Aufsätze

Subprime-Verbriefungen und das Gewerbepolizeirecht des KWG

"Die Finanzkrise war vermeidbar"1) ist die zentrale Feststellung des soeben erschienenen Berichts der amerikanischen Untersuchungskommission zu den Ursachen der aktuellen Finanzkrise in den Vereinigten Staaten. Es fragt sich, ob ein solches Urteil auch für Deutschland gilt. Schlüsselbegriffe der Krise sind die angelsächsischen Bezeichnungen "subprime loans" und "toxic securities". Während erster Begriff ohne scharfe Konturen ist, macht die Sprachschöpfung der - ins Deutsche übertragen - "toxischen Wertpapiere" anschaulich, worum es geht: Um Wertpapiere, die wie Gift wirken, indem sie die Existenz derjenigen bedrohen, die eine kräftige Dosis davon nehmen. Im Finanzwesen leidet allerdings beim Abusus von giftigen Stoffen nicht nur der Proband, das heißt die Bank, die sich diese Stoffe zugeführt hat, sondern deren Toxämie, deren vergiftetes Blut wird zum Problemfall für das Banksystem insgesamt. Denn diejenigen, die für den Blutkreislauf des Banksystems unerlässlich sind, die Geld einlegenden Kunden können unsicher werden und ihr Geld dem Kreislauf entziehen, wenn sie erfahren, dass Banken von sich realisierenden Risiken befallen sind; dann kollabiert das ganze Finanzsystem.

Gesetzgeberischer Anlass für das KWG

Die schwere Bankenkrise von 1931 zeigt den geschilderten Ablauf auf das Deutlichste. Damals waren zwar nicht "toxische Wertpapiere" im Spiel; es ging aber auch um ein Risiko, das einem Urprodukt des Bankgewerbes entsprang, dem Kredit. Im zweiten Jahr nach Ausbruch der großen Weltwirtschaftskrise führte ein (allerdings großer) Kreditausfall bei nur einer Bank, der Danat-Bank, nicht nur diese in existenzielle Schwierigkeiten, sondern brachte das ganze Bankensystem in Deutschland ins Wanken, weil Kundeneinlagen durch einen Run auf die Bankenschalter entzogen zu werden drohten.2)Durch Notverordnung des Reichspräsidenten wurden die Bankenschalter geschlossen, um erst einmal Ruhe wiederherzustellen. Anschließend wurden die Banken, ebenfalls durch Notverordnung erstmalig in Deutschland der Staatsaufsicht unterstellt. Die Notverordnung wurde später abgelöst durch das Reichskreditwesengesetz von 1934, das 1939 überarbeitet und in dieser seiner Neufassung über das Kriegsende hinaus bis 1961 galt. An dessen Stelle trat dann das heutige Kreditwesengesetz, das KWG.

Regelungsgegenstand des KWG sind wie bereits in seinen Vorgängergesetzen eine Zulassungspflicht für Kreditinstitute, Bestimmungen über Eigenkapitalausstattungen der Kreditinstitute, über deren Liquidität sowie über das Kreditgeschäft.

Dies sind Eingriffsmaßnahmen in die Gewerbefreiheit von typisch gewerbepolizeilicher Natur. Sie sollen dem Staat die Abwehr von Gefahren, die von Bankinstituten für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen können, ermöglichen.3) Gemeint sind exakt die Gefahren, die heute als das "systemische Risiko" bezeichnet werden, das heißt Gefahren für die Finanzsystemsicherheit als einem öffentlichen Gut, das den Finanzinstituten für die Versorgung der gesamten Wirtschaft und der Bevölkerung mit Bankdienstleistungen anvertraut ist.

Gewerbepolizeirecht

Analoge gewerbepolizeiliche Regelungen finden sich etwa im Güterverkehrsgesetz und besonders sinnfällig im Atomgesetz und im Sprengstoffgesetz. Mit dem KWG sind all diesen Gesetzen gemeinsam nicht nur die in ihnen angeordnete Staatsaufsicht, sondern Eingriffsrechte, die den Staat in den Stand setzen sollen, die von den jeweiligen Gewerben ausgehenden Gefahren für die Allgemeinheit abzuwenden. Dieses nannte man früher sehr viel prägnanter eine gewerbepolizeiliche Aufgabe, für die heute ohne inhaltliche Änderung der sanftere Sprachgebrauch der"Gewerbeaufsicht" üblich geworden ist. Materiell handelt es sich also beim KWG um ein Gewerbepolizeigesetz zum Zwecke der Abwehr potenzieller Gefahren, die von Kreditinstituten ausgehen können.4) Zutreffend knüpft die Namensgebung des Kreditwesengesetzes auch an bei der Gefahrenquelle, eben dem Kredit, wie etwa das Sprengstoffgesetz in seinem Namen den Gegenstand der potenziellen Gefahr führt, nämlich den Sprengstoff. Folglich gilt: Was der Sprengstoff für das Sprengstoffgesetz, ist der Kredit für das Kreditwesengesetz.

Verkennung des typischen Kreditrisikos

Wie die schwere Bankenkrise 1931 vom Kredit ausging, entsprang auch die aktuelle Bankenkrise aus Krediten, insbesondere solchen, die in "strukturierten Wertpapieren" verpackt waren, den später anschaulich genannten "toxischen Wertpapieren". Zugrunde lagen diesen Wertpapieren Kredite, die eigentlich Anlass zu hoher Achtsamkeit hätten geben müssen. Die Kredite hießen "subprime loans"; diese Bezeichnung drückte präzise nur aus, was die Kredite nicht waren, nämlich Kredite an Schuldner erster Bonität. Das verrät einen sprachlichen Verharmlosungsvorgang: denn "subprime" ist begrifflich alles, was unterhalb der "prime rate" liegt, also alles bis hin zum schlechtesten Risiko. Man stelle sich vor, schlechte Schul- oder Examensnoten würden verkürzt "subprime" genannt, jeder verstünde dies als Witz. Kein Scherz ist es aber, wenn für ein potenziell gefährliches Produkt, den Kredit, ein schillernder Qualitätsbegriff wie "subprime" in den Verkehr gebracht wird; er muss stutzig machen und hätte schon deshalb Anstoß gegeben haben müssen, etwas genauer hinzusehen. Und dem bloßen Auge offenbart sich im Vergleich von "subprime loans" zu den hierzulande üblichen Krediten folgender risikoverschärfender Unterschied.5)

Extrembeleihung, Haftungsbeschränkung und höheres Zinsänderungsrisiko

Die in Rede stehenden "subprime loans" waren durchweg Hypothekenkredite amerikanischer Banken an dortige Privatpersonen. Im Gegensatz zu der in Deutschland üblichen Bankpraxis wurde in den USA kein Eigenmitteleinsatz von etwa 20 Prozent gefordert. Vielmehr wurden die Beleihungsgrenzen bis zu 100 Prozent des Verkehrswertes ausgedehnt; zudem wurden in den Markt steigender Immobilienpreise hinein noch Nachfinanzierungen bis zur neuen, höheren Wertgrenze gewährt (sogenannte "equity-loans").

Nach dem Hypothekendarlehensrecht der meisten amerikanischen Staaten können Banken wegen ihrer Forderungen aus dem Hypothekenkredit nicht auf das laufende Einkommen des Kreditnehmers zugreifen. Eine solche Hypothekenforderung ist somit nicht mehr wert als ein Anspruch aus einer Pfandleihe, weil bei Leistungsstörungen aus dem Darlehen die Bank zur Befriedigung ihrer Kreditforderung rechtlich nur die Verwertung der Immobilie vornehmen konnte.

Amerikanische Hypothekendarlehen haben in der Regel ein höheres Zinsänderungsrisiko als in Deutschland, weil sie typischerweise einen Festzins nur auf zwei Jahre enthalten, auch wenn sie über eine Laufzeit von 30 Jahren zugesagt sind. So waren mit dem dramatischen Zinsanstieg in Amerika ab 2005 bei vielen Hypothekendarlehen, die aus der Zinsbindung gekommen waren, Leistungsstörungen vorgezeichnet.

Durch die Möglichkeit der vollständigen Weitergabe des Risikos der auf dem Primärmarkt eingeräumten Hypothekendarlehen an den Sekundärmarkt über Wertpapiere verfielen die Kreditstandards auf dem Primärmarkt noch weiter,6) und es wurden noch schlechtere "subprime loans" gewährt, etwa mit einem Schuldendienst von über 45 Prozent des Bruttoeinkommens.7)

Es ist nur schwer denkbar, dass auch die unkritischste Bank in Deutschland einen solchen Kredit direkt an einen privaten amerikanischen Eigenheiminvestor vergeben hätte. Und doch holten deutsche Banken sich solche Kreditrisiken ins Haus, indem sie "subprime loans" von amerikanischen Hypothekenbanken erwarben und aus ihnen "strukturierte Wertpapiere" machten oder solche Papiere von Investmentbanken kauften.

Verharmlosung und Blicktrübung durch sprachliche Innovation und Bündelung

Die Umwandlung von "subprime loans" in Wertpapiere müsste eine Risikoabsenkung zur Folge haben, wenn Banken sich bei diesen engagieren wollten, ohne gegen ihre mögliche Erkenntnis zu verstoßen, dass "subprime loans" höchst gefährlich waren. Für die Annahme einer substanziellen Risikoänderung in Folge des Umwandlungsprozesses fehlt jeder tragfähige Grund. Auffällig ist wiederum, dass an die Stelle einer sachgerechten Beschreibung dessen, worum es geht, ein Imponierbegriff tritt, der geeignet ist, den Blick zu verstellen. Man hieß die aus der Umwandlung hervorgegangenen Produkte "strukturierte Wertpapiere", ein innovatives Produkt kreativer Investmentbanker. Das klingt kompetent, ist das Wort "strukturiert" doch höchst positiv konnotiert und lässt klassische Wertpapiere demgegenüber alt aussehen.

Inhalt der "strukturierten Wertpapiere" ist eine Vielzahl von nicht mehr überschaubaren "subprime loans" in einem Wertpapier. Die Unübersichtlichkeit wurde noch dadurch weiter gefördert, dass innerhalb einer Emission solcher Wertpapiere sogenannte "Wasserfallstrukturen" hinsichtlich der Bedienung von Zins- und Tilgungsleistungen geschaffen wurden, ähnlich einer Rangfolge von bevorrechtigten Forderungen im Insolvenzverfahren. Was man der bevorrechtigen Klasse gab, wurde aber den folgenden Klassen genommen, sodass insgesamt keine Risikoentlastung eintrat. Für die in die Welt gesetzte Erwartung, dass sich die Risiken der Summe der in den Wertpapieren verbrieften "subprime loans" vermindern ließen, wenn man sie neu mengt, fehlt jeder Anhaltspunkt.

Risikokonzentration statt Risikoausgleich

Das Argument, mit einer Bündelung einer Vielzahl solcher Kredite werde deren Risiko besser verteilt, sticht nicht; im Gegenteil: Statt Risikoausgleich fand Risikokonzentration statt.8) Denn wie dargelegt, waren die "subprime loans" alle von der gleichen Risikostruktur, vor allem ohne Eigenkapitaleinsatz und ohne Zugriffsmöglichkeit auf den Schuldner persönlich, nur regional verteilt. Die Summe ihrer Risiken, das heißt die Summe aus nicht eingesetztem Eigenkapital und fehlender persönlicher Haftung der Kreditnehmer blieb gleich, da beim Prozess der Bündelung und Verbriefung weder besonders schlechte Risiken abgeschieden wurden noch durch Zuführung von neuer Haftungssubstanz eine denkbare Risikoaufbesserung zu verzeichnen war.

Garantien von Versicherungsgesellschaften waren bei den hier behandelten "toxischen Wertpapieren" nicht im Spiel. Auch die Banken, die diese Wertpapiere schufen, vermieden geflissentlich eine eigene Haftung. Deshalb gab es bei diesen Wertpapieren nicht etwa vergleichbare Haftungsstrukturen wie bei Pfandbriefen, für deren Zahlungsversprechen die emittierende Hypothekenbank mit ihrem Eigenkapital haftet. Das krasse Gegenteil war Gegenstand der Strukturierung: weder die amerikanischen Hypothekenbanken noch die die Wertpapiere strukturierenden Investmentbanken traten als mit ihrem Eigenkapital haftende Emittenten auf; sie schoben an ihrer Stelle einen anderen Emittenten ein: ein - auch noch so bezeichnetes - "spezial purpose vehicle", kurz "SPV" oder auch "conduit" genannt, das heißt zu Deutsch eine "Röhre", eine nahezu eigenkapitallose Zweckgesellschaft. Wenn die Emissionen der "SPV" dann auch noch unter dem Namen "mortgage backed securities", kurz als "MBS" auftraten, war eine durch sprachliche Anmaßung beabsichtigte Fehlleitung perfekt: Es wurde der Eindruck erweckt, als sei ein "MBS" so etwas wie ein Mortgage Bond, ein Pfandbrief, der im Finanzmarkt noch nie einen Ausfall erlitten hat.9) Dagegen war ein "MBS" ein faktisch schuldnerloses Bündel von extrem strapazierten hypothekarischen Sicherheiten, die einzig dem Investor zur Befriedigung seiner Forderung blieben.

Rating als Form einer Umetikettierung

Ausgangspunkt der ganzen Transaktion war nicht ein angestrebter Risikoausgleich durch Bündelung einer Vielzahl von Krediten, denn gebündelt waren sie ja im Portefeuille der abgebenden Hypothekenbank. Ziel war, deren von den "subprime loans" gebundenes Eigenkapital freizusetzen, um mit diesem wieder neue Darlehen, auch "subprime loans" produzieren zu können.10) Dieser Prozess war damals bereits aus den sogenannten "asset backed securities", auch "ABS-Transaktionen" bezeichnet, bekannt. Den neuen "strukturierten Wertpapieren" fügten die Investmentbanken aber etwas Neues hinzu: ein Rating.

Die abgegebenen Kredite der amerikanischen Hypothekenbanken wurden aufgewertet, aber nicht durch geldwerte Substanz, sondern nur durch ein Rating. Denn Sicherungszusagen der abgebenden Hypothekenbanken konnten allenfalls marginale Risikominderungen herbeiführen; wären diese Zusagen substanziell, hätte das Ziel der Kapitalfreisetzung bei der abgebenden Hypothekenbank nicht erreicht werden können. Bis heute hat keine Ratingagentur dargelegt, wie sie das jeweils vorzügliche Rating der "strukturierten Wertpapiere" begründete.11)Jedenfalls wurden aus den bisherigen "subprime loans" "primerate Wertpapiere".12) So schien Investmentbankern mit Hilfe von Ratingagenturen gelungen zu sein, aus Wasser Wein zu machen.13) Tatsächlich wurde aber Wasser nur als Wein etikettiert und der Investor zahlte den Preis von Wein für Wasser. So wurde das Rating zum entscheidenden Treiber für die Finanzkrise,14) obwohl - oder weil - ein unrichtiges Rating für seine Verantwortlichen ohne Folgen ist, da sie dafür nicht haften.

Die Innovation der "strukturierten Wertpapiere" bestand letztlich darin, die beschränkte Haftung als das, wie Hans-Werner Sinn es nennt, "zentrale Erfolgsmodell des Kapitalismus"15), ad absurdum geführt zu haben: Weder der Hypothekenschuldner haftete persönlich mit einem Eigenkapitaleinsatz noch haftete die abgebende Hypothekenbank mit ihrem Eigenkapital, noch hafteten die Investmentbanken für die von ihnen strukturierten Papiere, noch hafteten die Ratingagenturen für ihr Rating. Wesentlicher Gegenstand der "strukturierten Wertpapiere" war danach eine "Entstrukturierung" von der Haftung aller an ihrer Entstehung Beteiligten. Das Verlustrisiko trug allein der Investor.

Für eine solche Konstellation ist der von der britischen Politikwissenschaftlerin Susan Strange16) bereits 1986 geprägte und von Hans-Werner Sinn für eine Ursachenbeschreibung der aktuellen Finanzkrise fortgeführte Begriff des "Kasino-Kapitalismus"17) noch ein Euphemismus, da beim Kasino jeder Spieler einen eigenen Einsatz zu leisten hat. Die strukturelle Schieflage von Einsatz und Gewinnchance macht offenkundig, wie brisant die "strukturierten Wertpapiere" für den Investor als den alleinigen Risikoträger sein mussten. Oder mit anderen Worten: Das Produkt "strukturiertes Wertpapier" ist nicht etwa durch ein unvorhergesehenes Ereignis nachträglich "toxisch" geworden; vielmehr war es "toxisch" von Anfang an, nur brauchte die Wirkung des Gifts eine gewisse "Inkubationszeit", die dem typischen Risikoverlauf schlechter Kredite entspricht.

Verbriefungen als Ersatzdebitoren

Wenn Banken dennoch mit diesen Papieren hantierten, sind die Gründe dafür aufzuhellen. Für die Banken in Deutschland, die hier prominent in Erscheinung traten, insbesondere einige Landesbanken und die IKB, war bekannt, dass deren inländisches Kreditgeschäft schwach verlief und sie nach einem Ersatz suchten.18) Willkommen waren ihnen da die "umetikettierten" amerikanischen "Subprime-Hypotheken", weil deren Risiken mit Hilfe des tadellosen Ratings weggezaubert schienen, und nicht nur das: Sie hatten zudem den Charme, dass aufgrund des vorzüglichen Ratings für die Refinanzierung dieser Papiere eine geringere Eigenkapitalbindung in Anspruch genommen werden konnte gegenüber dem sonst üblichen Kreditgeschäft. Dazu noch wurden diese Wertpapiere, die ja langfristige Kredite verbrieften, fristeninkongruent, das heißt kurzfristig über "commercial papers" refinanziert, wodurch die Zinsmarge noch attraktiver wurde.19) Ein extrem langer Hebel für die Ertragssteigerung des Bankgeschäfts ohne zusätzliche Eigenkapitalbindung schien gefunden zu sein.

Es bedurfte keiner besonderen Erfahrung vorauszusehen, dass die extreme Hebelfinanzierung an ihrer schwächsten Stelle einbrechen musste: fehlender Eigenkapitalpuffer, um Leistungsstörungen aufzufangen. Es war zu erwarten, dass Leistungsstörungen zunächst beim Zins und dann bei der Tilgung auftreten mussten, zumal sich ab 2005 das Zinsgefüge drastisch nach oben bewegte. Exakt diese Leistungsstörungen traten auch ein und schlugen auf die Banken, die die Verbriefung dieser Kredite hielten, unvermindert durch.

Besondere Achtsamkeitsvorschrift

Für deutsche Banken gilt genau wegen dieser Risiken aus Kreditgeschäften das Gewerbepolizeirecht des KWG. Es enthält eine besondere Achtsamkeitsvorschrift, Gefahren aus Kreditrisiken rechtzeitig zu erkennen, diese zu begrenzen, das heißt: einen Kredit im Zweifel nicht zu gewähren, dessen Risiken nicht klar überschaubar sind. Vor allem verlangen die §§ 18, 25a KWG von den Kreditinstituten, die Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers sorgfältig zu prüfen, und zwar eigenständig, bevor sie einen Kredit gewähren; keinesfalls darf diese Aufgabe einem nicht haftenden Dritten übertragen werden. Das Rating einer Ratingagentur kann allenfalls als zusätzlicher Teil einer Risikoprüfung in Betracht gezogen werden.20)

Kein "toxisches Wertpapier" hätte eine nach den Ansprüchen des § 18 KWG durchgeführte Kreditwürdigkeitsprüfung bestanden; denn die Substanz der sie bildenden Einzelhypotheken an amerikanische Schuldner war in ihrem Risikogehalt bestenfalls unüberschaubar, wenn schon nicht gesehen werden sollte, dass sie hoch riskant waren. Die entscheidende Frage ist daher, ob die Banken, für die das Regime des KWG gilt, vor ihrem Engagement bei "toxischen Wertpapieren" diese wie einen Kredit einer eigenen Kreditwürdigkeitsprüfung hätten unterziehen müssen. Unzweifelhaft durften sie sich nicht auf ein noch so gutes Rating einer nicht haftenden Ratingagentur verlassen. Es steht außer Frage, dass die Prüfungsvorschrift des §18 KWG auch dann gilt, wenn ein bestehender Kredit von einer anderen Bank abgekauft wird. Das KWG sagt das sogar noch einmal ausdrücklich in § 21 Abs. 1 Ziff.1: Der entgeltliche Erwerb einer Geldforderung ist ein Kreditgeschäft. Und toxische Wertpapiere verbriefen eine Geldforderung.

Materieller Kreditbegriff

Das KWG führt dann in seinem § 21 Abs. 1 Ziff. 1 auch noch bestimmte Formen von Geldforderungen auf, so Namensschuldverschreibungen, nicht aber Inhaberschuldverschreibungen. Die von den Zweckgesellschaften, den "conduits" emittierten Verbriefungen waren jedoch Inhaberschuldverschreibungen. Das führt zu der Frage, ob diese Rechtsform der Verbriefung zur Folge hatte, dass § 18 KWG hierfür nicht gelten könne. Die Kunst der Gesetzesauslegung des Juristen ist also gefordert: Dabei ist das Gesetz neben einer wörtlichen Auslegung nach seinem Sinn und Zweck zu befragen.

Das KWG ist ein Gewerbepolizeigesetz und will, wie seine Entstehungsgeschichte zeigt, die Gefahren bannen, die von Krediten für Banken und damit für das gesamte Banksystem ausgehen können. Dieser Gesetzeszweck lässt sich nur erreichen, wenn dem Gesetz ein materieller Kreditbegriff zugrunde gelegt wird mit der Folge, dass §21 KWG nur einige Kreditformen beispielhaft aufgezählt haben kann, ohne jedoch abschließend sein zu wollen. Unzweifelhaft sind Inhaberschuldverschreibungen materiell nichts anderes als Kredite, nur in verbriefter Form und unterscheiden sich insoweit keinen Deut von Namensschuldverschreibungen. Der Unterschied zu diesen besteht lediglich in der Übertragungsform und dem Nachweis der Innehabung des Rechts aus dem Papier, nicht aber besteht ein Unterschied in dem verbrieften Recht, hier einer Geldschuldforderung gegen einen Emittenten.

Wenn dennoch das KWG die Inhaberschuldverschreibungen nicht namentlich in dem Katalog der Kredite des § 21 Abs.1 Ziff. 1 aufgeführt hat, hat das einen anderen Grund: Er liegt darin, dass zurzeit der Schaffung des KWG inländische Inhaberschuldverschreibungen gemäß § 795 BGB nur mit staatlicher Genehmigung ausgegeben werden durften. Der Gedanke des KWG-Gesetzgebers war wohl, dass das, was der Staat geprüft hat, von einer Bank nicht noch einmal geprüft werden muss.21)

Die Aufhebung des Zustimmungsvorbehalts bei der Ausgabe von inländischen Inhaberschuldverschreibungen erfolgte im Zusammenhang mit neu auf den Markt gekommenen kurzfristigen Inhaberschuldverschreibungen, den "commercial papers", für die das langfristige staatliche Genehmigungsverfahren unpraktisch war. Diese Gesetzesänderung hat sachlich nichts mit der Prüfungssorgfaltsvorschrift des §18 KWG zu tun. Denn der §795 BGB wandte sich an den Emittenten einer Inhaberschuldverschreibung, also einen Kreditnehmer; dagegen ist Adressat des §18 KWG der gewerbsmäßige Kreditgeber. Daher konnte mit der Aufhebung des staatlichen Zustimmungsvorbehalts für Emittenten, also für Kreditnehmer, nicht gemeint sein, dass gewerbsmäßige Kreditgeber, also Banken die Freiheit erhalten sollten, Kreditrisiken aus Inhaberschuldverschreibungen ohne eigene Prüfung einzugehen. Anlass und Geist des KWG verlangen danach zwingend, seinen §18 auch auf Inhaberschuldverschreibungen und damit auch auf die "toxischen Wertpapiere" anzuwenden.

Der Rückzug der BaFin

Selbst wenn diese Auffassung nicht geteilt wird, hätte der Gewerbepolizeibehörde für Kreditinstitute, der BaFin, auffallen müssen, dass insoweit ein Einfallstor für den Zugang ungeprüfter Kreditrisiken in den deutschen Finanzmarkt bestand. Bei der hohen fachlichen Kompetenz der BaFin kann ausgeschlossen werden, dass dieses potenzielle Risiko von ihr nicht erkannt gewesen sein könnte. Womöglich hat sie auch auf eine Klarstellung gedrungen, aber der politische Zeitgeist, befeuert von der Bankenlobby, lief in die entgegengesetzte Richtung: Deregulierung war die Forderung, mit der die Politik berannt wurde. Ins Spiel gebracht wurde insbesondere die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Frankfurt, der gegenüber den blühenden Konkurrenten London und New York nicht weiter an Boden verlieren dürfe. In diesem Umfeld stand man mit einer stringenten Auslegung des § 18 KWG im Abseits.

Für ein sanfteres Vorgehen im vermeintlichen Interesse des Finanzplatzes Frankfurt war die politische Konstellation günstig: Der Bundesfinanzminister kam aus Hessen und der finanzpolitische Kopf der Opposition im Bund war der hessische Ministerpräsident. Beiden war natürlich die Entwicklung des Finanzplatzes Frankfurt wegen der damit verbundenen Arbeitsplätze und Steuern ein legitimes politisches Ziel. Nur fragt sich, ob eine Deregulierung bei der Kreditüberwachung diesem Ziel dienen konnte.

Nichtanwendung des KWG auf "toxische Wertpapiere"

Wer auch immer welchen Einfluss genommen hat, es geschah etwas Bemerkenswertes: Die BaFin hob mit Schreiben vom 9. Mai 2005 an den Zentralen Kreditausschuss zur Überraschung aller Kreditkundigen in den deutschen Banken die in fast 50 Jahren entwickelten gesetzesinterpretierenden Aufsichtsschreiben zu § 18 KWG ersatzlos auf; überraschend insoweit, als die BaFin noch kurz zuvor versucht hatte, in einer Zusammenfassung aller vorausgegangenen Auslegungsschreiben zu dieser Bestimmung eine konzise Präzisierung zu liefern. Als Begründung führte die BaFin unter ausdrücklicher Verwendung des Wortes "Deregulierung" an, dass die Banken selbst über ein System zur Kreditwürdigkeitsprüfung verfügen müssten, das der Art ihres Kreditgeschäfts und den damit verbundenen Risiken entspricht. Die BaFin wollte nur noch die Eignung des jeweiligen Systems der Banken zu deren Kreditwürdigkeitsprüfung zum Gegenstand ihrer Aufsicht machen.

Danach wären also zumindest Systemprüfungen der BaFin angezeigt gewesen bei Banken, von denen sie wissen konnte, dass diese sich bei "subprime-loan-Verbriefungen" engagiert hatten. Offensichtlich hatten die Banken, die in Schwierigkeiten kamen, in Bezug auf die "toxischen Wertpapiere" kein geeignetes Risikoprüfungssystem, was nicht für eine risikogerechte Systemprüfung der BaFin spricht.

Insgesamt ist der eingeleitete Rückzug der BaFin von einem eng geführten Gesetzesvollzug auffällig: Einmal, weil jede Gewerbepolizeibehörde typischerweise von der Erfahrung geleitet wird, dass die Gefahr, zu deren Aufsicht sie eingesetzt ist, zunimmt, wenn ihre Aufsicht abnimmt. Zum anderen lässt ihre Sprache aufhorchen: Sie nennt ihre Beschränkung auf eine Systemprüfung "Deregulierung", obwohl diese doch wie "Regulierung" dem Gesetz- oder Verordnungsgeber vorbehalten ist. Deregulierung war aber die Sprache der Bankenlobby und der von dieser bedrängten Politik. Wenn die BaFin sich deren Sprache zu eigen machte, dann lässt dies auf den tatsächlichen Regulierer schließen, der die BaFin zu ihrem Schritt veranlasst hat, nämlich auf die den Regulierer bestimmende Politik.

Und wenn "Deregulierung" anzeigen sollte, dass den Banken "mehr Leine" gelassen werden sollte ohne formalen Akt des Gesetz- oder Verordnungsgebers, dann offenbart dies das Verständnis, dass eine faktische Deregulierung eintreten sollte, mit anderen Worten: ein lascher, wenn nicht gar Nicht-Vollzug des KWG im Hinblick auf die Überwachung von einigen möglichen Kreditrisiken. Somit war der Weg frei für eine von der BaFin unkontrollierte und folglich nicht beanstandete Risikonahme deutscher Banken beziehungsweise deren Töchter bei dem "blühenden Geschäft" mit verbrieften "subprime loans".

Typik des Schadenfalls

Es war danach nur noch eine Frage der Zeit, bis einige deutsche Banken fern vom Zugriff der BaFin ein derart großes Volumen "toxischer Wertpapiere" - sei es als Ersatzdebitoren, sei es als nicht verkaufte Emissionen ihrer Strukturierungen - in ihren Büchern hatten, dass die risikoüblichen Leistungsstörungen bei Zinsen und Tilgungen und damit notwendige Abwertungen von ihnen nicht mehr verkraftet werden konnten, dazu die Papiere illiquide wurden und auch benötigte Anschlussfinanzierungen als Folge der fristeninkongruenten Refinanzierung nicht mehr verfügbar waren. Der aus der ersten schweren Bankenkrise bekannte "Dominoeffekt" trat ein und die Bankenkrise war da.

Sie hätte verhindert werden können, wenn die BaFin den Banken - anstatt ihren Rückzug zu signalisieren - zu verstehen gegeben hätte, dass für die "subprime-loan-Verbriefungen" natürlich die Regeln des Kreditgeschäftes gelten und die Strukturierung dieser Wertpapiere mit beigefügtem Rating nicht geeignet war, die Regeln des Kreditgeschäftes zu unterlaufen.

Die Bankenkrise in Deutschland kam somit von innen, aus dem Aufsichtsbereich der BaFin, und sie war nicht in erster Linie, wie manche glauben machen wollen, Folge einer internationalen Bankenkrise. Und sie war - wie in den Vereinigten Staaten nicht unabwendbar, etwa weil es an einem leistungsfähigen Gesetz gefehlt hätte, ihren Ursachen zu begegnen. Gefehlt hat es an der Anwendung der Möglichkeiten des KWG. Wäre ein Mangel im Gesetz auszumachen, hätte der Gesetzgeber unverzüglich nach dem ersten Schadensfall tätig werden müssen; aber die Gesetzeslage ist insoweit unverändert, und zwar aus gutem Grund: Der Ruf nach dem Gesetzgeber bis zur Forderung nach einem staatlichen Genehmigungsvorbehalt für alle Finanzprodukte ist weder erforderlich noch verfassungskonform durchzusetzen, weil damit gegen das Übermaßverbot bei der Einschränkung der Gewerbefreiheit verstoßen würde.

Es ist auch nicht Aufgabe des Staates, anstelle von Kreditinstituten Kreditentscheidungen zu treffen, was mit einem Erlaubnisvorbehalt für Kreditrisiken verbriefende Wertpapiere geschehen würde. Kreditentscheidungen gehören zur Berufskunst des Kreditgewerbes; allerdings ist diese Kunst im Rahmen des die Finanzsystemsicherheit schützenden Gewerbepolizeirechts, des KWG, auszuüben.

Das KWG als Muster für eine internationale Regelung

Es mag wie aus der Zeit gefallen klingen, wenn man den Begriff des "Gewerbepolizeirechts" wieder in den Blick rückt und das auch noch im Zusammenhang mit dem Bankgewerbe, schienen doch Nadelstreifen und Pickelhaube wenig zueinander zu passen. Aus dem Begriff Gewerbepolizeirecht erschließt sich indes der Zweck des KWG: Gefahrenabwehr für ein öffentliches Gut, das heißt die Finanzsystemsicherheit, die vom Kreditgeschäft der Banken bedroht werden kann. Dieser Gesetzeszweck darf nicht zurücktreten hinter noch so verlockenden Wettbewerbsüberlegungen. Der Schadensfall der "toxischen Wertpapiere" zeigt überdeutlich, dass ein risikoblinder internationaler Deregulierungswettlauf national auch noch rechtsblind machte gegenüber dem bestehenden und höchst notwendigen Gewerbepolizeirecht des KWG.

Und zur Wettbewerbslage der Finanzplätze: Womöglich hat die Finanzwelt aus diesem Schaden gelernt und bevorzugt künftig den Finanzplatz, der die Finanzsystemsicherheit für alle Teilnehmer durch angemessene Regulierung gewährleistet, und meidet denjenigen, der diese Sicherheit vernachlässigt. Das KWG hat zu dieser Sicherheit einiges zu bieten, auch wenn es wegen seiner Nichtanwendung im Zusammenhang mit den "toxischen Wertpapieren" ins Zwielicht geraten sein mag. Dadurch ist es schwerer geworden, es als Muster für eine international gültige Regelung einzubringen, wie es seinerzeit mit dem Gesetz über die Bundesbank für die Europäische Zentralbank gelungen war. Unverändert verdient es das KGW, nachdem es fast ein halbes Jahrhundert tadellose Dienste für die Finanzsystemsicherheit in Deutschland geleistet hat, exportiert zu werden; denn es ist, wenn es angewendet wird, ein vorzügliches Gesetz zur Gewährleistung der Sicherheit des Bankensektors.22)

Fußnoten

1)The Financial Crisis Inquiry Report, Januar 2011, S. XVII.

2)Boos/Fischer/Schulte-Mattler, Kommentar zum Kreditwesengesetz, 3. Auflage 2008, Einführung Rn.4.

3)Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, Einführung Rn. 61, 67.

4)Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG/Fin DAG Rn. 1.

5)Stephan Paul, "Sturm-Finanzmarktkrise und Konsequenzen für die Bankenaufsicht" in "Wissen & Handeln" 2008, S. 5 ff.

6)Inquiry Report, S.11.

7)J. Krainer, Recent Developments in Mortgage Finance, FRBSF Economic Letter 2009. Nr. 33, 26.

8)Inquiry Report, S. XXI.

9)Sinn, a.a. O., S. 164f.

10)Paul, a.a. O., S. 5.

11)Der Auffassung von Paul, a.a. O., S. 6, dass die "strukturierten Wertpapiere" in Schönwetterperioden das "AAA-Rating" durchaus verdienten, kann nicht gefolgt werden, denn jedes Rating hat auch Stress-Szenarien wie zum Beispiel Zinsänderungsrisiko und Immobilienpreisverfall zu berücksichtigen.

12)Paul a.a. O., S. 28, Abbildung 8.

13)Der Inquiry Report, S. 20, zitiert das Wort "Alchimie", das heißt aus einem unedlen Stoff einen edlen machen.

14)Inquiry Report, S. XXV.

15)Hans-Werner Sinn, "Kasino-Kapitalismus", 1. Auflage 2010, S. 113ff.

16)Susan Strange, Casino Capitalism, 1986.

17)Sinn, a.a. O., S. 108ff.

18)Paul, a.a. O., S. 7.

19)Paul, a.a. O., S. 7.

20)Boos/Fischer/Schulte-Mattler, a.a. O., § 18 Rn. 25.

21)Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 21 Rn. 16.

22)Hierzu auch Paul, a.a. O., S. 16.

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