Gespräch des Tages

Staatsschulden - Mehr Europa nur durch weniger Europa?

Dass Europa eine Ländergemeinschaft mit vielen Mentalitäten und Interessenlagen ist, zeigt sich derzeit auch an der mühsamen Festlegung des zukünftigen Wegs der EU und - vielleicht noch entscheidender - der Eurozone. Folgt man der öffentlichen Wahrnehmung, so entspricht die Anzahl der Meinungen grob der Anzahl der Akteure. Was sich hier freilich manifestiert, ist nicht konstruktiver Pluralismus, sondern vielmehr Unsicherheit und Ziellosigkeit. Wenn sich nun Otmar Issing, ehemaliger Chefvolkswirt der EZB als "Mann der ersten Stunde" im ursprünglichen EU-Geiste gegen Eurobonds, gegen eine Aushöhlung der parlamentarischen Kompetenzen der Mitgliedsländer, gegen den Transfer von Steuerleistungen, gegen einen fiskalischen Kontrollmechanismus und gegen zu einseitige politische Einflussnahme ausspricht, dann sind seine Ansichten angesichts seiner Historie erst einmal nicht überraschend und nicht weniger streitbar, als die seiner Opponenten.

Indirekt führt Issing mit diesen Forderungen konsequent seinen Ansatz eines "Bankenhospitals" zur kontrollierten Abwicklung von Finanzinstituten fort, den er bereits vorgelegt hatte, als die Krise noch eine der Banken war (siehe auch Kreditwesen 1-2010). Seine Botschaft heute: Auch bei der Schuldenkrise solle man sich stärker an Marktsignalen orientieren. Zwar mag es kaum durchsetzbar sein, dass statistische Daten bereits Sanktionen auslösen können. Doch scheint ihm in der Praxis bei seinen Überlegungen das Beispiel Italien recht zu geben, wo erst steigende Credit Spreads für das Ergreifen von Sparmaßnahmen gesorgt hatten. Ist nun die Tatsache, dass gerade eine weitere Ratingagentur die Kreditwürdigkeit des Landes herabgestuft hat, nicht eine erneute Botschaft des Marktes, dass in Italien weitere Sparrunden einzuläuten sind - und in Europa allgemein ein geordneter Staatsbankrott kein Tabuthema mehr sein darf?

Dem widersprechen freilich diejenigen, die direkt von einem solchen Vorgehen betroffen wären konkret neben vielen Politikern und Wissenschaftlern also die griechischen und internationalen Banken, die entsprechende Staatsanleihen in den Büchern haben (siehe Seite 1037). Dass es für die geordnete Abwicklung von Staaten derzeit noch keinerlei Strukturen gibt, mag ein greifbares Gegenargument sein. Betrachtet man allerdings die bisherigen Rettungsversuche der Euroländer und des IWF wird schnell deutlich, dass von Ordnung auch hier keine Rede sein kann. Ohne klare Regeln, und hier behält Issing so oder so recht, kann aber kein Weg langfristig zum gewünschten Ergebnis führen. Vielleicht also lässt sich mehr Europa wirklich nur durch einen ersten Schritt zu weniger Europa erreichen, sprich zu weniger Einflussnahme aus Brüssel. Sicher ist in jedem Fall, dass sich die Missstände in den Staatshaushalten nicht auf ewig fortschreiben lassen.

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