BANK UND TECHNIK

"KI und Machine Learning helfen bei der Ertragssteigerung" / Interview mit Olaf Pulwey

Olaf Pulwey, Foto: FOCONIS

In Zeiten von Künstlicher Intelligenz ist Datenqualität in Kreditinstituten nicht länger Ziel, sondern Pflicht, sagt Olaf Pulwey. Nur wenn sie stimmt, lassen sich durch gezielte Datenanalyse nach dem Vorbild von Amazon und Co. Kundenaffinitäten zu bestimmten Produkten sowie Abschluss- oder auch Risikowahrscheinlichkeiten berechnen und so der Vertrieb optimieren. Dass bei all dem der Datenschutz gewahrt bleiben muss, versteht sich von selbst. Red.

In Zeiten der Digitalisierung werden Daten ein immer wichtigeres Asset. Was können Kreditinstitute hier von den Bigtechs mit ihren datengetriebenen Geschäftsmodellen lernen?

Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft (kurz: GAFAM) leben von Daten. Und das nicht erst seit gestern. Das passende Produkt für den Warenkorb, das richtige Accessoire für das neue Technik-Gadget, maßgeschneiderte Timeline-Meldungen und Themen ganz nach dem Geschmack des Benutzers und die auf die Surfgewohnheiten des Profils abgestimmten Suchergebnisse bei der Internetrecherche: All das sind die Ergebnisse durchdachter Datenerhebungsprozesse und deren systematischer, qualitativer Überprüfung. Sind die zugrunde liegenden Datensätze lückenhaft, sind auch die Ergebnisse minderwertig. Auch dieser Rückschluss lässt sich auf die Kreditwirtschaft übertragen.

Wie sind Banken und Sparkassen für diese Entwicklung aufgestellt? Machen Sie genug aus den ihnen vorliegenden Daten?

In den vergangenen Jahren haben immer mehr Banken und Sparkassen - übrigens völlig zu Recht, wie man heute sieht - erkannt, dass Daten die Währung unserer Zeit sind. Wie wir unser Kapital hegen und pflegen, so müssen wir mit unserem Datenbestand umgehen. Zahlreiche Institute setzen hier auf zeitgemäße, automatisierte Lösungen, die den gesamten Kontrollapparat rund um die Datenqualität größtmöglich digitalisieren. Wer diesen Weg in weiser Voraussicht bereits in der Vergangenheit beschritten hat, ist heute optimal für den nächsten Schritt aufgestellt: die effiziente Nutzung der vorhandenen, korrekten Daten.

Welche Möglichkeiten bieten Künstliche Intelligenz und Machine Learning Kreditinstituten?

Mit KI und Machine Learning haben Banken und Sparkassen ganz neue Möglichkeiten, nicht nur die vorhandenen Informationen über ihre Kunden sinnvoll zu nutzen, sondern in der Konsequenz neue, wertvolle Informationen zu schaffen. Die ständige Auswertung von Daten, die Betrachtung der Datenmengen aus verschiedenen Blickwinkeln, die gezielte Analyse anhand bestimmter Kennzahlen und das Herausarbeiten des optimalen Datenmodells sind Teile des Machine Learnings.

Mittels dieser Technik ist es den Instituten heute möglich, individuell alle Kundendaten mit den eigenen Produkten abzugleichen. So entsteht ein Vorhersagemodell, das mittels komplexer, lernender Algorithmen Vorhersagen dazu trifft, welcher Kunde zu welchem Prozentsatz eine Affinität für welche Themen aufweist und wie wahrscheinlich es ist, dass er oder sie genau dieses oder jenes Produkt kaufen wird. Die Konsequenz: allzeit verfügbare Transparenz zu den höchstwahrscheinlichen Interessen und Neigungen des Kunden im finanziellen Kontext und Kosmos des eigenen Produktportfolios. Auf der anderen Seite wachsen Kundenzufriedenheit und -bindung und es entsteht die Möglichkeit, zukünftige Produkte bereits während ihrer Entwicklung auf präzise Vorhersagen von Wahrscheinlichkeiten zu stützen.

Machine Learning und Künstliche Intelligenz helfen sowohl dabei, Kosten zu senken, als auch bei der Ertragssteigerung. Dennoch liegen viele Potenziale brach - vielleicht auch deshalb, weil es angesichts der Flut an sich überschlagenden Meldungen zum Thema in den Fachabteilungen an Vorstellungskraft fehlt, wo und wie "KI" oder Machine Learning tatsächlich erfolgreich zum Einsatz kommen können. Sinnvoll eingesetzt und mit belastbarem Datenfundament untermauert, heben Banken und Sparkassen nicht nur im Vertrieb erhebliche Potenziale.

Wo gibt es neben dem Vertrieb weitere Potenziale?

Konzentriert man sich allein auf den Bereich der Predictions, also Vorher sagen, können die Fähigkeiten aus Machine Learning und Künstlicher Intelligenz auf alle Themengebiete übertragen werden, bei denen Wahrscheinlichkeitsvorhersagen Nutzen stiften. Denkbar sind also Algorithmen, die sich allein mit der Entstehung und Prävention bestimmter Risiken befassen. Trainiert man das entsprechende Datenmodell, lassen sich auch hier präzise Vorhersagen errechnen. Gleiches ist denkbar für den Bereich Kundenbindung. Führen die entsprechenden Maßnahmen nicht zum Ziel, droht die Abwanderung. Welche Faktoren begünstigen den Prozess? Welche wirken ihm entgegen? Trainieren wir eine KI mit den hierzu erhobenen Daten, sind Warnmeldungen beispielsweise bei einer drohenden Kundenabwanderung denkbar.

Wo genau bekommen KI-Systeme die Daten her?

Die benötigten Daten werden über gesicherte Schnittstellen direkt aus dem Kernbanksystem extrahiert und zeitgleich anonymisiert. Dabei bleibt die notwendige Abgleichtechnik zur Entschlüsselung der Daten stets in Institutshoheit. Die anonymisierten Daten werden in einem vollautomatisierten Prozess zum zielführenden Training der KI-Algorithmen herangezogen, sodass das KI-System ständig aus Veränderungen der anonymisierten Personendaten und Produktabschlüsse lernen kann, um das Prediction-Modell mit jeder weiteren Iteration granularer und präziser zu gestalten - oder, wie Fachleute sagen: die Accuracy nachhaltig zu steigern. Nachdem eine adäquate Accuracy erreicht wurde, wird das Rechenmodell ("pickled model") dem an das Kernbanksystem angeschlossenen System übergeben.

Das Prozedere zielt darauf ab, die Affinität und Wahrscheinlichkeit zu Abschlüssen zu berechnen. Durch die Anreicherung der Datensätze um weitere Details, die ebenfalls bereits im Kernbankverfahren vorliegen und lediglich in Kombination und aus einem bestimmten Blickwinkel betrachtet werden müssen, ergeben sich weitere, wertvolle Erkenntnisse und Berechnungsgrundlagen - manche etwa mit Signalcharakter und konkretem Handlungsbedarf. Aufgrund diverser Verhaltensweisen und Kennzahlen wird es so, wie eben beschrieben, möglich, eine errechnete Wahrscheinlichkeit der Abwanderung eines Kunden vorherzusagen. Gleiches gilt zum Beispiel für Kreditausfälle und weitere Risiken.

Aufgrund der gewachsenen IT- Struktur der Banken liegen Daten teils in unterschiedlichen Datensilos. Wie kann ein solcher Ansatz da funktionieren, ohne die ganze IT neu aufzusetzen?

Professionelle Systeme bedienen sich der verfügbaren Ressourcen, nutzen die von den IT-Dienstleistern bereitgestellten Schnittstellen und fügen sich so geräuschlos in die technische Infrastruktur der Anwender ein. In der Sparkassenwelt beispielsweise wird über die dynamische und statische Schnittstelle eine Datenkommunikation ermöglicht, während bei vielen Genossenschaftsbanken gezielt Bestandsexporte, beispielsweise über die IDA-Schnittstelle, bezogen werden können. Intelligente Systeme arbeiten Hand in Hand mit den Gegebenheiten - ganz gleich, ob Datenabruf oder -rückschreibung.

Wie verträgt sich die Nutzung der Daten mit dem Datenschutz?

Bereits vor Beginn entsprechender Projekte muss im Falle einer externen Verarbeitung beispielsweise die vollständige Anonymisierung der Daten vorausgesetzt werden. Es darf zum einen zu keinem Zeitpunkt möglich sein, dass Bestandteile der Datensätze direkt oder indirekt Rückschlüsse auf die betroffene Person oder sensible Informationen nach Artikel 9 DSGVO zulassen. Zum anderen müssen die Datenerhebung, -übertragung und -verarbeitung über gesicherte Verbindungen, bestenfalls sogar in derselben technischen Umgebung erfolgen.

Dank der Anonymisierung der Daten ist es dann sogar möglich, branchenspezifische, zentralisierte Datenpools aufzubauen und zu analysieren - beispielsweise nicht nur die Daten der eigenen Bank, sondern auf Grundlage der Daten aller Banken oder Sparkassen. Nicht nur lassen die Daten keine Rückschlüsse auf die betroffenen Kunden und deren personenbezogene Daten zu; auch die Herkunft der Daten ist vollständig anonymisiert, sodass ebenfalls keine Banken- oder Sparkassennamen herausgelesen oder zugeordnet werden können. Auf diese Weise lassen sich rechtssicher Erkenntnisse über regionale Besonderheiten, Gewohnheiten und Umstände gewinnen, die ein zielgerichtetes Marketing ermöglichen.

Wäre das ein Ansatz für die beiden Verbünde der Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken? Oder wie soll so ein branchenspezifischer Datenpool entstehen?

So kann man sich das vorstellen. Es wäre allerdings auch eine Herausforderung für die eingesetzten Technologien, zunächst herauszufinden, inwieweit sich die klassischen Sparkassen- oder Genossenschaftsbankkunden voneinander unterscheiden. Man darf nicht vergessen, dass bereits innerhalb dieser beiden Gruppen allein regional teils erhebliche Unterschiede bestehen. So wäre zunächst festzustellen, ob ein gemeinsamer Datenpool überhaupt sinnvoll ist. Wie auch immer diese Bewertung ausfällt, sind beide "Töpfe" für jedes Mitglied der jeweiligen Gruppe ein Füllhorn wertvoller Informationen - und das nach wie vor völlig anonym. Was nach und nach entstehen würde, ist ein dauerhaft aktuelles Abbild der Entscheidungsmuster der jeweiligen Kundengruppen.

Olaf Pulwey , Mitglied des Vorstands , FOCONIS AG
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