Aufsätze

Starke Banken - starke Wirtschaft

Dr. Theodor Weimer, Sprecher des Vorstands, UniCredit Bank AG und Präsident des Bayerischen Bankenverbandes, München / Nicht die Bankenregulierung an sich, sondern deren Qualität und deren Fülle bereiten dem Autor Sorge. Insbesondere die kleinen und mittleren Institute sieht er mit einer Regelungsflut überzogen, die ihre wichtige Rolle in der mittelständisch geprägten deutschen (Volks-)Wirtschaft infrage stellt. Er bekennt sich zum eingeleiteten Kulturwandel in der hiesigen Branche, betont aber auch die gesunde Mischung aus großen und kleineren Instituten. Als Gefahrenquelle für kommende Krisen identifiziert er die beobachtbaren Ausweichreaktionen der Marktteilnehmer von regulierten in den wenig regulierten Schattenbanksektor. (Red.)Erst Bankenkrise, dann Staatsschuldenkrise, jetzt eine tiefe Vertrauenskrise. Richtig ist: Die Banken haben als Teil der Finanzmärkte einen nicht unerheblichen (gleichwohl nicht den alleinigen) Beitrag zu den verschiedenen Phasen der Krise geleistet. Als Folge wurde und wird die Regulierung der Finanzmärkte und insbesondere der Banken deutlich verschärft. Basel III, Europäische Bankenunion inklusive EZB-Bankenaufsicht sind wichtige Bausteine im neuen Regulierungsrahmen, mit denen die Banken heute konfrontiert sind. Und dies sind nicht die einzigen neuen Regelungen. Mehr als 50 internationale, EU- und nationale Gesetze und Regulierungen wurden seit der Lehman-Insolvenz 2008 erlassen. Weitere Maßnahmen, wie zum Beispiel die MiFID II, das europäische Einlagensicherungssystem oder der einheitliche europä ische Abwicklungsmechanismus werden derzeit verhandelt. Viele Zielkonflikte Diese Regulierungsmaßnahmen sind bis zu einer gewissen Grenze auch richtig und daher zu begrüßen. Sie machen die Kreditinstitute sicherer und verhindern, dass der Steuerzahler künftig wieder zur Bankenrettung herangezogen werden muss. Allerdings wird gleichzeitig ein nicht unerheblicher Beitrag zur volkswirtschaftlichen Dynamik von den in die Schranken verwiesenen Banken verlangt - die Banken stehen wahrlich vor einer Herkulesaufgabe: Sie sollen die Kreditversorgung einer wachsenden Wirtschaft sicherstellen - dabei aber deutlich mehr Eigenkapital vorhalten und Risikoaktiva reduzieren. Sie sollen helfen, die kriselnden Staaten zu finanzieren, am besten noch die Staaten, in denen sie beheimatet sind, dabei aber keine Klumpenrisiken eingehen und nicht selbst in Probleme geraten, wenn die Staaten ins Wanken kommen. Sie sollen den Unternehmen komplexe Finanzmarktprodukte, beispielsweise zur Risikoabsicherung, zur Verfügung stellen und sie in Auslandsmärkte begleiten, dabei aber am besten das Investmentbanking meiden und sich auf ihre Heimatstaaten oder -regionen konzentrieren. Sie sollen vor allen Dingen die Anleger gut und umfassend beraten, ohne dass es etwas kosten darf. Sie sollen hohe Zinsen für Einlagen zahlen und niedrige Zinsen für Kredite verlangen - und das in Zeiten, in denen die Gewinne der Banken strukturell spürbar zurückgehen. Diese bewusst pointierte Darstellung lässt die Zielkonflikte deutlich werden. Damit die Banken ihrem volkswirtschaftlichen Auftrag nachkommen können, ist die Qualität der Regulierung wichtiger als die Quantität der Vorschriften. Ein Regulierungsdickicht engt Banken und Realwirtschaft viel stärker ein als gemeinhin angenommen. Dies wird nicht ohne Konsequenzen für die Institute und die Wirtschaft bleiben. Klare Leitplanken sind seit der Weltfinanzkrise absolut notwendig und richtig. So ist insbesondere die verabschiedete G20-Finanzarchitektur aus dem Jahr 2009 zu begrüßen. Allerdings wurde daraus insbesondere in Deutschland und Europa in den Folgejahren ein Regulierungsdickicht, das die Banken zu ersticken droht. Nicht nur, dass die Abstände zwischen den Regulierungswerken Basel I, Basel II, Basel 2,5 und Basel III immer kürzer wurden. Die Regelwerke inklusive der Durchführungsbestimmungen umfassen Tausende von Vorgaben für Banken, etwa für Governance, Kapitalausstattung, Risikomanagement, Liquiditätssteuerung, Meldewesen, Großkreditregeln und Vergütungssysteme. Ebenso umfangreich sind die Regelwerke im Wertpapierbereich, bei der Marktinfrastruktur, im Verbraucher- und Datenschutz, im Kreditrecht, im Zahlungsverkehr und in der Einlagensicherung. Mehr an Regulierung nicht zum Nulltarif Die Umsetzung und Einhaltung dieser Regelungen stellt schon für große Banken eine erhebliche Herausforderung dar. Für kleine und mittelgroße Häuser ist dies kaum noch leistbar. Im Gegensatz zu den Großbanken verfügen sie nicht über entsprechende Stabsabteilungen, die die maßgeblichen Themen für den Vorstand auf- und entscheidungsreif vorbereiten. Eine solche Personalaufstockung wäre für sie auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht vertretbar. Hinzu kommen die mit der Umsetzung der Regulierung verbundenen bürokratischen Anforderungen. Auch diese belasten kleine und mittelgroße Institute überproportional. Dabei hatte man es sich doch in Brüssel auf die Fahnen geschrieben, das "too big to fail"-Problem lösen zu wollen! Die Leidtragenden sind aber gerade die kleinen und mittleren Institute. Dabei waren sie nicht die Verursacher der Krise, sie waren vielmehr ein Stabilitätsanker gerade für die mittelständische Wirtschaft. Die Umsetzung der Regulierung verursacht bei den Banken hohe Kosten. Ein Großteil dieser Kosten betrifft Investitionen in die notwendige Anpassung der EDV-Systeme, die insbesondere von den kleinen und mittleren Instituten kaum geleistet werden können. Bei den Großen müssen geschäftsgetriebene Investitionen gegenüber regulatorischen Muss-Investments immer mehr zurückstehen. Infolge dieser Kostenbelastung sinkt die Rentabilität der deutschen und der europäischen Banken, insbesondere im Vergleich zu den USA, die längst noch nicht eine vergleichbare Stufe der Regulierung erreicht haben. Erhöhte Kosten und steigende Eigenkapitalanforderungen bei den Banken führen tendenziell zu einem Rückgang und einer Verteuerung der Kreditvergabe an die Wirtschaft. Nachdem in Deutschland und Europa der Grad der Kreditfinanzierung bei der Wirtschaft mit 70 Prozent vergleichsweise hoch ist, kann dies letztlich auch die wirtschaftliche Dynamik beeinträchtigen. Die Übernahme und die Transformation von Risiken gehört zu den volkswirtschaftlichen Funktionen der Banken. Banken sind im Risikogeschäft tätig. Die aktuelle Regulierung macht Banken zu einer Industrie mit geringer Profitabilität und geringer Risikobereitschaft. Die Neigung der Banken, innovative, aber risikoreichere Unternehmen und Projekte zu finanzieren, nimmt spürbar ab. Auch die Fristentransformation ist eine ureigenste Aufgabe der Banken. Sie wird jedoch insbesondere durch die Liquiditätsregeln unter Basel III erheblich eingeschränkt. Kurze Laufzeiten gelten regulatorisch als sicherer und benötigen daher weniger Eigenkapitalunterlegung. Gerade die in Deutschland geschätzte Langfristfinanzierung, die Unternehmen und Privatpersonen Sicherheit und Berechenbarkeit bietet, wird künftig deutlich teurer werden, weil sie regulatorisch als unsicher gilt. Die Auswirkungen dieser Regulierung zum Beispiel auf die Finanzierung von Infrastrukturprojekten, die traditionell langfristig finanziert werden, zeichnen sich bereits ab. Regulierung als Waffe im Wettbewerb der Finanzplätze Weltweit herrscht ein intensiver, von der breiten Allgemeinheit nicht wahrgenommener Wettbewerb zwischen den regulatorischen Systemen einzelner Länder und Regionen, der sich massiv auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der jeweiligen Länder auswirkt. Jede Region, die weniger reguliert wird, ist erfreut über den Regulierungseifer in Europa und in Deutschland. Die Nutznießer stark regulierter europäischer Banken sind der Schattenfinanzsektor sowie die Wettbewerber in Asien und dem angelsächsischen Raum. Eines ist sicher: Die nächste Krise wird kommen, aber sie wird andere Ursachen haben als die letzte Krise. Eine mögliche Ursache könnte im Schattenfinanzsystem liegen, in das immer mehr finanzielle Mittel und Finanzgeschäfte abwandern. Das Schattenfinanzsystem ist derzeit noch deutlich weniger reguliert als das "klassische" Finanzsystem. Nicht-Banken, die aber bankähnliche Geschäfte machen, sind die großen Profiteure der Regulierungswelle bei den Banken. Zwar trägt das Schattenfinanzsystem zur Liquidität der Märkte bei, die dort verborgenen Risiken sind aber unberechenbar. Deshalb muss gelten: "Same risks, same rules" für Banken und Nicht-Banken. Hier ist der europäische Gesetzgeber zum Handeln aufgerufen. Welchen Beitrag können und müssen die Banken zur Bewältigung der Krise leisten? Als Folge der Krise müssen die Banken einen Kulturwandel im Denken und Handeln vollziehen, und zwar unabhängig vom Druck der Politik oder der Regulatoren. Die privaten Banken sind auf diesem Weg in den letzten fünf Jahren bereits ein gutes Stück vorangekommen. Die Banken brauchen überzeugende, an den Bedürfnissen der Realwirtschaft ausgerichtete Geschäftsmodelle. Banken sind Intermediäre und dienen den Bürgern und der Wirtschaft. Deutschland braucht ein diversifiziertes, leistungsstarkes Universalbanksystem, das den Besonderheiten der Wirtschaft Rechnung trägt. In keinem anderen europäischen Land ist der Mittelstand so stark ausgeprägt und so erfolgreich wie in Deutschland. Andererseits verfügt Deutschland auch über zahlreiche Großunternehmen, die zur Weltspitze gehören. Zudem fordert die hohe Exportorientierung der deutschen Wirtschaft eine entsprechende Expertise seitens der sie begleitenden Kreditinsti tute. Und dem hohen Anteil an Kreditfinanzierung der Wirtschaft ist Rechnung zu tragen. Ein für Deutschland passgenaues Bankensystem muss deshalb über alle Rechtsformen hinweg kleine, lokale und regionale Banken ebenso umfassen wie leistungsfähige, grenzüberschreitend tätige Institute. Dabei ist die lokale Nähe zu den Kunden ebenso wichtig wie das Angebot umfassender Finanzierungslösungen und die Durchführung globaler Transaktionen. Gerade die Vielfalt des deutschen Bankensektors mit seinen kleinen und großen Kreditinstituten war und ist integraler Bestandteil der deutschen Erfolgsgeschichte und untrennbar mit dieser verbunden. Kernbotschaften geschlossen vertreten Natürlich müssen Banken künftig Produkte anbieten, deren Preise transparent und nachvollziehbar sind. Versteckte Gebühren und Provisionen gehören der Vergangenheit an. Das gilt nicht nur für das Wertpapiergeschäft, sondern für alle Produkte, also auch das Kreditgeschäft und den Zahlungsverkehr. Zudem müssen die "Verzielungsmodelle" der Berater überdacht werden. Die Banken müssen mit ihren Produkten und Dienstleistungen aber auch Geld verdienen dürfen. Hierüber gäbe es keine Diskussionen mehr, wenn die Beratungsleistungen der Banken von den Kunden direkt bezahlt würden, so wie dies bei der Honorarberatung bereits vorgesehen ist. Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg. Banken haben eine wichtige Rolle in der Volkswirtschaft und der Gesellschaft. Vermutlich haben sie dies in der Vergangenheit zu wenig deutlich gemacht. Die Banken müssen der Gesellschaft künftig besser erklären, wie und in welchem Umfang sie zum Nutzen der Allgemeinheit beitragen. Dabei sollten sie sich einer klaren, einfachen Sprache im Umgang mit ihren Kunden und der Politik bedienen. Der Vorwurf, Banken kommunizieren zu kompliziert, ist durchaus berechtigt. Aber nicht nur dies. Banken kommunizieren auch zu vielstimmig. Bei allen Interessengegensätzen, die es zwischen den Institutsgruppen, zwischen den Sparkassen, den Genossenschaftsbanken und den privaten Banken, zwischen den großen und kleinen Instituten in Deutschland gibt, ist es wichtig, die zahlreichen Kernbotschaften, die im Interesse aller Banken liegen, auch geschlossen und mit einer Stimme zu vertreten. Nur dann besteht auch die Chance, gehört zu werden, bei der Allgemeinheit und bei der Politik in Berlin und in Brüssel.

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