Leitartikel

Kredit als Kultur

Sind Langfristigkeit und Stabilität Kulturgüter? In Deutschland schon, behaupten Baufinanzierer. Tatsächlich scheint es hierzulande eine Vorliebe für stabile Verhältnisse zu geben. Egal ob beim Automobil oder bei der Assekuranz, ob bei der Kapitalanlage oder der Kreditaufnahme, stets wollen die Deutschen Sicherheit und Solidität. Umstände, die dem entgegenstehen, werden mit einer gehörigen Portion Misstrauen bedacht. Da stemmt sich die Europäische Zentralbank gegen deflationäre Tendenzen und die Aufwertung des Euro, doch hierzulande nährt das die latenten Inflationsängste. Aber statt mehr zu konsumieren, wird Geld auf Tages- und Festgeldkonten gehortet, auch wenn deren Zinsen nicht einmal die allgemeine Teuerung kompensieren und der Staat sich von dem mageren Ertrag auch noch ein Viertel über die Steuer holt. Kein Wunder also, dass Ökonomen, EU und Einzelhändler an der auf Export fokussierten Nation schier verzweifeln und über Strafmaßnahmen gegen den deutschen Merkantilismus nachdenken.

Aber immerhin den Traum von den eigenen vier Wänden wollen sich die Deutschen erfüllen. Denn die Wirtschaft blickt ausgesprochen positiv in die Zukunft und der Arbeitsmarkt ist stabiler als andernorts. Zudem waren die Hypothekenzinsen noch nie niedriger und Wohneigentum selten erschwinglicher als heute. Dadurch - und zusätzlich unterstützt durch staatliche Förderung - können nunmehr auch diejenigen Haushalte Wohneigentum bilden, die es sich in der Vergangenheit nicht hätten leisten können. Werden an dieser Stelle womöglich wie vor ein paar Jahren in den USA, Spanien und Irland sowie jüngst in den Niederlanden, in Dänemark oder Norwegen falsche Anreize gesetzt und volkswirtschaftlich unerwünschte Entwicklungen begünstigt?

Ein Blick in die aktuelle Bundesbank-Statistik offenbart tatsächlich einen Anstieg der privaten Baufinanzierungen. Zwischen Januar und Oktober 2013 sagten allein deutsche Banken - also ohne die Versicherungen und die Bausparkassen - Wohnungsbaukredite im Gesamtvolumen von 169,0 Milliarden Euro an inländische private Haushalte zu. Gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres entspricht das einem Anstieg um rund sieben Milliarden Euro beziehungsweise 4,3 Prozent. Davon waren aber nur 30,2 Prozent respektive 51,1 Milliarden Euro Finanzierungen mit einer anfänglichen Zinsbindung von mindestens zehn Jahren. Im Vergleichszeitraum 2012 hatte der Anteil noch bei 31,6 Prozent gelegen. Angesichts der historisch günstigen Zinsen wäre doch eigentlich zu erwarten, dass sich die Kreditnehmer die günstigen Konditionen möglichst langfristig sichern. Derweil nahmen Darlehen mit fünf- bis zehnjähriger Zinsbindung zu - um etwa fünf Milliarden Euro auf 70,1 Milliarden Euro, womit sich deren Anteil von 40,2 auf 41,5 Prozent erhöhte. Die Zahlen der Bundesbank machen außerdem deutlich, dass lediglich 47,3 Prozent der Wohnungsbaukredite besichert sind. Bei den langfristigen Finanzierungen ist diese Quote nur 1,4 Prozentpunkte höher.

Nimmt das Risikobewusstsein der Banken ab und sind doch zwei von drei Baukreditnehmern einem erhöhten Zinsänderungsrisiko ausgesetzt? Warum der erste Teil der Frage zu verneinen ist, erklärt Bundesbankvorstand Andreas Dombret in diesem Heft ab Seite 13 ausführlich. Tatsächlich berichten auch mehrere der einschlägigen Baufinanzierer, dass sie ihre Kreditvergabekriterien verschärft haben. Zudem zeigt eine Analyse der Hypoport AG, über deren Plattform Europace etwa 15 Prozent aller Wohnungsbaukredite abgewickelt werden, dass die Hälfte der kurzfristigen Kredite (bis fünf Jahre) Zwischenfinanzierungen mit einer Laufzeit von weniger als einem Jahr sind. Darüber hinaus entfällt ein relevanter Teil der Transaktionen auf Prolongationen und Umschuldungen, von denen wiederum 90 Prozent beziehungsweise 75 Prozent Zinsbindung von bis zu zehn Jahren aufweisen. Zur Gruppe der Kredite mit zehnjähriger Zinsbindung gehören neben KfW-Darlehen auch zumeist kleinteiligere Finanzierungen von Modernisierungsvorhaben, die laut DIW etwa 75 Prozent aller Baumaßnahmen ausmachen.

Ferner empfehlen die Banken ihren Kunden immer öfter, den Hypothekarkredit nach zehn Jahren von einem Bauspardarlehen ablösen zu lassen und bieten entsprechende Kombinationsprodukte an. Laut Hypoport sind mittlerweile 37 Prozent der auf Europace abgewickelten Darlehenssumme mit einem Bausparvertrag unterlegt. Außerdem werden 70 Prozent der Baufinanzierungen mit bis zu zehnjähriger Zinsfestschreibung mit mehr als 1,5 Prozent getilgt. Ganz offensichtlich lassen sich die Deutschen von den historisch niedrigen Zinsen weder zu einer höheren Verschuldung noch zu verminderter Rückzahlungsdisziplin verführen. Verglichen mit den Entwicklungen und Erfahrungen in anderen westlichen Volkswirtschaften scheint es sie hierzulande also doch zu geben: eine ausgeprägte Langfrist- und Stabilitätskultur in der privaten Baufinanzierung - auch auf Kundenseite.

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