Flywheel

Der Begriff "Flywheel" (auf Deutsch: "Schwungrad") stammt ursprünglich aus der Mechanik und stellt ein Maschinenelement dar, welches mit wenig Kraftaufwand angetrieben wird, aber durch Energiezufluss immer schneller werden kann. In den letzten Jahren hat sich der Flywheel-Effekt auch als Symbol für die erfolgreichen Marketingprozesse der digitalen Champions wie Apple, Amazon oder Google etabliert.

Flywheel bezeichnet ganz grundsätzlich ein Modell zur Strategieentwicklung von Marketing- und Vertriebsmaßnahmen, in dem Kundenbindung zur Neukundengewinnung eingesetzt wird, um kontinuierliches Wachstum sicherzustellen. In Analogie zur Mechanik sollen sich Manager ihr Unternehmen als großes, schweres Rad vorstellen, das durch intelligent und mehrfach eingesetzte Energie immer schneller ins Laufen kommt und immer mehr Wachstum für das Unternehmen generiert.

Weiterentwicklung des Funnel-Ansatzes

Flywheel wird von Marketingexperten als Weiterentwicklung des Funnel-Ansatzes gesehen.

Der traditionelle Funnel-Ansatz funktioniert wie ein Trichter, bei dem der Kunde das Endergebnis der Marketing- und Sales Strategie und Aktivitäten darstellt.

Flywheel beschreibt hingegen ein Kreislaufmodell, bei dem Kundenzufriedenheit und -begeisterung als Impulsgeber zur Generierung neuer Kunden eingesetzt werden. Die generierten Kunden beteiligen sich mit ihren Weiterempfehlungen aktiv an der Beschleunigung des Flywheels. Das Ziel ist eine positive Customer Experience, welche sich in der Customer Journey auch nach dem Kauf fortsetzt.

Es muss daher versucht werden, den Kunden während des Kaufprozesses und auch danach aktiv an das eigene Unternehmen zu binden. Wenn Neukunden durch zufriedene Kunden generiert werden, kommt das Rad in Schwung und dreht sich immer schneller.

Plattformen fördern den Effekt

Mit dem Kreislaufmodell gestaltet sich die Kundengewinnung nicht nur schneller, sondern auch effektiver, da empirische Studien zeigen, dass Käufer den Empfehlungen ihrer Familie und Freunde mehr als den Empfehlungen durch Unternehmen vertrauen. Das Flywheel versucht, die Customer Experience der Kunden positiv zu gestalten, damit diese zu Werbenden des Unternehmens werden. Nur wenn die Kunden begeistert sind und positive Erfahrungen gemacht haben, werden sie das Unternehmen potenziellen Neukunden weiterempfehlen. Wenn sich das Flywheel einmal dreht, wird es immer schneller und ist schwer zu stoppen.

Ein Flywheel in der beschriebenen Form ist insbesondere dann möglich, wenn technologische Plattformen vorhanden sind, die in sehr großer Zahl Anbieter und Nachfrager zusammenbringen.

Vorbild Amazon

Einer Legende nach soll der Amazon-Gründer Bezos auf einer Serviette das Bild des Amazon-Flywheels skizziert haben, in dessen Zentrum das Wachstumsziel von Amazon stand. Um dieses Wachstum in Bewegung zu setzen, wollte Amazon positive Kundenerfahrungen auslösen, wodurch die Zahl der Besucher auf der Plattform steigen sollte und Amazon immer interessanter für externe Händler werden sollte.

Diese steigende Anzahl an verkaufenden Händlern sollte zu einer Vergrößerung des Sortiments und einer weiteren Verbesserung der Kundenerlebnisse führen. Durch das auf diese Weise generierte Wachstum wollte Bezos die Kosten und in Folge die Preise senken.

Beim Markenranking von Interbrand 2021 liegt Amazon mit 249,3 Milliarden US-Dollar hinter Apple an zweiter Stelle der "Best Global Brands", was unter anderem daran liegen könnte, dass bei dem Unternehmen das Konzept des Flywheels erfolgreich umgesetzt wurde.

Schwungrad macht Bigtechs zur Bedrohung in fast jeder Branche

Das Interessante an dem Flywheel-Effekt ist, dass sich der Schwung eines Geschäftsfeldes für weitere Diversifizierungen einsetzen lässt. Das bedeutet für die Technologie-Riesen wie Amazon, Google Apple mit ihren mächtigen ineinander verzahnten Schwungrädern, dass sie diese Dynamik für weitere Geschäftsfelder, wie Amazon beispielsweise im "Streaming Kampf" mit Netflix nützen können. Streaming kann von Amazon nicht nur als neues Geschäftsfeld genutzt werden, sondern als Wachstumstreiber für den Verkauf der Produkte über die Online-Plattform oder bei Apple für den Verkauf von i-Phones, Macbooks oder Speicherkapazitäten. Diese Möglichkeit hat Netflix als reiner Filmanbieter beispielsweise nicht.

Wenn es den Bigtechs gelingt auch die notwendige Distributionsstruktur zu entwickeln, um den Zugang potenzieller Kunden zu erreichen, stellen sie für nahezu jede Branche einen potenziell gefährlichen Mitbewerber dar. Selbst wenn die Tech-Giganten wie Apple oder Amazon beim Einstieg in neue Branchen klein starten, haben sie den großen Vorteil ihrer großen Gruppe an loyalen Stammkunden. Und wenn das Flywheel dieser Tech-Giganten erst einmal in Schwung kommt, wird es für die Marktführer dieser Branchen schwer. Das für die Streaming-Branche skizzierte Szenario lässt sich in gleicher Form auch für den Finanzdienstleistungssektor übertragen.

Auch wenn digitale Plattformen die besten Möglichkeiten für die beschriebene Flywheel-Logik liefern, können auch Nicht-Plattformen diese Logik anwenden. Das Flywheel ist wie ein sich immer weiter drehendes Rad und kommt durch die Anwerbung von Kunden immer mehr in Schwung.

Kunde im Mittelpunkt

Im Mittelpunkt steht immer der Kunde, der aktiv in den Kreislauf eingreift. Sein Handeln trägt entscheidend zur Geschwindigkeit und zum Wachstum des Schwungrades bei. Die drei Phasen des Flywheels umfassen daher das Anziehen (attract), das Einbinden (engage) und das Begeistern (delight).

In der Phase des Anziehens soll durch geeignete On und Offline Kommunikation und zielgruppengerechtem Content das Interesse möglicher Kunden geweckt werden Informationen und Inhalte müssen leicht zugänglich und einfach zu finden sein. Wenn die "attract"-Phase erfolgreich war, wird der Interessent zum Kunden. Nach dem Kaufprozess muss der Kunde bei seiner Customer Journey aktiv begleitet werden und durch einen persönlichen und aktiven Austausch eine Kundenbindung aufgebaut werden. Wenn der Kunde nach der Kauf-Phase vom Unternehmen überzeugt ist und weiter begleitet wird, kann er als Teil der Marketingstrategie durch Weiterempfehlung potenzielle Neukunden anwerben.

Positive Kundenerfahrung und Kundenzufriedenheit sind der Schlüssel zu einem funktionierenden Flywheel. Das Flywheel gewinnt mit jedem Neukunden mehr an Geschwindigkeit und Wachstum. Kundenzufriedenheit und -begeisterung als Impulsgeber des Flywheels können nur durch ein konsequentes interdisziplinäres Zusammenspielen der Abteilungen Marketing, Service und Sales erreicht werden.

Auch bei klassischen Finanzdienstleitern

Das Konzept des Flywheels erklärt nicht nur das Wachstum der digitalen Champions, sondern kann auch bei klassischen Finanzdienstleistern erfolgreich eingesetzt werden, wenn es als Prozess verstanden wird, dessen Erfolgsfaktor die Kundenzufriedenheit und Kundenloyalität darstellt, durch die die Werbung des Unternehmens durch die Kunden selbst generiert wird, indem die Kunden zu Werbebotschaftern des Unternehmens werden. Sobald sich das Flywheel dreht und ohne Reibungen läuft, kann es durch Kundengewinnung und Kundenempfehlungen immer schneller werden.

Das abschließende Zitat von Jim Collins, Autor von "Turning the Flywheel: A Monograph to Accompany Good to Great", fasst die Bedeutung von Flywheel branchenübergreifend gut zusammen: "For a truly great company, the Big Thing is never any specific line of business or product or idea or invention. The Big Thing is your underlying flywheel architecture, properly conceived".

Dr. Ewald Judt , Honorarprofessor , Wirtschaftsuniversität Wien
Dr. Claudia Klausegger , Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien
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