Leitartikel

Staatsschuld

"Banken müssen zerschlagen werden. Sie sind zu groß und stellen dadurch ein Risiko für die jeweiligen Länder dar." "Man muss das Investmentbanking vom normalen Bankgeschäft trennen.

Die Zockerei darf nicht staatlich gestützt werden." "Man muss die Banken zur Not zu ihrem Glück zwingen und sie deshalb auch gegen ihren Willen pauschal mit frischem Kapital beglücken." "Der Staat muss die Kronllte über das Finanzsystem übernehmen." Diese und ähnliche Zitate stammen natürlich aus dem Jahr 2008. Nach dem Zusammenbruch der Lehman-Bank forderten Politiker aller Couleur eine Neuordnung des Bankensystems. Genau die gleichen Forderungen hört man nun im Herbst 2011 erneut. Da muss man sich doch fragen, was ist in den vergangenen drei Jahren passiert? Nichts, ist die ernüchternde Antwort, schließt man aus den sich wiederholenden Forderungen.

Allerdings muss fairerweise eingeräumt werden, dass die Probleme dieses Mal ganz woanders herkommen. Es sind nicht Verbindlichkeiten oder Verknüpfungen der Kreditwirtschaft untereinander, die der Politik und den Aufsehern Sorgen bereiten. Es sind auch keine Fehlspekulationen, die auf breiter Basis zu horrenden Verlusten geführt haben. Es sind keine Produkte aus dem Bereich der "Finanzalchemie", über die die Beherrschung verloren wurde. Und es sind nur zum Teil Managementfehler der Verantwortlichen, die sich an den Vorgaben der Aufsichtsvorschriften orientiert haben. Es sind die Staaten selbst, die zum größten Risiko für die Finanzstabilität Europas und der Welt geworden sind. Das absolut mangelhafte Krisenmanagement in Europa und die Unfähigkeit der einzelnen Nationen, ihre Schulden in den Griff zu bekommen, öffnen der Verunsicherung Tür und Tor. Statt mit klaren und glaubhaften Szenarien für eine Stabilisierung zu sorgen, wurde mit Milliarden und Abermilliarden Zeit gekauft, die schlecht genutzt verstrich. Die nun sanft angedachte engere wirtschafts- und haushaltspolitische Abstimmung der Euro-Staaten macht zwar ein wenig Hoffnung, doch ohne eindeutige Weisungs-, Sanktions- und Eingriffsbefugnisse eines wie auch immer gearteten Gremiums in die nationalen Haushalte wird es nicht gehen. Wie ernst man die Bekenntnisse nehmen darf, wird sich spätestens dann zeigen, wenn Verträge wie der aus Lissabon zur Änderung anstehen.

Der nun beschlossene Schuldenschnitt von 50Prozent für Griechenland hätte schon viel früher erfolgen können. Ob er reicht, ist fraglich, auch wenn der griechische Ministerpräsident ihn für dauerhaft wirkungsvoll hält. Bedenkt man aber, dass ein Großteil der Papiere bei den ohnehin nahe am Abgrund dahinsegelnden griechischen Banken oder schon längst bei der EZB liegen, muss man durchaus fragen, wie viel der rund 350 Milliarden Euro griechischer Schulden wirklich betroffen sind. 50 Prozent sind in diesem Fall ganz sicher nicht die Hälfte! Man wird abwarten müssen, ob nicht doch ein vorübergehender Ausschluss Griechenlands aus dem Euro die bessere, weil stabilere und abschreckendere Lösung für andere Krisenländer gewesen wäre.

Fragen wirft auch die per Euro-Gipfel zwanghaft angeordnete höhere Kapitalisierung für Banken auf. Natürlich sorgt mehr Eigenkapital per se für mehr Sicherheit. Doch wer glaubt wirklich, dass ein oder zwei Prozentpunkte mehr Eigenkapital das System im Falle einer nachhaltigen Staatsfinanzenkrise in mehreren europäischen Ländern sicherer machen und Banken vor dem Zusammenbruch bewahren? Hinzu kommt: Erst im Frühsommer hat der ach so scharfe Test der EBA den Instituten eine gesunde Konstitution bescheinigt. Da wurden detailliert die Belastungen durch Staatsanleihen in den Büchern kontrolliert. Und nun müssen eben die gerade erst getesteten Banken aus Sorge um die Stabilität nicht nur die per Basel III geforderten sieben Prozent hartes Kernkapital vorweisen, sondern gar neun Prozent. Und das alles, ohne dass die segensreichen Wirkungen von Basel III überhaupt eine Chance hatten, einzutreten. Plötzlich stellen Staatsanleihen offensichtlich doch ein Risiko dar. Vertrauensförderndes Arbeiten einer verlässlichen Aufsichtsbehörde sieht anders aus.

Selbstverständlich kann und muss man den Banken vorwerfen, zu viele Staatsanleihen gekauft zu haben. Doch setzt das geltende Aufsichtsrecht die falschen Anreize. Solange Staatsanleihen aufgrund der Nullanrechnung nicht mit Eigenkapital unterlegt werden müssen, treibt man Banken nahezu in die Staatsfinanzierung, zulasten ertragsstärkerer Anlageformen wie beispielsweise Unternehmensanleihen. An dieser Praxis hält man auch nach dem Euro-Gipfel unbeirrt fest. Warum aber müssen Banken wegen der Gefahr einer Abwertung von Staatsanleihen aber rekapitalisiert werden, wenn diese aufsichtsrechtlich weiterhin als unbedenklich angesehen werden? Das kann nur verstehen, wer sich vor Augen führt, dass die Politik die Hand nicht beißt, die sie nährt. Sollte es zu einer Eigenkapitalunterlegung von Staatsanleihen kommen, würden die Restbestände, die sich noch bei den Banken selbst und nicht bei der Zentralbank befinden, sofort auf den Markt geworfen werden. Dafür würden sich dann aber genauso wenig Käufer finden wie für Neuemissionen, denn Hauptabnehmer sind Banken, Versicherungen und andere Finanzdienstleister. Die Insolvenz des einen oder anderen Landes wäre vorprogrammiert, würden nicht andere Formen wie der europäische Rettungsschirm oder eben doch die bislang noch abgelehnten Eurobonds einspringen.

Das würde aber natürlich die Brandbeschleuniger Ratingagenturen auf den Plan rufen. Im Zuge einer self-fulfilling prophecy haben die erst die Staaten, dann die Staatsanleihen und dann die Banken abgewertet. Kaufen die Banken nun keine Staatsanleihen mehr, werden wiederum die Länderbonitäten heruntergestuft, dann die Staatsanleihen, dann die Banken, dann die Länder ... Ein Verbot von Ratings über Krisenländer ist aber natürlich Blödsinn. Zum einen ist dies ein Eingriff in den freien Markt. Zum anderen könnte man die Ratingagenturen dann umgehend abschaffen, da man ihrem Urteil niemals mehr trauen könnte. Auch hier gilt: Statt unliebsame Zwischengeräusche ausschalten zu wollen, sollten die Länder ihre Finanzen in Ordnung bringen und die Investoren wie Ratingagenturen mit Solidität und Verlässlichkeit überzeugen.

Brauchen wir also wirklich nur noch "Sparkassen statt Zockerbuden", wie es Deutschlands mächtigster Linker neulich so schön plakativ formuliert hat? Natürlich haben sich die öffentlichrechtlichen Institute in der Krise bewährt und ihren Nutzen für die Privatkunden ebenso wie für die Finanzierung der Realwirtschaft eindrucksvoll bewiesen. Und selbstverständlich muss einem Linken die Vorstellung ausschließlich staatlich gelenkter Banken gefallen. Doch man würde all den anderen soliden und erfolgreichen Instituten unrecht tun, nur die Sparkassen zu erwähnen. In erster Linie natürlich den Genossenschaftsbanken, die ihre Marktstärke, ihre Reformbereitschaft und ihre Stabilität mindestens genauso kräftig unter Beweis gestellt haben, wie in diesem Schwerpunkt nachzulesen ist.

Der ehemalige Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer sagte 1995 in Davos zu den anwesenden Staats- und Regierungschefs: "Meine Herren, Sie alle sind nun der Kontrolle der internationalen Finanzmärkte unterworfen." Damals wurde geklatscht. Heute weiß man dagegen, dass diese Kontrolle vor allem eines zeigt: dass die Politik an ganz vielem schuld ist.

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