Aufsätze

Problemfelder der internationalen Bilanzierungsregeln im Lichte der Finanzmarktkrise

Die Finanzmarktkrise hat die in den internationalen Bilanzierungsregeln (IAS/IFRS) seit 2005 für kapitalmarktorientierte Unternehmen vorgeschriebene Zeitwertbilanzierung in den Fokus der Kritik gerückt. Als Folge der Krise haben eine Reihe von Finanzmarktprodukten keine Umsätze mehr; aus aktiven Märkten sind illiquide Märkte geworden. In der Konsequenz muss der Zeitwert, auch Fair Value genannt, anhand abgeleiteter Marktpreise oder mit Bewertungsmodellen ermittelt werden, deren Parameter auf allgemeinen Annahmen beruhen. Kritiker dieser Vorgehensweise bemängeln, dass ein auf diese Weise ermittelter Fair Value in der Krise nicht verwendet werden könne, da er nicht den inneren Wert eines Produktes widerspiegele und die Finanzmarktturbulenzen verstärke. So ist in Teilen der Banking Community die Forderung erhoben worden, die Fair-Value-Bewertung rückwirkend ab dem 1. Januar 2008 auszusetzen.

Erst- und Folgebewertung

Die bilanzielle Zuordnung eines Geschäftes erfolgt jeweils im Zugangszeitpunkt. Dabei wird ein finanzieller Vermögenswert einer der Kategorien Held-for-Trading (HfT), Available-for-Sale (AfS), Held-to-Maturity (HtM) oder Loans and Receivables (LaR) zugeordnet. Daneben ist es möglich, ein Geschäft von Beginn an freiwillig als "Designated at Fair Value through Profit and Loss (DFV)" einzuordnen. Diese Zuordnung nutzen Banken insbesondere zur Abbildung von Sicherungszusammenhängen, da hier die komplexen IFRS-Anforderungen (Hedge-Accounting) sehr formalistisch sind und die wirtschaftliche Betrachtungsweise nur unzureichend widerspiegeln.

Die Erstbewertung eines Geschäfts erfolgt nach den International Financial Reporting Standards (IFRS) in aller Regel zum Fair Value. Der Fair Value eines Finanzinstruments entspricht dabei dem Transaktionspreis zwischen den Vertragspartnern. Nur wenn kein aktiver Markt über die gesamte Laufzeit vorhanden ist, ist die Klassifizierung als LaR möglich. Diese Kategorie wird bei den Banken insbesondere für ausgegebene Kredite verwendet.

Je nach Kategorisierung des Produktes ergeben sich unterschiedliche Folgebewertungen: Loans and Receivables und Held-to-Maturity-Investments werden zu fortgeführten Anschaffungskosten bewertet. Bei einer negativen Wertveränderung muss das Unternehmen prüfen, ob objektive Hinweise darauf vorliegen, dass diese dauerhaft ist und zu einer Wertminderung führt. Vermögenswerte der Kategorie Designated At Fair Value through Profit and Loss und der Kategorie Held for Trading werden zum Fair Value bewertet; Änderungen werden in der Ergebnisrechnung erfasst. Vermögenswerte der Kategorie Available-for-Sale (AfS) werden ebenfalls zum Fair Value bewertet, jedoch müssen die Wertveränderungen mit Ausnahme von Wertberichtigungen im Eigenkapital erfasst werden.

Eine Umwidmung von Geschäften ist laut IFRS nicht möglich. Dies gilt auch dann, wenn sich die Geschäftsintention geändert hat. Selbst das spätere Verschwinden eines aktiven Marktes führt nicht zu einer Umkategorisierung von Finanzinstrumenten. Es ist nur möglich, erworbene Papiere mit einer festen Laufzeit und der Absicht und Fähigkeit, sie bis zur Endfälligkeit zu halten, von der Kategorie AfS in HtM umzugliedern. Die Kategorie HtM ist jedoch mit einer Sicherheitssperre belegt: nach einem Verkauf eines einzigen Finanzinstruments erfolgt die zwangsweise Auflösung der Kategorie, mit der Folge, dass alle Instrumente zum Fair Value bewertet werden müssen. Deshalb findet diese Kategorie meist keine Anwendung in den Banken.

Bewertung in einem aktiven beziehungsweise inaktiven Markt

Seit dem Ausbruch der Finanzmarktkrise im Sommer 2007 sind die Handelsvolumina für viele strukturierte Produkte erheblich gesunken. Teilweise ist der Handel ganz zum Erliegen gekommen. Über einen längeren Zeitraum wurden keine verbindlichen Kurse gestellt. Wie lässt sich in einer solchen Marktsituation ein Fair Value ermitteln?

Die Bewertung der Finanzinstrumente hängt direkt davon ab, ob ein "aktiver Markt" vorliegt oder nicht. Eine Definition des Begriffs "aktiver Markt" ist jedoch weder in IAS 39 noch IAS 32 enthalten. Analog zu anderen Regeln der IFRS kann ein Markt jedoch dann als "aktiv" angesehen werden, wenn die auf diesem Markt gehandelten Produkte homogen sind, vertragswillige Käufer und Verkäufer in der Regel jederzeit gefunden werden können und der Öffentlichkeit Preise zur Verfügung stehen.

Allerdings ergeben sich in der Praxis Probleme bei der Differenzierung zwischen aktiven und inaktiven Märkten: So muss bei Illiquidität durch niedrige Handelsvolumina im konkreten Einzelfall geprüft werden, ob es sich weiter um einen "aktiven Markt" handelt. Durch das Primat der Marktbewertung muss ein Marktpreis so lange verwendet werden, bis das Unternehmen nachweisen kann, dass der Markt nicht mehr aktiv ist. Nur Preise aus erzwungenen Transaktionen, unfreiwilligen Liquidationen oder einem Notverkauf können nicht für die Bewertung herangezogen werden. Die Hürden hierfür werden allerdings sehr hoch angesetzt; die Beweislast liegt beim Bilanzierenden. Falls ein Unternehmen aufzeigen kann, dass der letzte Transaktionspreis nicht dem Fair Value entspricht, soll der Preis angepasst werden.

Organisierte Märkte?

Nach den Anwendungshinweisen zum IAS 39 wird ein Finanzinstrument so lange als auf einem aktiven Markt gehandelt angesehen, wie Preise leicht und regelmäßig von einer Börse, einem Händler oder Broker, einer Branchengruppe, einer Preis-Ser-vice-Agentur oder einer Aufsichtsbehörde gestellt werden und diese auch tatsächlichen und regelmäßig vorhandenen Markttransaktionen entsprechen. Bei allen Preisnotierungen auf organisierten Märkten gemäß § 2 Abs. 5 WpHG ist grundsätzlich von einem aktiven Markt auszugehen. Dies gilt jedoch nicht für den "Freiverkehr": Hier muss jeweils geprüft werden, ob die auf diesem Markt gehandelten Produkte homogen sind, vertragswillige Käufer und Verkäufer in der Regel jederzeit gefunden werden können und der Öffentlichkeit Preise zur Verfügung stehen.

Wenn sogenannte Market Maker existieren, die verbindliche An- und Verkaufskurse für Finanzinstrumente stellen, kann gewöhnlich von einem aktiven Markt ausgegangen werden. Market Maker unterscheiden sich von Preis-Service-Agenturen, die indikative Kurse veröffentlichen, zu denen keine verbindlichen Geschäfte getätigt werden können. Deshalb ist bei Preisen von Preis-Service-Agenturen nur dann von einem aktiven Markt auszugehen, wenn die gestellten Preise auch tatsächlichen und regelmäßig vorhandenen Markttransaktionen entsprechen. Eine Validierung der Preisquellen muss deshalb stets für den Einzelfall, markt- und produktbezogen, erfolgen.

Bewertungshierarchie: Die Konsequenzen für die Bewertung

Das spätere Verschwinden eines aktiven Marktes führt, wie bereits ausgeführt, nicht zur Umkategorisierung des Finanzinstruments, zum Beispiel von AfS (Fair Value) in HtM (fortgeführte Anschaffungskosten). Das Finanzinstrument verbleibt in der Kategorie AfS, nur der Fair Value muss nun anders, nämlich durch Bewertungstechniken ermittelt werden. Hierbei soll der Preis bestimmt werden, der in einer Transaktion zu Marktbedingungen (Arm's Length Transaction) zwischen sachkundigen und abschlussbereiten Partnern (Knowledgable and Willing Parties) bezahlt würde. Als Bewertungstechniken kommen insbesondere die Verwendung jüngster Geschäftsvorfälle sowie Transaktionen in einem substanziell ähnlichen Instrument in Betracht. Erst nach Ausschöpfung dieser Methoden können Modellbewertungen verwendet werden. Die Bewertungshierarchie stellt sich also wie folgt dar:

Bewertung bei einem aktiven Markt:

Marktpreise am Abschlussstichtag,

Preise kurz vor Abschlussstichtag.

Bewertung auf einem inaktiven Markt (Bewertungstechniken):

Verwendung jüngster Geschäftsvorfälle,

Verwendung des gegenwärtigen Fair Value eines gleichwertigen Instruments,

Verwendung modellbasierter Werte mit möglichst vielen marktbasierten Werten.

Bewertungsmodelle arbeiten naturgemäß mit Annahmen und Schätzungen. Derart generierte Preise unterliegen jedoch einer Mehrfachkontrolle im Bilanzierungsprozess, bevor sie institutsintern zugelassen werden. Denn die daraus generierten Preise müssen vom Abschlussprüfer und der Bankenaufsicht sowie von der Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) intersubjektiv nachprüfbar sein.

Externe Analysten könnten beim Einsatz von Bewertungstechniken Bilanzkosmetik vermuten. Sie begegnen den Modellen daher mit einem gewissen Misstrauen. Generell müssen in ein Bewertungsmodell jedoch alle Faktoren einfließen, die Marktteilnehmer auch sonst zur Bewertung dieser Instrumente heranziehen würden: Das Bewertungsmodell muss folglich konsistent mit den üblichen ökonomischen Bewertungsverfahren sein. Außerdem fließen in ein Bewertungsmodell häufig Parameter ein, die an einem Markt zu beobachten sind. Die Verwendung von Bewertungsverfahren und -modellen, die diese Kriterien erfüllen, ist daher sachgerecht.

Die Stufen der Bewertungshierarchie müssen nachvollziehbar sein und verlässlich kommuniziert werden. Die Anforderungen des IFRS 7 Angaben zu Finanzinstrumenten spezifizieren die Aussagen des IAS 39. In einem ersten Schritt müssen generelle Angaben zu den Methoden der Fair-Value-Ermittlung erfolgen. Bei der Nutzung von Bewertungstechniken sollen Aussagen über die zugrunde liegenden Annahmen getroffen werden. In einem zweiten Schritt muss zwischen Fair Values nach Marktquotierungen in einem aktiven Markt und Bewertungstechniken differenziert werden. Dies stimmt mit der Unterscheidung zwischen aktivem und inaktivem Markt der Fair- Value-Hierarchie überein. In einem dritten Schritt werden für die durch Bewertungstechniken ermittelten Fair Values, die nicht durch marktbasierte Parameter unterlegt sind oder die nicht durch beobachtbare Markttransaktionen verifiziert werden können, gesonderte Angaben verlangt. Für solche Klassen von Instrumenten muss eine Sensitivitätsanalyse vorgenommen werden.

Reformvorschläge

Die Kategorie HtM ist, wie bereits beschrieben, mit einer Sicherheitssperre belegt. Sie erzwingt nach dem Verkauf eines einzigen Finanzinstruments die Auflösung der Kategorie, mit der Folge, dass alle Instrumente zum Fair Value bewertet werden müssen. Da aufgrund dieser Sicherheitssperre die Kategorie meist keine Anwendung in den Banken findet, sollten die restriktiven Anwendungsbedingungen erleichtert werden, um bessere Nutzung der Kategorie HtM zu ermöglichen. Denkbar wäre eine komplette Streichung der Sicherheitssperre oder der Wesentlichkeitsschwelle bei der Veräußerung von Geschäften aus der Kategorie HtM, bevor eine Auflösung der Kategorie erzwungen würde.

Hingegen ist der Vorschlag abzulehnen, Wertpapierbestände bei starkem Kursverfall zwischen einzelnen Bilanzpositionen zu verschieben, für die unterschiedliche Bewertungsregeln gelten. Eine Umwidmung von Geschäften innerhalb der gegenwärtigen Kategorien ist nicht sachgerecht. Vielmehr sollte die Bewertung von Finanzinstrumenten angepasst werden.

Bezüglich der Bewertung muss eine intensive Diskussion über die Auslegung der Legaldefinition des Fair Value geführt werden. Bei Finanzinstrumenten, die dauerhaft gehalten werden und die über die Gesamtlaufzeit ein geringes Marktpreisschwankungspotenzial aufweisen, stellt sich die Frage nach dem Sinn einer laufenden Marktbewertung. Die Risikosteuerung dieser Instrumente ist langfristig ausgerichtet und wird nicht durch kurzfristige Marktschwankungen tangiert.

Dennoch führt die Fair-Value-Bewertung im heutigen Verständnis zu marktinduzierten Ausschlägen der Gewinn- und Verlustrechung. Es stellt sich die Frage, ob es bei Geschäften mit dauerhafter Halteabsicht ökonomisch korrekter wäre, den Fair Value auf die Ermittlung der erwarteten Verluste ausrichtet. Insofern ist es zielführend, den Fair Value als Summe der abdiskontierten zukünftigen Zahlungsströme unter Berücksichtigung von bonitätsbedingten Ausfallwahrscheinlichkeiten zu ermitteln.

Legaldefinition des Fair Value überprüfen

Die gegenwärtigen Finanzmarktturbulenzen haben die internationalen Bilanzierungsregeln auf eine ernsthafte Bewährungsprobe gestellt. Dennoch besteht kein Anlass, diese Regeln grundsätzlich in Frage zu stellen. Die in Bankenkreisen geforderte rückwirkende Aussetzung der Fair Value-Bewertung oder die Umwidmung von Finanzinstrumenten zwischen den vier Kategorien des IAS 39 HfT, AfS, HtM und LaR, wäre insoweit ein Schritt in die falsche Richtung. Weitere Intransparenz und damit Unsicherheit und Misstrauen gegenüber den Bilanzierenden würden hierdurch nur gefördert. Nur die restriktiven Anwendungsbedingungen der Kategorie HtM sollten gelockert werden.

Es geht gegenwärtig vielmehr darum, die Ermittlung von Preisen im Rahmen der Bewertungshierarchie transparent, verständlich und nachvollziehbar darzustellen und insbesondere Bankenaufsehern, Investoren, Ratingagenturen und Finanzanalysten hinreichend zu erläutern. Allerdings ist es langfristig unabdingbar, noch einmal ernsthaft über die Legaldefinition des Fair Value nachzudenken: Dies gilt insbesondere für Finanzinstrumente mit über die Gesamtlaufzeit geringem Marktpreisschwankungspotenzial.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X