Aufsätze

Turbulenzen an den internationalen Finanzmärkten - Ursachen, Auswirkungen und Lehren

Die Turbulenzen an den internationalen Finanzmärkten wurden im Juli 2007 offenbar. Einige wichtige Vorzeichen ließen sich schon zu einem viel früheren Zeitpunkt erkennen. Da die Anpassungsprozesse noch bis weit in das neue Jahr andauern werden, wäre es verfrüht, bereits heute zu einem abschließenden Urteil über Ursachen, Auswirkungen und die daraus zu schließenden Lehren gelangen zu wollen. Gleichwohl lassen sich in einer Art Zwischenbericht einige wichtige Eckpunkte festmachen.

Nomen est omen

Ein Kennzeichen für die Unsicherheit über die Natur der jetzigen Marktturbulenzen ist, dass das zugkräftige Wort "Krise" in der Tagespresse in allen möglichen Wortkombinationen synonym verwandt wird. Plötzliche Preisanpassungsprozesse auf den Märkten für Finanzaktiva auf Grund neuer Informationen sind jedoch Bestandteil des üblichen Marktgeschehens. Von einer Krise kann und muss man erst sprechen, wenn ein Finanzinstitut in eine lebensbedrohende Schieflage gerät, die wahrscheinlich nicht mehr aus eigener Kraft gemeistert werden kann.

Das Gleiche gilt, wenn die Lebensfähigkeit eines Finanzinstruments in Frage gestellt wird, sei es durch geänderte aufsichtsrechtliche oder steuerliche Rahmenbedingungen, sei es - wie jetzt der Fall - durch einen massiven Käuferstreik vieler Anleger, die von der plötzlichen Illiquidität komplexer Kreditprodukte und der Unsicherheit über die Höhe notwendiger Abschreibungen bei Kreditproduzenten und Anlegern überrascht wurden. Nicht hilfreich ist dagegen, zugleich von einer systemischen und globalen "Finanzmarktkrise" zu sprechen, solange keine ernsthaften Zweifel an der allgemeinen Funktionsfähigkeit wichtiger Finanzmärkte angebracht sind und nicht mit durchschlagenden Auswirkungen auf die Realwirtschaft zu rechnen ist.

Ursachenforschung

Dies ist jedoch für 2008 nicht zu erwarten. IWF und OECD sagen für die Weltwirtschaft insgesamt nur einen mäßigen, wenngleich asymmetrischen Rückgang der realen Wachstumsraten voraus - sowohl in Auswirkung der Turbulenzen an den Finanzmärkten als auch der stark gestiegenen Dollarpreise von Erdöl, Erdgas und anderen Rohstoffen sowie der Abschwächung am US-Immobilienmarkt. Der zu erwartende erheblich schwächere Anstieg der US-Inlandsnachfrage1) wird teilweise durch höhere Zuwachsraten bei den US-Ausfuhren und das ebenfalls nur wenig verminderte starke Wirtschaftswachstum wichtiger Schwellenländer kompensiert.

Für viele überraschend kündigten im Juni 2007 die großen Ratingagenturen nacheinander an, dass sie die bis dahin vergleichsweise günstige Bewertung komplexer Verbriefungsprodukte von Banken einer kritischen Prüfung unterziehen werden. Damit reagierten sie auf den dramatischen Preisverfall von verbrieften US-Wohnungsbaukrediten vor allem im US-Subprime-Markt, bei denen die zugrunde liegende Sicherheit nicht aus den finanzierten realen Immobilien besteht, sondern aus den umverpackten Hypothekenforderungen, deren voller Marktwert bei einkommensschwachen Hauseigentümern wiederum nur bei steigenden und nicht bei fallenden Marktpreisen für die finanzierten Häuser gewährleistet ist. Zum Beispiel ist der ABX-Index für verbriefte BBB-Wohnungsbaukredite, die in der ersten Jahreshälfte von 2006 begeben wurden, von knapp unter 100 Prozent Anfang 2007 bis unter 60 Prozent im Juni und 20 bis 25 Prozent im Spätherbst 2007 abgesunken. Dazu trug auch eine massive Baissespekulation einiger amerikanischer Hedgefonds mittels Verkaufsoptionen bei.2) Selbst ursprüngliche AAA-Emissionen im segmentierten Subprime-Bereich erreichten nur noch einen Wert von etwa zwei Dritteln des Ausgangspreises.

Zangenbewegung

Von 2001 bis Anfang 2006 waren die Nominalpreise für Wohnimmobilien infolge der US-amerikanischen Niedrigzinspolitik, der massiven Anlage von Reserveüberschüssen der Schwellenländer am amerikanischen Kapitalmarkt sowie lascher Richtlinien und fragwürdiger Praktiken bei der Vergabe von Wohnungsbaukrediten kräftig gestiegen, und zwar weitaus stärker als die verfügbaren Haushaltseinkommen und das allgemeine Preisniveau in den USA. Im Oktober 2007 lagen die Immobilienpreise in zehn US-Großstadtregionen wieder um 6,7 Prozent niedriger als ein Jahr zuvor.

Auf der anderen Seite ist - zeitverschoben - die Zins- und Tilgungslast der überwiegend variabel vergebenen Wohnbauhypotheken in Auswirkung wieder gestiegener Kapitalmarktzinsen und des Auslaufens von Sonderkonditionen erheblich angewachsen. Für eine zunehmende Zahl von Neuschuldnern hat diese Zangenbewegung dazu geführt, dass sie ihren Annuitätsverpflichtungen nicht mehr ordnungsgemäß nachkommen können und im Extremfall ihre Häuser durch Zwangsverkäufe verlieren.

Es verwundert nicht, dass die US-amerikanischen Hypothekenbanken und andere Direktfinanzierer, die spezialisierten Hypothekenrefinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac sowie die in die Bresche springenden Federal Home Loan Banks in erster Linie die Auswirkung dieser zyklischen Entwicklung am US-amerikanischen Hypothekenmarkt zu spüren bekommen.

Weitergabe verbriefter Kreditforderungen

Für viele Beobachter war es jedoch überraschend, dass die krisenhafte Zuspitzung an einem nationalen Teilkreditmarkt ziemlich schnell zu so großen Turbulenzen an anderen US-amerikanischen als auch an den internationalen und europäischen Kreditmärkten geführt hat. Der Grund dafür liegt darin, dass Finanzinstitute, die Wohnimmobilien üblicherweise nicht direkt finanzieren, in erheblichem Umfang Wohnbaukredite zwecks Verbriefung ebenso aufgekauft haben wie so viele andere Arten von Kreditforderungen, zum Beispiel solche zur Finanzierung von Gewerbeimmobilien, Autokredite, noch nicht bezahlte Kreditkartenforderungen oder Notes zur Finanzierung von LBOs (Leveraged Buyouts), die von den übernommenen Unternehmen emittiert werden.

Entscheidendes Merkmal für ein Verbriefungsprodukt ist, dass die Finanzinstitute die angekauften Kreditforderungen ganz überwiegend als Produzent von Verbriefungsprodukten in gepoolter Form an Dritte weitergeben, in erster Linie an ausgelagerte, das heißt selbst geschaffene Zweckgesellschaften (SIVs = Structured Investment Vehicles). Dieser Form der Disintermediation liegt das OTD-Modell als neues Geschäftsmodell zu Grunde (Origi-nate-to-Distribute). Die SIVs refinanzieren sich ihrerseits durch die Emission von gedeckten Wertpapieren (Asset Backed Securities, ABS oder Collateral Debt Obligations, CDOs) am Geld- oder Kapitalmarkt.3)

Der gemeinsame Nenner bei allen verbrieften Kreditprodukten ist, dass außerhalb der Bilanzen - initiiert von Banken und sonstigen Finanzinstituten als Originatoren und Sponsoren, aber mit ihnen auch während der gesamten Laufzeit durch rechtliche oder informelle und damit weitgehend intransparente Beziehungen verbunden - Kreditkonstrukte und Kreditketten über Fonds und alle möglichen Arten von Investmentvehikeln geschaffen worden sind. Diese werden unzureichend oder oft gar nicht überwacht. Da die SIVs fast ohne Eigenkapital ausgestattet sind und bisher grundsätzlich nicht konsolidiert wurden (werden mussten), spart die Bank als Originator oder Sponsor einerseits weitgehend das Vorhalten von teurem Eigenkapital und erzielt andererseits durch die indirekte Bilanzverlängerung zusätzliche und fortlaufende Provisionserträge. Allen Auslagerungen inhärent ist selbst dort ein Hebeleffekt, wo keine zusätzlichen Kreditderivate oder Absicherungen in Form von Anleiheversicherungen im Spiel sind, da die Schaffung von Kreditketten in der Aufbauphase mit einem systemischen Liquiditätsgewinn verbunden ist. Umgekehrt wird durch den in Gang gekommenen teilweisen Abbau der "Schattenkreditwirtschaft" ein erheblicher systemischer Liquiditätsbedarf ausgelöst.

"Wasserfallmethode"

Es ist hier nicht der Platz, um auf die intransparente Fülle von möglichen Kombinationen und Variationen näher einzugehen, die auf den amerikanischen und europäischen Finanzmärkten Eingang gefunden haben. Es gibt zwei Grundmodelle: In dem ersten erwerben die SIVs Kreditforderungen unterschiedlicher Art, Laufzeit und Kreditqualität und refinanzieren sich überwiegend durch Medium Term Notes und am Gewinn beteiligte, für den Erwerber jedoch hochriskante Capital Notes. Liquiditätsfazilitäten der Originator-Bank in Höhe von fünf bis zehn Prozent, die zur Absicherung des Anschlussfinanzierungs-(Liquiditäts-)Risikos dienen, spielen bei diesen SIVs nur eine untergeordnete Rolle, da für den Fall eines unerwarteten Finanzbedarfs von der jederzeitigen Veräußerbarkeit kurzfristiger Finanzaktiva (ohne Kapitalverlust) ausgegangen wird (worden ist). Die Kreditrisiken des Pools werden mit Hilfe der "Wasserfallmethode" tranchiert, wonach Zinsen und Tilgungen von oben herab zuerst der obersten und besten AAA- Tranche und dann den übrigen Tranchen in der Bonitätshierarchie zugutekommen. Etwaige Ausfallverluste sind, "von unten beginnend", vom Investor der hochrentierlichen Erstverlustposition (Firstloss- Tranche) zu tragen.

Eine viel risikoreichere Variante mit größerer Hebelwirkung sind die "SIVs-LITE". Sie unterliegen weniger strengen Diviersifikationsregeln und sind zum allergrößten Teil in US-amerikanischen Wohnungsbauhypotheken investiert.

ABCP-Programme

Wichtigstes Kennzeichen des zweiten Grundmodells von Verbriefungsprodukten, genannt ABCP-Programme (Asset Backed Commercial Paper), ist eine damit verbundene große Fristentransformation, die bei einem üblicherweise ansteigenden Verlauf der Renditenstrukturkurve eine ansehnliche Zinsmarge ermöglicht. Hier werden längerlaufende verbriefte Forderungen erster Qualität über ein SIV namens Conduit durch kurzfristige Commercial Paper refinanziert. Das im Krisenfall manifest werdende Zinsänderungs- und Anschlussfinanzierungsrisiko wird üblicherweise durch eine Liquiditätsfazilität der Originator-Bank und etwaiger kooperierender Banken bis zu 100 Prozent abgesichert, doch kann die Refinanzierungszusage an Bedingungen gebunden sein.

Die Achillessehne dieses Modells liegt darin, dass sich bei einem Käuferstreik der CP-Investoren und einer dadurch ausgelösten Inanspruchnahme der Liquiditätsfazilität die Bilanz der Originator-Bank verlängert. Neben dem Liquiditätsverlust kann der indirekte Rücktransfer auch mit erheblichen Solvenzrisiken verbunden sein, da die Werthaltigkeit der Liquiditätsdarlehen von der refinanzierten Deckungsaktiva und der erzielten Zinsmarge abhängt. Ähnliche Auswirkungen ergeben sich bei vertraglich festgelegten direkten Rücknahmen, wenn bestimmte Auslöseschwellen erreicht werden (Event of Default Trigger) oder wenn für die Reputation schädliche Notverkäufe am Markt (Fire Sales) verhindert werden sollen.

Eine Spielart des zweiten Grundmodells ist das Kreditprodukt "ABS Squared", bei dem die ausgelagerten Kreditforderungen bereits aus Tranchen anderer Verbriefungsprodukte bestehen, also mehrere Zweckgesellschaften in einer Art verlängerten Kreditkette hintereinander geschaltet werden.

Die unterschiedliche Interessenlage von Kreditproduzenten (Originatoren und Sponsoren) und Investoren hat an den Kapitalmärkten zu extremen Informationsasymmetrien geführt. Umfangreiche Emissionsprospekte über komplexe Kreditprodukte - so sie denn verfügbar sind - werden von den Endinvestoren weder ausreichend gelesen noch verstanden. Viele relevante Preisindikatoren werden fortlaufend nur von speziellen und teuren Informationsdiensten wie zum Beispiel Bloomberg angeboten und nicht in den führenden Tageszeitungen publiziert. Ferner haben schon die unübersehbare Fülle der einzelnen Kreditprodukte und die mangelnde Vergleichbarkeit aufgrund unterschiedlicher Konstruktion und Namensgebung die Markttransparenz dramatisch verringert. Es fehlt an der nötigen Produktwahrheit und -klarheit.

Markttransparenz und Rolle der Ratingagenturen

In diese Transparenzlücke sind die Ratingagenturen gestoßen, deren Beurteilung von Wertpapieremissionen und Emittenten sich in den bekannten Bewertungsskalen niederschlägt. Sie sind für den "Markt", das heißt für die Investoren und deren Berater, zum entscheidenden Urteilskriterium geworden. Ihre Auftraggeber sind wiederum die Originatoren und Sponsoren, die an einer guten Beurteilung interessiert sind. Oftmals sind die Ratingagenturen in einer Doppelrolle von den Investmentbanken frühzeitig in die Entwicklung von innovativen Kreditprodukten in der Form von iterativen Beratungsprozessen mit einbezogen worden.4)

Die Glaubwürdigkeit der Ratingagenturen ist bei allen Marktbeteiligten stark in Mitleidenschaft gezogen worden, nachdem sie ab Juni 2007 begonnen haben, die guten Bewertungen von komplexen Kreditprodukten in vielen Fällen gleich um mehrere Bewertungsstufen (notches) und innerhalb kurzer Zeit zurückzunehmen. Ein weiterer Grund für die um sich greifende Unsicherheit unter den Investoren ist, dass die von interessierten Kreisen angebotenen Modellpreise einen nur unzureichenden Ersatz für fehlende echte Marktpreise bieten, zumal sie auf unterschiedlichen und im Markt nicht bekannten Modellen basieren.

Auswirkungen auf die Stabilität der Finanzinstitute

Die Bundesbank5) ist in ihrem jüngsten Finanzstabilitätsbericht 2007 zu dem Urteil gelangt, dass das deutsche Banken- und Finanzsystem "trotz der erheblichen Herausforderungen durch die Finanzmarktturbulenzen seine volle Funktionsfähigkeit und Stabilität bewahrt" hat. Mehr oder weniger zu demselben Urteil gelangt man hinsichtlich der Stabilität des US-amerikanischen Finanzsystems und anderer wichtiger Finanzmärkte ungeachtet der krisenhaften Zuspitzung auf einzelnen Kreditmärkten und der Auswirkungen des teilweisen Rückbaus des entstandenen "Schattenbanksystems" auf die Eigenkapi-tal-, Profitabilitäts- und Liquiditätssituation der regulierten Finanzinstitute.

Alle bisher bekannt gewordenen Schieflagen einzelner Finanzinstitute nach dem Auslaufen der Kreditbonanza haben ihre eigene Geschichte, die hier nicht im Einzelnen nachvollzogen werden soll. Von Interesse sind jedoch einige unterschiedliche Tendenzen. Die "institutsspezifischen Risikokonzentrationen"6) der deutschen Problemfälle IKB und Sachsen-LB sind vor allem eine Funktion des schwindelerregenden Umfangs ausgelagerter Kreditverbriefungen außerhalb ihres erklärten Geschäftsmodells.7) Im Juni 2007 lagen sie im Vergleich zu Kapitalkraft und Bilanzgröße um ein Vielfaches höher als bei den großen, meist privaten Wettbewerbern im In- und Ausland. Dies wie auch der bestimmende Einfluss öffentlicher Kapitaleigner erklären, warum im Wesentlichen nur durch konzertierte Rettungsaktionen der beteiligten öffentlichen Finanzinstitute, staatliche Garantien und anvisierte Übernahmen seitens kapitalkräftiger Institute eine sofortige Insolvenz verhindert werden konnte.

Internationale Geschäfts- und Investmentbanken können dagegen Rückstellungen und Abschreibungen, die nach privaten Schätzungen die Gesamtsumme von 100 Milliarden US-Dollar letztendlich weit übersteigen dürften, im Rahmen ihres ansehnlichen Tier 1-Eigenkapitalpuffers verkraften. Um jedoch ihr gutes Rating abzusichern, haben laut Pressemeldungen führende Institute inzwischen mit staatlichen Vermögensfonds (Sovereign Wealth Funds) in Asien und im Nahen Osten umfangreiche Eigenkapitalzuführungen von rund 40 Milliarden US-Dollar vereinbart, vor allem durch die Emission von Wandelanleihen.8)

Das OTD-Modell auf dem Prüfstand

Welche Lehren lassen sich bisher aus den Finanzmarktturbulenzen ziehen? Wo lässt sich ein Handlungsbedarf ausmachen? Die wichtigste Schlussfolgerung ist, dass es zwar keine allgemeine internationale Finanzmarktkrise gibt, wohl aber eine Kreditkrise eigener Art, die den Liquiditätsspielraum der Finanzinstitute in hohem Maße einengt.9)

Nach verschiedenen, sich teilweise überlappenden Transformationsphasen der Bankensysteme in den Industrieländern seit Ende der siebziger Jahre hat sich in den letzten fünf Jahren ein neues Muster der Finanzintermediation herausgebildet. Das traditionelle Bankgeschäft "holding-loans-to-maturity" wurde immer mehr durch das oben beschriebene OTD-Modell10) überlagert. Dieses Modell steht jetzt auf dem Prüfstand.

Notwendige Korrekturen vornehmen

Es geht um die Wiederherstellung eines neuen und nachhaltigen Gleichgewichts zwischen dem bilanziellem und dem außerbilanziellem Kredit- und Anlagegeschäft. Obenan stehen in allen Einzelvorschlägen die Ziele einer verbesserten Markttransparenz zwischen den Marktteilnehmern, einer stärkeren Berücksichtigung der Liquiditätsrisiken sowie der inhärenten Interdependenz zwischen einzelnen Risikoarten.

Die primäre Verantwortung für die notwendigen Korrekturen beim OTD-Modell sollte weiterhin der Privatsektor tragen, während die Gesamtverantwortung bei den zuständigen öffentlichen Politikgremien liegt. Dabei wird es darauf ankommen, die gesetzlichen Normen und "best practices" im Hinblick auf die angestrebten Ziele teleologisch und nicht rein positivistisch auszulegen und anzuwenden. Bei der Aufsicht der Finanzmärkte bleibt daher die Verantwortung zu überwachen, dass etwaige Normlücken von den Marktteilnehmern nicht dazu ausgenutzt werden, um sinnvolle Ziele, die mit den institutionellen Regelungen verfolgt werden, im Nachhinein wieder auszuhebeln. In der Vergangenheit hat dieses Anliegen in den langwierigen transatlantischen Diskussionen über Basel II aufgrund der Unterschiede in den Rechtssystemen leider immer wieder zu Friktionen geführt.

Besseres Risikomanagement der Finanzintermediäre

Wichtigstes Ziel eines verbesserten Risikomanagements der Finanzintermediäre ist und bleibt eine bessere Transparenz an den Finanzmärkten. Ohne sie kann das Vertrauen der Finanzintermediäre untereinander sowie das der Privatanleger gegenüber den Kreditproduzenten, den Originatoren und Sponsoren innovativer und komplexer Kreditprodukte, nicht wieder hergestellt werden. Auch sogenannte einfache und vor allem standardisierte Kreditprodukte müssen wieder ihren Platz haben. Jede höhere Komplexitätsstufe ist für den Anleger ein zusätzliches Risiko, da die Zuordnung der Risiken verwischt wird und der Gläubiger der verbrieften Kreditforderung im Ernstfall auf die Verwertung der Sicherheiten angewiesen bleibt.

Die systemisch klarste Lösung und weitreichendste Forderung ist daher die Konsolidierung jedweder Art von Zweckgesellschaften,11)die zwischen dem ursprünglichen Schuldner und dem letzten Anleger zwischengeschaltet werden und die damit die Kreditkette verlängern. Es ließe sich sogar argumentieren, dass eine Zweckgesellschaft als Risikoübernehmer eine Bank ist. Darauf kommt es jedoch im Hinblick auf Sinn und Zweck einer Bilanzkonsolidierung de lege ferenda gar nicht an.

Will der Kreditproduzent nur einen teilweisen Rückgriff auf seine Kapitalkraft zulassen, so müsste er dies erstens gegenüber Investoren und Aufsichtsbehörden klar zum Ausdruck bringen und zweitens mindestens die eingeräumten Rückgriffsmöglichkeiten (wie der Selbstbehalt durch Übernahme einer Kredittranche und die teilweise oder hundertprozentige Gewährung einer Liquiditätsfazilität zwecks Refinanzierung) voll mit Eigenkapital unterlegen.

Ein besseres Risikomanagement der Kreditintermediäre muss durch Anpassungen des regulatorischen Rahmenwerks unter Einschluss der internationalen Rechnungslegungsvorschriften nach IFRS abgesichert werden.

Anpassungen des regulatorischen Rahmenwerks

Nach den neuen KWG-Regelungen in Durchführung der Solvabilitätsverordnung/Basel II, die ab 1. Januar 2008 verbindlich gelten, werden die Anrechnungsregelungen für Kreditzusagen bereits etwas risikogerechter differenziert.12) So gilt immerhin ein Konversionsfaktor von 20 Prozent für unterjährige Kreditzusagen, von 50 Prozent mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr und von 75 Prozent für Kreditzusagen mit einem IRBA-Ansatz (Internal Ratings Based Approach). Sollen aber widerrufliche Kreditzusagen, die man im Hinblick auf Reputationsgründe oder weitere Geschäftsbeziehungen gar nicht so einfach widerrufen kann, weiterhin als nicht mit Eigenkapital unterlegpflichtig angesehen werden? Mit Blick auf die gemachten Erfahrungen wird nach Ansicht der Bundesbank jedoch zu überprüfen sein, "ob die in Basel II vereinbarten Risikogewichte und Konversionsfaktoren für Liquiditätslinien das Risiko solcher Engagements angemessen widerspiegeln".13)

Eine weitere Verschärfung der Eigenkapitalerfordernisse nach Basel II durch eine stärkere Berücksichtigung bestimmter Risikopositionen wird erst nach einer längeren internationalen Diskussion zu erreichen sein. Um der größeren Risikogeneigtheit des Bankensystems und dem verstärkt prozyklischen Charakter des Eigenkapitalpuffers als Folge eingebauter Hebeleffekte Rechnung zu tragen, könnte man zusätzlich oder alternativ daran denken, die Minimalanforderungen an das haftende Eigenkapital zu erhöhen. Allemal liegen die individuell formulierten Eigenkapitalziele der führenden internationalen Banken mit gutem Standing bereits jetzt weit über den Minimalanforderungen nach Basel II (zum Beispiel 7,5 Prozent für Tier 1-Kapital bei der Citigroup).

Rolle von Stresstests

Größere Spielräume für eine aktivere und vorausschauende Finanzmarktaufsicht auf nationaler Basis dürften bei Stresstests im Rahmen der Risikotragfähigkeitsanalyse bestehen. "Die Analyse der Finanzstabilität ist neben der Wahrung der Geldwertstabilität eine der zentralen Aufgaben aller Notenbanken".14) Die Bundesbank hat im Jahr 2007 erstmals bankindividuelle Stresstests zu Liquiditätsrisiken durchgeführt.

Zukünftig sollen die vorgegebenen Rahmenszenarien stärker vereinheitlicht und der Kreis der befragten Institute, der im Jahr 2007 zwölf Institute umfasste, vergrößert werden. Im Hinblick auf die jüngsten Ereignisse stellt sich für die Notenbank vor allem die Frage nach der Interdependenz der Risikokategorien, insbesondere zwischen erhöhten Markt-, Kredit- und Liquiditätsrisiken "bei gestiegener Unsicherheit über die Risikoabsorptionsfähigkeit der Marktteilnehmer". Jedenfalls sollte die Gefahr vermieden werden, dass die Ausfallwahrscheinlichkeit unter der Annahme normaler Umfeldbedingungen ermittelt wird, wie dies bei Verfahren der Fall ist, die auf historischen Daten kalibriert werden. Märkte sind nicht notwendigerweise fortlaufend offen oder besitzen eine unbegrenzte Tiefe.

Rolle der Ratingagenturen

Nicht zuletzt muss die Rolle der Ratingagenturen in einem oligopolistischen Ratingmarkt kritisch hinterfragt werden. Dies gilt umso mehr als die Kreditinstitute im Standardverfahren zur Ermittlung der angemessenen Eigenkapitaldeckung von Kreditrisikopositionen (KSA) - im Gegensatz zu alternativen institutseigenen Ratingverfahren (IRB-Ansatz) - grundsätzlich an externe Ratings von solchen Ratingagenturen anknüpfen können (und sollen), sofern sie aufsichtsrechtlich anerkannt sind.15)

Die Vorschläge reichen von der Offenlegung der Bewertungsverfahren und der Annahmen über die Entwicklung gesamtwirtschaftlicher Daten sowie der Ausfallkorrelationen bis zur Entwicklung einer separaten Bewertungsskala für komplexe Kreditprodukte mit Hebeleffekt und separaten Tranchen.16) Im Gegensatz zu klassischen Anleihen, deren Wertentwicklung von der anderer Anleihen nicht abhängt, weisen verbriefte Kredite in der Form tranchierter Wertpapiere einen Hebeleffekt auf: Je tiefer der Rang einer Tranche und je geringer ihr Volumen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit eines Totalausfalls.

Ferner müsste klargestellt sein, dass Ratingagenturen sich bisher auf die Beurteilung des Ausfallrisikos von Krediten spezialisiert haben, nicht aber auf die Beurteilung von Wertminderungen durch Liquiditätskrisen.17) Sinnvoll dürfte auch sein, künftig zur Kontrolle die Ratingergebnisse mit den Ergebnissen von Stresstests zu verknüpfen.

Technische Versorgung mit Zentralbankgeld

Die starke Inanspruchnahme von Liquiditätslinien durch Zweckgesellschaften führte im August und - nach einer kurzen Entspannungsphase im September - ab Oktober zu einem hohen und anhaltenden Refinanzierungsbedarf der Banken am Interbankenmarkt, ausgehend vom US-Markt.18) Vorsorglich bauten die Institute weitere Liquiditätspuffer auf. Da die Institute ihre Refinanzierung auch im Eurosektor weitgehend in das Übernachtsegment verlagert haben, sind die Terminspreads zeitweilig bis auf 90 Basispunkte über den Eonia-Satz angestiegen. Dieser konnte vom Eurosystem ungeachtet der gestiegenen Volatilität in der Nähe des Mindestbietungssatzes von 4,00 Prozent gehalten werden. Die aktuelle dysfunktionale Verfassung des Marktes ist eine Folge der hohen Risikoaversion aller Marktteilnehmer und insbesondere des gegenseitigen Misstrauens unter den Banken.

Diese Verwerfungen haben an das Eurosystem und andere Zentralbanken bei der technischen Versorgung des Geldmarktes mit Liquidität (Zentralbankgeld) mittels flexibler Offenmarktgeschäfte besondere Anforderungen gestellt. Es genügt nicht mehr, im Rahmen der geldpolitischen Ziele einer eng begrenzten Zahl von Prime Brokers (USA) oder relativ wenigen Spitzeninstituten (Eurosystem) im Ausschreibungsverfahren die notwendige Liquidität zur Verfügung zu stellen, die dann üblicherweise an kleinere Banken mit sehr geringen Zinsaufschlägen weitergegeben wird.

Das Eurosystem reagierte daher mit einem Bündel von Maßnahmen:

- Bei unverändert gebliebenem Mindestbietungssatz von 4 Prozent für Einwochengeld im Ausschreibungsverfahren eine großzügige Liquiditätsbereitstellung im Bereich der Grundversorgung.

- Flexible Feininterventionen zwecks Begrenzung der Zinsvolatilität im Tagesablauf und von einem Geschäftstag zum anderen; einschließlich der Bereitstellung der Möglichkeit, gehortete, also aktuell nicht benötigte Überschussliquidität zu einem Zinssatz in der Nähe des Mindestbietungssatzes wieder anlegen zu können.

- Vermehrte Interventionen im 7-Tage-, Ein- und Dreimonatsbereich im Ausschreibungsverfahren, um die dortige Nachfrage zu befriedigen und die am Interbankenmarkt geforderten Risikoprämien tendenziell zu drücken.

- Ausweitung der zentralbankfähigen Sicherheiten nach Art und Umfang.

- Ausweitung des Kreises der zugelassenen Kontrahenten, einschließlich Tochtergesellschaften von Banken mit Hauptsitz außerhalb der Eurozone.

Die US-Fed hat ihren Interventionssatz in drei Stufen von 5,25 Prozent auf 4,25 Prozent gesenkt. Darüber hinaus hat sie unter anderem die US-Banken ermutigt, das direkte Diskontfenster der Fed stärker als traditionell üblich in Anspruch zu nehmen, indem sie den Diskontsatz - einen Strafzins - stufenweise etwas stärker von 6,25 Prozent auf 4,75 Prozent im Dezember zurückgenommen hat. Die Bank of England hat erst auf erheblichen Druck der britischen Regierung und nach der Gewährung einer britischen Staatsgarantie zugunsten der Einleger der englischen Hypothekenbank Northern Rock eine Liquiditätshilfe von 25 Milliarden Pfund zur Verfügung gestellt.

Mitte Dezember führten die EZB und die US-Fed zusammen mit den britischen, kanadischen und schweizerischen Zentralbanken massive und koordinierte Termininterventionen durch, um eine unerwünschte Zinsanspannung zum Jahresultimo zu verhindern. Allein das Europäische Zentralbanksystem stellte am 18. Dezember den 390 Antragstellern 350 Milliarden Euro für zwei Wochen zu einem Festzins von 4,21 Prozent zur Verfügung. Dies war etwa das doppelte Volumen dessen, was die Banken nach Ansicht der EZB eigentlich benötigten. Außerdem stellte die US-Fed den europäischen Zentralbanken im Swap- Verfahren bis zu 24 Milliarden US-Dollar zur Verfügung. Ferner haben inzwischen führende Banken begonnen, ihre im vierten Quartal und damit die im Gesamtjahr 2007 erlittenen Verluste offenzulegen. Seitdem sind die Verwerfungen an den Geldmärkten etwas abgeklungen, wie an dem leichten Rückgang des Zinsaufschlags für Dreimonatsgeld ablesbar ist (4,64 Prozent Euribor gegenüber 4 Prozent Mindestbietungssatz der EZB am 3. Januar 2008).
Fußnoten

1) Lt. OECD Economic Outlook, Dezember 2007: 2,9 per cent in 2006; 1,9 per cent in 2007; 1,4 per cent in 2008. - Siehe auch Wolf, Martin, Why the credit squeeze is a turning point for the world. Financial Times 12. Dezember 2007.

2) Mackentosh, James, Financial Times vom 26. November 2007.

3) Im Einzelnen siehe zum Beispiel Aberer, Bartle/Gruber, Walter, Verbriefungskonstrukte - heilsame Einsichten und attraktive Aussichten. Kreditwesen 21/2007.

4) Schmitt, Thomas, Dubiose Doppelrolle, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 2. Dezember 2007.

5) Deutsche Bundesbank, Finanzstabilitätsbericht 2007, November 2007, zusammen mit Pressenotiz 29. November 2007 und Ausführungen von Vizepräsident Prof. Dr. Zeitler und MdV Prof. Dr. Remsperger. .

6) Siehe Finanzstabilitätsbericht 2007, Seite 8.

7) Wiesmann, Gerrit and Simensen, Ivar, Saxon klaxon - Warnings behind the bail-out of a heedless bank. Financial Times London, 23 November 2007.

8) (unter anderem Citigroup 7,5 Milliarden US-Dollar von ADIA/Abu Dhabi; Merrill Lynch 4,4 Milliarden US-Dollar von Temasek/Singapur; UBS 11,2 Milliarden US- Dollar von GIC/Singapur; Morgan Stanley 5,0 Milliarden US-Dollar von CIC/China; Deutsche Bank 1,9 Milliarden US-Dollar von DIFC/Dubai).

9) BIS Quarterly Review, International banking and financial market developments, Overview: credit retrenchment triggers liquidity squeeze. September 2007.

10) Draghi, Mario, European Integration - The Contribution of Financial Markets", Vortrag am 22. November 2007 in Frankfurt am Main. Center for Financial Studies, .

11)Franke, Günter und Krahnen, Pieter, Finanzmarktkrise: Ursachen und Lehren. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. November 2007.

12) Im einzelnen siehe Finanzstabilitätsbericht 2007 der Bundesbank a.a. O., Seiten 47ff.

13) Finanzstabilitätsbericht 2007 der Bundesbank a.a. O., S. 16.

14) Deutsche Bundesbank, Stresstests: Methoden und Anwendungsgebiete. In: Finanzstabilitätsbericht 2007, a.a. O., Seiten 99 bis 115, insbesondere Seiten 104 ff., 115.

15) Deutsche Bundesbank, Die Umsetzung der neuen Eigenkapitalregelungen für Banken in deutsches Recht, Monatsbericht Dezember 2006, Seiten 69 bis 91, 78, 79.

16) Siehe Finanzstabilitätsbericht 2007 der Bundesbank, a.a. O., Seiten 15 f, 22.

17) Siehe Franke/Krahnen, Finanzmarktkrise: Ursachen und Lehren, a.a. O. - Weber, Axel A., Transparenz im Finanzbereich. Beitrag zur Podiumsdiskussion auf dem wissenschaftlichen Symposium der Finanz- Forschungsinstitute der Universität zu Köln, in Köln, am 12. Oktober 2007. Deutsche Bundesbank, Presseauszüge Nr. 44 vom 17. Oktober 2007, Seiten 3 f.

18) Finanzstabilitätsbericht 2007 der Bundesbank, a.a. O., Seite 19.

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