EU-Haushalt nach 2020: Neue politische Prioritäten

Günther H. Oettinger Foto: EU-Kommission

Der EU-Haushalt 2021 bis 2027 wird vor dem Hintergrund des Brexit beschlossen. Mit diesem Hinweis wird ein Dilemma deutlich. Einerseits musste die EU-Kommission mit dem Anfang Mai vor - ge legten Vorschlag mit der Finanzierungslücke zurechtkommen, die durch den Austritt des Vereinigten Königreiches aus der EU entsteht. Andererseits will der Autor möglichst gut der Modernisierung aktueller Programme und neuer Prioritäten wie Innovation, Jugendmobilität, Migration und Verteidigung gerecht werden. Vor diesem Hintergrund hält er die vorgeschlagene Erhöhung von 1,0 Prozent auf 1,11 Prozent des Bruttonationaleinkommens für angebracht. Den Mitgliedsstaaten und dem EU-Parlament legt er eine zügige Entscheidung nahe, um den nationalen und regionalen Behörden die rechtliche und finanzielle Sicherheit und Zeit zu geben, die Durchführung der neuen Programme vorzubereiten. (Red.)

Europa steht vor großen Herausforderungen: Verlust der eigenen wirtschaftlichen Bedeutung, Konflikte in vielen Teilen der Welt, Migration, Langzeitarbeitslosigkeit, Digitalisierung. Einige dieser Entwicklungen sind unumkehrbar, wiederum andere lassen sich zum Glück positiv beeinflussen. Der EU-Haushalt setzt genau dort ein, es geht darum, auf die großen Herausforderungen unserer Zeit effektiv und im Sinne Europas reagieren zu können.

Vor dem Hintergrund des Brexit

Die EU entscheidet alle sieben Jahre über ihre zukünftigen Finanzen. Der nächste mehrjährige Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027 wird vor dem Hintergrund des Brexit beschlossen. Mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU verlieren wir einen wichtigen Beitragszahler. Deshalb mussten wir in dem neuen Haushaltsvorschlag, den die EU-Kommission An fang Mai vorgelegt hat, sowohl der Finanzierungslücke infolge des Brexit als auch der Modernisierung aktueller Programme und neuen Prioritäten wie Innovation, Jugendmobilität, Migration und Verteidigung Rechnung tragen. Konkret haben wir 1135 Milliarden Euro oder 1,11 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) der EU-27 vorgeschlagen. Das ist eine sehr moderate Erhöhung zum jetzigen Haushaltsrahmen von 1,0 Prozent des BNE.

Wir schlagen vor, die Mittel für Forschung, Jugend (Erasmus+), Umwelt, Außengrenzschutz, Verteidigung und Außenpolitik deutlich zu erhöhen. Traditionelle Poltikbereiche sollen dagegen leicht gekürzt werden. Die Finanzmittel für die Gemeinsame Agrarpolitik und die Kohäsionspolitik sollen moderat um jeweils zirka 5 Prozent beziehungsweise 6 Prozent gekürzt werden, um den neuen Gegebenheiten in einer Union mit 27 Mitgliedern Rechnung zu tragen. In diesen Politikfeldern wird es Modernisierungen geben, damit sich mit geringerem Ressourceneinsatz immer noch gute Ergebnisse erzielen und sogar neue Prioritäten verwirklichen lassen. Die Kohäsionspolitik wird zum Beispiel eine wichtigere Rolle bei der Förderung von Strukturreformen und der langfristigen Integration von Migranten spielen.

Mobilisierung privater Investitionen in ganz Europa

Die Wirkung des EU-Haushalts hängt jedoch nicht nur vom Umfang der Programme ab, sondern auch von dessen Umsetzung. Europäischer Mehrwert, Vereinfachungen und ein Fokus auf Resultate sind die Schlüsselelemente eines modernen und wirksamen Haushalts. Die Ausgabenprogramme Europas müssen dafür sorgen, dass jeder Euro möglichst effizient eingesetzt wird und die Ergebnisse vor Ort nicht lange auf sich warten lassen.

Eine Voraussetzung dafür ist, dass Garantien, Darlehen und Finanzierungsinstrumente optimal genutzt werden. Sie spielen eine Schlüsselrolle bei der Mobilisierung privater Investitionen in ganz Europa und tragen damit ganz wesentlich dazu bei, mit weniger mehr zu erreichen.

Spielraum für Rationalisierung und Effizienzsteigerung

Für Deutschland wurden bis April 2018 aus dem Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI) insgesamt 5,2 Milliarden Euro bereitgestellt, die 22 Milliarden Euro an Folgeinvestitionen mobilisieren sollen. Damit diese Instrumente erfolgreich eingesetzt werden können, bedarf es einer klaren Strategie und eines strafferen Konzepts.

Derzeit ist die Lage bei den marktbasierten Instrumenten in der EU mit fast 40 Finanzierungsinstrumenten, drei Haushaltsgarantien und Garantiefonds, die zentral verwaltet werden, und einem Anteil von rund 4 Prozent des aktuellen mehrjährigen Haushalts allerdings recht unübersichtlich. Allein im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen werden sieben Finanzierungsinstrumente zentral verwaltet sowie mehrere Hundert in geteilter Mittelverwaltung. Hier besteht eindeutig noch Spielraum für Rationalisierung und Effizienzsteigerung.

Eine Möglichkeit, die Instrumente zur Förderung von Investitionen in der EU effizienter und wirksamer zu machen, besteht darin, sie in einem einzigen Investitionsförderinstrument zusammenzufassen. Dieser neue Ansatz würde Überschneidungen und Verwaltungsaufwand für Begünstigte und Behörden verringern und dadurch den Zugang zu Finanzmitteln vereinfachen.

Dadurch sind EU-weit positive Auswirkungen auf Investitionsvolumen, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung zu erzielen. Zugleich wird ein Beitrag geleistet, die aktuellen globalen Herausforderungen in Bereichen wie Klimawandel, Wissenschaft, Verkehr, Energie und Weltraumpolitik anzugehen. Dabei kommt - neben der Europäischen Investitionsbank - den nationalen Förderbanken eine entscheidende Rolle zu.

Zügige politische Einigung zwingend notwendig

Es gilt also einiges abzuwägen in Bezug auf die zukünftigen Ambitionen der Investitionstätigkeit in Europa und der anderen mit EU-Mitteln geförderten Aufgabenbereiche. Die Europäische Kommission hat ihren Vorschlag für den nächsten mehrjährigen Haushalt am 2. Mai 2018 vorgelegt. Nun ist es an den Mitgliedsstaaten und dem Europäischen Parlament, sich mit diesen Fragen zu befassen. Sie entscheiden über die Richtung, die die EU in den kommenden Jahren einschlägt, und über die Haushaltsschritte, die dies untermauern.

Dabei ist eine zügige politische Einigung zwingend notwendig. Alle unsere Partner, die Empfänger der EU-Mittel wie auch die nationalen und regionalen Behörden, müssen sich auf uns verlassen können. Sie brauchen rechtliche und finanzielle Sicherheit und Zeit, um die Durchführung der neuen Programme vorzubereiten. Die späte Annahme des derzeitigen Haushalts verzögerte das Anlaufen der aktuellen Programme und damit das Erreichen unserer Förderprioritäten erheblich.

Hohe Opportunitätskosten bei Verzögerungen

Die Opportunitätskosten solcher Verzögerungen sind hoch und haben reale Konsequenzen. So sollen etwa der Brenner-Basistunnel und die Verbindung über den Fehmarnbelt zwischen Dänemark und Deutschland bis zum Ende des nächsten mehrjährigen Haushalts fertiggestellt werden. Bei Projekten dieser Art sind Verzögerungen bei der Planung oder der Auftragsvergabe wegen einer verspäteten Annahme des Haushalts inakzeptabel.

Eine geeinte und starke EU mit 27 Mitgliedsstaaten sollte den nächsten mehrjährigen Haushalt 2019 verabschieden, damit in puncto Fördermittel Planungssicherheit gegeben ist und es nicht zu Unterbrechungen kommt.

Günther H. Oettinger EU-Kommissar für Haushalt und Personal, Brüssel

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