Finanzplatz Frankfurt - ein Blick ins finanzwirtschaftliche Getriebe unserer Volkswirtschaft

Michael Boddenberg, Foto: Annika List

Wir leben in sehr disruptiven Zeiten mit großen Herausforderungen gleich an mehreren Fronten. Das stellt Unternehmen vor große Herausforderungen und bringt auch einen großen Investitionsbedarf mit sich. Laut dem hessischen Finanzminister brauchen die Unternehmen daher noch mehr als zuvor die Finanzwirtschaft als verlässlichen Partner. Dafür spiele auch der Finanzstandort Frankfurt eine große Rolle. Damit dieser und das Finanzsystem als Ganzes gestärkt werden und ihrer Funktion nachkommen können, sieht Boddenberg in einigen Bereichen politischen Handelsbedarf. Zur Sicherung der Finanzstabilität müsste das Euro-Clearing viel stärker innerhalb der EU abgewickelt werden und nicht wie bislang in erster Linie durch britische CCPs. Zudem fordert der Minister, dezentrale Strukturen zu stärken. Er plädiert daher dafür, regionale Banken so zu regulieren und zu beaufsichtigen, dass sie noch Raum haben, ihre Stärken auszuspielen. Dazu sei ein neuer Regulierungsansatz auf EU-Ebene notwendig. (Red.)

Wir leben in einer Zeit des Umbruchs. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, Corona oder der Klimawandel beeinflussen Gesellschaft und Wirtschaft enorm. Egal ob es um Rohstoffe, Lieferketten, Absatzmärkte oder um die Energieversorgung geht, diese globalen Entwicklungen verlangen den Unternehmen kurzfristig ein hohes Maß an Flexibilität ab. Mittel- bis langfristig müssen sie sich auch strategisch zu diesen Entwicklungen aufstellen. Große Investitionsherausforderungen bringen auch die digitale und die grüne Transformation mit sich.

Mehr denn je benötigen Unternehmen daher die Finanzwirtschaft als kraftvolle und verlässliche Partnerin. Ein starker und international etablierter Finanzstandort ist gerade angesichts dieser wirtschaftlichen Ausgangslage von großer Bedeutung.

Der Beitrag wird sich im folgenden drei Fragen widmen: Wo steht der führende deutsche Finanzplatz Frankfurt aktuell? Welche Aufgaben erfüllt dieser Finanzplatz für unsere Volkswirtschaft bei den genannten Herausforderungen? Und wie können wir das deutsche Finanzzentrum bei der Erfüllung dieser Funktionen stärken?

Frankfurt - ein reifes Finanzplatzökosystem

Klassisch wird Frankfurt als Bankenstandort wahrgenommen. Von den Top Ten der größten Banken Deutschlands haben sieben ihren Sitz in Frankfurt, was einem Anteil an der aggregierten Bilanzsumme von 80 Prozent entspricht. Für internationale Banken gilt Frankfurt spätestens seit dem Brexit als "place to be" in der Europäischen Union.

Frankfurt ist zudem ein ausgewiesener Börsenstandort. Mit der Deutsche Börse AG wird ein umfassendes Spektrum von Dienstleistungen in der gesamten Prozesskette von Finanzmarkttransaktionen angeboten.

Die Mainmetropole ist auch der Finanzaufsichtsstandort Nummer eins der Europäischen Union: Mit der SSM-Aufsicht der Europäischen Zentralbank (EZB), der europäischen Versicherungsaufsicht EIOPA, dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB), der Bundesbank und der BaFin beherbergt der Finanzplatz zentrale Institutionen.

Frankfurt bietet in der Fondswirtschaft ein ausgewogenes Dienstleistungsangebot und ist sozusagen ein "Allrounder". Eine ideale Struktur, um das größte Fondsvermögen von Anlegern in der EU mit Dienstleistungen zu bedienen. Der finanzwirtschaftliche Standort wird durch ein breites Angebot namhafter Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Beratungsunternehmen und Rechtsanwaltskanzleien ergänzt.

Wissenschaftlich begleitet wird die Finanzbranche unter anderem durch das Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE, das Center for Financial Studies, die Frankfurt School of Finance & Management oder das European Banking Institute. Sie bilden gleichzeitig eine Art Talent-Pool direkt am Finanzplatz. Nach dem Global Financial Centres Index gehört Frankfurt zu den Top-20-Finanzplätzen der Welt und ist auch das zentrale Finanz-Ökosystem Deutschlands.

Vorzüge der Dezentralität

Als solches erfüllt der Finanzplatz Frankfurt zentrale Funktionen für unsere gesamte Volkswirtschaft - auch bei den großen Herausforderungen unserer Zeit. Diese Funktionen können in zwei wesentlichen Dimensionen, nach innen und nach außen, aufgezeigt werden.

Innere Dimension - Finanzplatz und dezentrale Finanzwirtschaft: Deutschlands Wirtschaftsstruktur ist dezentral organisiert und der Staat folgt einem föderalen Leitbild. Im internationalen Vergleich ist das nicht selbstverständlich. Frankreich ist zum Vergleich zentral organisiert. Dort ist Paris das starke Zentrum, das sich von anderen Regionen des Landes deutlich abhebt. Unsere Wirtschaft basiert auf starken, mittelständisch geprägten Unternehmen in der gesamten Fläche. Diese Strukturen sind der Garant für wirtschaftlichen Erfolg und Wohlstand in ganz Deutschland.

Dank dieser dezentralen Strukturen sind auch die Banken aller drei Säulen - als traditionelle Unternehmensfinanzierer - in der Fläche präsent. Denn die Stärken der Dezentralität sind unbestritten: Nah am Kunden zu sein bedeutet, die regionalen Gegebenheiten und Märkte zu kennen, eine langfristige Finanzierungsbeziehung zu pflegen und flexibel auf neue Umstände mit dem Kunden reagieren zu können. Das sind die Säulen eines qualitativ hochwertigen Finanzierungszugangs. Diese gleichmäßige Verteilung der Bankdienstleistung in der Fläche ist aber nur die halbe Wahrheit. Für sich genommen sind die regionalen Strukturen nicht in der Lage, den vielfältigen Bedarf der Unternehmen hinreichend zu befriedigen. Es braucht zusätzlich die beschriebenen zentralen Strukturen am Finanzplatz Frankfurt.

Das Finanzzentrum und die dezentrale Finanzwirtschaft ergänzen sich somit gegenseitig. Das gilt zum einen für die großen Banken, deren Filialgeschäfte aus ihren Frankfurter Zentralen konzeptioniert, gesteuert und gebündelt werden. Zum anderen vervollständigen die Verbundinstitute über ihre zentralen Spitzeninstitute das Geschäft ihrer Primärbanken in den Regionen. So gelingt es ihnen zum Beispiel, vor Ort anfallende Einlagenüberhänge anderweitig zu investieren, Kapitalmarktgeschäft zu organisieren oder regionale Banken durch Entlastung von Kreditrisiken wieder Spielraum für die Kreditvergabe vor Ort zu verschaffen.

Hinzu kommt, dass international ausgerichtete Banken über das entsprechende Know-how verfügen, die internationalen Kooperationen und hinreichenden Kapazitäten, um der Rolle als Partner der hochentwickelten Realwirtschaft auf globalen Märkten gerecht zu werden. Gerade angesichts der eingangs geschilderten wirtschaftlichen Situation ist dies von hoher Wichtigkeit: Unternehmen, die ihre Lieferketten mit ihren Partnern weltweit diversifizieren oder neue Absatzmärkte erschließen wollen, benötigen eine professionelle finanzwirtschaftliche Begleitung.

Große internationale Bedeutung

Der Finanzplatz Frankfurt ist gemeinsam mit den dezentralen Strukturen das Tor zur globalen Finanzwelt für unsere Unternehmen. Aber er wirkt auch in umgekehrter Richtung.

Äußere Dimension - Finanzplatz als finanzwirtschaftliches Tor nach Deutschland und in die EU: Wir sehen den Finanzplatz mit dem Blick internationaler Investoren und Finanzintermediäre. Aus ihrer Sicht hat der Finanzplatz Frankfurt eine Scharnierfunktion.

Internationale Banken begleiten ihre ausländischen Unternehmenskundinnen und -kunden mit ihren Frankfurter Einheiten auf den deutschen Markt. Aufgrund der großen Kauf- und Wirtschaftskraft Deutschlands ist dies ein wichtiges Angebot für ausländische Unternehmen.

Wegen des EU-Bankenbinnenmarktes agiert Frankfurt vielfach auch als EU-Hub: Mit einer deutschen Lizenz können sämtliche Märkte in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union bedient werden. Dafür sorgen die Passport-Rechte. Das ist auch die Grundlage dafür, dass der Finanzplatz der Brexit-Gewinner im Bereich Banking ist. Dem deutschen Finanzzentrum kommt dabei zugute, dass die starken und international orientierten deutschen Unternehmen attraktive Kunden für international agierende Kreditinstitute sind - und das trotz des ausgeprägten Wettbewerbs.

Der Finanzplatz am Main bietet ausländischen Investoren die notwendige Kapitalmarkt-Infrastruktur für Allokationsentscheidungen in Deutschland. Allen voran die Deutsche Börse AG. Sie hält mit ihrem umfassenden Angebot einen idealen Marktplatz vor, an dem Emittenten, Investoren und Intermediäre zusammenkommen können.

In seiner Rolle als Allrounder unter den Fondsstandorten ist vor allem die Asset Allocation auf dem deutschen Markt von volkswirtschaftlicher Relevanz. Hierzu tragen insbesondere Spezialfonds bei, für die die deutsche Fondsindustrie seit jeher bekannt ist. Aktuell machen diese auf institutionelle Anleger ausgerichteten Produkte mehr als die Hälfte des deutschen Fondsvermögens aus.

Zusammenfassend: In beiden Dimensionen entsteht somit das Gesamtbild Frankfurts als etablierter, sehr gut aufgestellter internationaler Finanzplatz auf Topniveau, der wichtige Funktionen für unsere Volkswirtschaft erfüllt - sowohl als Tor Deutschlands zu globalen Finanzmärkten und umgekehrt.

Erforderliche Maßnahmen zur Stärkung des Finanzplatzes

Eines ist jedoch gewiss: Frankfurt steht in einem harten globalen wie innereuropäischen Wettbewerb mit anderen Finanzplätzen. Diese Wettbewerbssituation führt somit zur dritten Fragestellung: Wie kann der Finanzplatz Frankfurt in seinen wichtigen Funktionen gestärkt werden? Hier gibt es fünf Handlungsbereiche, in denen die deutsche und europäische Politik die richtigen Rahmenbedingungen setzen sollte.

1. Sicherung der Finanzstabilität: Finanzstabilität ist die Grundvoraussetzung für eine funktionierende Finanzwirtschaft und damit für den Finanzierungszugang der Realwirtschaft. Für stabile Rahmenbedingungen in der EU zu sorgen, muss daher höchste Priorität besitzen.

Richtigerweise hat man hierzu nach der Finanzkrise weltweit zentrale Gegenparteien (CCPs) eingerichtet, die für eine ordnungsgemäße Abwicklung von Derivategeschäften sorgen. Allerdings wohnt diesen CCPs als systemrelevanten Infrastrukturen selbst ein erhebliches Risiko für die Finanzstabilität inne. Hier gibt es Nachholbedarf: Das Euro-Clearing über CCPs muss in einem viel stärkeren Umfang als heute innerhalb der EU stattfinden. Auch die EU-Kommission hat die zu große Abhängigkeit der EU von UK-CCPs erkannt und will diese signifikant verringern. Es muss verhindert werden, dass die EU in drei Jahren, wenn die zeitlich befristeten Lizenzen für Londoner CCPs auslaufen, nicht wieder vor dem Dilemma steht, bei einem Schnellschuss Marktverwerfungen zu erzeugen. Daher sollte schnell ein kraftvolles Paket mit aufsichtlichen und regulatorischen Maßnahmen zur Vertiefung der Clearingmärkte in der EU auf den Weg gebracht werden.

Euro-Clearing in die EU

Es spricht viel dafür, dabei einen "Significantly Active Second Clearing Account" als Kernelement vorzusehen. So wären Clearingpflichtige gezwungen, neben einem Zugang zu Drittstaaten-CCPs bei einem EU-CCP einen weiteren Zugang vorzuhalten und aktiv zu nutzen. Dies würde ihnen Ausweichmöglichkeiten im Krisenfall bieten. Positiver Nebeneffekt für die Mainmetropole: Die Stärkung des Euro-Clearings in der EU käme auch dem Finanzplatz Frankfurt zugute. Die Börsentochter Eurex hat als führender CCP in der EU das Potenzial, die Volumina aus London aufzunehmen. Sie könnte damit auch als "Magnet" für weitere, mit dem Clearing zusammenhängende Geschäfte fungieren.

2. Faire und wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen: Weitere Grundvoraussetzung für einen international aufgestellten Finanzplatz sind faire und wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen. Gerade das EU-Wertpapierregime wird diesem Maßstab sowohl in innereuropäischer wie globaler Hinsicht derzeit nicht mehr gerecht. An der Verlagerung von Kapitalmarktgeschäft weg aus der EU zu den Börsen- und Handelsplätzen anderer Finanzzentren ist die EU-Regulierung zumindest nicht ganz unschuldig. Bei Emissionen und Wertpapier-Orders stellen die im internationalen Vergleich hohen regulatorischen EU-Anforderungen mittlerweile negative Standortfaktoren dar. Auch in UK arbeitet man bereits an einem Review des noch auf dem MiFID/MiFIR-Regime basierenden Rechtsrahmens. Ohne in ein Race-to-the-bottom einzutreten, sollten diese wettbewerbliche Perspektive stärker als bisher in den Blick genommen werden.

Im Wettbewerb der EU-Handels- und Ausführungsplätze untereinander ist seit Einführung von MiFID und später MiFIR ein Ungleichgewicht zwischen vollständig transparenten Börsen und den immer stärker genutzten, intransparenten alternativen Handels- und Ausführungsplätzen entstanden. Die EU-Kommission hat erkannt, dass die Wertpapiermärkte der Europäischen Union viel zu stark fragmentiert sind und will nun mit dem MiFIR-Review gegensteuern. Dabei setzt sie auf mehr Nachhandelstransparenz nach dem Motto: Wenn die Daten aller Handelsplätze in einem Consolidated Tape für alle transparent sind, ist die Fragmentierung kein Nachteil für die Kunden. Es geht der EU-Kommission also um die Stärkung der Marktmechanismen wie insbesondere der Preisfindung.

National bedingte Standortnachteile beseitigen

Dieser Angang ist grundsätzlich richtig, allerding ist bei der konkreten Ausgestaltung noch Bedarf für Nachbesserungen. Zunächst muss sich die Datenqualität im Consolidated Tape für alle Marktplätze an den von den Börsen schon heute gelieferten Standards messen. Zudem geben Börsen aktuell bereits um 15 Minuten verzögerte Handelsdaten kostenfrei an den Markt. Das schafft Transparenz und Vertrauen bei den Anlegerinnen und Anlegern. Dieses "Rezept des Vertrauens" in Kapitalmärkte sollte die Europäische Union mit dem Consolidated Tape ausbauen. Dabei bliebe den Börsen auch das Echtzeitdatengeschäft erhalten. Daneben sollten Ausnahmen für alternative Handels- und Ausführungsplätze bei der Vorhandelstransparenz (sogenannte Waiver) auf ein absolutes Mindestmaß reduziert werden.

Darüber hinaus sollten in der ohnehin angespannten Wettbewerbssituation unter den EU-Finanzplätzen Standortnachteile angegangen werden, die allein auf nationalem Recht beruhen. Handlungsbedarf gibt es etwa bei der Umsatzsteuerbelastung von Konsortialführungsleistungen eines Kreditinstituts. Hier ist Deutschland mit der aktuellen steuerlichen Regelung im EU-Konzert weitestgehend isoliert.

Es kann ein Standortvorteil sein, wenn man Marktentwicklungen durch Regulierung proaktiv begleitet. Aber dort, wo die EU international regulatorisch voranschreiten will, muss Deutschland darauf achten, dass neue Regeln sich auch international durchsetzen können. Relevant ist hier vor allem die Nachhaltigkeitsregulierung. In diesem Bereich setzt sich die Europäische Union an die Spitze der Bewegung. Dieses Projekt wird nur unter zwei Bedingungen Erfolg haben:

Erstens: Die Europäische Union muss international anschlussfähige Rahmenbedingungen definieren. Insbesondere die EU-Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung sollten friktionsfrei auf den globalen Basisstandards aufsetzen, die derzeit vom International Sustainability Standards Board (ISSB) entwickelt werden. Nicht kompatible Standards würden nämlich zu Wettbewerbsnachteilen für unsere Unternehmen führen.

Zweitens: Die regulatorische Vorreiterrolle der Europäischen Union sollte die heimischen Unternehmen letztlich stärken. Nur starke Unternehmen werden in der Lage sein, sich in internationalen Geschäftsbeziehungen durchzusetzen. In der EU-Lieferkettenrichtlinie ist die EU-Kommission derzeit aber dabei, für unsere Unternehmen unbeherrschbare Haftungsrisiken zu schaffen. Diese Risiken könnten beispielsweise schlechtere Finanzierungsbedingungen bedeuten. Das könnte unsere Unternehmen schwächen.

3. Erfolgsmodell von dezentralen Strukturen und Finanzplatz stärken: Es ist wichtig, dass sich das gemeinsame Erfolgsmodell aus dezentraler Finanzwirtschaft und Finanzplatz Frankfurt auch in Zukunft behaupten kann. Da die dezentralen Strukturen als wichtige Zubringer für unser Finanzzentrum auftreten, gilt: Wer die dezentralen Strukturen stärkt, der stärkt auch das Finanzzentrum Frankfurt. Daher plädiere ich seit Längerem dafür, die regionalen Banken so zu regulieren und zu beaufsichtigen, dass ihnen der Raum bleibt um ihre Stärken - hohe Flexibilität, flache Hierarchien, hohes Erfahrungswissen um die Situation vor Ort - ausspielen zu können. Dies wird nur funktionieren, wenn auf EU-Ebene ein neuer Regulierungsansatz gefunden wird. Notwendig ist eine wirklich proportionale Regulierung abseits des bisherigen Single-Rulebook.

4. Innovatives Umfeld schaffen: Um weiterhin mit den weltweit führenden Wirtschaftsstandorten auf Augenhöhe konkurrieren zu können, ist es unabdingbar, ein innovatives Umfeld zu fördern. Doch gerade hier bleibt festzustellen, dass Unternehmen nach erfolgreicher Seed-Funding-Phase für den Börsengang Deutschland verlassen. Wie kann man die vorhandenen Finanzierungslücken im vorbörslichen und börslichen Bereich beheben?

Hier gibt es nicht eine einzelne entscheidende Maßnahme. Vielmehr liegt das Erfolgsrezept im Zusammenspiel verschiedener Faktoren, die sich in ihrer Wirkung gegenseitig bedingen und verstärken: Zunächst braucht es - wie bereits in diesem Beitrag thematisiert - einen international wettbewerbsfähigen Rechtsrahmen. Hier sollte insbesondere an eine Flexibilisierung und Digitalisierung des Gesellschaftsrechts (wie die Einführung von Dual-Class-Shares und die Erweiterung des Gesetzes für elektronische Wertpapiere auf Kryptoaktien) gedacht werden. Weiterhin sind Investoren mit ausreichend großen Kapitalvolumina notwendig. Ein ebenso wichtiger Punkt ist "Know-how" in den verschiedenen Branchen, es braucht also zum Beispiel Analysten und Research-Expertise. Nicht zuletzt muss aber auch die Standortattraktivität für (ausländische) Talente insgesamt gefördert werden, um zu "Startup Schmieden" wie dem Silicon Valley aufschließen zu können. Im Sinne dieses Innovationsstandorts sind staatliche und private Seite gefordert.

5. Ökosystem erweitern und sichtbar machen: Das Ökosystem Finanzplatz Frankfurt ist ein Alleinstellungsmerkmal im internationalen Standortwettbewerb. Meine Erfahrung aus dem Bewerbungsprozess um den Sitz des ISSB ist: Dort, wo wir dieses einzigartige Ökosystem fruchtbar machen und nach außen kommunizieren, führt dies zum Erfolg für den Finanzplatz. Die deutsche ISSB-Bewerbung wurde in einer bemerkenswert breiten Allianz öffentlicher Akteure aller staatlichen Ebenen sowie mit Unterstützung in der gesamten Bandbreite der deutschen Real- und Finanzwirtschaft vorangetrieben, mit Erfolg. Hieraus sollten wir für die Zukunft lernen.

Breite Allianz verspricht Erfolg

Aktuell laufen nun die Vorbereitungen für eine Bewerbung mit dem Standort Frankfurt um den Sitz der neuen EU-Behörde für die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung AMLA. Ich bin überzeugt: Die AMLA könnte vom Frankfurter Ökosystem erheblich profitieren. Die Nähe zu EU-Finanzaufsichtsbehörden mit Erfahrungen im Bereich direkter und indirekter Aufsicht, eine hohe finanzwirtschaftliche und -wissenschaftliche Expertise, ein nachhaltiges und innovatives Umfeld, eine optimale Verkehrsanbindung sowie ein hohes Maß an Lebensqualität für die künftigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und deren Familien in einem internationalen Umfeld machen Frankfurt zum idealen Standort für die AMLA.

Neben den genannten Handlungsfeldern gibt es sicherlich viele weitere. Wesentlich ist: Der Finanzplatz Frankfurt ist die zentrale Finanzinfrastruktur Deutschlands. Uns muss es daher gelingen, ihn stetig und kraftvoll als Ökosystem fortzuentwickeln, sodass er auch weiterhin dem Wohle unserer gesamten Volkswirtschaft dienen kann. Befähigen wir ihn dazu!

Michael Boddenberg , Finanzminister des Landes Hessen , Finanzministerium des Landes Hessen, Wiesbaden
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