Aufsätze

Wachstums- und Ertragschancen im Zuge der gesellschaftlichen Alterung

Die gegenwärtigen Turbulenzen an den Hypotheken-, Finanz- und Realmärkten haben Finanzdienstleister in eine Vertrauenskrise gestoßen. Börsenbewertungen sackten branchenübergreifend ab, teils unabhängig davon, wie sehr einzelne Unternehmen tatsächlich von der Finanzkrise erfasst worden sind. Dabei geriet in den Hintergrund, dass für die Branche langfristig ein stabiles Wachstum erwartet wird. Eine Ursache hierfür ist die weltweite gesellschaftliche Alterung, die den Bedarf nach kapitalgedeckter Altersvorsorge zwingend hochtreibt.

Alternde Gesellschaften als Geschäftschance

Allerdings wird in der globalisierten Wirtschaft nicht jeder Anbieter von diesem Trend im gleichen Ausmaß profitieren. Den größten Erfolg dürften die kapital- und ertragsstarken, grenz- und segmentüberschreitend tätigen Einheiten erzielen. Aufgrund ihrer Finanzkraft und ihrer international gebündelten Fähigkeiten sind sie wie geschaffen dafür, Anbieter von Garantie- und Performanceprodukten in wirklich großem Maßstab zu sein. Denn sie können das entsprechende Risiko tragen und verfügen über ein hoch entwickeltes Finanz-markt-Know-how. Bieten sie Spitzenleistungen zu wettbewerbsfähigen Preisen und sind kompromisslos auf den Kunden fokussiert, werden sie im Altersvorsorgemarkt einen nachhaltigen Wachstums- und Ertragsschub erzielen. Das dürfte sich auch in den Börsenbewertungen positiv niederschlagen.

Die Gründe für die herausragende Bedeutung der privaten und der betrieblichen Altersvorsorge sind bekannt: Die Menschen werden immer älter. Gleichzeitig schrumpfen seit Jahrzehnten die Geburtenzahlen. Die Vereinten Nationen schätzen, dass eine verbesserte Ernährung und Gesundheitsbedingungen sowie der atemberaubende medizinische Fortschritt die durchschnittliche weltweite Lebenserwartung von heute 67 Jahre auf 75 Jahre 2050 ansteigen lässt. Bis zur Jahrhundertmitte wird sich die Anzahl der Menschen über 65 Jahre auf knapp 1,5 Milliarden verdreifachen. Die Gruppe der 80-Jährigen unter ihnen, heute weltweit 97 Millionen Menschen, wird dann auf 400 Millionen angewachsen sein - eine satte Vervierfachung.

Im selben Prognosezeitraum wird die durchschnittliche Geburtenrate von jetzt 2,6 auf 2,0 Kinder je Frau fallen. Damit würde sie 2050 unter dem Reproduktionsfaktor 2,1 liegen, der erreicht werden muss, damit die Weltbevölkerungszahl konstant bleibt. In der Zeit eines besonders dynamischen Bevölkerungswachstums, 1950 bis 1955, betrug die weltweite Geburtenrate noch 5,0 Kinder je Frau. Eine Geburtenrate von 2,0 Kindern 2050 bedeutet, dass die Weltbevölkerung langfristig zurückgehen wird.

Weniger Erwerbstätige, mehr Rentner

Vorerst wächst sie aber weiter an, und zwar von 6,6 Milliarden Menschen 2007 auf 9,2 Milliarden 2050. Dabei wird das Verhältnis zwischen der Gruppe der Menschen, die 65 Jahre und älter sind, und jener Gruppe, die Menschen von 15 bis 64 Jahren umfasst, immer ungünstiger. Dieser sogenannte Altersquotient fällt in den verschiedenen Regionen und Ländern zwar unterschiedlich aus, je nachdem, wie die Dynamik und der zeitliche Verlauf im Altersaufbau der Bevölkerung sind. Doch allen wichtigen Märkten ist gemein, dass die Gruppe der Erwerbsfähigen sich eher verkleinert, der Bevölkerungsanteil mit 65 Jahren und mehr hingegen schneller wächst. Das setzt staatliche Versorgungssysteme, die nach dem Umlageverfahren arbeiten, unter Stress. Denn dieses Verfahren beruht darauf, dass die erwerbstätigen Generationen mit ihren Beiträgen die Leistungen der Rentnergeneration bezahlen.

Wie unterschiedlich die Entwicklung und wie alarmierend sie für die Altersversorgung meist ist, belegen folgende Zahlen. In den USA, wo heute noch 100 Personen im erwerbsfähigen Alter 19 Menschen mit 65 oder mehr Jahren gegenüberstehen, verschlechtert sich bis 2050 dieses Verhältnis auf 100:34, also 34 Prozent. In Deutschland liegt der Altersquotient bereits heute bei rund 30 Prozent und dürfte bis zur Jahrhundertmitte auf 55 ansteigen. Ebenso ungünstig ist der 2050er Altersquotient für die gesamte Europäische Union: 53 Prozent. In Ländern wie Bulgarien, Italien und Spanien wird diese Ziffer in rund 40 Jahren vermutlich so stark ansteigen, dass dort 2050 auf 100 Menschen im erwerbsfähigen Alter 60 Menschen über 65 Jahre kommen.

Altersversorgung im Paradigmenwechsel

In Kontinenten mit einer relativ jungen Bevölkerung wie in Afrika sind die demografischen Verwerfungen noch nicht so ausgeprägt. Dort wird für 2050 ein Altersquotient von 10 (heute 6) Prozent erwartet. Die gesellschaftliche Alterung Asiens dürfte sich in den kommenden Jahrzehnten spürbar beschleunigen. Bis 2050 wird der Altersquotient in Taiwan sich wahrscheinlich auf 64 (heute 13) Prozent erhöhen und in Japan gar auf 74 (heute 30) Prozent hochschnellen. In China wird der Anstieg des Altersquotienten infolge der Ein-Kind-Politik zwar bis 2050 verzögert, aber deutlich auf 39 (heute 11) Prozent klettern, in Indien immerhin auf 21 (8) Prozent. Für Lateinamerika wird erwartet, dass bis 2050 der durchschnittliche Altersquotient 29 (heute 9) Prozent beträgt.

Die gesellschaftliche Alterung ist also weltweit für Milliarden Menschen ein erhebliches Risiko für die Finanzausstattung im Ruhestand. Sie stellt bestehende umlagefinanzierte Rentensysteme vor eine Zerreißprobe, die sie nicht bestehen können. Es treten einfach zu wenige Menschen ins Erwerbsleben ein, als dass die steil anwachsenden finanziellen Aufwendungen für Ruheständler zu leisten wären. In Ländern, die über solche Systeme noch nicht verfügen (etwa in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern) erfordert der demografische Paradigmenwechsel kapitalgedeckte Altersvorsorgekonzepte.

Zum Teil wurden sie bereits eingeführt, zum Teil steht ihr Aufbau noch an. Doch insgesamt führt kein Weg daran vorbei, dass gesellschaftliche Alterung der kapitalgedeckten Altersvorsorge ein nachhaltiges Wachstumspotenzial beschert. Dieser Trend wird gestützt durch die Globalisierung, die für wechselseitige wirtschaftliche Vernetzung, Wohlstandsgewinn, Armutsbeseitigung, gesellschaftliche Modernisierung und für leistungsfähige Finanzmärkte steht.

Inzwischen ist unter Mühen, Verzögerungen und immer neuen Rückschlägen in den Industrieländern Westeuropas der Altersvorsorgemarkt umgesteuert worden. Übergreifendes Ziel war und ist es, den Anteil der Altersbezüge aus den bestehenden Umlageverfahren - der staatlichen (gesetzlichen) Rente - auf eine dauerhaft finanzierbare Größenordnung zurückzuführen. So unterschiedlich die nationalen Reformwege sind und so vielgestaltig (und teils auch unfertig) das jeweilige Ergebnis: Europaweit führt kein Weg daran vorbei, den Wert der Rentenzusagen im staatlichen Rentensystem zu kürzen, das Renteneintrittsalter zu verschieben und zum Ausgleich die individuelle und die betriebliche Altersvorsorge im Kapitaldeckungsverfahren zu stärken.

Vorteile einer frühen Umsteuerung

Dort, wo diese Umsteuerung früh und konsequent durchgeführt wurde oder von vornherein eine kapitalgedeckte Vorsorge Teil des Gesamtrentensystems war, macht der Anteil der staatlichen Rente nur noch 50 Prozent (Niederlande), 45 Prozent (USA) beziehungsweise 42 Prozent (Schweiz) aus. Dagegen beläuft sich der Anteil der staatlichen Rente in Deutschland trotz aller bisherigen Reformschritte noch immer auf rund 80 Prozent; in Italien macht dieser Anteil ungefähr 70 Prozent aus. Das sind Werte, die auf Dauer nicht nachhaltig sind und wirtschaftlich ein erhebliches Risiko für die jeweiligen Volkswirtschaften - und damit die dort lebenden Menschen - darstellen.

Mittel- und Osteuropa hat sich im vergangenen Jahrzehnt überwiegend für die Einführung verpflichtender Pensionsfonds entschieden, hat also nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Systemwechsel die Chance genutzt, von vornherein die Altersvorsorgesysteme auf das Kapitaldeckungsverfahren einzustellen. Fortschrittlich ist auch Australien. Die staatliche Rente dient dort seit 1992 nur noch einer bedarfsorientierten Armutsvermeidung. Hauptsäule der Altersvorsorge sind die Einzahlungen der Bürger in privat geführte, individuelle Pensionspläne, in die auch ein verpflichtender Arbeitgeberbeitrag einfließt. Das System ist so konzipiert, dass 2050 die öffentlichen Ausgaben für die Altersvorsorge in Australien nur ein Drittel der deutschen betragen werden (in Prozent des Bruttoinlandsprodukts).

Aufschwung für die kapitalgedeckte Eigenvorsorge

Die tief greifenden demografischen Änderungen erfordern aber auch, dass weltweit jeder Einzelne wesentliche Teile seiner Ruhestandsvorsorge auf das kapitalbildende Verfahren umstellen und selbst dafür aufkommen muss. Die gesellschaftliche Alterung wird keine Pause einlegen und nicht warten, bis die Bevölkerung sich an die neue Realität gewöhnt hat und bereit ist, eigenverantwortlich zu handeln. Den Babyboomern in den Industriestaaten, also den geburtenstarken Jahrgängen aus der Zeit um 1950 bis 1965, verbleiben nur noch zehn bis 15 Jahre dafür, um privat für das Alter vorzusorgen. Diese Generation hat über ihr gesamtes Berufsleben das Privileg einer wohlfahrtsstaatlichen Entwicklung erlebt. Sie verfügt also in der Regel auch über die entsprechenden Mittel, um bestehende oder neu aufreißende Versorgungslücken aus eigener Tasche zu schließen.

So erfreulich es ist, länger zu leben und dadurch zusätzliche Chancen wahrzunehmen - in finanzieller Hinsicht ist es ein gravierendes Risiko, vor dem sich jeder zunehmend eigenverantwortlich schützen muss. Diese Situation wird den Aufschwung bei Altersvorsorge- und Vermögensbildungsprodukten weiter steigern. Denn je größer für den Einzelnen das Langlebigkeitsrisiko wird, desto wichtiger wird für ihn die Unterstützung durch ein professionelles Anlage- und Risikomanagement. Bis 2015 dürfte sich der Markt für Altersvorsorgeprodukte weltweit um jährlich 7,5 Prozent ausweiten. Daraus erwachsen Finanzdienstleistern attraktive Chancen, bei Umsatz und Ergebnis neue Dimensionen zu erreichen.

Wenn man diese Nachfrage einmal näher betrachtet, zeigt sich, wie zerklüftet und vielschichtig sie ist. Der gegenwärtige Stand und das derzeitige Entwicklungstempo der gesellschaftlichen Alterung sind in den einzelnen Ländern unterschiedlich. Der Reifegrad der Altersvorsorgemärkte variiert erheblich. Die nationalen gesetzlichen Rahmenbedingungen sind immer wieder anders. Auch Bedürfnisse, Risikoneigungen und Performanceerwartungen

der Kunden sind grundverschieden. Außerdem können sich ihre individuellen Lebensumstände im Lebensablauf unvermittelt ändern, etwa im Zuge unerwarteten Nachwuchses, von Ehescheidung, Tod eines nahen Angehörigen oder Arbeitslosigkeit. Das ändert oft schlagartig die Bedarfsstruktur bei Finanzprodukten. Ob eher Fonds-, Bank- oder Lebensversicherungsprodukte nachgefragt werden, ob private oder betriebliche Altersvorsorgemodelle vorherrschen - solche Fragen werden von Land zu Land und von Kunde zu Kunde unterschiedlich beantwortet.

Erfolgsfaktoren für Finanzdienstleister

Diese Komplexität stellt hohe Ansprüche an Produktqualität, Flexibilität und Kundennähe der Finanzdienstleister. Wie sollten sie ihr Geschäft steuern, um strategische Optionen aus der gesellschaftlichen Alterung mit größtmöglichem Erfolg auszuspielen? Drei Ansätze sind dabei wesentlich.

Erster Erfolgsfaktor ist ein kundennahes Marktmanagement, das schnell und punktgenau Nachfrageänderungen registriert und dafür sorgt, dass Produktion, Vertrieb und Verwaltung neue Kundenwünsche und -bedürfnisse zu wettbewerbsfähigen Preisen abbilden. Beispiele für neuere Konsumententrends sind der Wunsch nach ganzheitlichen Beratungskonzepten, der Bedarf, große Vermögen kapitalschonend und steueroptimiert für Ruhestand oder Vererbung aufzulösen (Wealth Deaccumulation), und der Wunsch in alternden Gesellschaften, Hilfs- statt Geldleistungen von Finanzdienstleistern zu erhalten (etwa Reparaturdienste, betreutes Wohnen, medizinische Versorgung, Pflegeleistungen).

Wichtig ist es, über ein weltweit einsetzbares Betriebsmodell einen deutlichen Kosten- und Qualitätsvorsprung auf- und auszubauen, ein Projekt, das die Allianz gerade mit Hochdruck vorantreibt. Das Betriebsmodell vereint Multikanalvertrieb, zentrale, hocheffiziente Produktkonfektionierung und Vollintegration aller Bereiche mit zentraler Geschäftssteuerung. Es muss sicherstellen, dass ein Maximum der Kapitalanlageergebnisse aus den Vorsorgeprodukten den Kunden und den Aktionären zugeschrieben wird. Außerdem sollte es so angelegt und technisch ausgestattet sein, dass Einspar- und Synergiepotenziale ausgeschöpft werden, beispielsweise über Prozessstandardisierungen, Prozessverlagerungen ins Ausland mit geringen Lohnkosten (Offshoring) und über einen zusammengefassten Abwicklungsservice am Ort.

Das Geschäftsmodell muss geeignet sein, Teillösungen aus den Bereichen Versicherung, Asset Management und Bank effizient miteinander zu verknüpfen, beispielsweise für die betriebliche Altersvorsorge international tätiger Unternehmen. Erfolgreiche Produktlösungen sollten schnell und mühelos von einem Markt in den anderen übertragen werden können, wie es die Allianz gegenwärtig mit fondsgebundenen Rentenversicherungen tut.

Präsens in attraktiven Regionen

Schließlich müssen Finanzdienstleister in den Geschäftssegmenten und den Regionen mit dem höchsten Geschäftspotenzial präsent sein und dort mit Nachdruck Kundenbeziehungen ausbauen. Dies setzt ein konsequentes Durchleuchten und Management des Portfolios voraus. Besonders kräftig wird zum Beispiel in Asien die Lebensversicherung wachsen, mit einem durchschnittlichen Plus bis 2015 von jährlich 8,9 Prozent. Absolut betrachtet, werden die Prämien in Asien bis 2015 auf 596 Milliarden Euro taxiert. In dieser Region frühzeitig auf mögliche Kunden zuzugehen, etwa über den Vertrieb von Kleinstversicherungen, die für wenige Eurocent im Monat Armen Schutz bieten, ist eine vielversprechende Investition. Auch der amerikanische Lebensversicherungsmarkt bleibt attraktiv. Schließlich ist in Europa ein durchschnittliches jährliches Wachstum im Lebensversicherungsgeschäft von 6,7 Prozent auf 468 Milliarden Euro 2015 zu erwarten.

Sind Finanzdienstleister in der Lage, diese drei Erfolgsfaktoren für sich zu nutzen, und verfügen sie darüber hinaus über die Fähigkeit, bei ihren Kunden Vertrauen aufzubauen, steht ihnen das Tor zu substanziellen Umsatz- und Gewinnsteigerungen weit offen. Möglicherweise erwachsen aus der gegenwärtigen Kapitalmarktkrise auch unerwartete Chancen, etwa in Form noch leistungsstärkerer und international wettbewerbsfähigerer Finanzdienstleister. Dann werden die herausragenden Geschäftsmöglichkeiten, die alternde Gesellschaften diesen Unternehmen bieten, wieder stärker hervortreten.

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