Anlageberatung

Strukturierte Beratungsprozesse - Nutzen für Bank und Kunden

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Strukturierte Beratungsprozesse im Bankgeschäft können gleich mehrere Zwecke erfüllen, so die Autoren: Sie dienen der Qualitätssicherung und erfüllen gleichzeitig eine Schutzfunktion für Bank und Berater in rechtlicher Hinsicht sowie in Imagefragen. Zudem lassen sie die wahrgenommene Qualität aus Kundensicht steigen und sorgen für Transparenz und gleichbleibende Standards auch bei Beraterwechseln. Die Akzeptanz unter Beratern ist dafür vergleichsweise hoch, wenngleich manche dem "freien Künstlertum" nachtrauern. Red.

Bankkunden im 21. Jahrhundert sind weder treu noch fühlen sie sich gebunden. Sie entscheiden frei und bedarfsbezogen darüber, mit welcher Bank sie welche Geschäfte abwickeln wollen und welche Kommunikationswege sie dazu wählen. Dieses situative, hybride und "flüchtige" Verhalten steht aber im Widerspruch zum Grundgedanken der Kundenpflege vieler Banken und Sparkassen. Diese setzen nach wie vor auf eine enge Kundenbeziehung. Sie wollen den Kunden persönlich in der Filiale - möglichst jährlich - betreuen und glauben unbeirrt, dass dieser ihre Einladungen auch schätzt.

Dabei muss man zwischen einer häufig noch positiv wahrgenommenen Beziehung zwischen Kunde und Berater im Beratungsprozess und einer eher als lästig empfundenen jährlichen Kontaktaufnahme unterscheiden. Deshalb gilt es, den Kunden die Sinnhaftigkeit einer fundierten Beratung durch ein positives Erlebnis im Beratungsprozess zu vermitteln, um zumindest den Anteil der Kunden zu erhöhen, die den jährlichen Kontakt ihrer Bank nicht als "lästige Akquisition" empfinden.

Fehlende Ansatzpunkte

Für eine bedarfsgerechte Beratung in Abhängigkeit von Kundentyp und Wertesystem des Kunden kann zum einen das Konzept der Sinus-Milieu-Studien1) wertvolle Ansatzpunkte liefern - vorausgesetzt, der Betreuer weiß, in welches Werteprofil der jeweilige Kunde einzuordnen ist. Genau diese Information wird aber nur sehr selten erfasst, obwohl sie möglicherweise wichtiger und weniger variant ist als beispielsweise das (bekannte) Vermögen eines Kunden, das vom tatsächlichen Vermögen deutlich abweichen kann.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Lebensphase, in der sich der Kunde befindet. Bei einer Beratung erwarten Kunden einen strukturierten Ablauf des Gesprächs, das bei ihrer aktuellen Situation und ihren Plänen ansetzt. Der Sequenz "Analyse der Gesamtlebenssituation" folgt die "Konkretisierung der Bedarfsfelder". Erst im Anschluss folgt die Phase "Auswahl der Produkte im einzelnen Bedarfsfeld".2)

In der ersten Phase des Beratungsprozesses sollte also der Kunde den Berater über seine Ziele, Präferenzen und Möglichkeiten informieren, um eine möglichst "passende" Empfehlung zu bekommen. In vielen Banken und Sparkassen werden die Informationen über den Kunden und seine Präferenzen nicht wie etwa bei Amazon & Co. systematisch erfasst und gespeichert; nicht jeder Mitarbeiter hat somit dieselben Informationen.

Eine umfangreiche "Offenbarung" einem noch unbekannten Berater gegenüber ist aber lästig - ein Berater, der die Ziele des Kunden kennt, wird entsprechend bevorzugt. Häufig hat die "Beziehung" zwischen Kunde und Berater daher weniger mit Vertrauen oder Kompetenzvermutung zu tun als mit der schlichten Tatsache, dass das Beratungsgespräch schneller und zielgerichteter ablaufen kann - aus Sicht des Kunden "schneller vorbei" ist.

Diese Erkenntnis ist nicht neu, stellt Banken und Sparkassen aber vor Herausforderungen, sei es bei einem Beraterwechsel, bei der Hinzuziehung eines Spezialisten oder beim Umzug des Kunden. Schnell zeigt sich, dass es aus Sicht des Kunden einen Vorteil hat, wenn der Berater eine strukturierte Information über ihn und seine Ziele und Werte vorliegen hat.

Wieviel Standardisierung ist möglich?

Die logische Konsequenz aus Sicht der Bank ist daher die Institutionalisierung eines strukturierten Beratungsprozesses, der im ersten Schritt die Kundeninformationen erfasst oder aktualisiert, ordnet und speichert und diese im zweiten Schritt systematisch als Grundlage für die Beratung vorsieht. Fernziel muss es dann sein, dass der Kunde - unabhängig von der Beraterpersönlichkeit und im Idealfall auch bei einem Wechsel zu einer anderen Bank des gleichen Verbundsystems - eine weitgehend identische Empfehlung bekommt.

Seit Jahrzehnten wird kontrovers über die Thematik der Übertragbarkeit von Industrialisierungskonzepten auf Banken diskutiert. In vielen Fällen ist eine ablehnende Haltung zu konstatieren, die unter anderem damit begründet wird, dass eine Finanzdienstleistung auf einer von Vertrauen geprägten Beratungssituation basiert, welche auf die individuellen Bedürfnisse eines Kunden zugeschnitten sein sollte. Ein hohes Maß an Individualität gilt zudem als wettbewerbsdifferenzierend.

Nun hat in der Vergangenheit gerade ein individueller Beratungsansatz oftmals nicht zum gewünschten Ergebnis geführt. Wird der Zusammenhang einer prozessualen Anlageberatung mit der Individualität der Beratung diskutiert, ist herauszustellen, dass bei einer auf den Kunden ausgerichteten Beratung nicht die Individualität der Frage, sondern die Individualität der Antwort den entscheidenden Aspekt darstellen sollte. Hackethal kommt zu dem Ergebnis, dass ein langfristiger Anlegernutzen durch die Güte der individuellen Antworten auf die folgenden drei standardisierten Kernfragen bestimmt ist.

- Wie viel Finanzrisiko soll ich tragen?

- Wie viel Finanzrisiko trage ich derzeit?

- (Wie) Verdiene ich eine faire Nachsteuerrendite auf das getragene Finanzrisiko?

Prozessbasierte Beratung notwendig für die Qualitätssicherung

Damit besteht die Leistung eines strukturierten Anlageberatungsprozesses darin, jene drei Fragen im Sinne des beratenen Anlegers zu beantworten. Dies bestimmt die Qualität der Beratungsleistung.3)

Ein abstraktes Qualitätsziel ohne Umsetzung durch operationelle und konkrete vertriebsunterstützende Maßnahmen würde wohl in vielen Fällen inhaltlich und methodisch die Berater und Servicekräfte überfordern und eine Umsetzung des angestrebten einheitlichen Qualitätsanspruchs verhindern. Eine prozessbasierte Beratung wird daher als notwendiges Hilfsmittel zur Qualitätssicherung angesehen.

Durch Umfragen sowie Kunden- und Beraterinterviews kamen Mogicato und Kollegen zum Ergebnis, dass Kunden die Anlageberatung als "Black Box" wahrnehmen: Es ist für sie kaum nachzuvollziehen, wie das Kundenrisikoprofil, die empfohlenen Anlagestrategien und Produkte zustande kommen. Diese in der Schweiz erstellte Studie zeigt, dass es in der derzeitigen Bankpraxis oftmals wenig Verständnis der Kundeninteressen, wenig standardisierte Anlageberatungsprozesse oder eine mangelnde Überprüfbarkeit von Anlageempfehlungen gibt. Ein standardisierter Anlageberatungsprozess, der es ermöglicht, Produktempfehlungen transparent darzulegen und gegebenenfalls auch später noch nachvollziehbar zu überprüfen, könnte zu Verbesserungen aus Kundensicht beitragen und daher auch das Vertrauen in Bank und Berater stärken.4)

Ist-Zustand abklären

Eine Transparenz von Produkt- und Servicepreisen ist eine Grundvoraussetzung der Industrialisierung. Daher verlangt ein entsprechendes Qualitätsmanagement eine transparente Spezifizierung von Produkt- und Serviceleistungen, um diese anschließend messen und beurteilen zu können.

Jedes Beratungskonzept ist abhängig von der Qualität der erhobenen Kundendaten. Dieses Grundsatzgespräch zu Beginn eines Anlageprozesses reduziert zusätzlich die Unsicherheit bei Beratern, die aufgrund der stetig zunehmenden Verbraucherschutzvorschriften entstanden ist. Dabei sollte der IT-gestützte Prozess den Berater auffordern, vom Kunden etwa die Zustimmung zur Telefon- und E-Mail-Werbung, zur Datenweiterleitung über die Verbunddatenklausel, die AGBs und weiterer Leistungen, unter anderem Auskunftsdateien einzuholen.

Risikoeinstellung valide erheben

Wissenschaftlich betrachtet ist eine valide Messung der Risikoeinstellung unverzichtbar. Valide bedeutet, auf Basis von Anlegerangaben auf das tatsächliche Anlegerverhalten zu schließen. Valide bedeutet aber auch, dass eine erneute Erhebung der Risikoeinstellung zu vergleichbaren Resultaten führt, selbst wenn eine andere Methode angewendet wird. Diesem Anspruch müssen Anlageberatungskonzepte in Zukunft gerecht werden.

Aber auch um aufsichtsrechtliche Anforderungen zu erfüllen, müssten Beratungsprozesse so gestaltet sein, dass sie gemäß den MiFID-Richtlinien die Feststellung der Risikotragfähigkeit sowie der Risikoeinstellung eines Anlegers gewährleisten.

Um dieses Risikoverhalten zu bestimmen, müssen computergestützte Tools angewendet werden. Wenn in der bisherigen Praxis die Portfolios angeblich risikoaverser Verbraucher kaum von denen weniger risikoscheuer Anleger abweichen, ist das zweifelsohne ein alarmierender Zustand. Daher muss ein Beratungsprozess mit einem hohen Qualitäts- und Leistungsanspruch vor allem das tatsächliche Risikoverhalten von Kunden zu einem zentralen Merkmal einer Anlageberatung machen und nicht nur formal aufsichtsrechtliche Vorschriften einhalten.

Bedarfsfelder konkretisieren

Nach der "Analyse der Gesamtlebenssituation" im ersten Beratungsschritt sollte auf der zweiten Stufe die "Konkretisierung der Bedarfsfelder" folgen: Dabei werden horizontal gegliederte Beratungsbereiche sowie vertikal angeordnete Bedürfnisstufen mit priorisierten Handlungsempfehlungen analysiert. Auf horizontaler Ebene umfasst dieser Prozessvorschlag die Bereiche der "Absicherung von Sach- und Vermögenswerten", "Vorsorge", sowie "Planung des Vermögens". Auf der Bedürfnisebene könnten dann die "finanziellen Grundbedürfnisse", die "Erhaltung des Lebensstandards" sowie die "Verbesserung des Lebensstandards" thematisiert werden.

Eine optimale Anlageentscheidung sollte auf dem Lebenszyklusmodell basieren. Dabei sollte ein Beratungskonzept auch finanzielle Risiken wie Arbeitsplatzverlust, Scheidung oder Krankheiten erfassen, da gerade diese Ereignisse zu gefährlichen Schieflagen für Anleger führen können. Kein Berater kann die Zukunft vorhersagen. Eine gute Beratung kann Kunden aber Hilfestellung bieten, um mit der Unsicherheit der Zukunft zurechtzukommen und eine optimale Lösung für die jeweilige komplexe Anlageentscheidung zu finden.

Ein strukturierter Anlageberatungsprozess hat sowohl aus Sicht der Bank und des Beraters als auch aus Sicht des Kunden einige Vorteile. Neben der - nicht zuletzt - aufsichtsrechtlich geforderten Kontroll- und Dokumentationsfunktion ist der wesentliche Vorteil aus Banksicht der strukturiertere und zielgruppenspezifischere Verkaufsprozess mit einer damit verbundenen Verbesserung der Cost Income Ratio dieser Geschäftsvorfälle.

Schutz- und Kontrollfunktion zum Bank- und Beraterschutz

Die in den vergangenen Jahren stetig zunehmenden Vorschriften zur Dokumentation sollen die Qualität der Beratungsprozesse und den Verbraucherschutz verbessern. Aus Bank- und Beraterperspektive bedeutet dies allerdings eine erhöhte Gefahr von juristischen Konsequenzen. Um aufsichts- sowie zivilrechtliche Risiken zu minimieren, wird durch einen entsprechend konzipierten Prozess versucht, einen rechtlich einwandfreien und dokumentierten Vorgang zu erreichen. Auch wenn sich monetäre Haftungsschäden aus Fehlberatungen aus Bankensicht bisher noch in vergleichsweise geringem Rahmen halten, so sind die entstandenen Reputationsschäden teilweise erheblich.

Prozessuale IT-Tools, die im Beratungsprozess eingesetzt werden, könnten hier einen entscheidenden Beitrag leisten, wenn diese mit Pflichtfeldern, klaren Abläufen sowie automatisierten Kontrollmechanismen konzipiert werden. Der standardisierte Prozess beeinflusst zudem die Qualität der Beratungsleistung positiv, auch wenn viele Berater heute im "freien Künstlertum" die hohe Qualität sehen.

Kundenpotenzialorientierte Differenzierung

Wissenschaftliche Forschungen und praktische Erfahrungen weisen gleichermaßen darauf hin, dass eine Kundensegmentierung und -beratung aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und Rentabilität aus Bankperspektive zwingend notwendig ist.

- Kundensegmentierung bedeutet, konsequent festzulegen, welche Kundensegmente zukünftig nicht mehr aktiv angesprochen, sondern nur noch reaktiv betreut oder letztlich zunehmend auf einen Online-Kanal gelenkt werden sollten.

- Kundensegmentierung bedeutet aber auch, dass Topkunden eine umfangreiche Beratungsleistung in der gewünschten Art und Weise erhalten. Das muss nicht zwingend das persönliche Beratungsgespräch sein, das kann auch eine Videoberatung oder ein Telefongespräch oder ein intensiver Mailwechsel sein.

Wichtig ist hier, den Begriff "Beratung" neu zu definieren. Gerade Kunden mit hohem Anlagepotenzial sind häufig auch Kunden, die nur sehr begrenzt dazu bereit sind, stundenlange Beratungsgespräche in einer Bank - im Grenzfall zu deren Öffnungszeiten - zu ertragen. Hier müssen die Banken und Sparkassen neue Wege gehen und deutlich kundenorientierter werden. Gleichzeitig ist die kundenpotenzialorientierte Differenzierung des Prozesses eine zwingende Voraussetzung einer auch wirtschaftlich erfolgreichen Bank.

Zielgruppenoptimiertes Angebot nach dem Amazon-Prinzip

Zunehmend verschreiben sich Banken und Sparkassen öffentlichkeitswirksam dem Ziel, bei vergleichbaren Kundensituationen einheitliche Qualitätsstandards im Privatkundengeschäft zu bieten. Dabei wird unterstellt, dass der Kunde die Qualität des Prozesses an den gleichen Kriterien misst wie die Bank. Für den DSGV stellt dabei die Durchsetzung einer einheitlichen Hausmeinung ein Kernelement seines Investmentprozesses dar: Die Entwicklung zielt vom "freien Künstlertum" auf einen klar gemanagten und nachvollziehbaren Prozess der Beratung und der Produktauswahl ab.

Um möglichst eine "faktische Passgenauigkeit" bei Anlageempfehlungen zu fördern, ist neben der Qualifikation des Anlageberaters auch eine zielgerichtete Unterstützung durch Spezialisten im Rahmen der Prozessarchitektur zu berücksichtigen. Damit sind sowohl Vertriebsspezialisten in den jeweiligen Fachgebieten gemeint als auch Fachkräfte, die den Beratern Unterstützung schnell und unkompliziert zur Verfügung stellen können. In diesem Zusammenhang stellt der Prozess mit einem klaren und detaillierten Rahmen für den Berater auch aus Kundensicht die Qualität sicher.

Durch die Einführung eines strukturierten Anlage- und Beratungsprozesses kann auch das aus anderen Branchen bekannte Konzept der Präferenzmuster übernommen werden. Dabei werden die erfassten Kundendaten und -präferenzen direkt für vielfältige Analysen und Modellrechnungen genutzt. Das Customer Relationship Management beziehungsweise die CRM-Datenbank bildet dabei in zunehmendem Maße das Rückgrat.

Berater fürchten Kompetenzverlust

Das Fehlen beziehungsweise nur unzureichende Vorhandensein systematisierter Beratungsprozesse und die Möglichkeiten eines systematischen Gegensteuerns wurden im Rahmen einer Studie von Wassermann in einer Flächensparkasse in Bayern untersucht. In einer anonym durchgeführten Kundenumfrage wurden insgesamt 275 Anlageberater befragt, die mit dem zurzeit eingesetzten Anlageberatungsprozess arbeiten. Dabei wurde anhand dieser Datenerhebung die Beratungssituation aus der Perspektive von Anlageberatern analysiert.

Auch für die Berater der untersuchten Sparkasse haben Lösungen, die auf die individuellen Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten sind, oberste Priorität - ein sehr erfreuliches Ergebnis vor dem Hintergrund teilweise auch konfligierender Interessen. Laut der großen Mehrheit der Kundenberater leistet ein Anlageberatungsprozess einen wertvollen Beitrag zur Zielerreichung, Kunden auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnittene Lösungen zu präsentieren. Empirische Studien bestätigen immer wieder, dass bei der derzeitigen Beratungspraxis die Anlageempfehlungen für ein und denselben Kunden sich sogar in ein und demselben Institut oftmals von Vertriebseinheit zu Vertriebseinheit unterscheiden.5) Der Beratungsanspruch, eine einheitliche Kundenempfehlung auf Institutsebene umzusetzen, ist damit eindeutig gefährdet. Management und Beraterinteressen können den Ergebnissen der Umfrage zufolge grundsätzlich als harmonisierend betrachtet werden, da die überwiegende Anzahl der Berater diesem Aspekt ebenfalls eine sehr hohe Wichtigkeit (48 Prozent = sehr wichtig; 34 Prozent = wichtig) beimisst. 72 Prozent der Anlageberater beurteilen einen Anlageberatungsprozess hierbei als hilfreich und stimmen der Aussage zu, dass sich mit Einführung/Optimierung eines strukturierten Anlageberatungsprozesses die Passgenauigkeit erhöht.

Es zeigt sich jedoch auch deutlich, dass Berater bei einem Anlageberatungsprozess einen persönlichen Kompetenzverlust fürchten. 81 Prozent der Befragten geben an, dass sie "zumindest teilweise" die Rolle eines Prozess-Moderators einnehmen und daher als inhaltsorientierter Experte eingeschränkt werden. 41 Prozent geben als Kritikpunkt bei einem Anlageberatungsprozess an, ihre Empfehlungen nun nicht mehr aus einer Vielzahl von Möglichkeiten auswählen zu können. Dass nun nicht mehr die Beratermeinung bei Anlageempfehlungen an Kunden maßgeblich sein wird, sondern sie stattdessen an die Hausmeinung gebunden sein werden, werten allerdings nur 18 Prozent als Schwäche.

Verbesserungspotenzial bei der Qualität

Die Hypothese, die Einführung beziehungsweise Optimierung eines strukturierten, IT-gestützten Anlageberatungsprozesses bedeute eine geringere Abhängigkeit der Anlageberatung von der individuellen Person eines Beraters, bekam durchgängig von sehr vielen Beratern eine sehr hohe Zustimmung. Wenn 44 Prozent der befragten Berater es als "(voll) zutreffend" ansehen, dass für sie ein Vorteil eines Prozesses darin besteht, dass "bei Mitarbeiterwechseln Informationen, die der Kunde bereits dem Vorgänger (...) gegeben hat, nicht verloren gehen", ist das ein sehr positives Signal. Neben den Aspekten unter dem Oberziel "Schutz- und Kontrollfunktion" hat kein anderer Aspekt eine solch hohe "trifft voll zu"-Zustimmung von den Befragten erhalten.

Die Umfrage bestätigt auch, dass eine gleichbleibende Anlagestrategie ebenso im Kunden- wie auch Bank- und Beraterinteresse ist. Für 52 Prozent respektive 38 Prozent der Berater ist dieser Aspekt "sehr wichtig" beziehungsweise "wichtig". Während sich nur 55 Prozent der befragten Berater mit der Ist-Situation derzeit bei der Sparkasse "zufrieden" zeigen, sehen 83 Prozent in einem strukturierten, IT-basierten Prozess eine sinnvolle Hilfestellung. Deutliche 94 Prozent wünschen sich, dass ein hoher Qualitätsstandard trotz fachlich unterschiedlicher Mitarbeiter-Qualifikation sichergestellt wird. Derzeit sind mit den Qualitätsstandards 55 Prozent der Berater "zufrieden". An diesen Zahlen zeigt sich, dass mehr als die Hälfte bei diesem Aspekt Verbesserungspotenzial sehen und bestätigen somit auch Verbraucherschutz-Studien. Dass ein strukturierter, IT-basierter Anlageberatungsprozess dazu beitragen kann, hier Verbesserungen herbeizuführen, beurteilen deutliche 81 Prozent als "zutreffend".

Transparente Innen- und Außensicht

Durch eine konsequente Abarbeitung und Dokumentation des vorgegebenen Dienstleistungsprozesses der Anlageberatung erhofft man sich eine für den Kunden transparentere Herausarbeitung der Produktauswahl (siehe Abbildung 3). Auch aus der Beratersicht ist es von hoher Bedeutung, die Gründe ihrer Produktauswahl transparent darzulegen, wie die Ergebnisse mit einem Topwert ("wichtig" oder "sehr wichtig") von 95 Prozent klar belegen. Mit 79 Prozent stellt ein Großteil der Berater heraus, dass ihnen ein Anlageberatungsprozess eine wertvolle Unterstützung zu einer transparenten Kundenberatung bietet.

Der DSGV gab plakativ die Zielsetzung aus, sich durch die Einführung eines Anlageberatungsprozesses vom "freien Künstlertum" zu einem klar gemanagten und nachvollziehbaren Produktauswahlprozess weiterentwickeln zu wollen. 69 Prozent der befragten Berater teilen die Verbandsmeinung, dass diese Ziele durch den eingeführten Anlageberatungsprozess erreicht werden können.

Berater sehen überwiegend Vorteile

Unbefriedigende Vertriebsergebnisse sind nicht automatisch mit dem Prädikat "schlechter Berater" gleichzusetzen. Die Gründe können vielfacher Natur sein. Keinen Produktabschluss zu erzielen, bedeutet demnach nicht sofort, erst am Ende der Beratung den Kunden nicht von seiner Produktempfehlung überzeugen zu können. Der Schwachpunkt könnte bereits einige Prozessstufen vorher liegen, sei es im Erkennen von Bedürfnissen, in der Erläuterung oder Veranschaulichung von Empfehlungen oder auch in einer Überforderung des Kunden.6)

Natürlich könnte man darin im Umkehrschluss auch eine stärkere Überwachung der Beratertätigkeit durch einen Anlageberatungsprozess verstehen. Daher war interessant zu sehen, wie die betroffenen Berater selbst diesen Aspekt bewerten. Mit 65 Prozent stellen zwei Drittel der Berater die Vorteilhaftigkeit eines Anlageberatungsprozesses für sie persönlich heraus.

Schutz- und Kontrollfunktionen ist der größte Mehrwert

Die Ergebnisse der Umfrage verdeutlichen eindrucksvoll, welche hohe Bedeutung für Berater eine Schutz- und Kontrollfunktion einnimmt, um die aufsichtsrechtlichen Vorschriften einzuhalten. Eine Unterstützung seitens ihres Arbeitgebers zur Minimierung juristischer Risiken, die bis hin zu einem Berufsverbot führen können, ist für 71 Prozent "sehr wichtig" und für weitere 23 Prozent "wichtig" (siehe Abbildung 4)

Derzeit "sehr zufrieden" mit ihrem Schutz vor juristischen Konsequenzen sind bereits 37 Prozent der Befragten, "zufrieden" zumindest noch 41 Prozent. Der Frage, ob ein Anlageberatungsprozess juristische Risiken bei ihrer Arbeit reduzieren könne, stimmt die überwiegende Mehrheit (78 Prozent) zu. Berater sehen insgesamt in der Schutz- und Kontrollfunktion den größten Mehrwert eines Anlageberatungsprozesses.

Damit thematisch eng verbunden ist die Frage, ob man Prozesshilfestellungen bei der Erfüllung von aufsichtsrechtlichen Anforderungen erwarte, etwa bei der Erstellung des WpHG-Protokolls oder der automatischen Erstellung der Produktinformationen. Die sehr ähnlichen Ergebnisse zeigen die Bedeutung für die Berater sowie deren positive Grundhaltung gegenüber dem Anlageberatungsprozess. 88 Prozent der Befragten geben an, dass einem Anlageberatungsprozess gerade hinsichtlich ihres eigenen Schutzes eine wichtige Funktion zukomme.

Berater im Meinungsdilemma

In den vergangenen Jahren hat das Bewusstsein um den Schaden durch negative Berichterstattung in den Fachmedien bei den Beratern zugenommen. Entsprechend wird eine möglichst große Schutzfunktion von 60 Prozent als "sehr wichtig" und von weiteren 35 Prozent als "wichtig" bewertet. Dass ein strukturierter Prozess vor negativer Medienberichterstattung schütze, wird von der großen Berater-Mehrheit bestätigt.

Aspekte, die zum Erreichen des Oberziels Schutz- und Kontrollfunktion beitragen sollen, wie "zur Verfügungsstellung eines strukturierten Beratungsablaufs von Sparkassenseite" oder ein "klar vorgegebener Rahmen der Beratung (unter anderem durch eine begrenzte ausgewählte Anzahl an Produkten)" wird von den Beratern zwar ebenfalls noch als "wichtig" und zielführend angesehen. Diese persönlichen Beratereinschränkungen stoßen allerdings auf weniger absolute Zustimmung. Die weiteren Studienergebnisse verdeutlichen zudem, dass sich mehr als ein Drittel der Berater durch einen strukturierten Anlageberatungsprozess einer strengeren Kontrolle von bankinterner Seite ausgesetzt sieht.

Berater befinden sich demnach in einem Meinungsdilemma. Sie können durchaus Vorteile in einem Beratungsprozess erkennen, sehen aber gleichzeitig auch persönliche Nachteile in einem Prozess, etwa eine größere persönliche Kontrolle und/oder eine Einschränkung ihrer individuellen Gestaltungsmöglichkeiten. Von Beratern mit längerer Beratererfahrung wird ein standardisierter Prozess zumindest tendenziell schlechter bewertet. Interessant ist jedoch, dass die Qualifikationsstufe eines Beraters hier fast keinen Einfluss hat. Hieraus lässt sich schließen, dass auch hochqualifizierte Berater den Nutzen eines solchen Prozesses erkennen.

Fußnoten

1) Vgl. Barth, Flaig (2014), Barth, Die Sinus-Milleus 3.0 - Hintergründe und Fakten zum aktuellen Sinus-Milieu-Modell; in: Halfmann, Marion (Hrsg.), Zielgruppen im Konsumentenmarketing, Wiesbaden, S. 105 ff.

2) Vgl. Penzel, H.-G, Früchtl, C., Weber, S., Zellner, G. (2012 a), Anlageberatung in Modernen Zeiten: Durch Industrialisierung gleichzeitig zu Kundenorientierung und Effizienz, in: BIT- Banking and Information Technology, 2/2012, S. 9-14

3) Vgl. Hacketahl, A. (2010), Leistungstransparenz - Die Anlageberatung verbessern, in: Die Bank, 05/2010

4) Vgl. Mogicato, R., Schwabe. G., Nussbaumer, P., Stehli, E., Eberhard, M., (2009), Beratungsqualität in Banken. Was der Kunde erwartet. Was der Kunde erlebt. Solution Providers AG, Dübendorf, S. 29.

5) Vgl. Stiftung Warentest (2010), Banken im Test. Die Blamage geht weiter, in: Finanztest, Geldanlage und Altersvorsorge (8/2010), S. 25-30

6) Es besteht beispielsweise die Problematik von Missverständnissen zwischen Beratern und Kunden, die durch eine, aufgrund des Sprachgebrauchs seiner Profession verwendete, verbale Ausdrucksweise des Beraters bedingt ist und ihn somit bestimmte Darstellungen und Erklärungen innerhalb eines Beratungsgesprächs anders interpretieren lassen könnten als seinen Kunden als Adressaten. Vgl. Jungermann, H., Belting, J. (2004), Interacting as if: private investors and financial advisors, in: Zeitschrift für Gruppendynamik und Organisationsberatung, 35, S. 239-257.

Dieser Beitrag wurde von der Redaktion gekürzt. Die Langfassung des Artikels inklusive des vollständigen Literaturverzeichnisses finden Sie unter: www.kreditwesen.de

Zu den Autoren Prof. Dr. Marcus Riekeberg, Privatuniversität Schloß Seeburg, Seekirchen (Österreich) und Geschäftsführer, Sparkassen Consulting GmbH, München und Michael Wassermann, Bamberg
 

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