Wettbewerb im Retailbanking

Neue Realitäten neue Kunden?

Das Unwohlsein über die Verwerfungen der Finanzkrise ist allgegenwärtig. Das Jonglieren mit immer monströseren Zahlengebilden hat der Mensch zunächst verdutzt, dann verängstigt und schließlich gelassenfatalistisch wahrgenommen. Es übersteigt seine Vorstellungskraft und damit enthebt es sich jeglicher für ihn nachvollziehbaren Realität. Eine Zahl von zehn Nullen reicht nicht mehr aus.13 Nullen sind notwendig um das zu beschreiben, was möglicherweise im Nirwana des Virtuellen entschwindet, in schwarze Löcher abtaucht.

Kulturpessimisten beklagen schon seit geraumer Zeit den Übergang vom Analogen ins Digitale und vom Realen ins Virtuelle mit der Folge, dass in der Wirtschaft die reale Seite der Produktion zunehmend entwertet wird. Zum einen weil die Produkte der Konsum- und Gebrauchsgütermärkte immer weniger durch ihren Grundnutzen und immer stärker durch den psychologischen Nutzen, die unsichtbare Aura der Marke bestimmt und unterscheidbar sind. Nicht die materielle Qualität des Produktes, die Imagery macht den eigentlichen Wert der Marke aus.

Zum anderen ist die reale Seite auch deshalb entwertet, weil sich die Unternehmen grundsätzlich gewandelt haben: von Produzenten, die mit ihren Produkten Geld verdienen, zu Unternehmen, die eine Rendite auf ihr Eigenkapital - und das möglichst kurzfristig - erzielen. Die ironische Notiz, dass zum Beispiel Siemens (unter anderem) kein Industrieunternehmen mehr, sondern eine Bank mit angeschlossener Produktion sei, unterstreicht diese Entwicklung. Gleichermaßen absurd erscheint für viele auch die Tatsache, dass der Gewinn von Porsche im Jahr 2008 deutlich höher als sein Umsatz war.

Gier nach schnellem Geld

Wenn also das sinnliche Versprechen der Marke über das eigentliche Produkt, wenn der Geldkreislauf über die Produktion und wenn das Anlageportfolio über jeden noch so angestammten Unternehmensgegenstand siegt, dann ist es nur konsequent, dass im Zuge dieser "Entmaterialisierung" der Kapitalmarkt über die Realwirtschaft triumphiert.

Die eigentliche Aufgabe des Kapitalmarkts, die Realwirtschaft mit Liquidität und Investitionsmitteln zu versorgen, wurde in den Hintergrund gedrängt zugunsten rasanter Renditeziele, die mit immer gewagteren Finanzmodellen erreicht werden sollen. Dieses neue Denken in den Märkten hat der Amerikaner Thomas Frank in seinem Buch "The Conquest of Cool" eindringlich geschildert. Der größte Ausdruck von Coolness ist, das "schnelle Geld" zu machen. Diese Gier, mit dem Geld in kürzester Zeit sehr viel Geld zu verdienen, reich und noch reicher zu werden, hat allerdings nicht nur die Zunft der virtuosen Finanzjongleure, der Investmentbanker und Börsenmakler erfasst, sondern auch den normalen Menschen erreicht, der auch profitieren will von den grenzenlosen Möglichkeiten dieser "Master of the Universe" wie sie Tom Wolfe in seinem Buch "Fegefeuer der Eitelkeiten" so treffend beschrieben hat und Brian di Palma schon 1986 (! ) kongenial verfilmt hat.

Wenn aber auch der sogenannte Kleinanleger sich den Verheißungen einer schnellen, sagenhaften Rendite - die mit für ihn nicht mehr begreifbaren Finanzkonstruktionen ermöglicht wird - nicht verschließen kann, dann ist erkennbar, dass wir es hier mit einem breiten gesellschaftlichen Phänomen zu tun haben. Wir sind (fast) alle infiziert oder zumindest diejenigen, die sich mittels genügend Liquidität Eintritt in das Casino verschaffen können.

Dies soll als Epilog genügen. Er soll die im folgenden dargestellten überraschenden Ergebnisse verständlicher machen, weil sich vielleicht der Mensch und Kunde bewusst oder unbewusst darüber klar ist, dass die menschliche Eigenschaft der Gier sich keineswegs auf einen winzigen Anteil der Bevölkerung erstreckt - der strafende Finger, die alleinige pauschale Schuldzuweisung an die Bankenmanager deshalb auch nicht angebracht beziehungsweise gerechtfertigt ist. Er soll aber auch der differenzierteren Wertung der empirischen Erkenntnisse dienen, denn vielleicht ist auch die Unvorstellbarkeit dessen, was passiert ist und weiter passiert die paradoxe Erklärung dafür, dass der Kunde das Vertrauen in die Banken bisher nicht grundlegend verloren hat.

Großteil der Bevölkerung ist bisher kaum betroffen

Fast scheint es deshalb so als ob selbst die Finanzkrise für viele nur ein virtuelles Phänomen ist. So hat sich tatsächlich bei zwei Drittel der Kunden das Vertrauen in die Banken nicht verschlechtert (siehe Abbildung 1).

Allerdings ist Differenzierung nötig, denn Bank ist nicht gleich Bank. Bildet man eine Art Vertrauensbilanz und zwar bezogen darauf, bei welchen Kunden welche Institutsgruppen an Vertrauen gewonnen oder verloren haben, ist zunächst erkennbar, dass die Krise auch Gewinner hervorgebracht hat. Die Sparkassen und die Genossenschaftsbanken konnten an Vertrauen gewinnen - bemerkenswerterweise sogar in der Gruppe der Großbankkunden. Deutliche Verlierer sind (waren?) Großbanken, die selbst bei ihrer Klientel kräftig an Vertrauen eingebüßt haben (siehe Abbildung 2).

Die Frage stellt sich zwingend: Ist diese Momentaufnahme aus dem Dezember 2008 auch noch Mitte des Jahres 2009 aktuell? Verschiedene Indizien sprechen zum jetzigen Zeitpunkt für eine gewisse Entspannung beziehungsweise Normalisierung. Nicht zuletzt auch deshalb, weil ein Großteil der Bevölkerung Deutschlands von den ersten Auswirkungen der Finanzkrise nicht unmittelbar betroffen war.

Konsumklima stabil geblieben

So besitzen nach aktuellen Berechnungen des DIW in Berlin nur 20 Prozent der Bundesdeutschen 80 Prozent des Nettogeldvermögens. Dagegen hat die große Mehrheit, das heißt 60 Prozent, kein oder nur wenig Vermögen beziehungsweise Ersparnisse. Die daraus resultierende Erkenntnis ist trivial: Wer nichts hat, hat auch nichts zu verlieren. Tatsächlich ist offenbar die in den Medien hausierende Krise für den Einzelnen dann nicht real, wenn sie ihn zunächst gar nicht tangieren kann. Die Stimmung in den Einkaufsstraßen, Biergärten und Fußballstadien scheint dies zu bestätigen. Das Konsumklima ist erstaunlich stabil geblieben. Die Finanzkrise hat zumindest im ersten Quartal 2009 den privaten Verbrauch nicht beeinträchtigt. Auch die direkte Frage, wie sehr man persönlich von der Finanzkrise betroffen ist, vermittelt ein ähnliches Bild. Zwei Drittel der Bundesdeutschen brachten im Februar 2009 zum Ausdruck, dass sie die Finanzkrise überhaupt nicht spüren. Lediglich drei Prozent gaben an (beziehungsweise zu), die Krise habe sie bisher viel Geld gekostet (siehe Abbildung 3).

Wenn dem tatsächlich so ist, so kann auch die Frage, wie sehr die Krise das Finanzverhalten der Kunden verändert hat nichts richtig Spektakuläres erbringen. Von der großen Mehrheit ihrer Kunden haben die Banken offenbar nichts zu befürchten. Lediglich 15 Prozent realisieren (oder planen auch nur) eine "Bestrafung" ihrer Bank in der Form, dass sie einen Wechsel der Bankverbindung in Betracht ziehen oder zumindest die Einschränkung in der Zusammenarbeit beabsichtigen (siehe Abbildung 4).

Wiederum erscheinen vornehmlich die Sparkassen diejenigen zu sein, die zumindest kurzfristig von der Krise profitieren konnten. Ob das Ganze aber lediglich ein Meinungstrend ist oder eine sich bereits im Markt manifestierende Verhaltensänderung, die den Kunden als kritischen, emanzipierten und zunehmend fordernden Finanzkäufer ausweist, muss gegenwärtig noch offen bleiben.

Radikale Brüche im Kundenverhalten kaum zu erwarten

"Man muss die Menschen nicht nach ihren Meinungen beurteilen, sondern nach dem, was die Meinungen aus ihnen machen! " sagte schon Johann Christoph Lichtenberg. Alles deutet dementsprechend darauf hin, dass radikale Brüche im Kundenverhalten nicht zu erwarten sind. Immerhin werden unter dem Eindruck der Krise die Erwartungen an die Banken konkreter formuliert.

Wie TNS Infratest ebenfalls im Februar 2009 herausgefunden hatte, geben immerhin 40 Prozent der Kunden an, dass sie von den Banken Schritte erwarten, um das Vertrauen wieder zurückzugewinnen, und dass sie Lösungen anbieten, die helfen die Finanzlage der Kunden in der Krise zu managen. Wichtiger erscheint aber die Forderung von zirka einem Drittel der Kunden, dass sie eine aktive Kontaktaufnahme seitens ihrer Bank erwarten und sich nicht die altbekannte Regel wiederholt, dass der Kunde zu seiner Bank kommen muss, wenn er etwas von ihr will.1)

Ob die Banken allerdings in der Lage sind, dieser Forderung oder zumindest diesem Wunsch zu entsprechen, muss offen bleiben. Aktuelle Analysen signalisieren gegenwärtig noch nicht, dass sich das aktive Bemühen der Banken - jenseits des bloßen Verkaufens von Finanzprodukten - um eine tiefer gehende Lösung der Finanzprobleme ihrer Kunden, grundlegend gewandelt hat.

"Man geht es schlecht, mir geht es gut"

Bis zum jetzigen Zeitpunkt scheinen die Verwerfungen der Finanzmarktkrise also keine gravierenden Veränderungen im Kundenverhalten hervorgerufen zu haben. Ohne hier spekulieren zu wollen kann man aber trotzdem nicht davon ausgehen, dass sich die Angelegenheit für die Banken damit erledigt hat. Noch sind die Auswirkungen der Finanzkrise auf die Realwirtschaft nicht beim normalen Verbraucher angekommen. Wie schon an anderer Stelle erwähnt, ist die Konsumentenstimmung weiterhin verhältnismäßig gut.

Da der private Verbrauch zirka zwei Drittel des Bruttoinlandprodukts (BIP) ausmacht, soll deshalb auf die möglichen Auswirkungen von Entwicklungen hingewiesen werden, die sich aus dem Consumer Confidence Index der EU-Kommission in Brüssel ergeben. Zunächst erscheint es überraschend und gleichermaßen beruhigend, dass die Bundesbürger davon ausgehen, dass sich die finanzielle Lage ihres Haushaltes in den nächsten zwölf Monaten nicht verschlechtern wird (siehe Abbildung 5). Im krassen Gegensatz steht dazu jedoch die Einschätzung über die Entwicklung der konjunkturellen Lage in Deutschland für die nächsten zwölf Monate. So ist bereits seit Juli 2008 erkennbar, dass die Einschätzung der eigenen finanziellen Lage und die Einschätzung über die Entwicklung der Konjunktur drastisch auseinanderdriften. Noch reagieren die Bundesbürger relativ lapidar nach dem Motto "Man geht es schlecht, mir geht es gut".

Auch hier stellen wir wieder ein paradoxes Verhalten des Kunden fest. Wie kann er erwarten, dass er sich bei einer dramatisch verschlechternden Konjunktur von dieser Entwicklung weitgehend unberührt bleibt?

Gilt hier das sarkastische Motto, dass der Mensch nur dann überleben kann, indem er verdrängt? Eigentlich muss man dem Verbraucher ein gutes Gespür beziehungsweise Ahnungsvermögen über die Auswirkung von Krisen konzedieren, denn in der Regel hat zumindest mit einer Zeitverzögerung eine schlechte konjunkturelle Entwicklung auch konkrete, negative Auswirkungen auf sein Portemonnaie.

Das absurde Szenario lässt bisher keine konkreten Ableitungen zu

Wie kann es sein, dass er für sich persönlich keine Konsequenzen sieht? Offenbar nur deshalb, weil das Irreale, geradezu Absurde an den in den Medien verbreiteten Schreckensszenarien keine konkreten Ableitungen für seine persönliche Situation zulässt. Der Mensch schottet sich ab und schließt die Augen vor dem Unbegreiflichen.

Dass das auf Dauer nicht gut gehen kann, wird jedem klar. Noch hofft der Verbraucher, dass die am Horizont erscheinenden dunklen Wolken an ihm vorüberziehen werden. Ob er es aber auch wirklich glaubt? Zumindest erkennt er, dass eine Auswirkung der Krise ganz real sein wird: Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in den nächsten zwölf Monaten. Auch hier konstatieren wir wieder ein totales Auseinanderlaufen der jeweiligen Einschätzungskurven (siehe Abbildung 6).

Seit Juli 2008 und insbesondere seit der Jahreswende 2008/09 haben sich die Erwartungen über die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Deutschland für die nächsten zwölf Monate dramatisch verschlechtert. Die Hoffung "Heiliger St. Florian verschon' mein Haus zünd' andere an" wird sich nicht erfüllen. Nach allen aktuellen Prognosen wird die Finanzkrise den Arbeitsmarkt spätestens im Sommer erreichen. Der starke Rückgang der offenen Stellen im Frühjahr dieses Jahres ist ein erstes Indiz dafür. Spätestens dann ist damit zu rechnen, dass die Differenzierung zwischen man und ich nicht mehr funktionieren wird. Spätestens dann wird sich auch das Konsumklima verschlechtern. Spätestens dann wird sich auch der Finanzstatus der privaten Haushalte verändern. Allerdings mit welchen Auswirkungen für die Finanzwirtschaft? Was wird zuerst in Mitleidenschaft gezogen: die Konsumquote oder die Sparquote? Die Beantwortung der Frage muss offen bleiben. In der Vergangenheit war es häufig so, dass die Befürchtungen über den Verlust des Arbeitsplatzes und damit von Einkommen zulasten der Konsumquote gingen.

Das Gewitter ist noch nicht vorbei

Was nicht offen bleibt, ist dagegen die Beantwortung der Frage, ob die Finanzkrise den Banken auch einen neuen Kundentypus beschert hat beziehungsweise bescheren wird. Die Antwort lautet: eher nein. Die Kunden haben weitgehend gelassen reagiert. Nur ein kleiner Anteil spürt die Auswirkungen der Krise schmerzhaft. So beabsichtigt auch nur jeder siebte Kunde, die Bank zu wechseln beziehungsweise die Zusammenarbeit mit seiner Hauptbank einzuschränken. Die Banken könnten dagegenhalten, wenn sie die Chance der Offensive ergreifen. Die Kunden fordern geradezu die aktive Kontaktaufnahme und Beratungsangebote.

Das Gewitter ist allerdings noch nicht vorbei: Sollten sich die Auswirkungen auf die Realwirtschaft wie befürchtet verschärfen, wird die Schuldzuweisung an der Finanzkrise ähnlich wie in Großbritannien und Frankreich mit möglicherweise härteren Konsequenzen für die Banken erneut hinterfragt werden. Oder ist im Sommer bereits wieder vergessen oder auch verdrängt, wer der eigentliche Verursacher der Finanzkrise war?

Der Beitrag basiert auf einem Vortrag des Autors beim Privatkundenforum 2009.

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