Schwerpunkt: 60 Jahre Bundesrepublik Deutschland

Spielräume für Private und Wirtschaft durch Risikoübernahme

Wenn in diesen Tagen die Bundesrepublik Deutschland auf die Verabschiedung des Grundgesetzes vor 60 Jahren zurückblickt, kann zu Recht eine Erfolgsgeschichte gewürdigt werden. Ein Weg politischer Befriedung, wirtschaftlichen Aufstiegs und sozialen Ausgleichs liegt hinter diesem Land, das - gleichwohl nicht frei von gesellschaftlichen Konflikten und politischen Auseinandersetzungen - seine Herausforderungen bewältigt hat. Versicherungen hatten daran Anteil, weil ihre Bereitschaft zur Risikoübernahme von Unsicherheiten entlastet und damit Spielräume für Fortschritt schafft.

Die Geschichte der Bundesrepublik lässt sich nachlesen auch in der Entwicklung der Versicherungswirtschaft. Beide, das Land wie die Branche, haben vielfach komplementäre Bezüge: Der wirtschaftliche Aufstieg findet seine Entsprechung in der Ausprägung neuer Sparten und Produkte, der technische Fortschritt und die ihn begleitenden Risiken für Mensch und Natur führen zu neuen Versicherungslösungen, und auch sozialpolitische Herausforderungen haben Versicherungen im Wandel der Zeit zu bewältigen geholfen.

Wirtschaftswunder und Wiederaufbau

Die parallele Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft und der Versicherungswirtschaft wird in dem "Wirtschaftswunder" des Wiederaufbaus exemplarisch deutlich: Vordringliche gesellschaftliche Aufgabe in der Phase des Wiederaufbaus war zunächst die Überwindung des kriegsbedingten Wohnungsmangels. Die deutsche Versicherungswirtschaft hat dafür einen ganz erheblichen Teil ihrer Anlagemittel zur Verfügung gestellt: Etwa jede fünfte der 10,5 Millionen Wohnungen, die zwischen 1950 und 1970 in Westdeutschland gebaut wurden, ist überwiegend aus Mitteln der Versicherer, zumal der Lebensversicherer, finanziert worden.

Aufschwung des industriellen Versicherungsgeschäfts

Neben der Erneuerung und dem Wachstum der Städte fand das deutsche "Wirtschaftswunder" seinen sichtbaren Ausdruck auch in der zunehmenden Motorisierung der Bevölkerung. So stieg allein der Bestand an Personenkraftwagen in West-Deutschland von nur gut einer halben Million im Jahr 1950 auf 4,5 Millionen im Jahr 1960 und auf knapp 14 Millionen im Jahr 1970. Die Zunahme des Straßenverkehrs führte aber auch zu einem beträchtlichen Anstieg der damit verbundenen Schäden und Schadenersatzansprüche. Auch hier erwies sich die Versicherungswirtschaft zur Übernahme der mit dem Massenverkehr verbundenen Risiken als unverzichtbar.

Mit dem aufkommenden Wohlstand begannen die Bundesbürger zu reisen - und der Urlaub im Ausland führte zur Nachfrage nach entsprechendem Versicherungsschutz. Der Bedarf schuf neue Produkte: Neben den klassischen Reiseversicherungen wie der Reisegepäckversicherung oder der Auslandsreise-Krankenversicherung wurden spezielle Versicherungen für den Auslandsurlaub entwickelt, zum Beispiel die sogenannte "Mallorca"-Police, die als zusätzliche Autohaftpflichtversicherung den Fahrer eines Mietwagens davor schützt, Ansprüche aus einem Unfall teilweise selbst begleichen zu müssen.

Grenzen des Wachstums und Risikogesellschaft

Der Normalisierung des Wirtschaftslebens in den frühen Jahren der Bundesrepublik entsprach auch ein Aufschwung des industriellen Versicherungsgeschäfts. Das deutsche "Wirtschaftswunder" gründete schließlich auf dem zunehmenden Erfolg deutscher Unternehmen auf den stark expandierenden Weltmärkten. Die mit dem Warenexport- und -import verbundenen Transportrisiken mussten abgesichert werden, die Transportversicherung kam zu neuer Blüte. Doch die politischen und wirtschaftlichen Risiken des Exportgeschäfts suchten auch nach finanzieller Absicherung, sodass sich die staatliche ("Hermesdeckungen") und die private Ausfuhr- oder Exportkreditversicherung zu wichtigen Instrumenten für die deutsche Exportwirtschaft entwickelten.

Nach mehr als zwei Jahrzehnten rasanten Wachstums mehrten sich in den siebziger Jahren freilich Anzeichen für eine Überforderung - der Wirtschaft und der Umwelt, deren endliche Ressourcen erstmals erkennbar wurden.

Eine Reihe spektakulärer Umweltkatastrophen (Dioxinemission aus einer Chemieanlage in Seveso/Italien 1976, die Ölpest vor der französischen Küste durch Havarie der "Amoco Cadiz" 1978, Unfall im Kernkraftwerk "Three Miles Island" in Harrisburg/ USA 1979) führte auch in Deutschland zu einer restriktiven Umweltgesetzgebung. Gefährdung und Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden durch Industrieunternehmen warfen Haftungsfragen auf, für die neue Versicherungslösungen entwickelt werden mussten. Kein einfaches Unterfangen angesichts der Tatsache, dass sowohl Schadenhäufigkeit wie Schadenhöhe beständig zunahmen und darüber hinaus die Absicherung weiterer Risiken erforderlich wurde: Betriebsausfälle und -unterbrechungen oder Aneignungs- und Entnahmerechte. Erinnert sei etwa an die Kontamination des Rheins an der deutsch-schweizerischen Grenze durch den Brand des Chemieunternehmens "Sandoz" 1986. Die Versicherungswirtschaft konnte für eine flächendeckende Absicherung des industri-ell-gewerblichen Risikos durch die 1994 eingeführte Umwelthaftpflichtversicherung einen wertvollen Beitrag leisten und war damit auch prägend für die Entwicklung hoher Umweltstandards.

Für Fälle, in denen Schäden so immens sein können, dass keine klassischen Versicherungsprodukte zur Verfügung stehen, sind zudem umfassende Versicherungslösungen (sogenannte Versicherungspools) entwickelt worden. In den Atompool etwa bringen Erst- und Rückversicherer ihre Kapazitäten gemeinschaftlich ein. Auf diese Weise übernimmt der Atompool alle mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie zusammenhängenden Risiken in der Haftpflichtversicherung (gesetzliche Deckungsvorsorge des Betreibers in Deutschland 2,5 Milliarden Euro), der Sachversicherung und der Transportversicherung (Schadenersatzverpflichtungen aus der Beförderung radioaktiver Stoffe) im In- und Ausland.

In ähnlicher Weise sichert die deutsche Versicherungswirtschaft auch Risiken der Luftfahrt (Luftpool) oder im medizinischpharmazeutischen Bereich: Als durch das Schlaf- und Beruhigungsmittel Contergan in den sechziger Jahren offenbar wurde, dass die bestehende Rechtslage im Arzneimittelbereich einem angemessenen Opferschutz nicht gerecht wurde, verschärfte der Gesetzgeber das Haftungsrecht drastisch und führte auch eine strenge Deckungsvorsorgepflicht für Arzneimittelschäden ein. Mit der 1978 gegründeten Pharma-Rückversicherungs-Gemeinschaft (kurz: Pharmapool) vermag es die Versicherungswirtschaft, auch schwierige und exponierte Risiken wie im Arzneimittelbereich zu zeichnen, ohne marktübliche Risikobegrenzung.

Deutsche Einheit und europäischer Binnenmarkt

Der Einigungsprozess im Versicherungsbereich verlief ungewöhnlich schnell. Wie für alle anderen Wirtschaftsbranchen brachte die Wiederherstellung der deutschen Einheit im Oktober 1990 auch für die Versicherungswirtschaft nach Jahrzehnten der Trennung wieder einen einheitlichen Markt. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die privaten Versicherungsbestände in der sowjetischen Besatzungszone verstaatlicht worden. Hausrat-, Unfall- und Autohaftpflichtversicherungen waren aber ebenso wie Lebensversicherungen in der DDR keine unbekannten Produkte. Sie wurden von der "Staatlichen Versicherung der DDR" angeboten, die das Versicherungsmonopol für private Versicherungen innehatte.

Zur Vorbereitung der Wiedervereinigung hatte das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen (BAV) auf der Grundlage des Staatsvertrages über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion ab dem 1. Juli 1990 die Versicherungsaufsicht auch in der DDR übernommen. Damit die Bürger der neuen Bundesländer an das für sie unbekannte breite Produktspektrum von miteinander im Wettbewerb stehenden Versicherungsunternehmen langsam herangeführt werden, setzten sich BAV als staatliche Aufsicht und GDV als Vertreter der Unternehmen für eine schonende Umstellung des Versicherungssystems auf die Marktwirtschaft ein.

Grenzüberschreitende Versicherungsgeschäfte

Die beiden staatlichen DDR-Versicherungen wurden an Versicherer aus den alten Bundesländern verkauft - die Verträge bestanden fort, wobei das alte DDR-Recht weiter galt. Lebensversicherungsverträge hingegen konnten nicht übernommen werden, da in der Monopolgesellschaft für diese Verträge keine Rückstellungen gebildet wurden. Sie wurden in die "staatliche Versicherung in Abwicklung" übertragen, die von der Bundesregierung zur Fortführung dieser Verträge gegründet worden ist.

Die Versicherungsunternehmen aus der "alten" Bundesrepublik, die nach dem Ende des Krieges gut ein Drittel ihres Bestandes aus der damaligen sowjetischen Besatzungszone verloren hatten, engagierten sich mit hohem finanziellen und organisatorischen Aufwand in den neuen Bundesländern und schon nach wenigen Jahren gab es im Versicherungsbereich keinen signifikanten Unterschied mehr zwischen den alten und den neuen Bundesländern.

Die deutschen Versicherer engagierten sich zunehmend auch über die deutschen Grenzen hinweg. Im Jahr 1994 fand die durch eine Vielzahl von Richtlinien erreichte, schrittweise Realisierung eines einheitlichen Binnenmarktes in Europa ihren Abschluss. Insbesondere im Bereich der Großrisiken sind grenzüberschreitende Versicherungsgeschäfte heute eine Selbstverständlichkeit. Der Einfluss von Europa geht aber noch weiter: Liberalisierung, Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit beleben auch auf dem deutschen Markt das Geschäft. Ende 2008 gab es auf dem deutschen Markt 92 Niederlassungen ausländischer Versicherungsunternehmen, davon waren 83 aus der EU beziehungsweise dem EWR.

Soziale Sicherung und private Vorsorge

Eine besondere Herausforderung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist die Gewährleistung der sozialen Sicherung in Deutschland: In kaum einem anderen Bereich werden die sich ergänzenden Rollen von Staat und Versicherungen, von sozialpolitischen Maßnahmen und privaten Möglichkeiten so deutlich wie in diesem Bereich.

Beispiel Alterssicherung: Anfang der fünfziger Jahre war die Lage der Rentner prekär, die durch Krieg, Inflation und Währungsreform bedingten Probleme der Kapitaldeckung in der gesetzlichen Rente mussten bewältigt werden. Die Einführung der gesetzlichen Rentenversicherung 1957 sollte die Probleme auf Dauer lösen. Sie stellte die gesetzliche Rentenversicherung auf die Umlagefinanzierung um und führte die Dynamisierung der Renten sein. Der Verband der Lebensversicherungsunternehmen konstatierte im Jahrbuch 1957/1958 nüchtern, dass bei der Rentenreform der Wille breitester Bevölkerungsschichten zur selbstverantwortlichen privaten Altersvorsorge nicht ausreichend beachtet worden sei.

Gleichwohl gelang es den Lebensversicherern in den Folgejahren, immer breitere Schichten der Bevölkerung für die langfristige Vorsorge zu gewinnen und ihre Stellung im Drei-Säulen-Modell der Alterssicherung auszubauen. Waren es Mitte der fünfziger Jahre noch rund 33,5 Millionen Versicherungen, konnten 1970 bereits über 53 Millionen Verträge gezählt werden. Und die siebziger Jahre brachten nicht zuletzt dank des dritten Vermögensbildungsgesetzes und des Betriebsrentengesetzes den weiteren Ausbau. Darin zeigt sich eine häufig verkannte Stärke der Versicherer: Aufgrund ihres breit ausgerichteten Außendienstes haben sie Zugang zu allen Schichten der Gesellschaft, vor allem zu den Arbeitern und Angestellten.

Paradigmenwechsel in der Alterssicherungspolitik

Ein Paradigmenwechsel in der Alterssicherungspolitik kündigte sich 1999 an, als die Grundzüge der Riester-Reformen skizziert wurden: Zum Ausgleich des notwendigerweise sinkenden Rentenniveaus plante die Bundesregierung erstmals, die kapitalgedeckte Altersversorgung zu stärken und in ein Gesamtkonzept einzubeziehen. Damit wurden die Weichen zu einem grundlegend neuen Verhältnis zwischen kapitalgedeckter und umlagefinanzierter Altersversorgung gestellt. Der Erfolg dieser Reformen wird nun sichtbar: Rund 12,2 Millionen Menschen verfügen bereits über einen Riester-Vertrag; und wieder waren es vor allem die Versicherer, die diese Form der Vorsorge in die Breite getragen haben: 9,1 Millionen Riester-Verträge entfallen auf die Versicherungswirtschaft.

Die betriebliche Altersversorgung hat nach langer Stagnation den erhofften Auftrieb erhalten. Die Zahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einem Anspruch auf eine Betriebsrente erreichte Ende 2007 bereits einen Stand von 17,5 Millionen - drei Millionen mehr als im Jahr 2002. Gut 64 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten haben bereits eine entsprechende Anwartschaft. Das Drei-Säulen-System der Alterssicherung erhält so wieder eine nachhaltigere Balance.

Die Pluralität von Umlagefinanzierung und Kapitaldeckung hat sich auch in der Krankenversicherung bewährt. Das deutsche Gesundheitswesen gilt als eines der besten in der Welt. Und zu dieser Erfolgsbilanz trägt die Private Krankenversicherung (PKV) als eigenständige Finanzierungssäule neben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) überproportional bei. Nicht zuletzt mit Blick auf die demografische Entwicklung gilt es, diese Säule zu erhalten und auszubauen.

Neue internationale wie europäische Aufsichtsregime

Die Geschichte der Bundesrepublik korrespondiert mit der Geschichte der deutschen Versicherungswirtschaft. Die Versicherer haben in den letzten Jahrzehnten ihren Beitrag zum wirtschaftlichen Wohlstand Deutschlands geleistet und stets mit modernen Versicherungslösungen auf neue Herausforderungen reagiert.

Die globalen Herausforderungen stellen neue Anforderungen an den Staat wie an die Versicherungswirtschaft: Die Krise auf den Finanzmärkten aber hat deutlich werden lassen, dass Bedrohungen längst nicht mehr mit den Instrumenten nationaler Politik gelöst werden können. Neue internationale wie europäische Aufsichtsregime sind erforderlich, um wirtschaftliche und soziale Verwerfungen künftig zu vermeiden. Auch hier wird Europa eine tragende Rolle übernehmen.

Die Versicherungswirtschaft hat sich in der Banken- und Wirtschaftskrise als stabilisierender Faktor erwiesen. Die Produkte der Versicherer stehen - unabhängig von demografischer Entwicklung und den Auswirkungen der Krise - für Vertrauen in die Altersvorsorge in Deutschland. Vertrauen ist Vorbedingung für jede langfristige Lebensplanung. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft stehen in gemeinsamer Verantwortung für die nachhaltige Zukunftsgestaltung unserer Gesellschaft. Die Versicherer werden dazu ihren Beitrag leisten, um das Leben für Wirtschaft und Bürger in Deutschland berechenbarer zu machen, heute wie in der Zukunft.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X