Interview

"Ein weltweites Aufsichtsgremium ist eine nicht umsetzbare Idee."

Der Finanzausschuss ist eingebunden in die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags. Welche Aufgaben hat er?

Der Finanzausschuss bereitet die Entscheidungen des Deutschen Bundestags im Bereich der Finanz- und Steuerpolitik vor. Darunter fallen das Steuersystem, die Finanz- und Kapitalmärkte, Regulierungs- und Überwachungsfragen - im Grunde also alles, was die Politik seit 2008 im Wesentlichen bestimmt. Daher steht der Finanzausschuss derzeit stark im Zentrum des politischen Interesses.

Welche wichtigen Themen hat der Ausschuss vor der Sommerpause noch auf der Agenda? Und was steht in der zweiten Jahreshälfte an?

Derzeit erfordert es die wirtschaftliche Lage in Europa, oftmals spontan neue Sachlagen zu beraten. Davon abgesehen stehen ein Gesetz über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Vergütungssysteme von Banken und Versicherern auf der Tagesordnung, verschiedene Doppelbesteuerungsabkommen - etwa mit der Isle of Man, Liechtenstein oder Luxemburg - sowie die Frage nach einer Finanzmarktsteuer. Ferner ist die Banken- und Kapitaladäquanzrichtlinie umzusetzen, und es gibt einige Anträge von verschiedenen Fraktionen zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Überdies beschäftigt sich der Ausschuss mit Fragen zur Reform der Bankenaufsicht. Und auch im Zusammenhang mit der EU-Ratingverordnung gibt es noch ein Gesetz umzusetzen.

Ein großes Thema für die kommenden Monate werden sicherlich die Maßnahmen zur Regulierung der Finanzmärkte sein. Hier laufen noch Abstimmungsgespräche auf europäischer Ebene. Die Diskussion hier ist langwierig, denn es gilt, die sich seit 2008 offenbarenden Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen.

Sie sitzen dem Finanzausschuss vor. Wie verstehen Sie diese Rolle? Haben Sie besondere Befugnisse?

Der Vorsitzende ist für die Tagesordnung zuständig, er lädt zu den Sitzungen ein, und leitet die Diskussionen innerhalb des Ausschusses und sorgt dafür, dass die Tagesordnung eingehalten werden kann. Der Vorsitzende hat dafür zu sorgen, dass die Beratungen effizient und konstruktiv geführt werden. Aufgrund der Zusammenarbeit mit anderen Ausschüssen ist es wichtig, dass der Finanzausschuss seine Stellungnahmen diesen rechtzeitig zur Verfügung stellt.

Das heißt, am Ende einer jeden Sitzung gibt es eine Abstimmung? Wie werden die Ergebnisse nach außen getragen?

Richtig. Es werden Beschlussempfehlungen mit entsprechenden Mehrheiten vom Ausschuss verabschiedet. Diese werden dann über den Bundestagspräsidenten dem Plenum zugeleitet. Dort findet eine Debatte statt, bei Gesetzesvorhaben gibt es eine zweite beziehungsweise dritte Lesung. Daraufhin stimmt das Plenum über die Empfehlungen des Finanzausschusses ab.

Wer beruft externe Sachverständige?

Sollte der Ausschuss eine Sachverständigenanhörung beschließen, schlagen die Obmänner beziehungsweise -frauen der Fraktionen Sachverständige vor, die dann von dem Vorsitzenden eingeladen werden.

Das Gros der Themen im Ausschuss ist sicherlich vom Bundestag vorgegeben. Werden im Ausschuss auch essenziell neue Ansätze erarbeitet?

Zunächst hat der Finanzausschuss tatsächlich eine streng definierte Funktion im Rahmen der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags: die beschriebene Vorbereitung der Plenardebatten und -abstimmungen. Dazu holt er auch Mitberatungsvoten anderer Ausschüsse ein, soweit dies erforderlich ist. Das bezieht sich auf die Themen, die ihm übertragen worden sind - nach der ersten Lesung etwa viele Gesetze, die Einnahmen oder Finanzmärkte betreffen. Gleichzeitig besteht für den Ausschuss auch die Möglichkeit, sich im Rahmen einer Selbstbefassung mit Themen zu beschäftigen. Dies geschieht auf Antrag der Mitglieder.

Neue Ideen kommen doch bestimmt auch aus Gesprächen mit ausländischen Kollegen. Wie gut funktioniert die Abstimmung mit anderen Gremien innerhalb der EU?

Der Finanzausschuss hält engen Kontakt mit entsprechenden Gremien anderer EU-Länder. So gibt es etwa einen ständigen Austausch mit dem Finanzausschuss der Assemblée Nationale in Paris, zweimal im Jahr finden gegenseitige Besuche statt. Das ist sehr wichtig, weil nicht nur auf Regierungsebene ein enger Kontakt zwischen Deutschland und Frankreich stattfinden muss, sondern auch auf parlamentarischer Ebene. Der Finanzausschuss wird in diesem Jahr auch noch Österreich, die Schweiz und Liechtenstein besuchen, da nach den heftigen Diskussionen über Doppelbesteuerungsabkommen und die Bekämpfung von Steuerhinterziehung ein direkter Kontakt mit den Kollegen in den Ländern dringend erforderlich ist. Hinzu kommt auch ein enger Dialog mit relevanten Institutionen wie der Bundesbank, der EZB, der Bankenaufsicht oder auch der KfW.

Dabei kommt es sicherlich zu einer Vielzahl an Meinungen. Ist die Diskussion im Ausschuss in der Regel von Sachlichkeit getragen?

In der Finanzpolitik gibt es insbesondere in Anbetracht ihrer Bedeutung in der heutigen Zeit sehr viele divergierende Auffassungen, die auch engagiert diskutiert werden. Der Vorsitzende nimmt dabei eine moderierende Rolle ein. Nichtsdestotrotz ist eine kontroverse Auseinandersetzung für die Mitglieder auch für die späteren Plenardebatten wichtig - wenn man die Position des politischen Wettbewerbers kennt, kann man sich darauf einstellen. Außerdem dienen stichhaltig vorgetragene Argumentationen mithin der Selbstreflektion.

Ist es dabei eher die Regel oder die große Ausnahme, wenn Informationen aus den geheimen Ausschusssitzungen an die Öffentlichkeit dringen?

Es ist gut, dass der Ausschuss nicht öffentlich tagt, denn Parlamentarier brauchen auch die Möglichkeit, sich hinter verschlossenen Türen zu äußern. Das führt auch zu einer offeneren Diskussion, weil die Wirkung in den Medien und der Öffentlichkeit erst einmal keine Rolle spielt. Es ist an den Mitgliedern selbst zu entscheiden, was nach außen dringt. Problematisch wird es erst, wenn sensible Informationen etwa zu Finanzmarktfragen öffentlich werden, da diese oft eine direkte Kapitalmarktrelevanz haben und entsprechend die Märkte in die ein oder andere Richtung beeinflussen können. Gerade in diesem Zusammenhang tragen die Mitglieder eine große Verantwortung.

Stichwort Märkte: Die Bankenabgabe soll die Institute an den Kosten der Krise beteiligen. Wie sind hier der Stand der Gesetzgebung und die Stimmungslage im Ausschuss?

Die Koalitionsfraktionen haben sich darauf verständigt, eine Bankenabgabe zu erheben und bereiten entsprechende Initiativen vor. Es gibt ein vom Kabinett beschlossenes Eckpunktepapier, in dem festgelegt ist, dass in dieser Legislaturperiode eine solche Abgabe eingeführt wird. Diese soll zweckgebunden sein und eine Sicherheitslücke im hiesigen Aufsichtssystem schließen. Die Vorgänge um die Hypo Real Estate haben gezeigt, dass die Aufsicht im Krisenfall nicht mit den notwendigen Instrumentarien ausgestattet ist - sowohl personeller wie auch rechtlicher Art -, um systemrelevante Banken in einer Krise so zu administrieren beziehungsweise in allen relevanten Teilen so umzustrukturieren, dass ein Schaden für das gesamte Finanzsystem vermieden werden kann. Deshalb braucht es zum einen Gesetze und insolvenzrechtliche Sonderregeln. Zum anderen ist aber auch ein entsprechender Kapitalstock notwendig, um die für die Maßnahmen notwendige Zeit zu überbrücken. Diesen soll zukünftig nicht der Steuerzahler finanzieren, sondern die Institute selbst. Die Abgabe soll risikoadäquat erhoben werden - für höhere Risiken werden höhere Beiträge erhoben.

Die schwarz-gelbe Koalition setzt sich nun doch für eine (internationale) Finanzmarktsteuer ein. Wie könnte diese aussehen und wie ist dazu der Stand der Diskussion im Ausschuss?

Die Koalition diskutiert gegenwärtig die Einführung einer Finanzaktivitätssteuer, die auf Gewinne und Gehälter einschließlich Boni erhoben werden soll. Diese Steuer wurde vom Internationalen Währungsfonds vorgeschlagen, nachdem eine Finanztransaktionssteuer, die alle Finanztransaktionen heranzieht, auf der G20-Ebene gescheitert ist und nach Ansicht des IWF negative Rückwirkungen auf die Realwirtschaft hat. Auch der neuere Vorschlag ist umstritten, die Opposition favorisiert weiterhin die Finanztransaktionssteuer. Auf europäischer Ebene soll nun geprüft werden, inwieweit Letztere doch international konsensfähig ist. Das scheint allerdings unwahrscheinlich. Insofern bleibt eine Abgabe auf Finanzaktivitäten die bessere Variante einer Finanzmarktsteuer, zumal sie auch die Realwirtschaft nicht so stark beeinflusst.

Schon oft wurde die Forderung nach einer internationalen Aufsichtsbehörde laut. Ist eine solche überhaupt realistisch umsetzbar?

Ein Blick in die Verfassungstradition macht schnell deutlich, dass es dann auch eine weltweite Kontrolle dieser Behörde geben muss. Dies wiederum würde ein Weltparlament voraussetzen. Ein weltweites Aufsichtsgremium ist also eine nicht umsetzbare Idee.

Stattdessen müssen sich die wichtigen Finanzstandorte untereinander abstimmen und in den jeweiligen nationalen Gremien entsprechende Regeln umsetzen. Das ist kein einfacher Weg, weil die Interessen der beteiligten Staaten sehr heterogen sind. Am konkreten Beispiel: Die Hypo-Real- Estate-Krise hatte wenig Einfluss auf die Märkte in den USA, obschon es eine USamerikanische Entscheidung war, Lehman Brothers in die Insolvenz gehen zu lassen, durch die das Problem HRE erst virulent wurde. Überdies gibt es einen Wettbewerb der Standorte untereinander, in dem der weniger regulierte Markt den Vorteil hat. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, ist von der Politik verantwortungsvolles Handeln gefragt. Nichtsdestotrotz muss sie Ergebnisse liefern. Alle Fraktionen haben die Notwendigkeit einer stringenten Finanzmarktregulierung erkannt.

Darf es in solchen Finanzmarktfragen einen deutschen/europäischen Alleingang geben?

Das ist nicht sinnvoll, denn es würde den eigenen Finanzstandort schwächen. Zudem würden die Risiken dann etwa aus den USA importiert. Es muss auf der Ebene der G20 ein Konsens gefunden werden. Aber auch Europa hat hier großes Gewicht, denn was weltweit aufgrund fehlender Kontrollmechanismen nicht umsetzbar ist, ließe sich im europäischen Kontext sehr wohl realisieren. Insbesondere die deutsch-französischen Beziehungen sind in diesem Zusammenhang von größter Bedeutung. Weil die Abstimmung innerhalb Europas entscheidend ist, hat die Bundesregierung auch noch keinen Gesetzesentwurf zur Bankenabgabe vorgelegt. Nun, da sich beide Länder einig sind, können weitere Schritte gegangen werden.

Aber bedeutet die internationale Einigung nicht immer eine Festlegung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner?

Kompromisse sind in der Politik nichts Ungewöhnliches und nichts Schlechtes. Letztlich wird so auch verhindert, dass sich extreme Positionen durchsetzen. Außerdem ist die internationale Abstimmung ohnehin eine Selbstverständlichkeit. Entscheidend ist, dass man selbst gut vorbereitet ist und eine klare Position vertritt. Der Bundestag hat eine lange Tradition, bei wichtigen Fragen wie etwa den Baseler Eigenkapitalregeln, immer einen fraktionsübergreifenden Konsens zu erzielen. Dies stärkt die eigene Regierung später beim Auftritt auf internationalem Parkett, weil der Großteil des Parlamentes hinter ihr steht.

Jedweder Regulierung sind aber Grenzen gesetzt. Wie weit darf die Kontrolle der Finanzmärkte überhaupt gehen?

Viele, insbesondere die extremen Forderungen der vergangenen Monate und Jahre sind von mangelnder Sachkenntnis geprägt. Überdies wurde das Thema Banken und Regulierung in der Politik gerne instrumentalisiert. Beides ist nicht gut, denn die Finanzmärkte befinden sich in der schwersten Krise, die das Land seit dem Zweiten Weltkrieg getroffen hat. Es ist also konstruktives Diskutieren gefragt, realitätsfremde Forderungen helfen nicht.

Letztlich haben Finanzmärkte eine dienende Funktion. Hinsichtlich der Regulierung stößt man dabei immer wieder auf faktische Grenzen. Das Ziel sind einerseits Finanzmärkte, die sicher sind. Anderseits müssen sie funktionieren und die notwendige Kreditversorgung gewährleisten. Darüber hinaus wird gefordert, dass sich die Akteure an der Finanzierung der Krise beteiligen. Diese drei Ziele sind sehr schwer zu vereinen. Jeder Euro Eigenkapital kann nur einmal ausgegeben werden: entweder zur Kreditvergabe für notwendige Investitionen in der Wirtschaft und um Arbeitsplätze zu sichern, für Steuern und Abgaben zur Finanzierung der Krise oder als Sicherungspuffer, um weiteren Missständen vorzubeugen. Diejenigen, welche die Finanzindustrie in den vergangenen Wochen am lautesten verteufelt haben, gaukeln den Menschen vor, man könne alle diese Ziele ohne Mehraufwand gleichzeitig erreichen. Solche Erwartungen zu wecken, ist kein vertrauensvoller Umgang mit diesem schwierigen Thema. Stattdessen gilt es, einen gesunden Mittelweg zu finden. Keine einseitige Forderung kann das erreichen.

Können Sie das konkretisieren, vielleicht an den Beispielen Hedgefonds, Spekulationen oder Ratingagenturen?

Dass Hedgefonds auch eine Stabilisierungsfunktion an den Märkten wahrnehmen, wird schnell vergessen. Zudem ist die Verteufelung von Kreditausfallversicherungen, die zwar durchaus probl ematisch werden können, großer Unsinn, weil auch von diesen eine gewisse Stabilisierung ausgehen kann. Ein generelles Verbot würde in beiden Fällen dem Markt nicht nützen. Gleiches gilt übrigens für Leerverkäufe.

Auch Ratingagenturen haben ihre Daseinsberechtigung. Allerdings darf es nicht sein, dass die US-amerikanischen Anbieter den weltweiten Markt dominieren. Daher muss eine unabhängige europäische Agentur aufgebaut werden.

In allen genannten Fällen - und auch darüber hinaus - braucht es mehr Transparenz. Der Staat weiß zu wenig über bestimmte Aktivitäten und kann deswegen nicht früh genug gegensteuern. Die Bankenaufsicht braucht zudem bessere Eingriffsbefugnisse, damit diese bei Verwerfungen am Markt auch schnell handeln kann.

Entspricht das auch der Stimmungslage im Finanzausschuss?

Es werden viele Möglichkeiten diskutiert, auch Extrempositionen. Die Politik ist nicht immer fair mit den Märkten - immerhin wurde die derzeitige Problemsituation politisch und nicht durch den Markt verursacht. Hätten die europäischen Partner keine derart hohen Staatsverschuldungen zugelassen, wären die Abhängigkeiten von und an den Finanzmärkten sicherlich deutlich geringer.

Stichwort Transparenz und Verbraucherschutz: Sind die Institute hier zur Selbstverpflichtung gehalten? Oder liegt das in der Verantwortung des Staates?

Eine stärkere Eigenverantwortung ist dringend notwendig. Banken haben eine klar umrissene Funktion in der Gesellschaft. Sie sind auch Teil dieser Gesellschaft und müssen den Interessen der Menschen und Unternehmen Rechnung tragen. Das ist in der Vergangenheit - auch seitens der Banken - zu wenig beachtet worden. Die originäre Aufgabe der Banken ist es, den Geldkreislauf intakt zu halten, für sichere Geldanlagen und günstige Kredite zu sorgen. Banken, die aufgrund ihrer Geschäftspolitik ein Risiko für die Gesellschaft darstellen, kann und darf es nicht mehr geben.

Sie sprechen von Staat und Gesellschaft. Nach den Beschlüssen von Mitte Mai zum Euro-Rettungspaket wird viel von einer Staatskrise geredet. Was sagen Sie zu dieser Einschätzung?

Die gegenwärtige Situation ist äußerst angespannt. Sowohl hinsichtlich der Grie-chenland-Rettung wie auch des Euro-Stützungspakets gab es keine sinnvollen Alternativen. Das ist eine dramatische Situation, insbesondere wenn es um derart hohe Summen geht. Es ist nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn die Regierungen auf EU-Ebene nicht gehandelt hätten. Der Finanzausschuss wurde von der Bundesregierung zeitnah informiert und war beratend bei der Beschlussfassung tätig.

Europa steckt in einer schweren Krise, EZB-Präsident Trichet nannte sie die schwerste seit dem Zweiten und möglicherweise nach dem Ersten Weltkrieg. Das macht die Dimensionen deutlich - ein Handeln zur Sicherung und zum Erhalt unseres Finanzsystems ist deshalb von überragender Bedeutung. Dabei müssen auch sehr grundlegende Fragen beantwortet werden: Welche Chancen hat Europa? Welche Rolle hat Europa in der Welt?

Es ist nun die Aufgabe aller Beteiligten, das Vertrauen in die Finanzmärkte wieder herzustellen, damit die Ordnung innerhalb des Euro-Systems neu hergestellt werden kann und jeder Staat für seine eigenen Schulden wieder selbst verantwortlich ist. In diesem Zusammenhang ist es auch ein historischer Fehler der rot-grünen Bundesregierung gewesen, die Stabilitätskriterien aufzuweichen. Weder Deutschland noch Frankreich sind ihrer Vorbildfunktion gerecht geworden. Entsprechend liegt es nun in ihrer Verantwortung, die Krise zu beenden. Dazu darf Europa allerdings nicht in eine Transferunion steuern. Vielmehr muss der Stabilitäts- und Wachstumspakt erneuert werden, es müssen mehr Automatismen eingeführt und eine Stabilitätskultur in Europa geschaffen werden, wie sie ursprünglich gedacht war.

Ist das ohne Sanktionen machbar?

Nein. Allerdings ist ein Sanktionsmechanismus sehr schwierig umzusetzen, weil jeder Mitgliedstaat einen souveränen Haushaltsgesetzgeber besitzt, den man von exekutiver Seite her kaum sanktionieren kann. In den Gremien - auch dem Finanzausschuss - werden mehrere Optionen diskutiert: Etwa könnten Länder, die die Stabilitätsregeln verletzten, Stimmrechte verlieren. Alternativ ließen sich finanzielle Sanktionen verhängen, beispielsweise indem Zuweisun-gen gekürzt werden. Beides wäre wesentlich intelligenter als Strafzahlungen, wenn das betroffene Land ohnehin keinen gesunden Haushalt besitzt. Wer kein Geld hat, kann keine Strafen zahlen.

Ein neues Sanktionsregime bedarf weitreichender Automatismen und darf nicht vom politischen Konsens abhängen. Letzterer ist gerade gegen Sanktionen schnell gefunden, wenn in wichtigen Sachfragen einstimmige Beschlüsse herbeigeführt werden müssen.

Wie verstehen Sie die Rolle der EZB in puncto Stabilität? Gehen die jüngsten Maßnahmen (etwa die Notenbankfähigkeit von Griechenland- Papieren ohne Bonitätsschwelle) über ihre eigentlichen Aufgaben hinaus, weil sie mehr in eine fiskal- als geldpolitische Richtung zielen?

Die Europäische Zentralbank ist eine der gelungensten europäischen Institutionen und verfügt über eine vollkommene Unabhängigkeit. Diese muss sie unbedingt behalten, nichts darf dahingehend verändert werden. Die EZB hat in der Vergangenheit bewiesen, dass sie eine glaubwürdige Geldpolitik umsetzt. Die Entscheidungen in der laufenden Krise sind ein Zeichen, wie ernst die gegenwärtige Lage auch seitens der Zentralbank beurteilt wird. Sie stellen keine neue Richtung der Geldpolitik dar, sondern ausschließlich Maßnahmen zur Krisenintervention.

Lässt sich heute noch Geld- von Fiskalpolitik trennen? Wie wird das von den Ausschüssen gehandhabt?

Da die Finanzmärkte heute eine hohe Haushaltsrelevanz besitzen, fällt eine strikte Trennung nicht immer leicht. Viele Finanzmarktgesetze werden daher im Haushaltsausschuss beraten, der keine originäre Zuständigkeit für diesen Bereich besitzt. Der Finanzausschuss wird dann beratend tätig, gleiches gilt umgekehrt. Kompetenzstreitigkeiten zwischen zwei Ausschüssen würden der Beschlussfindung sehr schaden.

Hat man als Politiker das Gefühl, noch den Überblick zu behalten bei solchen - bislang undenkbaren - Summen wie im Rahmen der Finanzkrise und des Euro-Rettungspakets? Wie reagieren Parlamentarier, deren Fachdisziplin nicht gerade die Finanz- und Wirtschaftpolitik ist?

Kein Parlamentarier kann auf jedem Fachgebiet versiert sein. Die Fachpolitiker müssen die Entscheidungen in den Fraktionen erklären und vorbereiten. Sie tragen gerade in der derzeitigen Krisensituation eine große Verantwortung. Um dieser gerecht zu werden ist es wichtig, dass sie innerhalb ihrer Fraktion Vertrauen genießen und überzeugend argumentieren.

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