Evoked Set

Betrachtet man das Angebot auf Märkten, stellt man fest, dass das Markenangebot oft groß ist, aber nicht alle Marken jedem Konsumenten bekannt sind beziehungsweise wahrgenommen und akzeptiert werden. Die menschliche Entscheidungsfindung ist ein diffiziler Vorgang. Alternativen werden gegeneinander abgewogen, Vor- und Nachteile in Betracht gezogen und persönliche Vorlieben berücksichtigt. Eine Alternative kommt für Konsumenten in die engere Wahl, wenn sie bekannt ist und auf allen Eigenschaftsdimensionen das festgelegte Mindestanspruchsniveau erfüllt. Bei Unsicherheit und einer Vielzahl von Optionen steigt der Aufwand für das Gehirn, eine Entscheidung zu treffen, enorm.

Unter dem "Evoked Set", einem Begriff aus dem Konsumentenverhalten, wird bezogen auf eine Produktkategorie die Menge der auf dem Markt befindlichen Marken verstanden, die vom potenziellen Käufer wahrgenommen und als Kaufalternative potenziell akzeptiert (berücksichtigt) wird.

- Die Gesamtmenge der zur Auswahl stehenden Marken wird "Total Set" genannt.

- Jeder Konsument nimmt aber nur eine Teilmenge (= die ihm bekannten Marken) wahr. Diese Teilmenge (= alle Markenalternativen, deren sich der Konsument generell bewusst ist) wird "Awareness Set" genannt.

- Jener Teil, der im Bewertungsprozess näher betrachtet wird, ist das "Processed Set".

- Bei jenem Teil, der im Bewertungsprozess nicht näher betrachtet wird, ist dem Konsumenten zwar die Existenz der Marken bekannt, aber da es an weiteren Informationen fehlt oder diese nur schwer zu beschaffen sind, empfindet er diese Marken als nebulös ("Foggy Set").

- Unter den näher betrachtete Marken scheiden einige im Vorhinein bereits aus ("Rejected Set") und einige kommen in die engere Wahl ("Choice Set").

- Das "Hold Set" umfasst Marken, die eventuell akzeptabel sind, wenn die Leistung oder der Preis verbessert werden. Die Kategorisierung der Marken durch die Konsumenten wird durch den Informationsfluss gesteuert.

Umfang des Evoked Set entscheidet über Wettbewerb

Der Umfang des Evoked Set ist in zweierlei Hinsicht bedeutsam. Je umfangreicher die bevorstehende Kaufentscheidung ist (zum Beispiel hoher Finanzkredit oder Veranlagung einer größeren Summe aufgrund einer Erbschaft) desto umfangreicher ist die Such- und Evaluierungsphase. Ein kleineres Evoked Set bedeutet eine vereinfachte Entscheidungsfindung für den Konsumenten und aus Sicht der Unternehmer einen geringeren Wettbewerb.

Im Zusammenhang mit der Größe des Evoked Sets lassen sich einige grundsätzliche Erkenntnisse hervorheben. Ein Evoked Set ist umso kleiner, je größer die Erfahrungen/Vertrautheit in einer Produktklasse sind, je weniger Produktmerkmale zu beachten sind (geringe Komplexität, starke Homogenität), je zufriedener der Kunde mit einer Marke beziehungsweise einem Produkt ist, je vielseitiger ein Produkt eingesetzt werden kann (Problemlösungspotenzial) und je reifer das Produkt im Produktlebenszyklus ist.

Informationsprozess des Kunden analysieren

Ein Sonderfall liegt vor, wenn überhaupt nur eine Alternative (Marke) vom Konsumenten in Betracht gezogen wird. Red Bull bildet beispielsweise für manche Konsumenten ein Evoked Set vom Umfang eins und nimmt die Top-of-Mind-Position ein.

Als Konsequenz dieses Ansatzes ergibt sich für Finanzdienstleister, dass sie versuchen müssen, ihre Marke in das Bewusstsein der Konsumenten zu bringen, um in Erwägung gezogen zu werden und in die Endauswahl zu kommen. Die Anbieter müssen herausfinden, welche anderen Bankinstitute es in der jeweiligen Produktkategorie in die Endauswahl schaffen, um sich von diesen durch geeignete Leistungsangebote und Werbebotschaften zu differenzieren.

Die Analyse, bei welchen Konsumenten das eigene Angebot in das Choice Set kommt und warum dieses einbezogen wird, gibt wichtige Aufschlüsse für die Marktbearbeitung. Wenn sich Kunden wenig informieren, bedeutet dies für Mitbewerber, dass sie eventuell nicht in dessen Evoked Set gelangen und damit als potenzielle Bank gar nicht infrage kommen.

Daher ist es notwendig, den Informationsprozess, den ein Kunde durchläuft, genau zu analysieren. Es müssen sowohl die Informationsquellen als auch die Relevanz der Quellen analysiert werden. Die von Anbietern oft gestellte Frage "Wie wurden Sie auf das Angebot aufmerksam?" gibt Aufschluss über das Informationsverhalten und in weiterer Folge für die Planung der zielgruppengerechten Kommunikation.

Bis eine Bank in das Evoked Set des Kunden vordringt, muss sie mehrere Hürden nehmen. Um als Bank prinzipiell in Frage zu kommen, muss sie erreichen, dass der Kunde sie überhaupt als Alternative wahrnimmt und klare Vorstellungen hat, wie gut die gebotene Qualität und das Preis-/Leis tungsverhältnis ist. Es reicht dabei nicht aus, in den Hold Set des Kunden zu gelangen, da die Bank hier noch nicht automatisch positiv eingeschätzt wird.

Informationen als Instrument der Unsicherheitsreduktion

Zur Informationsbeschaffung existieren unterschiedliche Theorien und Ansätze. Für Finanzdienstleister spielt der risikotheoretische Ansatz eine wichtige Rolle. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Informationsaufnahme und -suche umso mehr Bedeutung erlangt, je höher das wahrgenommene Risiko für den Kauf ist. Hierbei handelt es sich um die Reduzierung der wahrgenommenen Kaufrisiken. Informationen dienen als zentrales Instrument der Unsicherheitsreduktion im Kaufentscheidungsprozess.

Die Verarbeitung der aufgenommenen Informationen untergliedert sich in die Wahrnehmung, die Beurteilung sowie den Auswahlprozess. An die reine Produktbeurteilung schließt sich die Präferenzbildung an. Hierbei werden die Restriktionen und die Produktselektion bestimmt. Zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang die unterschiedlichen Entscheidungstypologien, wobei Choice Sets im Finanzsektor insbesondere bei extensiven und limitierten Kaufentscheidungen zum Tragen kommen.

Bei extensiven Kaufentscheidungen besitzen Kunden wenig Informationen und Kenntnisse über das Produkt und das Anspruchsniveau ist noch zu definieren. Es besteht ein erheblicher Bedarf an Informationen. In den Bereich extensiver Kaufentscheidungen fallen Entscheidungen von großer persönlicher Bedeutung beziehungsweise finanzieller Tragweite.

Entscheidungskriterien der Verbraucher kennen

Dies kann beispielsweise die erstmalige Aufnahme einer Bankverbindung (bei Jugendlichen) sein. Der Entscheider wird sukzessive verschiedene Alternativen anhand gewählter Mindestanforderungen vergleichen und diejenigen Alternativen aussondern, die seinen Anforderungen nicht genügen. Schlüsselinformationen können zum Beispiel Preis der Inanspruchnahme einer Bankdienstleistung (zum Beispiel Kontoführungsentgelte) oder auch das Image des Leistungsanbieters sein.

Limitiertes Entscheidungsverhalten kann zum Beispiel im Anlagebereich auftreten, wenn die Präferenzbildung sehr stark zugunsten bestimmter Anlageformen ausgeprägt ist und der Nachfrager gegenüber anderen Anlageformen eine ausgesprochene Aversion besitzt. Dies ist der Fall, wenn zum Beispiel ein Anleger risikoarme Sparanlagen gegenüber einer Wertpapier-Anlage präferiert und die Anlage in Risikopapieren grundsätzlich ablehnt.

Für Finanzdienstleister ist es wichtig, bezogen auf die unterschiedlichen Produktangebote, die Entscheidungskriterien der Verbraucher zu kennen, anhand derer sie die Marken (Mitbewerberbanken) in das Evoked Set aufnehmen, da die im Vergleich zum Mitbewerb bessere Erfüllung der zielgruppenspezifischen Entscheidungskriterien eine Voraussetzung für den Markterfolg ist.

Dr. Ewald Judt ist Honorarprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien; ewald.judt[at]wu.ac[dot]at; Dr. Claudia Klausegger ist Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien; claudia.klausegger[at]wu.ac[dot]at.

Dr. Ewald Judt , Honorarprofessor , Wirtschaftsuniversität Wien
Dr. Claudia Klausegger , Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien
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