20 Basispunkten, in Paris bei rund 100 Basispunkten. Wenn die Anleihezinsen 2011 weiter steigen, ist für London eine negative Differenz zu erwarten - dies hatten wir zuletzt kurz vor Ausbruch der Finanzkrise. Nun muss man vorsichtig sein mit der Aussagekraft von Differenzen, denn gerade das Beispiel Dublin zeigt, dass eine negative Differenz eben auch etwas über das wahrgenommene Ausfallrisiko der Staatsanleihe aussagt. Gleichwohl lässt sich aus dem Schaubild erahnen, dass es in den nächsten Monaten eine Bewegung der Investoren zurück zu weniger liquiden Märkten in Kontinentaleuropa und Osteuropa kommen dürfte. Dies könnte auch bedeuten, dass Investoren etwas häufiger nach Büroimmobilien und etwas seltener nach Einzelhandelsimmobilien suchen werden. Auch hier ist wichtig: Es geht um eine graduelle Akzentverschiebung, nicht um eine vollständige Trendumkehr.

Tobias Just, Deutsche Bank Research

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