Kreditwesen aktuell

Weißer Fleck auf der Landkarte - Qualifikation im Aufsichtsrat von Kreditinstituten

Der Blick in den "Abgrund des Versagens" (so ein Kommentar in einer bekannten deutschen Tageszeitung) im Zusammenhang mit dem Debakel auf den Finanzmärkten fällt nicht nur auf Politiker und staatliche Bankenaufsicht. Sie mögen den "Giftmüll im Finanzsystem" geschluckt haben.

Der Systemfehler

Der zweite Blick trifft aber auf die wirtschafts- und gesellschaftsrechtlich vorgesehenen hauseigenen Aufsichtsorgane. Auch sie haben zum Teil versagt, wie man heute bitter öffentlich eingesteht, aber zuvor geduldet hat. Gerade ihnen räumt das Gesetz - ob im öffentlichen Recht der Landesbanken oder im Organisationsrecht der "Privaten" und Genossenschaftsinstitute - eine hervorragende Stellung ein. Weil sie nach dessen Leitbild über einen vertieften Einblick in das Unternehmen verfügen, sind sie in der Kreditwirtschaft gar ein "geborener Ansprechpartner" der Bankenaufsicht. Dies hat der Bundesgerichtshof zum Schutz des Sparers und des Bankensystems gegenüber den damals Agierenden bei der früheren Aufsichtsbehörde BAKred betont. Sachkundig sind diese Mitglieder also, kritisch, durchsetzungsfähig und weitsichtig ...

Die Wirklichkeit sieht häufig anders aus. Schon vor Jahren titelten Gazetten in Zusammenhang mit Schieflagen von Unternehmen über deren Kontrollorgane: "Weder Aufsicht noch Rat - der Aufsichtsrat". Erörtert wurden Mängel allerdings zu jener Zeit fast ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Anhäufung von Mandaten. Neben möglichem Machtmissbrauch und Interessenkollisionen ging es bei den nachfolgenden Beschränkungen der Aufsichtsratmandate freilich auch um die Arbeitskapazität eines einzelnen Aufsichtsratsmitglieds. Kaum gestellt wurde seinerzeit dagegen die Frage nach seiner Qualifikation.

Ausland als Vorbild?

Im Zuge der aktuellen Diskussion um Reformen der Kontrollen in der Kreditwirtschaft muss aber auch dieser Aspekt nun in den Mittelpunkt rücken. IKB, einzelne Landesbanken, KfW, Hypo Real Estate ...: Häufig waren Mitglieder eines solchen Aufsichtsgremiums offenbar mit der Konstruktion der Geschäfte, über die zu beschließen waren, nicht vertraut. Und: Auch bei sorgfältiger Nacharbeit waren sie wohl überfordert und wagten vielfach nicht bereits sich selbst gegenüber dieses Eingeständnis oder den Auszug aus dem Gremium. Unter den "Kontrolleuren" befanden sich Ahnungslose, verdiente Politiker, verdiente Chefs befreundeter Unternehmen, "entsorgte" und vertröstete Opfer eines Vorstandsrevirements, natürlich neben dem auch versammelten Sachverstand anderer Mitglieder.

Wenig weiß man auch, wie unter diesem Aspekt die Ausschüsse besetzt waren, etwa der Kreditausschuss, der Handelsausschuss oder der Risikoausschuss. Insgesamt ein eklatanter Systemfehler in der Kreditwirtschaft über Jahrzehnte hinweg - der bislang durch die Gunst der Zeiten nie zum Bruch im Finanzsystem beigetragen hatte.

Vielleicht wagte der Gesetzgeber nicht, dieses Problem aufzugreifen und daran zu arbeiten (wie das der Interessenkollision eines in "seinen" Aufsichtsrat überwechselnden Vorstandes). Denn: Wer hier eine Baustelle eröffnet, könnte sofort in Bedrängnis geraten mit der Mitbestimmung - und dem der "Deutschland AG". Mitbestimmte Aufsichtsräte bestehen zur Hälfte aus Vertretern der Arbeitnehmer. Wer von ihm verfügt über die Sachkenntnis, um komplizierte Geschäfte zu verstehen, zu analysieren und dann kritische Fragen zu stellen? Nicht viele. Die Zahl der Aufsichtsräte auf der Arbeitnehmerbank, die über eine angemessene Qualifikation als Geschäftsleiter verfügen, dürfte rar sein. Mehrheitlich gehören die Geeigneten der Seite der Kapitaleigner an. Das muss nicht so sein. In Mitgliedstaaten der EU gibt es Unternehmen, in denen Arbeitnehmer und Gewerkschaften gestandene Manager in die Kontrollgremien, natürlich gegen Zahlung von Gehalt, entsenden. Warum nicht? Es geht um anspruchsvolle und komplexe Dienstleistungen - und deren abgesprochene und angemessene Honorierung. Freilich fallen dann Vergütungen für Mitgliedschaft im Aufsichtsrat nicht mehr etwa einer Stiftung der Entsendenden zu anders als derzeit weitab durch ausgehandelten Verzicht der eigentlichen Empfänger. Diese Gelder würden künftig dort fehlen.

Einseitige Sicht der Gegenwart

Cum grano salis gilt dies für Vertreter der Kapitaleigner, auch hier spielt die Vergütung sicher ebenfalls keine nachgeordnete Rolle. Wenngleich sich in der "Deutschland AG" viel geändert hat: Wechselseitige personelle Verflechtungen zwischen Unternehmen sind immer noch beachtlich. Natürlich bildet dabei die Mitgliedschaft im jeweiligen Aufsichtsgremium einen wichtigen Ankerpunkt für persönliche Beziehungen - und umgekehrt.

Das drohende Verhängnis für die Zukunft liegt in der einseitigen Sicht der Gegenwart: Geredet wird in der Krise des Finanzsystems über notwendige ergänzende Regulierungen des Geschäfts, allenfalls auch über die Gefahr einer Überregulierung, Bilanzierungsvorschriften - und ob hierbei etwa "englische Standards" als Vorbild gelten könnten. Es geht auch um Institutionen, supranationale oder internationale Kompetenzen und um Lastenübernahmen.

Nicht nur Gottvertauen

Ein Teil im Kern des aktuellen Desasters aber fault weiter still vor sich hin: Die offene Frage nach der Qualifikation derer, welche die Befolgung des Regelwerks für Kreditinstitute durch die Akteure überwachen sollen, also daher das Geschäft des Vorstands kennen müssen. Allenfalls zaghaft rührt man an diesem Punkt - der eigentlich schon einen Teil der als notwendig erkannten und angewendeten Corporate Governance bilden sollte: Es gehört sich nicht, in Aufsichtsgremien Sachunkundige zu berufen oder zu entsenden. Ebensowenig gehört sich für Unkundige, sich wählen zu lassen, in Aufsichtsgremien einzuziehen - und dort Ehre und Tantieme zu ersitzen.

Weil aber die Gremien von Unternehmen beginnend bei deren Hauptversammlung als Organ - aus eigener Sicht solche Berufungen selbstverständlich immer auf der Basis qualifizierter Nachweise vornehmen und weil Berufene häufig darauf vertrauen, dass Gott immer und stets auch demjenigen Verstand verleihe, dem er das Amt gebe, muss ein Dritter auf einer sauberen Grundlage die Elle zur Prüfung der Qualifikation bereitstellen und messen.

Eine neue Bürokratie darf dadurch nicht geschaffen werden. Ihr steuert man bereits dadurch entgegen, dass man die gesetzlichen Voraussetzungen schafft, die Zahl der Aufsichtsräte zu verkleinern. Auch in Kreditinstituten gibt es Kontrollgremien, die überbesetzt sind (hier sind gesetzliche Vorgaben kritisch zu prüfen). Die Anforderungen an die Qualifikation eines Aufsichtsrats in seiner Gesamtheit zu erfüllen, muss andererseits nicht heißen, dass alle seine Mitglieder fachliche Eignung für die Geschäftsleitung eines Institutes der bezogenen Größenordnung nachweisen müssen.

Der Aufsichtsrat erörtert schließlich auch Personalfragen, Probleme des Unternehmensumfeldes und technische Aspekte. Darin spiegeln sich die vielfältigen Facetten der Unternehmenstätigkeit wider. Auch Sachkenntnis in diesen Bereichen kommt also dem Unternehmen zugute. Sichergestellt werden sollte jedenfalls, dass ein hohes Quorum seiner Mitglieder bankgeschäftlich hinreichend erfahren ist, um die Verantwortung im Aufsichtsrat, auch in seinen Ausschüssen, qualifiziert wahrzunehmen.

Der Gefahrenherd aufgrund entgegenstehender Unzulänglichkeiten in Aufsichtsräten oder "Beiräten" war bekannt. Im Umfeld der Unternehmensrechtsreformen vergangener Jahre spielte auch das Bedürfnis einer Spezialregelung für Kreditinstitute bei der Besetzung des Aufsichtsrats eine Rolle. Die Interdependenz zwischen geschäftlichen und bankaufsichtlichen Voraussetzungen und Folgen liegt auf der Hand. Unter dem Gesichtspunkt der Finanzstabilität beklagte man schon vor Jahren "large and poorly informed supervisory boards", die Gefangene der Informationen aus dem Kreis des Vorstands seien.

Fehlende Professionalität

Darin liegt aber nur die halbe Wahrheit. Denn solche Gremien sind häufig auch Gefangene des Grades ihrer eigenen Qualifikation. Jüngst hat diese ein Unternehmensführer, der es wissen muss, höchst kritisch bewertet. Bei der Professionalität der Mitglieder von Führungsgremien in Banken gebe es in den Aufsichtsgremien "erhebliche Defizite".

Hierzu berief er sich auf eine bekannte aktuelle Studie, wonach weniger als zehn Prozent der Mitglieder in den Kontrollgremien öffentlich-rechtlicher Finanzinstitute über Finanzmarkterfahrung verfügten. Für ein erfolgreiches Behaupten auf den globalen Finanzmärkten hätten sich viele der Organmitglieder schlicht als unzureichend qualifiziert erwiesen. Hinzuzusetzen wäre: Bei den "Privaten" und Genossenschaften liegt der Anteil der Qualifizierten, an diesem Basiswert gemessen, zwar erheblich höher, aber es werden auch nur 30 Prozent genannt. Alles Durchschnittswerte!

Die Wunde schließen!

Problem erkannt? Ja. Und zwar vor Jahren schon. Problem gebannt? Nein. Und dies leider auch bereits seit Jahren. Freilich hätte man es längst bannen können. Dazu bedarf es keiner (Harmonisierungs-)Initiative der EU-Kommission (warum aber im Übrigen nicht - wenn ein vergleichender Blick in den Garten der Nachbarstaaten auf ähnliches Unland trifft?). Wo blieben aber hierzulande die Stimmen derjenigen innerhalb und außerhalb der Kreditwirtschaft, die (notwendige) Kataloge der Kriterien für die Prüfung der fachlichen Eigenschaft von Geschäftsleitern für Kreditinstitute aufstellen (und gegebenenfalls mir nichts, dir nichts auch bestellte Geschäftsleiter abberufen oder abberufen ließen)

Wenn es berufene Stimmen auch zur Prüfung der Frage nach der Eignung von Aufsichtsratsmitgliedern gab: Warum wurden sie nicht vehement öffentlich gemacht? Warum fanden solche Stimmen nicht Eingang in eine der zahlreichen Novellierungen zur Änderung des Kreditwesengesetzes? Warum blieb bei einem Fehlschlag der Bemühungen im Gesetzgebungsverfahren der Finger nicht in dieser Wunde, um den Systemfehler schmerzhaft fühlen zu lassen und die Notwendigkeit seiner Heilung herauszustellen?

Für die Heilung gibt es keine Standardarznei. Aber neben der Erkenntnis, dass "weiter so" unmittelbar zu dem nächsten schweren Infekt des Finanzsystems führen könnte, dürfte hoffentlich die Überzeugung durchgreifen, dass hier dringlicher Handlungsbedarf besteht. Welche Institution dann die Qualifikation von Aufsichtsräten feststellt, auf welcher Grundlage und in welchem Umfang dies geschieht - und wie viel Spielraum dabei verbleiben sollte, um Spezialgebiete innerhalb und außerhalb des Bankgeschäfts angemessen durch den Aufsichtsrat kontrollieren zu lassen das alles sind Schritte, die sachgerecht vorbereitet und in einem Gesetzgebungsverfahren geprüft werden müssen.

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