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Weder Schlüssel- noch Schlüssellochroman

Fast sieben Jahre ist es nun schon her, als die Pleite von Lehman Brothers Schockwellen durch das globale Finanzsystem schickte und mit der Finanzwelt auch die Weltwirtschaft am Rande eines kompletten Zusammenbruchs stand. Der rasend schnell um sich greifende Vertrauensentzug ließ die komplex miteinander vernetzten Institute wie Dominosteine eines nach dem anderen wackeln.

In Deutschland brach sich die Realität der Krise mit den Schwierigkeiten der IKB - vormals ein über alle Zweifel erhabenes Finanzinstitut - mit einer besonders starken Wucht Bahn, sodass nahezu alle größeren Institute davon erfasst wurden. Nur der beherzten konzertierten Aktion von Staaten, Aufsichtsbehörden und Zentralbanken ist es zu verdanken, dass die "Kernschmelze" unseres Finanz- und Wirtschaftssystems vermieden werden konnte. Allerdings dauern die Aufräumarbeiten und Absicherungsmaßnahmen auch jetzt noch an. Denn keineswegs sind die angekündigten gesetzlichen Vorhaben zur besseren Aufsicht, stärkeren Kapitalisierung und höheren Risikobeteiligung der Banken bereits abgeschlossen, ganz zu schweigen von dem nach wie vor latenten Vertrauensverlust, dem sich die Finanzbranche insgesamt gegenübersieht. Und auch die Erforschung der Ursachen der Krise sowie damit verbunden die juristische Aufarbeitung von Schuld und Schuldigen ist immer noch in vollem Gange, hüben wie drüben in den USA, wo das Unheil seinen Anfang nahm.

Wenn in einer solchen Situation ein gestandener Banker zur Feder greift und nach über 40 Jahren seinem Berufsstand sein Erstlingswerk widmet, dann darf man mit Fug und Recht tiefe Einblicke sowie Aufschlüsse darüber erwarten, wie, wer und warum solide, angeblich im Geiste der zur Berühmtheit gewordenen sprichwörtlichen schwäbischen Hausfrau geführten Banken gleichsam über Nacht mit in die Krise gerissen wurden. Denn der Autor des als Paperback und mit einem Preis von 12,50 Euro leserfreundlich ausgestaltenden Buches mit dem beziehungsreichen Titel "Der Banker und der Staatsanwalt" hat als "Gesinnungsschwabe" einen Großteil seines Berufslebens fern der Kölner Heimat in verschiedenen Führungspositionen des zuletzt als LBBW firmierenden Stuttgarter Bankkonzerns verbracht.

Und so nimmt es denn auch nicht Wunder, dass mit dem Erscheinen des Buches sogleich auch das Rätselraten begann, wer denn die Personen im wirklichen Leben sind, die Sühr bis in sehr persönliche Details beschrieben hat. Immerhin drängen sich bei der Lektüre frappierende Ähnlichkeiten mit vor dem Stuttgarter Landgericht verhandelten Fällen auf. Angeklagt waren dort von einem Staatsanwalt namens Hans Richter (sic) Vorstände der LBBW sowie Wirtschaftsprüfer wegen Untreue und Bilanzfälschung, unter anderem weil das Institut aufgrund seines Engagements in dann wertlos gewordene US-Papiere in eine existenzbedrohende Krise geraten war. Diese Wertkorrekturen riefen staatsanwaltliche Ermittlungen auf den Plan, die mit spektakulären Durchsuchungsaktionen in Privat- und Diensträumen hohe öffentliche Aufmerksamkeit sowie Erwartungsdruck beim Publikum erzeugten.

Mit einer solchen Schlüsselszene, nämlich dem unvermittelten Eindringen der Staatsgewalt in die Privaträume des Protagonisten, Philipp Berressem, beginnt der Roman. Gesteuert vom Staatsanwalt, der im Roman Jäger heißt und eine Liäson mit einer Fernsehjournalistin unterhält, überrollt die Ermittlungsmaschinerie den Banker und seine Kollegen. Schlagartig mutiert der ehemals super erfolgreiche, ambitionierte und dynamisch die Karriereleiter raufstürmende Investmentbanker in einen "Bankster", also der inzwischen in der deutschen Öffentlichkeit notorisch gewordenen Bezeichnung für führende Bankangestellte. Alles wird auf den Kopf gestellt, die Wohnung, das Büro in der Bank, und natürlich im Weiteren zwangsläufig die Karriere, die abrupt zu Ende ist, und auch im privaten Bereich setzt sich die Krise bis in die Beziehungen fort.

Wer nach dieser dramatischen Eröffnung eine weiterführende Handlung erwartet, wird zunächst enttäuscht. Erst in den Schlusspassagen des Buches finden wir den Anschluss an diese Szene wieder. Philipp ist nach New York geflüchtet, dahin "wo die Menschen in den Himmel bauen". Und in diesen Himmel scheint er an der Seite mit seiner neuen Partnerin, die mit ihm geschäftliche und sexuelle Vorlieben teilt, auf dem besten Wege zu sein.

Dazwischen werden wir als Leser Zeuge der beruflichen sowie persönlichen Entwicklung von Philipp und seinem literarischen Gegenentwurf Eric. In dieser Figur sind alle Eigenschaften versammelt, die Philipp vermissen lässt: Eleganz, Rücksichtnahme, Teamgeist und bürgerliche Anwandlungen, die schließlich auch zu einer guten Ehe führen. Philipp dagegen vereinigt alle Stereotypen des Investmentbankers, nämlich Egomanie, Hemmungs- und Bindungslosigkeit gleichermaßen in seiner Person. Und diese gegensätzlichen Eigenschaften werden nun im Zusammenhang mit diversen beruflichen Veränderungen detailgenau ausgebreitet. Wer also aufgrund des beruflichen Hintergrundes des Autors Aufschluss über die Komplexität und die sich daraus ergebenden Fallstricke des globalen Finanzgeschäftes erwartet hat, sieht sich enttäuscht. Aber das war erklärtermaßen auch nicht die Intention des Autors, der vielmehr die unterschiedlichen menschlichen Verhaltensweisen unter spezifischen Umständen aufzeigen wollte.

Ohnehin kann man Tröstliches von jemandem nicht erwarten, der in seinem Nachwort seine Skepsis bekennt, ob Recht, Anstand und wirtschaftliche Vernunft je in Einklang zu bringen seien. Immerhin ist in der realen Welt in Stuttgart inzwischen Recht und die angeklagten Banker freigesprochen worden. Anderswo gab es ebenfalls Freisprüche oder sind die Verfahren noch auf dem Weg durch die Instanzen. Es gibt also noch Raum und Gelegenheit für die literarische Verarbeitung der Finanzkrise und ihrer Protagonisten in Deutschland.

Wer allerdings den Dingen jetzt schon auf den Grund gehen möchte, dem bieten sich daraus angemessene Möglichkeiten, entweder ein "Sachbuch" in Gestalt des Kommissionsberichtes an den US-Kongress. Oder kürzer und kurzweiliger den Essay eines anderen Philipp, nämlich Philipp Meyer, der seinen kurzen Lebensabschnitt als Trader unter dem Titel "Wie ich meine Herkunft verriet - für Geld" sehr eindrücklich schildert, in deutscher Sprache erschienen bereits im September 2010. Jürgen Pitzer, Dozent,

Hochschule Darmstadt

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