Distance Banking

Dr. Ewald Judt, Honorarprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien

Quelle: Wirtschaftsuniversität Wien

Die Begriffe Social Distancing und Social Distance werden seit Covid-19 häufig verwendet. Das soziale Abstandhalten von Anderen gab es aber auch schon früher, sei es freiwillig wie zum Beispiel bei Eremiten oder zwangsweise wie etwa bei Einzelhaft und - ohne dass dies speziell so benannt wurde - bei anderen bisher vorgekommenen Epidemien/Pandemien.

Seit das Retailbanking nach seiner Einführung größere Ausmaße angenommen hat, ist Distancing auch im Banking im Sinne der Verminderung oder gar Verweigerung des persönlichen Kontakts mit einer Bank beobachtbar. Davor war Banking - unabhängig davon, ob bei Bankgeschäften Bargeld oder später Buchgeld eingesetzt wurde - typischerweise ein Faceto-Face-Banking, da es an Personen gebundene Geschäftsvorgänge oder Transaktionen waren. Die Geschäftsfälle beziehungsweise Transaktionen wurden vom Kunden oder seinem Beauftragten persönlich beim Bankier oder Vertrauten des Bankiers erledigt.

Ursprünglich nur Face-to-Face-Banking

Als typischer Vertreter von Face-to-Face-Banking kann Hawala ("Vertrauen") genannt werden, ein Geldtransfersystem, das in Asien im 8. Jahrhundert entwickelt wurde und bis heute erfolgreich eingesetzt wird. Wenn eine Person Geld von einem Ort zu einem anderen Ort transferieren will, geht sie zu einem Hawala-Mitglied. Dieses nimmt das Geld entgegen und überreicht im Gegenzug eine Gutschrift. Mit dieser Gutschrift kann sich die Person am Zielort bei einem dortigen Hawala-Mitglied das Geld auszahlen lassen. Die beiden Hawala-Mitglieder machen sich das "Clearing" der transferierten Geldbeträge untereinander aus.

Auch als sich in Europa ausgehend von den Handelszentren Italiens Banken mit der Führung von "conti corrente", Girokonten mit Einlagen, ausbreiteten, ging zwischen dem Bankier und dem Kunden alles nur persönlich. Ursprünglich bezogen sich diese persönlichen Beziehungen ausschließlich auf das kommerzielle Geschäft - dem Business und dem Corporate Banking. Mit der Einführung des Retailbankings in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts folgte die Ausweitung des Face-to-Face-Bankings auf Privatkunden.

Distanzgeschäft seit den achtziger Jahren

Mit der Einführung der Gehalts-, Lohn- und Pensionskonten in den sechziger Jahren ging ein Ausbau der Filialnetze einher, was zu einer hohen Dichte an Bankstellen führte. Kundenseitig war das Paradoxon zu beobachen, dass die Einkünfte wie Lohn, Gehalt/Pension, Stipendium oder andere, die auf den Girokonten eingingen, kurz danach wieder abgehoben wurden, um mit diesem Bargeld die regelmäßigen (oder auch einmaligen) finanziellen Verpflichtungen zu bezahlen. Die Banken hatten in ihren Filialen am Monatsende beziehungsweise -anfang meist mehrere Kassen geöffnet, um die zahlreichen Abhebungen und Einzahlungen ohne größere Verzögerungen abwickeln zu können.

Am Beginn noch zögerlich, aber im Verlauf immer schneller werdend, wurde das Girokonto vermehrt als "echtes" Girokonto genutzt und von den Kontoeingängen nur mehr so viel Geld abgehoben, wie der Kunde tatsächlich in bar benötigte. Regelmäßige Zahlungen wurden zu einem bestimmten Zeitpunkt mit einem gleichbleibenden Geldbetrag wiederholt an einen bestimmten Zahlungsempfänger überwiesen (zum Beispiel Bausparen, Alimente) oder von einem anderen Konto eingezogen (zum Beispiel Miete, Versicherungen). Aufgrund der Ausmaße, die diese Transaktionen bald annahmen, wurden diese vom automatisierten Zahlungsverkehr vorgenommen. Auch seltene und unregelmäßige Zahlungen wurden zunehmend bargeldlos geleistet.

Ein großer Schritt des Distancing war die Einführung und rasche Verbreitung von Geldausgabeautomaten ab den achtziger Jahren. Bankkunden mussten nicht mehr persönlich ihre Bank aufsuchen, sondern konnten mit den entstehenden kooperativen Geldausgabeautomatensystemen nach kurzer Zeit im ganzen Land und etwas später in der ganzen Welt Bargeld abheben. Es war die erfolgreichste Produkteinführung einer Bankdienstleistung.

Noch vor dem PC ist es diesen Geldausgabeautomaten als erste Computerterminals gelungen, weltweit bei breiten Bevölkerungsschichten unentbehrlich zu werden. Paul Volcker, ehemaliger Chairman der Fed, bezeichnete sie sogar als die einzige nützliche Innovation der zurückliegenden Jahrzehnte in der Bankenbranche und stellte fest, dass die Finanzinnovationen der letzten Jahrzehnte mit Ausnahme der Geldautomaten keinen sozialen und ökonomischen Gewinn gebracht haben. Heute gibt es weltweit knapp über drei Millionen Geldausgabeautomaten. Mittlerweile ist das starke Wachstum zurückgegangen und nur noch in jenen Ländern beobachtbar, in denen noch Nachholbedarf hinsichtlich der Geldautomatendichte besteht.

E- und M-Banking als letzter Anstoß

Ein weiterer Schritt des Distancing im Bankbereich war die zunehmende Installation anderer Automaten wie Geldeinzahlungs- oder Überweisungsautomaten, die zumeist in rund um die Uhr geöffneten Bankfoyers stationiert sind.

Der letzte Anstoß - wenn man von Covid-19 absieht - kam durch die Einführung des E- und M-Bankings. Durch E-Banking konnten die Kunden diverse Bankgeschäfte von der Kontoeröffnung bis zur Kontoschließung zum Beispiel von zu Hause oder vom Arbeitsplatz aus über Internet rund um die Uhr erledigen.

Etwas später war mit dem Aufkommen des M-Bankings die Abwicklung von Bankgeschäften unter Zuhilfenahme von mobilen Endgeräten über einen Mobile-Browser auf Banking-Anwendungen oder über spezielle Applikationen/Widgets (kleine installierte Programme) möglich.

Diese digitalen Entwicklungen führten dazu, dass die Anzahl der Kunden zwar nicht zurückging, aber immer weniger Kunden die Bankräumlichkeiten aufsuchten. Das Distance Banking hat das Face-to-Face- Banking mittlerweile weitestgehend ersetzt und die Filialen werden weniger besucht. Die Konsequenzen dieses Trends sind ein sukzessiver Abbau der Filialen und ein Sinken der Anzahl der Mitarbeiter in der Bankbranche.

Filialen weitgehend ersetzt

Die Banken müssen sich verstärkt mit der strategischen Frage auseinandersetzen, wie die Zukunft der Filialen aussehen wird. Die strategische Frage ist nicht die, ob Bankfilialen notwendig sind, sondern wie viele es sein sollen und welche Rolle diese im Bankbusiness der Zukunft spielen beziehungsweise welche Form und Ausgestaltung sie haben sollen. Die Antwort auf die Frage nach der notwendigen Anzahl an Filialen fällt dabei leichter. Bei der Antwort auf die Frage nach der Form und Ausgestaltung werden verschiedene Optionen für Filialen mit Beratung (zum Beispiel. "Erlebnisfiliale", "Beratungscenter") und für Filialen ohne Beratung (zum Beispiel eigene "Automatenfilialen" oder gemeinschaftliche "Share-a-Bank-Filialen") diskutiert.

Unabhängig davon, wie die Filialdichte künftig aussehen wird und wie diese Filialen gestaltet sein werden, gilt es für die Banken vor allem angesichts der im Zuge der Generationenabfolge immer wichtiger werdenden sozialen Medien zu überlegen, wie zukünftig kommuniziert werden muss, damit die Botschaften von den eigenen Kunden und potenziellen Neukunden wahrgenommen werden, und was getan werden muss, damit die Produkte von diesen auch tatsächlich gekauft beziehungsweise nachgefragt werden.

In diesem Zusammenhang muss auch die Rolle der Bankberater aus Kundensicht neu überdacht werden: Wann, über welche Kanäle, in welcher Form und wie oft sollen Kunden von ihnen kontaktiert werden? Welche Produkte sollen sie welchen Kunden zu welchem Zeitpunkt anbieten? Eines lässt sich trotz zunehmendem Distance Banking mit Sicherheit sagen: Kommunikation, Beratung und Verkauf werden auch im Distance Banking wichtig bleiben, aber die Ausgestaltung wird eine andere sein!

Dr. Ewald Judt ist Honorarprofessor der Wirtschaftsuniversität Wien, ewald.judt[at]wu.ac[dot]at.

Dr. Claudia Klausegger ist Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien, claudia.klausegger[at]wu.ac[dot]at.

Dr. Ewald Judt , Honorarprofessor , Wirtschaftsuniversität Wien
Dr. Claudia Klausegger , Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien

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