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"Größere Finanzierungsrunden werden von ausländischen Investoren angeführt" Interview mit Matthias Lais

Matthias Lais, Foto: main incubator

Bei Investitionen in Fintech-Start-ups erwirtschaftet ein Großteil der Unternehmen nicht die angestrebte finanzieller Rendite, sagt Matthias Lais. Das ist aus Sicht der Commerzbank jedoch nur die eine Seite der Medaille. Denn ihr geht es auch darum, Innovationen in die Bank zu bringen. In der Tatsache, dass größere Finanzierungsrunden überwiegend von ausländischen Investoren angeführt und diese Unternehmen dann häufig auch aus dem Ausland übernommen werden, sieht er eine Art Ausverkauf deutschen Know-hows. Dem müsse die Politik verstärkt gegensteuern. Wichtig seien vor allem bessere steuerliche Bedingungen für die Mitarbeiterbeteiligung. Red.

Wie hat sich der Fintech-Markt verändert, seit der Main Incubator an den Start gegangen ist?

Fintech - also Finanztechnologie - ist an sich seit vielen Jahrzehnten fester Bestandteil der Finanzbranche, Beispiele hierfür sind etwa die Einführung von Geldautomaten oder Girokarten. Die Thematik hat jedoch neue Aufmerksamkeit erlangt, als viele neue Start-ups gegründet wurden, die das Angebot von traditionellen Finanzinstituten mit neuen Technologien digitalisierten. Zu Beginn haben Banken Fintech-Start-ups vor allem als bedrohlichen Wettbewerb wahrgenommen. Inmitten dieser ersten Phase sind wir 2013 auch mit dem Main Incubator gestartet - damals schon aus der Überzeugung heraus, dass gerade Kooperationen von Banken und Startups einen großen Mehrwert für den Kunden schaffen können.

Seit 2016/2017 sehen wir jedoch, dass die Anzahl der Neugründungen in diesem Bereich wieder rückläufig ist. Stattdessen ist die nächste Phase des Fintech-Markts, die Reifephase, eingeleitet worden. Das bedeutet, dass viele der Fintechs der ersten Stunde inzwischen erwachsen geworden sind (zum Beispiel Klarna oder Sumup) und der Markt beginnt, sich zu konsolidieren.

Ebenfalls ist es zu einem Umdenken gekommen, was die Beziehung zwischen Banken und Fintechs betrifft. Beide Seiten haben mittlerweile erkannt, dass sie kooperieren müssen, um nachhaltig und langfristig bestehen zu können. So profitieren Fintechs zum Beispiel von dem regulatorischen Knowhow und dem Zugang zu dem Kundenstamm der Banken, während Banken von der technologischen Innovationskraft der Fintechs maßgeblich profitieren.

Welche Rolle spielen Finanzinvestoren im Fintech-Markt?

Was die Finanzierungsaktivität im Fintech Markt allgemein betrifft, so nehmen wir wahr, dass die Anzahl der Finanzierungsrunden seit einiger Zeit rückläufig, das Finanzierungsvolumen insgesamt jedoch gestiegen ist. Das bedeutet, dass das Volumen einer einzelnen Finanzierungsrunde im Durchschnitt zugenommen hat, was die Reife vieler Fintechs untermauert.

Je reifer Fintechs werden, desto höher wird naturgemäß auch ihr Kapitalbedarf, zum Beispiel für die Akquisition anderer Start-ups, die Internationalisierung ihres Geschäftsmodells oder die Einstellung neuer Mitarbeiter. Hier spielen Finanzinvestoren eine tragende Rolle.

Vor einigen Jahren war Venture Capital noch die Hauptquelle für Fintechs, um ihren Kapitalbedarf zu decken. Zwar spielt Venture Capital auch heute noch eine wichtige Rolle - gerade in der frühen Phase von Start-ups - jedoch sind weitere Kapitalgeber am Markt aktiv geworden. Alternative Finanzierungsformen wie zum Beispiel Private Debt, Private Equity oder Revenues Based Financing stehen Start-ups zur Verfügung, was die Reife des Marktes erneut unterstreicht.

Welche Relevanz hatte und hat der Main Incubator für die Commerzbank? Hat sich das in den letzten Jahren verändert?

Die innerhalb der ersten Frage beschriebene Entwicklung hat auch die Commerzbank früh erkannt und sich über den Main Incubator auf den Weg hin zur digitalen Transformation begeben. Der Main Incubator als F & E-Einheit und Frühphasen Venture Capital Investor des Konzerns beschäftigt sich mit Zukunftstechnologien und deren Einfluss auf die Finanzbranche von morgen. Über Investments in Start-ups sowie die Entwicklung eigener Prototypen bringt er Innovationen in die Commerzbank und zu ihren Kunden. Über diverse Eventformate sind wir darüber hinaus im Community Building, insbesondere für das Tech-Ökosystem, aktiv.

Die immer größere Relevanz von Digitalisierung - sowohl bei den Banken selbst als auch bei den Kunden der Bank - hat natürlich auch eine positive Auswirkung auf die Arbeit des Main Incubators. In den nächsten Jahren wird neben der digitalen insbesondere die nachhaltige Transformation die Wirtschaft und damit auch das Handeln des Main Incubators bestimmen.

Was steht aus Sicht der Commerzbank an erster Stelle: das Ohr am Markt der Innovationen zu haben oder als Investor am Markterfolg von Fintechs zu partizipieren?

Sowohl als auch. Über die Start-up-Beteiligungen des Main Incubators beabsichtigt die Commerzbank einerseits, innerhalb von Kooperationen mit den Start-ups Zugang zu entsprechenden innovativen Lösungen zu erhalten, welche die digitale Transformation der Bank beschleunigen sollen. Darüber hinaus ist es aber auch das Ziel, an dem Wachstum dieser Start-ups zu partizipieren und eine finanzielle Rendite mit der Beteiligung zu generieren.

Was war bisher das erfolgreichste Investment?

Den Erfolg der Investments misst der Main Incubator - übrigens anders als ein reiner Finanzinvestor - nicht nur an der Wertsteigerung seiner Beteiligung, sondern auch an der Kooperation mit der Commerzbank. Hier gibt es im Portfolio einige Beispiele, die erfolgreich in der Bank implementiert wurden und so zum Beispiel zu erheblichen Kosteneinsparungen oder Effizienzgewinnen geführt haben. Daneben gibt es auch Beispiele, bei denen der Wert des Investments signifikant gesteigert werden konnten. Im Optimalfall ergänzen sich Kooperationserfolg und finanzielle Rendite natürlich.

In welchem Ausmaß gab es echte Flops?

Im Venture-Capital-Bereich ist es üblich, dass ein Großteil der Start-up-Investments nicht die angestrebte finanzielle Rendite erwirtschaftet. Hier verliert man dann zum Beispiel das gesamte eingesetzte Kapital oder erhält bei einer Veräußerung seiner Beteiligung lediglich das initial investierte Kapital ohne Verzinsung zurück, da sich das Start-up nicht wie gewünscht entwickelt hat und der Firmenwert nicht entsprechend gesteigert werden konnte.

Auch die Frage nach nicht erfolgreichen Investments ist für den Main Incubator jedoch vielschichtig zu beantworten, da neben der finanziellen Rendite eben auch die Komponente der Kooperation berücksichtigt werden muss.

Woran machen Sie fest, in welches Fintech investiert wird?

Bei der Frage, ob wir in ein Start-up investieren, beziehen wir viele verschiedene Bewertungskriterien in die Entscheidung mit ein. Angefangen mit der Problemstellung: Hier ist es elementar, dass das Start-up mit seinem Produkt ein reales Problem löst, von dem viele Marktteilnehmer betroffen sind. Die Lösung muss signifikanten Mehrwert stiften - also ein Must-Have für die potenziellen Kunden darstellen. Beim Produkt selbst schauen wir dann zum Beispiel, wie innovativ oder verteidigbar gegen Imitationsversuche die Lösung ist.

Auch die Wettbewerbssituation ist ein relevanter Entscheidungsfaktor. Es ist wichtig, dass es noch keine Wettbewerber gibt, die ein sehr ähnliches Produkt entwickelt haben und die gleiche Zielkundengruppe im gleichen Markt adressieren. Was den Markt betrifft, muss das Start-up ein ausreichend großes Umsatzpotenzial aufweisen, welches ihm eine schnelle Skalierung ermöglicht.

Der wohl entscheidendste Punkt sind jedoch die Gründer. Diese müssen von ihrer Persönlichkeit, ihrer Vision und ihrem Umsetzungsvermögen absolut überzeugen. Am liebsten investieren wir in ein Team aus Gründern, die ein komplementäres Skillset aufweisen, kulturell aber auf derselben Wellenlänge sind.

Lässt sich pauschal sagen, welche Geschäftsmodelle beziehungsweise Investments sich typischerweise lohnen?

So einfach ist das in der Regel nicht. Teilweise entscheiden kleine Feinheiten darüber, ob Geschäftsmodelle das Potenzial haben, sich zu etablieren. Hier haben wir in der Vergangenheit bereits mehrfach erlebt, dass viele Versuche gescheitert sind, ein gewisses Geschäftsmodell umzusetzen, und plötzlich dreht jemand an wenigen Stellschrauben und schafft so den Durchbruch. Diesen Gründer beziehungsweise dieses Start-up wollen wir natürlich nicht verpassen, daher schließen wir kein Investment innerhalb unseres allgemeinen Investmentfokus von Anfang an kategorisch aus.

Bei den Fintech-Neugründungen liegt der Schwerpunkt mittlerweile eher im B2B-Bereich, während es anfangs vor allem der Zahlungsverkehr war. Ist das ein nachhaltiger Trend oder sehen Sie im Fintech-Markt eher "Moden"?

Es ist sicher so, dass sich der Schwerpunkt der Gründungen vom B2C- zum B2B-Bereich verschoben hat. Mittlerweile halten sich die Neugründungen im B2B- und B2C-Bereich in etwa die Waage. Auch im Zahlungsverkehr gibt es weiterhin Innovationen von neuen Anbietern.

Grundsätzlich nehmen wir jedoch schon wahr, dass es zyklische "Moden" gibt. Ein Beispiel für einen der neuesten Trends ist etwa die Vertikalisierung der Fintech-Branche. Während die Fintechs der ersten Welle ihre Produkte für die breite Masse an Kunden angeboten haben (zum Beispiel N26 oder Penta), werden nun vermehrt Start-ups gegründet, die eine sehr spezifische Zielgruppe, also Nische, adressieren und ihr Produktangebot speziell auf die Bedürfnisse dieser Kunden ausgestalten.

Die Idee dahinter ist einerseits, dass durch diese Fokussierung die Marketingkosten gesenkt werden können, da eine einheitliche Kundenansprache über selektive Kanäle möglich ist. Durch eine Fokussierung auf die Wünsche der jeweiligen Nische und Spezifizierung auf entsprechende Produkte soll darüber hinaus der Mehrwert für den Kunden im Vergleich zu generischen Wettbewerbern gesteigert werden. So gibt es mittlerweile zum Beispiel Neobanken speziell für Teenager, Barbershops oder Freelancer oder Investment Plattformen speziell für unerfahrene und auf nachhaltige Investments ausgerichtete Privatanleger.

Welche Rolle spielt die Regulierung für die Frage, in welchem Bereich Fintechs gegründet werden beziehungsweise in welche Sie investieren?

Die Finanzdienstleistungsbranche gehört zu den am stärksten regulierten Industrien. Auch Fintechs bleiben im Sinne eines Level-Playing-Fields von der Regulierung nicht verschont. In vielen Fällen entstehen durch die Digitalisierung gewisser Geschäftsmodelle auch regulatorisch neue Fragestellungen, die von den Finanzaufsichtsbehörden immer wieder evaluiert werden müssen: zum Beispiel der Einsatz Künstlicher Intelligenz in Finanzdienstleistungen oder die Einordnung von Krypto-Assets. Wenn wir ein Fintech im Rahmen einer möglichen Beteiligung analysieren, schauen wir natürlich auch immer ganz genau auf den aktuellen Stand der Regulierung zu dem Thema.

In letzter Zeit sieht es so aus, als würden immer mehr deutsche Fintechs von Mitbewerbern aus dem Ausland oder ausländischen Finanzinvestoren übernommen. Ist das wirklich so? Wenn ja, woran liegt das?

Was wir vor allem beobachten ist, dass die größeren Finanzierungsrunden von spätphasigen Fintechs überwiegend von ausländischen Investoren, vor allem aus den USA, dem Vereinigten Königreich oder Asien angeführt werden. Um die vielleicht prominentesten Beispiele zu nennen - Trade Republic hat im Mai 2021 eine Finanzierungsrunde mit dem US-Star-Investor Sequoia realisiert, kurz darauf folgte Scalable Capital, bei dem Chinas führendes Technologieunternehmen Tencent eingestiegen ist.

Das ist auf der einen Seite erfreulich, da deutsche Fintechs offensichtlich attraktiv sind. Auf der anderen Seite zeigt dies jedoch, dass zu wenig inländisches Wagniskapital in Deutschland existiert, um den Kapitalbedarf der Fintechs in ihrer Wachstumsphase, der üblicherweise im zwei- oder dreistelligen Millionenbereich liegt, zu bedienen. Hier ist die Anzahl der deutschen Fonds einfach zu gering. Eine spätere Folge ist, dass von ausländischen Venture-Capital-Investoren finanzierte Startups auch häufiger von ausländischen Investoren aufgekauft werden.

Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund die Rolle des Main Incubator? Halten Sie gewissermaßen für den Fintech-Standort Deutschland die Fahne hoch?

Die beschriebene Entwicklung, dass immer mehr ausländische Investoren in den deutschen Start-up-Markt investieren, hat zur Folge, dass deutsche Innovationen und deutsches Know-how ins Ausland abwandern. Dies ist auf jeden Fall kritisch zu beurteilen und es werden bereits Gegenmaßnahmen eingeleitet.

So hat der Bund zum Beispiel Ende letzten Jahres einen 10 Milliarden Euro schweren Zukunftsfonds auf den Weg gebracht, der dafür sorgen soll, dass auch der Kapitalbedarf von Start-ups in der Wachstumsphase mit inländischem Geld befriedigt werden kann. Dies begrüßen wir auf alle Fälle. Der Main Incubator selbst ist jedoch ein Frühphasen Investor, das heißt wir investieren zu einem viel früheren Zeitpunkt in Fintechs, wenn deren Kapitalbedarf im niedrigen bis mittleren einstelligen Millionenbereich liegt.

Was könnte und sollte die Politik tun, um den Fintech-Standort Deutschland zu stärken?

Die Politik hat bereits viele wichtige Maßnahmen angestoßen, um den Startup-Standort Deutschland zu stärken. Darunter den eben beschriebenen Zukunftsfonds, die Online-Gründung einer GmbH, welche zu einer Bürokratieentlastung für Gründer führt, oder die Reform zu Mitarbeiterkapitalbeteiligungen.

Gerade bei Letzterem sehen wir jedoch noch Verbesserungsbedarf. Start-ups können häufig nicht mit den hohen Fixgehältern etablierter Konzerne mithalten und haben es daher schwer, qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Die einzige Alternative, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, ist die Möglichkeit, Mitarbeitern eine Beteiligung am schnell wachsenden Unternehmen anzubieten. Diese Möglichkeit wird jedoch bis heute in Deutschland aufgrund unattraktiver rechtlicher und steuerlicher Rahmenbedingungen deutlich weniger genutzt als im Ausland. Hier bedarf es unserer Meinung nach einer Überarbeitung, um Mitarbeiterbeteiligungen noch attraktiver zu gestalten.

Matthias Lais , Gründer und Geschäftsführer , Main Incubator GmbH, Frankfurt am Main
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