Preispolitik

Statt auf Preiskampf lieber auf Value-Pricing setzen

In der Wirtschaftspresse liest man täglich Berichte über Preiskämpfe.
Sie führen zu einer enormen Ertrags- und Wertevernichtung. Dies
belegen zahlreiche Fallbeispiele aus verschiedensten Branchen:
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Der Lebensmittelhandel befindet sich seit Jahren in einem Preiskrieg.
Als Auslöser in Deutschland gilt der Markteintritt des größten
Einzelhändlers der Welt, des US-Konzerns Wal-Mart. Katastrophale
Umsatzrenditen (in der Regel unter ein Prozent) sind das Ergebnis.
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Der Preisverfall im Telekommunikationsbereich ist noch dramatischer.
So sind mit der Liberalisierung die Preise für innerdeutsche
Ferngespräche während der Hauptzeit (9 bis 18 Uhr) innerhalb von 15
Monaten von zirka 31 Cent/Minute um mehr als 95 Prozent gefallen.
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Auch im Mobilfunkgeschäft hat der Anbieter E-Plus mit der Billigmarke
Simyo den Preiswettbewerb eröffnet. Das Volumen steigt, die Erträge
purzeln.
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Auf dem Automarkt tobt derzeit einer der härtesten Preiskriege seit
Jahren. Ford und Seat senkten die Listenpreise für eine Reihe ihrer
Modelle. Der Autokonzern Fiat buhlt mit einem zinslosen Darlehen über
vier Jahre um Kunden. General Motors bietet sogar Autos kostenlos an.
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In der Finanzindustrie (Banking wie auch Versicherungen) kann man
ähnliche Preiskriege beobachten.
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Die Dresdner Bank wehrt sich im Privatkundengeschäft gegen Angriffe
ausländischer Wettbewerber. "Die Produkte werden preisgünstig sein, um
Anbieter wie Royal Bank of Scotland (RBS) Geschäft abzugraben", so die
Ankündigung von Vorstandschef Herbert Walter. Die Kampfansage ist eine
Reaktion auf das zuletzt kräftige Wachstum ausländischer Anbieter wie
RBS, Santander oder ING auf dem deutschen Massenmarkt.
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Preiskriege in der Finanzindustrie
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Im Hypothekarbereich in der Schweiz ließ die Postfinance
beispielsweise bei Abschluss einer Hypothek zu attraktiven Marktzinsen
Kunden sechs Monate lang gratis wohnen. Analysen bei einer Bank
ergaben, dass zirka 75 Prozent der Neuabschlüsse in 2005 über hohe
Sonderkonditionen erfolgten. Die dabei kalkulierten Margen deckten
teilweise nicht mehr die Kosten.
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Insbesondere im Online-Banking wird der Wettbewerb fast immer über den
Preis ausgetragen. Die Folge: zahlreiche neue Anbieter wie Systracom,
EQ-Online oder Youtrade verschwinden vom Markt. Von zeitweise zehn
Online-Brokern in der Schweiz sind 2005 nur noch drei Anbieter am
Markt - mit unterschiedlichen Geschäftsaussichten. In den USA senkte
Charles Schwab einige seiner Provisionen um bis zu 35 Prozent.
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In Frankreich offeriert die Sparkasse Caisse d'Epargne als erste
Großbank des Landes Guthabenzinsen auf Girokonten (Stand: Juni 2005).
Der Schritt ist ein Symbol für eine flexiblere Gestaltung der Tarife.
In Frankreich war die Verzinsung von Girokonten sogar bis März 2005
verboten.
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Selbst im Private-Banking beginnt der Kampf um Neukunden zunehmend
über den Preis. Sonderkonditionen gehen zu Lasten der Marge (siehe
Abbildung 1). Jeder Punkt stellt eine Kontobeziehung dar. Es besteht
keine Korrelation zwischen der Höhe der Sonderkondition und der Höhe
des Kreditvolumens.
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Bei Großkunden werden enorme Sonderkonditionen auf Kredite vergeben.
Der Volkswagen-Konzern zahlt für seinen Großkredit im Volumen von 12,5
Milliarden Euro lediglich 20 Basispunkte über Euribor.
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Auch in der Versicherungsbranche wurde 2004 ein Preiskrieg
eingeläutet. So kämpfen beispielsweise die großen deutschen
Autoversicherer mit aggressiven Preissenkungen um ihre Kunden. Aber:
Schon einmal hatte der Marktführer Allianz auf fallende Marktanteile
mit einem Preiskrieg reagiert, als 1996 ein neues großzügiges
Rabattsystem eingeführt wurde. Das war der Auslöser für jahrelange
hohe Verluste der Branche in der Autosparte.
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Gründe für einen Preiskrieg
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Doch warum geraten Finanzdienstleister in einen Preiskrieg? Die
Ergebnisse einer Studie von Heil zeigen, dass Überkapazitäten und
Commodities die zwei wichtigsten Ursachen für Preiskriege darstellen
(vergleiche Abbildung 2). Deutschland verfügt über fünfmal mehr Banken
als Großbritannien. Eine weitere Analyse zeigt auf, dass es in
Deutschland pro 1600 Einwohner eine Bankfiliale gibt (EU-Durchschnitt:
eine Filiale pro 2500 Einwohner; Stand: Juni 2005).
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Die Folge: Das Konsolidierungstempo nimmt zu. 2004 sind 1777 Filialen
geschlossen worden - Tendenz weiter steigend. So will nahezu die
Hälfte der deutschen Sparkassen Filialen schließen oder zusammenlegen.
Auch die Gesamtzahl der Kreditinstitute ist zurückgegangen.
Schwerpunkt der Konsolidierung in Deutschland war in den letzten zwei
Jahren wiederum der Genossenschaftssektor, in dem es zu zirka 100
Fusionen kam. Während 1990 noch rund 3400 genossenschaftliche
Kreditinstitute existierten, gab es 2006 etwa 1300 Institute.
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Auch das aggressive Buhlen um die Kunden - insbesondere ausgelöst
durch neue Anbieter - erhöht den Konsolidierungsdruck. Im
Privatkundengeschäft sind neben die traditionellen Institute
Direktbanken sowie Non- und Near-Banks getreten. Dazu gehören
Industrie- oder Handelsunternehmen, die Bankdienstleistungen in der
Regel über Banktöchter anbieten. Der Autokonzern Daimler-Chrysler ist
im Juli 2002 ins Bankgeschäft eingestiegen und konnte etwa 1000000
Kunden mit einem Einlagevolumen von mehr als drei Milliarden Euro
einsammeln. Der Handelskonzern Karstadt-Quelle hat innerhalb von
Monaten zirka eine Million Kreditkarten an seine Kunden verteilt.
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Aggressives Pricing
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Bei Tchibo kann man neben Auto auch Hausrat, Unfälle und seine
Ausbildung versichern. Der Kaffeeröster bietet zukünftig auch
ec-Karten an, mit denen über einen Kredit verfügt werden kann. Diese
neuen Bankinstitute haben inzwischen einen beachtlichen Kundenstamm.
Ein Grund: Der Preis wird aggressiv eingesetzt, um sich Marktanteile
gegen die etablierte Konkurrenz zu erkämpfen. Eine solche Strategie
verfolgen auch Direktbanken. Die ING-Diba hat mehr als 15 Millionen
Kunden in Europa (alleine in Deutschland sind es bereits mehr als 5,5
Millionen). Tendenz weiter steigend.
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Weitere Gründe für den Ausbruch von Preiskriegen sind: Geringes
beziehungsweise stagnierendes Marktwachstum sowie eine falsche
Einschätzung von Wettbewerbsreaktionen. Die Manager unterschätzen
schlichtweg die Wirkungen des Pricing.
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Der Preis (zum Beispiel Kreditzins) wird als Waffe falsch eingesetzt.
Die Folge: Zahlreiche Banken befinden sich in einer selbst
verursachten Krise. Als typische Reaktion wird massiv an der
Kostenschraube gedreht. Deutsche Banken haben zwischen 2000 und 2005
mehr als 50000 Mitarbeiter entlassen (amerikanische Banken sogar mehr
als 100000 Mitarbeiter).
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Die Bankmanager müssen sich wesentlich intensiver um die Erlös- und
Preisseite kümmern. Dort liegen heute größere unausgeschöpfte
Ertragssteigerungspotenziale als bei den Kosten. Zudem locken "Quick
Wins" durch rasch zu realisierende Preismaßnahmen. Die
Margenverbesserungen schlagen sofort auf den Ertrag durch und
erfordern in der Regel keine teuren Vorabinvestitionen. Richtiges
Preismanagement beinhaltet also gleich drei Chancen: Zeitgewinn,
Vermeidung zusätzlicher Ausgaben und höhere Ertragssteigerung. Es geht
nicht durch "einfache" Preiserhöhungen, etwa die Anhebung der
vorliegenden Preise oder den "simplen" Auftrag an den Vertrieb, höhere
Preise "durchzusetzen". Mit solchen Frontalmaßnahmen wird man
scheitern.
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Auswege
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Was Institute brauchen, sind innovative, am Kundenbedürfnis undnutzen
ausgerichteten Preisstrategien, so genanntes Value-Pricing, sowie
damit einhergehend die völlige Neuorganisation der Pricing-Prozesse.
Hierunter verstehen wir ein System von organisatorischen Regeln,
Strukturen und Maßnahmen, die dazu dienen, Preise festzulegen und zu
implementieren. Im Regelfalle empfiehlt sich ein Vorgehen in fünf
Phasen, wie es in Abbildung 3 veranschaulicht ist. Die Umsatzrendite
lässt sich durch effektivere Pricing-Prozesse in der Regel um drei bis
fünf Prozentpunkte steigern. Das darf angesichts der schwachen
Renditen deutscher Finanzinstitute als revolutionär gelten.
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Ertragssteigerung
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Abbildung 4 verdeutlicht die Ertragssteigerungen für eine Reihe
ausgewählter Praxisbeispiele aus verschiedenen Bereichen der
Finanzindustrie.
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Im Wertpapiergeschäft einer Bank lag der Hebel zur Gewinnverbesserung
in einer gezielteren Preisdifferenzierung der Kundensegmente. Es wurde
festgestellt, dass eine bestimmte Stammkundengruppe sehr stark auf
eine Veränderung der Konditionen reagierte, während ein anderes
Segment und Neukunden keine Reaktion auf die gleiche Maßnahme zeigten.
Die bessere Koordination von Pricing, Segmentierung,
Angebotsdifferenzierung und Kommunikationspolitik führte zu deutlich
erhöhter Marketing- und Preiseffizienz. Eine zentrale Rolle -
insbesondere für das Cross-Selling - spielte die Bündelung bestimmter
Leistungen und Preise zu Paketen. Das Ergebnis: Der Umsatz wurde um
zirka drei Millionen Euro pro Jahr erhöht. Die Cost Income Ratio
konnte um drei Prozentpunkte nachhaltig verbessert werden.
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Bei einer anderen Bank gelang es im Private-Banking, mit Hilfe einer
fundierten Analyse (Wettbewerbspreise, Preiselastizitäten,
Benefit-Segmentierung, Werttreiberanalyse) den Gewinn um 15 Millionen
Euro pro Jahr zu erhöhen. Eine detaillierte Untersuchung verschiedener
Produktbereiche ergab, dass das Institut keinen systematischen
Pricing-Prozess hatte. Pricing-Guidelines, das heißt übergeordnete
Richtlinien als Rahmen für die Preispolitik, existierten nicht. Die
Preiselastizitäten für die untersuchten Produkte waren nicht bekannt.
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Im Private-Banking einer Schweizer Bank lag der Hebel zur
Gewinnsteigerung in einer pragmatischen Analyse der
Preissensitivitäten. Auf Basis dieser Analyse und mittels einiger
neuer Preisstrukturen konnte die Bank rasche "Quick Wins", das heißt
unmittelbar erlöswirksame Maßnahmen, umsetzen. Der Mehrgewinn aus der
Umsetzung lag im zweistelligen Millionenbereich.
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Bei einer anderen Bank wurde festgestellt, dass die Corporate- und
Private-Ban-king-Berater bei der Vergabe von Rabatten zu großzügig
waren. Mit Hilfe von klaren Regeln für die Vergabe von
Sonderkonditionen, Argumentationsleitfäden und eines neuen
Incentivesystems wurde dieses Problem gelöst. Die
Gewinnsteigerungspotenziale lagen im hohen zweistelligen
Millionenbereich in Euro. Im Laufe der Umsetzung wurden der Umsatz und
der Gewinn um jeweils mehr als 20 Millionen Euro pro Jahr gesteigert.
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Doch wie verhindert man einen Preiskrieg beziehungsweise wie entkommt
man der Preisfalle? Hierzu gibt es mehrere Maßnahmen:
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Berücksichtigung des antizipierten Wettbewerbsverhaltens: Jede Bank
sollte vor Preisänderungen versuchen, das Verhalten der Wettbewerber
richtig einzuschätzen. Hierzu gibt es speziell konzipierte
Szenarioanalysen, die solche Abschätzungen und ihre Folgen
quantifizieren. Hilfreich sind Überlegungen aus der Spieltheorie, bei
der das Wettbewerbsverhalten bei Preisänderungen und die
Gewinnauswirkungen mittels verschiedener Szenarien "durchgespielt"
werden.
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Signaling: Hierbei handelt es sich um eine Kommunikationsstrategie,
bei der die Bank im Vorfeld der geplanten Preisanpassung öffentlich
"Signale" an Konkurrenten und Kunden sendet. Auf diese Weise wird ein
Abstimmungsprozess zwischen den Marktteilnehmern in Gang gesetzt. Mit
Hilfe des Signaling liefert das Institut Hinweise auf seine Vorhaben,
Motive, Ziele oder seine interne Situation. Als Medien der
Verständigung können neben Pressemitteilungen auch Auftritte auf
Konferenzen und Web-Ankündigungen dienen. Die Wettbewerber verstehen
so das Motiv. Doch Vorsicht: wettbewerbsrechtliche Aspekte müssen beim
Signaling geprüft werden.
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Verhindern eines Preiskriegs
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Differenzierte Preisstrukturen: Ein gegenseitiges und wiederholtes
preisliches Unterbieten ist wahrscheinlicher, wenn sich die
konkurrierenden Angebote aufgrund ihrer Preisstrukturen leicht
vergleichen lassen. Deshalb sollte der Anbieter Preisstrukturen
schaffen, die sich von denen der Wettbewerber unterscheiden.
Intelligente Preiskonzepte wie nichtlineare Preisbildung,
Mehr-Personen-Pricing und ähnliches sollten angewendet werden.
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Systemanbieter: Das Bundling von Produkten stellt eine weitere
Möglichkeit zur Differenzierung und Vermeidung von Preiskriegen dar.
Unternehmen wie Microsoft und McDonald's setzen sehr erfolgreich auf
solche Paketlösungen.
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Professionelles Sonderkonditionen-Management: Die Vergabe von
Sonderkonditionen sollte nach klaren Regeln und Prozessen erfolgen. In
einem ersten Schritt ist es notwendig, die Transparenz über die
Sonderkonditionsvergabe zu haben. Anschliessend sollten
Strukturschwächen beseitigt und Regeln für die zukünftige Vergabe von
Sonderkonditionen entwickelt werden. Die Auswirkungen der
Preisnachlässe auf den Gewinn, auf den Erlös und auf das Volumen
sollte das Management mit Hilfe von Tools transparent gestalten. Auf
diese Weise werden die Bankberater für das Thema "höhere
Preisdurchsetzung" sensibilisiert.
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Literaturhinweis:
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Wübker, Georg (2006): Power Pricing für Banken, Wege aus der
Ertragskrise, Campus

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