Leitartikel

Zwischen Freiheit und Sicherheit

Das Problem ist - "endlich" sagen die Aufmerksamen - oben angekommen. In den letzten Septembertagen hat der Bundesrat das Gesetz zur Förderung der betrieblichen Altersversorgung bei der verantwortlichen Exekutive und Legislative auf gehörige Weise angemahnt: "... bittet die Bundesregierung sicherzustellen, dass die Versicherten über die Möglichkeiten und Notwendigkeiten der zusätzlichen Alterssicherung umfassend beraten und informiert werden, um somit das Ziel einer ausreichenden Gesamtversorgung zu gewährleisten." Das ist aber nur die allgemeine Begrüßung des Entwurfs. Spannender sind die kommentierten Details. Dazu gehören zuvorderst die Verlängerung der Beitragsfreiheit gegenüber der Sozialversicherung bei Entgeltumwandlungen über 2008 hinaus, die Senkung der Altersgrenze für die Unverfallbarkeit von Betriebsrenten, vor allem jedoch der Hinweis auf alterstaugliche Investmentfonds als Instrument für die jedermann lieben kleinen und mittleren Unternehmen. Denn nur zu viele der KMU sähen bislang "die bestehenden Durchführungswege entweder als zu kostenträchtig oder zu kompliziert an". Das ist zweifellos richtig gewertet.

Die Vielfalt der Interessen bei der Altersvorsorge erscheint nun freilich auch bei grober Vereinfachung bereits von eindrucksvoller Breite. Der gewöhnliche, weil arbeitsame Mensch will in höchst verständlicher Weise vor allem dieses: Sicher muss seine materielle Versorgung im dritten Lebensabschnitt sein, und zwar in doppelter Hinsicht, nämlich sowohl auskömmlich als auch bis zuletzt andauernd. Der fürsorgende und deshalb stets etwas misstrauische Staat glaubt aus gegebenen Erfahrungen aber nicht so recht, dass seine Bürger ihre ebenso gewünschte wie nötige Alterssicherung aus eigener Initiative und Kraft erreichen. Er übt deshalb vorsichtshalber erst einmal Zwang aus. Außerdem fügt er, weil er nicht mehr alles "gesetzlich" einzufordern vermag, in wachsendem Ausmaß fördernde Anreize für zusätzliche Altersassets hinzu.

Solches regt bekanntlich die Anbieter von entsprechenden Anlageformen noch stärker auf als die Alterssparer an. Denn ganz klar: Wem es gelingt, mit seinen Sparbüchern, Versicherungen, Investmentfonds, Immobilien et cetera in die geförderte Altersvorsorge hineinzukommen, der hat zwar nicht ausgesorgt, draußen im Markt, genießt aber eine Zertifizierung, die sich dort als staatliches Gütesiegel verkaufen lässt.

Da trotz aller Konglomeratisierung nur ausnahmsweise alle Alterssicherungen privater Provenienz von einem Finanzunternehmen gleichgewichtig angeboten werden, ist der Markt der Altersvorsorge seit langem vom heftigsten aller Wettbewerbe gekennzeichnet - vom lobbygetragenen Branchenwettbewerb. Das Ziel der Interessenwahrer ist dabei alleweil von praktischer Einfachheit. Es gilt immer, sich "geschlossene Benutzergruppen" wie beispielsweise die Angehörigen einer besonderen Berufsgruppe, wie Verbandsmitglieder oder eben wie ganze Belegschaften mit einem direkten oder indirekten "Tarifabschluss" einzuverleiben. Zu dieser übergreifenden Vergewaltigung kann das wütende Individuum zwar noch ein bisschen "nein" sagen. Aber - es erfährt dann eben mancherlei lästige Umstände und auch materielle Nachteile.

Der baden-württembergische Ministerpräsident Günther H. Oettinger zitiert im Beitrag auf den nächsten Seiten die Statistik: Ende 2006 verfügten rund 65 Prozent aller sozialversicherten Beschäftigten über eine Betriebsrentenanwartschaft auf kollektiver Basis. Und Oettinger lobt die kollektive Strukturierung ausdrücklich. Denn die gebündelte Nachfragemacht von Versorgungswerken, Tarifparteien und Verbänden sorge für ein "überlegenes Preis-Leistungsverhältnis" für die Arbeitnehmer gerade auch in kleinen und mittelständischen Unternehmen. Die Fortschreibung der kapitalgedeckten betrieblichen Altersvorsorge, wie sie der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom August 2007 vorsieht, findet deshalb im Südwesten volle Zustimmung. Aber Oettinger ergänzt, dass eine Ausweitung der derzeit möglichen Durchführungswege auch "auf der Basis von Investmentfonds" (wie etwa Altersvorsorgesondervermögen) zu prüfen sei. Da ist er also wieder im politischen Spiel, der feine Gruppenwettbewerb.

Für die Altersvorsorgesondervermögen, die der Jargon so schön "AS-Fonds" tituliert, könnte es in der aktuellen Be-triebsrenten-Diskussion um ihre Überlebensfähigkeit gehen. Denn, man muss sich erinnern, trotz der dieser Fondsgattung zugestandenen hervorragenden Eignung für eine ebenso qualitative wie sichere Altersvorsorge kam unter der Regierung Kohl und dort unter der Ägide von Friedrich Merz keine steuerliche "Flankierung" hinzu. Nur Haushaltsgründe seien es damals gewesen, wird beschwichtigt. Falls nun jedoch die schon vom Riester-Katalog übergangenen AS-Fonds auch im erweiterten Betriebsrentenbau und/oder der Rürup-Rente keine Berücksichtigung fänden, wäre es um eine deutsche Innovation wohl geschehen.

Die Kapitalmarktstatistik der Bundesbank vom September zählt für die Jahresmitte 2007 noch 32 Altersvorsorgefonds. 2000 waren es 45; 2002, zum Höhepunkt der Erwartungen, gab es sogar insgesamt 49 Fonds. Von da an ging's bergab. Laufend verringert haben sich die entsprechenden Fondsvermögen aber trotzdem dank der fortlaufenden Sparprogramme nur von 2,817 Milliarden im Jahr 2000 auf 1,825 Milliarden Euro 2002. Auf diesem Stand blieben die Anlagen dann in etwa bis heute - auch wenn fast andauernd Mittel abflossen. Denn die Wertentwicklung der Anteile verlief durchaus ordentlich. Die AS-Aktienfonds ("Aktien übergewichtet") erreichten bei einer auf fünf Jahre gerechneten Einmalanlage per 30. Juni 2007 eine Wertsteigerung von 51,2 Prozent, die AS-Mischfonds 47,4 Prozent, die Renten-Immo-Anlagen 37,6 und die "flexiblen" Fonds 58,6 Prozent. Die Jahres-"Renditen" betrugen danach zwischen 6,6 und 9,7 Prozent (siehe Seite 1098). Versäumte Chancen für viele?

Raimond Maurer, an seinem Frankfurter Lehrstuhl mit der Sache eng verbunden, hält die AS-Fonds mit ihrer Begleitung des persönlichen Lebenszyklus durch wechselnde Anlageformen für eine höchst empfehlenswerte Ergänzung der betrieblichen Altersversorgung nach dem Betriebsrentengesetz. Die Fragen der Portabilität, der administrative Aufwand, die Haftungsrisiken, die Karriere- und Lebensalterentwicklung - all das erscheint Maurer in den bisherigen "kollektiven" Betriebsrenten unvollkommen gelöst. Was er fordert, ist stattdessen geförderte Freiheit: "... sollten Arbeitgeber in Absprache mit den Arbeitnehmern die Möglichkeit haben, betriebliche (und natürlich begünstigte! - Red.) Altersvorsorgebeiträge auf individuelle Konten bei Banken und Kapitalanlagegesellschaften einzuzahlen, mit denen zugunsten der Arbeitnehmer Anteile an geeigneten Investmentfonds (gemeint: AS-Fonds - Red.) erworben werden."

Die deutsche Versicherungswirtschaft - für sie schreibt hier der GDV-Präsident - wertet die Rahmenbedingungen für die betriebliche Altersversorgung in der Bundesrepublik schlicht als "hervorragend, auch im internationalen Vergleich". Und mit dem jüngsten Regierungsbeschluss, die Sozialversicherungsfreiheit der Entgeltumwandlung bestehen zu lassen, "ist die letzte große Hürde für einen weiteren Ausbau aus dem Weg geräumt". Auch Bernd Schareck nennt die derzeitige Betriebsrentenzusage für fast zwei Drittel der sozialversicherten Beschäftigten als Beweis für den schnellen Erfolg der kapitalgedeckten betrieblichen Vorsorgesysteme. Damit hat er aus seiner Sicht unbedingt Recht: Die Versicherungsaffinität der Betriebsrente ist eindeutig, die Marktbeherrschung der Assekuranz vor allem durch die vielen von ihr gegründeten Pensionskassen unmissverständlich.

Diese Präferenz der Deutschen (einschließlich der ihrer Gesetzesmacher) für das "Versicherungsprinzip" bei Vorsorgesystemen mag nicht eben selten zulasten von Rendite, Gestaltungsfreiheiten und Mobilität gehen. Aber man darf sich angesichts der aktuellen Kapitalmarktturbulenzen doch wieder einmal vorstellen, wie die Inhaber von "freien" Alterskonten etwa nach Northern Rock-Erfahrungen an den Schaltern stünden - bis die Staatsgarantie kommt. Und obwohl in den Altersvorsorgefonds seit Einführung 1998 das Verlustrisiko von vornherein geschickt begrenzt wird, führt die Forderung nach dem AS-Einbezug in die betriebliche Altersvorsorge aus Sicht der Assekuranz einfach "in die Irre": Zum einen würde dieser dann sechste "Durchführungsweg" die Komplexität der ganzen Sache erhöhen. Zum anderen käme keine weitere Gestaltungskraft hinzu. Mit dem Pensionsfonds der letzten Rentenreformen sei ja schon ein Durchführungsweg gegeben, der die meisten Kapitalmarktchancen eröffne. Mehr noch: Arbeitgeber könnten heute kapitalmarktabhängige Zusagen ohne versicherungsförmige Garantien in der Leistungsphase geben.

Und mit ein bisschen Liberalisierung werde dies für alle Beteiligten noch interessanter. Man merkt: Auch diese Anbieter sind gewappnet. Die Assekuranz kämpft gegen AS.

Bernd Katzenstein plädiert vor allem für Vereinfachungen, damit's das Volk begreift. Pensionszusagen und Unterstützungskassen als interne Unternehmensvorsorge, Direktversicherung, Pensionskassen und Pensionsfonds als externe Betriebsrentensysteme würden ihm mit nur zwei statt fünf Durchführungswegen genügen. Das Altersvorsorgekonto wäre ihm eine Art Informationsstelle für alle Ansprüche. Und eine gleichartige Förderung von privater und betrieblicher Altersvorsorge. Ach ja, welch' schöne Utopie.

Aber immerhin gibt es heute genug Chancen für alle, vieles besser zu machen. K. O.

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