WETTBEWERB

"Auch neue Mitbewerber müssen ihre Prozesse im Griff haben" Interview mit Jürgen Gros

Dr. Jürgen Gros, Foto: GVB

Die Digitalisierung darf nicht dazu führen, dass Qualität und Sorgfalt auf der Strecke bleiben, sagt der im Dezember ausgeschiedene Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern. Bei der Kontoeröffnung machen nicht Schnelligkeit und Bequemlichkeit den Unterschied, sondern Genauigkeit und Sicherheit. Das sollten auch Kunden wieder stärker ins Bewusstsein nehmen. Politik und Gesellschaft täten gut daran, weniger auf die "Einhörner" zu schauen. Wichtiger sei es, dass alle Marktteilnehmer sich an die Regeln halten. Denn einzelne schwarze Schafe, die ihre Prozesse nicht im Griff haben, schaden dem Image der gesamten Branche. Red.

In den letzten Jahren hatte man den Eindruck, Fintechs würden im Kontext der Digitalisierung inzwischen weniger als Problem für die Banken denn als Teil der Lösung wahrgenommen. Stimmt das immer noch?

Grundsätzlich gilt: Konkurrenz belebt das Geschäft. Im Bankenbereich ist vieles digital getrieben. Die digitale Durchdringung der Prozesse nimmt stetig zu. Die Institute können daraus für sich Mehrwert generieren und Prozesse effektiver gestalten. Das gilt insbesondere an der Schnittstelle zum Kunden. Fintechs treiben hier innovative Lösungen voran und man kann einiges von ihnen lernen. Und es gibt vielfältige Wege zu kooperieren, von denen beide Seiten profitieren. Allerdings darf die Digitalisierung nicht dazu führen, dass Qualität und Sorgfalt auf der Strecke bleiben. Das ist leider in Einzelfällen zu beobachten.

Vor allem N26 hat hier in letzter Zeit mit Defiziten Schlagzeilen gemacht. Inwieweit ist das auch ein Problem für etablierte Banken?

Die Bankenbranche treibt einen hohen Aufwand, um sichere Authentifizierungsverfahren zu etablieren und zu gewährleisten, alle Geldwäscheauflagen zu erfüllen, Verdachtsfälle zu melden und dadurch Geldwäsche zu verhindern. Das kostet auch die Volks- und Raiffeisenbanken viel Geld und Ressourcen. Wenn andere Player hier laxer vorgehen, schadet das der gesamten Branche und bringt sie in Verruf. Die Themen Authentifizierung und Geldwäscheprävention sind das eine - Betrugsfälle das andere. In den vergangenen Monaten war immer wieder zu beobachten, dass Kunden von VR-Banken Opfer von Betrügereien geworden sind. Gemeinsam war diesen Betrugsfällen, dass die mutmaßlichen Betrüger ein Konto bei N26 hatten. In Einzelfällen erreichte der Schaden sechsstellige Summen.

Das Problem war, dass die Behebung des Schadens nur gemeinsam mit der Bank der Täter funktioniert. Doch dort war allzu oft niemand erreichbar. Oder die Reaktion folgte erst mit einiger zeitlicher Verzögerung. Bei Betrugsfällen kommt es jedoch auf Geschwindigkeit an. Schon Stunden oder gar Minuten können entscheidend sein. Wenn die Bank der Täter gar nicht erst oder zu spät reagiert, lässt sich oft nichts mehr machen. Das führt dazu, dass mehr als 75 Prozent der Fälle ungelöst blieben.

Lässt sich beziffern, wie viel Aufwand die damit verbundenen Betrugsvorfälle bei den bayerischen Genossenschaftsbanken verursacht haben?

Klar beziffern lässt sich das nicht. Aber der Aufwand ist enorm - ebenso wie das Ausmaß der Betrugsfälle. Von Jahresbeginn bis September 2021 hatte mindestens ein Drittel der bayerischen Volks- und Raiffeisenbanken Betrugsfälle bei seinen Kunden zu beklagen, die in Zusammenhang mit einem Konto bei N26 stehen. In Summe haben die 222 VR-Banken mehr als 400 Betrugsdelikte mit einem Gesamtschaden von mindestens 1,5 Millionen Euro gemeldet. Das Ausmaß dürfte bundesweit betrachtet und in allen Bankengruppen insgesamt um ein Vielfaches höher liegen.

Wie genau laufen solche Betrugsvorfälle ab?

Die Betrugsmaschen sind vielfältig. Vonseiten der befragten Banken wurden vor allem Pishing-Mails oder -SMS genannt, bei denen Opfer dazu aufgefordert werden, ihre Bankdaten preiszugeben, oder es wurden ihre digitalen Endgeräte ausgespäht. Häufig kommt es auch zu Warenbetrug über Fake-Shops im Internet und zu Telefonanrufen, bei denen sich die Anrufer zum Beispiel als Bankmitarbeiter ausgeben. Ziel ist es, die Opfer dazu zu bringen, Geld zu überweisen - das Konto war dann jedes Mal bei N26.

Fehlt es bei N26 an KI-gestützten Systemen, um verdächtige Transaktionen zu identifizieren?

Von außen lässt sich schwer beurteilen, wo das Problem liegt. Um Betrugsfälle zu verhindern, ist es aber unabdingbar, bereits bei der Authentifizierung neuer Kunden sorgfältig zu sein. Das würde es Betrügern schon erschweren, Konten bei der Bank zu eröffnen.

Haben Regulatoren und Aufsicht den Fintechs zu lange "Welpenschutz" gewährt?

Das vermag ich nicht zu beurteilen. Wovor ich aber nur warnen kann, ist in Gesellschaft, Politik und Medien zu oberfächlich auf "Einhörner" zu schauen. Es ist begrüßenswert, wenn etwas Großes und Neues in der Finanzbranche entsteht, es muss aber auch solide sein. Das Bankengeschäft ist ein hoch regulierter Markt. Wer dort mitmischen will, muss sich an die Regeln halten - und in der Lage sein, die damit verbundenen Anforderungen zu erfüllen. Das muss überwacht werden. "Welpenschutz", "regulatorische Sandkästen" oder falsch verstandene Rücksicht sind völlig fehl am Platz. Das Wettbewerbsargument trägt zudem nicht, weil im deutschen Finanzmarkt reger Wettbewerb herrscht. Im Fall N26 hat die BaFin schnell reagiert. Dazu mag vielleicht auch ein Brief, mit dem sich der GVB an den neuen BaFin-Präsidenten Mark Branson gewandt und sich über die vielen Betrugsfälle in Zusammenhang mit N26-Konten beschwert hat, einen kleinen Beitrag geleistet haben. Die BaFin hat für N26 jetzt einen zweiten Sonderbeauftragten bestellt. Der erste Sonderbeauftragte, der schon seit Mai tätig ist, soll sich um die Themen Geldwäsche und Terrorbekämpfung kümmern. Der nun berufene zweite hat die Mängel insbesondere im Risikomanagement in den Bereichen Informationstechnologie und Auslagerungsmanagement im Blick.

Ist N26 ein Einzelfall - oder kommt es häufiger zu Problemen in Verbindung mit Neobanken?

Nach unserer Übersicht ist es in der Tat ein Einzelfall - sowohl bei der Häufigkeit der Betrugsfälle als auch bei Problemen bei der Abwicklung im Schadenfall. Von anderen Marktakteuren - neuen wie etablierten - kennen wir so etwas in diesem Ausmaß bislang nicht.

Welche Folgen haben die Versäumnisse einzelner Anbieter für die gesamte Branche?

Solche Betrugsfälle werfen ein schlechtes Licht auf die gesamte Branche. Es ist Kunden oft schwer zu erklären, wo das Problem liegt. Für sie steht die Problemlösung an vorderster Stelle. Und da blicken sie naturgemäß zunächst auf ihre eigene Bank. Aus Kundensicht ist es im Schadensfall unerheblich, auf welcher Seite das Versäumnis bestand.

Wie lässt sich vermeiden, dass sich solche Vorfälle künftig wiederholen?

Es geht darum, alle Marktteilnehmer gleichermaßen unter die Lupe zu nehmen. Es zeigt sich: Bei der Kontoeröffnung machen nicht allein Schnelligkeit und Bequemlichkeit den Unterschied, sondern auch Genauigkeit und Sicherheit. Das sollten auch die Kunden wieder stärker ins Bewusstsein nehmen. Als Erfahrung sollte man darüber hinaus mitnehmen, nicht Medienvertreter zu verdammen, die frühzeitig auf Missstände hinweisen. So hat die Financial Times zu einem sehr frühen Zeitpunkt bei Wirecard den Finger in die Wunde gelegt und wurde zunächst verunglimpft. Auch im Fall von N26 hat es sehr früh mediale Berichterstattung über Missstände gegeben.

Bräuchte es eine generelle Begrenzung für das Wachstum neuer Player, um zu verhindern, dass Compliance-Strukturen nicht mit dem Kundenwachstum Schritt halten?

Es kommt nicht darauf an, von vorne herein Begrenzungen zu fordern. Entscheidend ist, dass dieselben Spielregeln für alle gelten. Dazu gehört, dass ein neuer Marktteilnehmer seine Strukturen so gestalten muss, dass er den geltenden Regeln entsprechen kann. Erst wachsen und dann professionelle Strukturen schaffen - das mag in anderen Start-ups ein gangbarer Weg sein. Im stark regulierten Finanzsektor ist eine solche Geschäftsstrategie keine Option. Auch neue, in die Finanzwelt eintretende Mitbewerber müssen ihre Strukturen und Prozesse im Griff haben. Alles Weitere ist Sache der Aufsicht.

Dr. Jürgen Gros , ehemaliger Präsident , Genossenschaftsverband Bayern e. V. (GVB), München
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