Weichenstellungen im Kartengeschäft

Es wird Zeit für Allianzen

Manche Entwicklungen brauchen Zeit - so auch technische Generationssprünge. Als 1959 die erste Kreditkarte auf den Markt kam, dauerte es noch über 20 Jahre, bis sie einen Magnetstreifen erhielt. Nach weiteren zehn Jahren, 1992, kam die erste Karte mit EMV-Chip. Seitdem hat der EMV-Standard einen regelrechten Siegeszug durch die deutsche Zahlungsinfrastruktur vollzogen. Heute, im Jahr 2012, stehen wir vor dem nächsten Generationssprung: Bezahlen mit kontaktlosen Karten und Mobiltelefonen - eine Entwicklung, die sowohl Konsumenten als auch Händlern neue Möglichkeiten eröffnet und viele Vorteile bringen wird.

Doch bevor die ersten Lösungen massenhaft in den Markt gehen, müssen alle am Zahlungsverkehr und in der Abwicklung Beteiligten noch viele Herausforderungen und Aufgaben bewältigen. Es gilt, Allianzen zu bilden und gemeinschaftlich an der Marktreife und Massenfähigkeit neuer Bezahllösungen zu arbeiten. Und das möglichst bald, denn wenn es die hiesigen Unternehmen nicht tun, werden bald globale Riesen wie Google & Co. das Zepter übernehmen.

Technisch heute schon beinahe massenfähig

Schnellere, sicherere und günstigere Bezahlvorgänge - kontaktloses Bezahlen wird für eine Verschlankung und Effizienzsteigerung der Bezahlprozesse sorgen, die durchschnittliche Transaktionsdauer wird um bis zu 21 Sekunden verkürzt. Für Kunden bedeutet die Einführung der neuen Zahlungsgeneration neben kürzeren Wartezeiten an der Kasse auch eine deutliche Steigerung der "gefühlten" Sicherheit, da die Karte beim Bezahlvorgang nicht mehr aus der Hand gegeben wird.

Händler werden die gewachsene Kundenzufriedenheit in den Umsatzzahlen spüren und können sich aufgrund des entfallenden Bargeldhandlings über niedrigere Kosten freuen.

Während der Einsatz und die Verbreitung von kontaktlosen Karten in Deutschland an Fahrt gewinnen, arbeiten die Produktentwickler an weiteren Lösungen und Trägermedien, wie beispielsweise Mobiltelefone, Schlüsselanhänger oder Armbanduhren mit Kontaktlos-Funktion. Während die Letzteren eher als sogenannte Gadgets einzustufen sind, hat das Mobiltelefon mittlerweile die Hauptrolle in den meisten Visionen, Konzepten und Pilotprojekten übernommen.

Vielerorts sind mobile Zahlungen tatsächlich bereits heute realisierbar. Was Visa mit Paywave ermöglicht, bietet Mastercard unter dem Namen Paypass an - kontaktloses Bezahlen mit dem Mobiltelefon per Near Field Communication. So nutzt beispielsweise auch die Google Wallet-Applikation Mastercard Paypass sowie Visa Paywave als Bezahlfunktionen.

Vom technischen Gesichtspunkt betrachtet ist kontaktloses und mobiles Bezahlen schon heute nahezu massenfähig. An den nötigen Endgeräten mangelt es nicht. Dennoch bedarf der endgültige Schritt in die Marktreife noch einiger Anstrengung - und zwar seitens aller an der Zahlungskette Beteiligten und solcher, die es noch wer den wollen, wie etwa Internetunternehmen. Es gilt die Vision "mobiles Bezahlen" in der Realität zu verankern: einfach, sicher und verlässlich.

Der gesamte Markt muss sich für kontaktloses Bezahlen öffnen

Es sind die Verbreitung und das Akzeptanznetz einer Innovation, die über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Der deutsche Markt für Mobile Payments befindet sich allerdings noch in der Startphase, und mobile Bezahllösungen stecken sozusagen nach wie vor in den Kinderschuhen. International sind die Märkte bedingt durch die geringe Anzahl an relevanten Marktteilnehmern schneller. Einer der Gründe für die vergleichsweise schleppende Entwicklung sind die Engpässe in der Infrastruktur, denn im stationären Handel fehlt es in der Fläche an PoS-Terminals, die kontaktlose und damit auch mobile Zahlungen verarbeiten können.

Der Grundstein ist bereits gelegt: Mastercard, Visa und weitere Kreditkarten werden von den Kunden als sichere Zahlungsverfahren geschätzt und international akzeptiert. Der ausschlaggebende Faktor für die Akzeptanz der neuen Bezahltechnologien ist der Ausbau der Terminalinfrastruktur. Dafür müssen Acquirer und Netzbetreiber gemeinsam mit dem Handel nach geeigneten Lösungen für eine möglichst zeit- und kosteneffiziente Umgestaltung der Infrastruktur suchen.

Vielversprechende Pilotprojekte wurden bereits getestet: In Hamburg können Kunden bei über 80 Händlern der Douglas-Gruppe und in den Vapiano-Filialen der Stadt kontaktlos mit ihrer Mastercard-Paypass-Karte bezahlen. Weitere Unter nehmen wie der Buchhändler Thalia werden folgen.

Auch die Volksbanken und Sparkassen sind intensiv dabei, die Kontaktlos-Technologie voranzutreiben. Letztere haben bereits mit der Ausgabe der ersten kontaktlosen Sparkassen-Cards begonnen und können sich für die Zukunft sogar vorstellen, die Sparkassen-Card, beziehungsweise ihre Technik, auch ins Handy zu integrieren. Doch auch hier wird auf die zunächst notwendige Bereitstellung einer flächendeckenden Infrastruktur ver wiesen.

Heiß umkämpfter Markt

Mit den neuen Zahlverfahren formieren sich auch neue Teamkonstellationen im Bereich der Zahlungsabwicklung. Einer seits wollen sich etablierte Finanzdienstleister im Zahlungsmarkt der Zukunft behaupten. So hat Visa beispielsweise eine Kooperation mit dem Handyhersteller Samsung bekannt gegeben. Im Rahmen von Olympia 2012 sollen Athleten mit NFC-fähigen Samsung-Smartphones ausgestattet werden, um die Akzeptanz von Mobile Payments weiter voranzutreiben.

Auf der anderen Seite sind es aber vor allem die großen internetaffinen Unternehmen, wie beispielsweise Google oder Apple, die den Payment-Markt längst als attraktives Geschäftsfeld identifiziert haben. Obwohl sie den Großteil ihres Umsatzes über Werbung generieren und nicht primär am Zahlungsverkehr als Geschäftsmodell interessiert sind, bereiten sie sich Schritt für Schritt auf die Erschließung des Mobile-Payment-Marktes vor.

Der Technologie-Riese Apple hat mehrere Patente in Bezug auf die Kontaktlos-Technologie schützen lassen. Zusammen mit Gemalto, einem Unternehmen für die Personalisierung von Chip-, NFC- und SIM-Karten, möchte Apple seinen Kunden so die Möglichkeit bieten, das i-Phone mit wenigen Handgriffen zum Geldbeutel aufzurüsten.

Apples größter Wettbewerber Google hat in einer richtungsweisenden Allianz mit den Partnern Mastercard, Citibank, First Data und Sprint die Einführung des mobilen Zahlungsdienstes "Google Wallet" in den USA pilotiert, an dem sich nun auch Visa und American Express beteiligen werden. Das iOS-Konkurrenzprodukt Android wird mit der Version 2.3 den NFC-Standard unterstützen. Die Daten werden in einem sicheren Bereich hinterlegt und bei einer Transaktion via NFC verschlüsselt und geschützt gesendet. Zum Bezahlen muss der Verbraucher nur noch sein Smartphone vor ein NFC-fähiges Terminal halten und schon ist der Zahlvorgang abgewickelt. Erste mobile Transaktionen mit der "digitalen Geldbörse" von Google wurden bereits in den USA durchgeführt.

Auch der Online-Zahlungsdienstleister Paypal mischt mit im Kampf um die Gunst des Kunden. Mit weltweit 224 Millionen Kundenkonten gehört Paypal zu den größten Teilnehmern am E-Commerce-Markt. Registrierte Nutzer profitieren schon heute von den hauseigenen mobilen Zahllösungen: Send Money Service, i-Phone Bump oder Paypal Express Mobile. Letztere steht seit März 2011 zur Verfügung und kann über eine mobile Applikation oder einen mobilen Browser genutzt werden. Erste Händler haben das Bezahlsystem schon in ihren Shop integriert. Für die nahe Zukunft plant der Online-Zahlungsdienstleister noch weitere Bezahllösungen auf NFC-Basis, die auch im stationären Handel eingesetzt werden können.

Eines haben all diese US-amerikanischen Unternehmen jedoch gemeinsam: eine große, für unseren Markt unübliche Wertschöpfungskette und das nötige Kapital, um sich Dienstleister und Branchenspezialisten aus bisher unerschlossenen Sparten zu akquirieren. So gelingt es einem ursprünglichen Technologieunternehmen wie Apple, bei Bedarf auch als Anwendungs- und Plattformentwickler oder als Portalanbieter aufzutreten.

Allianzen etablieren

Ganz anders verhält es sich auf dem deutschen Markt, der sich durch spezialisierte, branchenfokussierte Unternehmen auszeichnet. Diese besitzen in ihrem Kernfeld zwar eine besonders starke Position, sind bei einem Projekt wie der Einführung des kontaktlosen und mobilen Bezahlens aber dann am stärksten, wenn sie Teil einer strategischen Allianz und eines gemeinsamen Konzepts sind.

Wie wichtig es für den deutschen Markt ist, solche Allianzen möglichst bald zu etablieren, eigene Lösungen zu entwickeln und diese deutschen Verbrauchern bereitzustellen, bestätigen auch Branchenexperten. Demzufolge gehört der Zahlungsverkehr zu den fünf wichtigsten Grunddienstleistungen eines Staates an seine Bürger (wie zum Beispiel die Stromversorgung oder der öffentliche Personenverkehr) und sollte daher nicht an marktfremde Anbieter abgegeben werden.

Im Smartphone liegt die Zukunft

Schätzungen besagen, dass die Marktdurchdringung bei Smartphones in den Industrieländern zwischen 2014 und 2015 die 50-Prozent-Schwelle erreichen wird. Diese Marke wird für die USA bereits in diesem Jahr prognostiziert. Ein ähnlicher Trend ist auch in Deutschland zu beobachten. Laut einer Studie vom BVDW (Bundesverband Digitale Wirtschaft e. V., Berlin) und Google Deutschland gibt es allein hierzulande rund zwölf Millionen private Smartphone-Nutzer dies sind etwa 18 Prozent der volljährigen Gesamtbevölkerung.

In Deutschland liegt die Smartphone-Penetration bei 30 Prozent, mit steigenden Zuwachsraten (plus 10,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr). Bei insgesamt rund 111 Millionen Mobilfunkverträgen sprechen wir daher heute schon von zirka 33 Millionen potenziellen Konsumenten. Schon bald werden all diese Geräte kontaktloses Bezahlen basierend auf NFC-Technologie zur natürlichsten Sache der Welt machen.

Darüber hinaus ergeben sich durch die steigende Vielfalt an Funktionalitäten für Unternehmen noch viele weitere Möglichkeiten, den Verbraucher zielgerichteter anzusprechen. Location-Based-Advertising, Augmented Reality, Gewinnspiele und Couponing heißen die Stichwörter: Konsumenten könnten beispielsweise an einem Werbeplakat für einen Kinofilm einen Code abfotografieren, danach werden ihnen die umliegenden Kinos und Spielzeiten des Films angezeigt. Das passende Kino wird ausgewählt, mit einem Klick können die Kinokarten reserviert und bezahlt werden. Ein Szenario, das schnell Realität werden kann.

Die Kartenzahlungsbranche muss an einem Strang ziehen

Das Schlüsselwort dafür heißt Vertrauen. Verbraucher wollen ihre sensiblen Daten gut geschützt wissen, genauso wie sie ihre Finanzgeschäfte von einem erfahrenen und verlässlichen Anbieter abgewickelt haben wollen. Gerade deutsche Konsumenten müssen in die Zahlungen mit dem Smartphone Vertrauen haben und sich beim Bezahlen sicher fühlen. Dies bestätigt auch eine GfK-Studie, die besagt, dass deutsche Konsumenten Mobile Payments am liebsten von Finanzdienstleistern, wie beispielsweise Banken und Kreditkartenorganisationen, abgewickelt sehen.

Erst an zweiter Stelle steht für sie der empfundene Nutzen der eingesetzten Zahlmethode, an dritter der nicht zu unterschätzende "Coolness"-Faktor eines Zahlungsverfahrens. Erst wer all diese Kriterien erfüllen kann, wird sich mit seinen neuen Zahlungslösungen nachhaltig auf dem Markt positionieren können.

Die Bezahlkultur bleibt weiter im Wandel und der Trend geht stetig weg vom Bar geld hin zu bargeldlosen Bezahloptionen. Das Angebot an alternativen Payment-Diensten wird steigen und kontaktlose Bezahlmethoden werden in den nächsten fünf Jahren weitverbreitete Anwendung finden, nicht zuletzt, weil die wachsende Penetration von Smartphones Verbraucher lehrt, ihr Mobiltelefon für weitere Zwecke als das reine Telefonieren einzusetzen.

Doch die interessanteste und innovativste Bezahllösung wird wenig erfolgreich sein ohne starke und zuverlässige Partner, die sie tragen können. Genau wie die sprichwörtliche Kette, die nur so stark ist wie ihr schwächstes Glied, spielt auch im Bereich der innovativen Zahlungslösungen die richtige Teamkonstellation der Beteiligten eine zentrale Rolle.

In Zukunft wird es in erster Linie darum gehen, zwischen Acquirern, Händlern, Banken und Kreditkartenorganisationen eine noch stärkere Zusammenarbeit zu fördern. Diese Allianzen werden über die Attraktivität des kontaktlosen Bezahlens für den Handel und somit auch über die nötige Infrastruktur für den Verbraucher entscheiden.

Der Beitrag basiert auf einem Vortrag des Autors auf dem Bankkarten-Forum 2011 .

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