Gespräch des Tages

Risikomanagement - Die Wundertüten des modernen Finanzmarktes

Prof. Dr. Jürgen Singer, Universität Leipzig, schreibt der Redaktion: "In den fünfziger Jahren wünschten sich Kinder auf Volksfesten und Kirchweihen Wundertüten für zehn Pfennige. Die spannendsten Momente waren das Öffnen dieser Tüten und der Reiz der Überraschung. Man wusste nie, was sich darin befand. Das Unternehmen "Heinerle's Wundertüten" an der Autobahn Würz-burg-Nürnberg gibt es noch heute.

Die CDO's und ABS als Schöpfungen des modernen Finanzmarktes wurden von exzellenten Mathematikern berechnet, von den ach so fachkundigen Ratingagenturen , objektiv' bewertet, von Portfoliomanagern nach der modernen Finanzmarkttheorie gemanagt. Ausgefeilte Portfolios sollten Risiken streuen und die Rendite maximieren, kostenintensives modernes Risikomanagement und exzellentes Risikocontrolling sowie intensive Stresstests sollten jegliches Risiko ausschalten. Wenn man die Geschäftsberichte der Kreditinstitute auswertet, dann kann man die Überzeugung der Geschäftsleitungen herauslesen, jegliches Risiko im Griff zu haben: Wahre Könner überall! Leider erkannte man zu spät, dass dieses Gebäude auf Sand aufgebaut war. Dabei hätte man gewarnt sein müssen durch das LTCM-Debakel trotz zweier Nobelpreisträger in dem LTCM-Management. Auch die Zweifel an der Qualität der Ratingagenturen waren nicht unbekannt. Kritiker heben zu Recht hervor, dass die großen Ratingagenturen die letzten großen Krisen nie durch frühzeitige Korrektur ihrer Einstufungen erfasst haben. Dennoch: Abgehoben, arrogant und leichtsinnig wurden gravierende Fehlentscheidungen begangen. Jeglicher Instinkt für das Risiko, jegliches Bauchgefühl für gefährliche Entscheidungen scheint durch wissenschaftliche Theorien und Berechnungen verloren gegangen zu sein.

Die russischen Anleihen der Arbitragegeschäfte der LTCM erwiesen sich als fatale Investition, auch die CDO's und ABS werden derzeit, infiziert durch Subprime-Metastasen, als Fehlinvestition eingestuft. Dass die Marktliquidität vollkommen zusammenbrechen könnte, wurde in Stresstests nicht einbezogen. Dabei wies bereits Stützel in Bankenpolitik - heute und morgen (Frankfurt am Main 1964, Seite 20 ff.) auf die Bedeutung der Assets für die Liquidität hin: Ausschlag gebend ist die Bonität der Anlagetitel!

Derzeit suchen Kreditinstitute in ihren Spezialfonds und Depot A's, ob sie auch "Hypos" wissentlich oder unwissentlich erworben haben. Ob die anderen Forderungen in den CDO's und ABS oder in Derivaten eine gute Qualität aufweisen, ist nicht nur eine Frage von heute: Sollte die Konjunktur in den USA sich erheblich verschlechtern und der Konsum drastisch zurückgehen, dann werden mehr Forderungen, nicht nur Subprime-Immobilienfinanzierungen, problematisch werden: Autofinanzierungen, Leasingfinanzierungen, Studienkredite, Kreditkartenkredite, Übernahmefinanzierungen. Gut verdient in den letzten Jahren haben neben den Investmentbanken und großen Rechtsanwaltskanzleien vor allem die offensichtlich unzureichend regulierten und überwachten US- und UK-Hypothekenkreditgeber. Sie reichten die Forderungen an die Investmentbanken weiter, die daraus 'attraktive' Anleihen formten, beraten von daran gut verdienenden Ratingagenturen. Versehen mit ausgezeichneten Ratingnoten wurden die modernen Titel an Interessenten in den USA und in aller Welt weitergereicht

- weltweit gestreute Metastasen! Zwar erhielten die deutschen Käufer wie IKB oder Sachsen-LB für den Erwerb solcher Papiere Zinserträge, aber doch wohl eher Brosamen. Den Löwenanteil schöpften die US-Hypothekenkreditbanken, die unverantwortlich Non-Prime-Kredite ausreichten, und die Investmentbanken ab, die durch Unbundling und Repackaging die Asset-Basis für CDO's und ABS zusammenstellten. Die Ratingagenturen berechneten für ihre zweifelhaften AAA-Ratings hohe Gebühren und vor allem für die Beratung der Emissionshäuser, damit ein exzellentes Rating verliehen werden konnte, hohe Honorare. Die deutschen Erwerber wollten eine risikolose Rendite; sie erhielten, getäuscht durch die Emissionshäuser und die verantwortungslos agierenden Ratingunternehmen, ertraglose Risiken, die sich für manche Häuser zu Bestandsgefährdungen entwickelten. Den Ratingagenturen schlägt endlich großes Misstrauen entgegen: Sie geben vor, bei ihren Ratingprozessen die Geschäftskonzepte eingehend zu analysieren. Hätten sie dies doch bei den Hypothekenkreditgebern getan! Die Kinder in den fünfziger Jahren waren sich bewusst, dass in jeder Wundertüte etwas anderes sein konnte, sie ließen sich gerne für zehn Pfennige angenehm überraschen. Die Erwerber der CDO's und ABS waren im Vergleich zu den Kindern extrem naiv: Sie erhielten ebenfalls Wundertüten, auch wenn sie glaubten, den Inhalt und die Vertragsbedingungen genau zu kennen: Heute wundern sie sich über den Inhalt! Da entstehen unwillkürlich Assoziationen zur griechischen Sage der Büchse der Pandora. Dem Öffner dieser Büchse sprangen verschiedenste Probleme, Laster und Krankheiten entgegen. Auch die CDO's und ABS offenbaren große Überraschungen, wenn man den Inhalt etwas näher betrachtet, was man als verantwortungsbewusst agierender Banker wesentlich früher hätte tun sollen. Manche Banker und Banken werden vermutlich über den Hades gehen müssen. Gute Reise! "

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