Aufsätze

Politik und Banken: Was hat die Kreditwirtschaft von der neuen Bundesregierung zu erwarten?

Vor etwa einem Jahr stand das globale Finanzsystem am Rande einer Katastrophe. Heute sehen wir Zeichen für eine Stabilisierung der Finanzmärkte und der globalen Wirtschaft, aber die leichte Verbesserung sollte uns nicht über das absolute Maß der Kosten hinwegtäuschen. Wir befinden uns in der schwersten globalen Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Entscheidend ist nun, welche Lehren wir aus der Krise ziehen. Die Aufgabe ist komplex: Wir brauchen eine striktere und bessere Regulierung, um die Wahrscheinlichkeit und die Folgenschwere von Finanzkrisen zu reduzieren. Aber genauso brauchen wir eine effiziente, innovative und wohlstandsfördernde Finanzwirtschaft.

System stabiler machen

Das ist keine Selbstverständlichkeit: Sowohl Regulierung als auch Wettbewerb haben eine disziplinierende Wirkung, aber sie wirken nicht unbedingt in dieselbe Richtung. Marktdisziplin ist wichtig, um Effizienz und Ertragskraft zu sichern. Wir können uns jedoch nicht darauf verlassen, dass ertragsstarke Institute auch automatisch die sichersten sind - allerdings sind es ertragsschwache Unternehmen ebenso wenig. Die Krise hat deutlich vor Augen geführt, dass Marktdisziplin wenig Schutz vor systemischen Risiken bietet. Es steht also außer Frage, dass noch ein erheblicher Bedarf an Regulierung besteht. Dabei wird es darauf ankommen, das System stabiler zu machen und zugleich Wettbewerb zu erhalten, damit Effizienz und Innovationskraft zum Tragen kommen können. Es ist klar, dass Regulierung grenzüberschreitend organisiert sein muss, um Wettbewerbsverzerrungen und Regulierungsarbitrage zu vermeiden. Vorhaben im Finanzmarktbereich sind - zu Recht - zunehmend Gegenstand enger Abstimmung auf europäischer und internationaler Ebene.

Wiederherstellung der Marktkräfte im Finanzsektor

Um Marktkräfte wiederherzustellen und wirken zu lassen, ist ein intelligenter Ausstieg aus den Stützungsmaßnahmen notwendig. Es ist wichtig, diese Debatte schon jetzt zu führen, auch wenn es in vielen Bereichen noch zu früh ist, um mit dem Ausstieg zu beginnen. Es geht darum, im richtigen Tempo den Platz zu räumen. Der Ausstieg aus den Stützungsmaßnahmen im Finanzsektor wird zum einen durch Wettbewerbskräfte unterstützt werden: Das deutsche Rettungspaket setzt auf die Eigenverantwortung der Banken. Zugleich unterliegen die angebotenen Maßnahmen einer Reihe von Fristen (Antragsfristen, Laufzeiten) und sie implizieren signifikante Kosten, sei es in Form von Gebühren oder in Form von Auflagen. Im Ergebnis bestehen für die teilnehmenden Unternehmen Anreize, die beanspruchten Hilfen zu nutzen, solange sie sie brauchen, aber ebenso starke Anreize, aus den Hilfen auszusteigen, wenn sich die Lage stabilisiert hat. Zum anderen hat die Bundesregierung im Koalitionsvertrag vereinbart, einen Expertenrat einzusetzen, um geeignete Ausstiegsstrategien zu entwickeln.

Stärkung des regulatorischen Rahmens

Ziel muss es sein, die Anreizstrukturen im Finanzsystem so zu gestalten, dass sie die Stabilität des Finanzsystems fördern. Gleichzeitig muss die Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems insgesamt und der Marktteilnehmer erhöht werden. Dabei ist eine wesentliche Erfahrung der Krise, dass in der Vergangenheit die systemische Dimension von Risiken im Finanzsystem unterschätzt wurde. Die Annahme, dass sichere Institute auch automatisch zu einem sichereren System führen, ist nicht mehr haltbar. Es gibt auch Risiko, das allein aus dem kollektiven Verhalten der Marktteilnehmer entsteht.

Ein Beispiel sind Notverkäufe von Aktiva (fire sales), die zwar für eine Bank durchaus stabilitätsfördernd sein können, aber systemgefährdend wirken, wenn dies viele Banken gleichzeitig tun. Ein weiteres Beispiel ist die kollektive Unterschätzung von Risiken, weil die Bedeutung von Marktpreisen bei der Bewertung immer wichtiger geworden ist: Ein Boom entsteht, weil Dinge von allen für sicherer gehalten werden, als sie sind. Wichtig ist deshalb, dass künftig alle Finanzmarktakteure, -märkte und -produkte erfasst, und die Interdependenzen zwischen individuellen und kollektiven Entwicklungen, einschließlich makroökonomischer Zyklen, berücksichtigt werden. Die internationale Reformagenda ist ehrgeizig und umfassend, und würde den Rahmen eines solchen Artikels sprengen. Ich will mich hier deshalb auf Aspekte eines Herzstücks der Reform, die neuen Eigenkapitalregeln, beschränken.

Beispiel Eigenkapitalregeln

Hier ist zum einen entscheidend, dass Wettbewerbsbedingungen auf den Finanzplätzen möglichst nicht verzerrt sein sollen. Diese Bedingung ist nicht immer erfüllt. So ist Basel II bisher nicht an allen bedeutenden Finanzplätzen der Welt eingeführt worden. Umso wichtiger ist der Beschluss von Pittsburgh, dass dies nun endlich bis 2011 geschehen soll.

1. Stärkung der Widerstandskraft auf Institutsebene: Zur Stärkung der allgemeinen Widerstandskraft auf Institutsebene muss auch die Qualität der Eigenkapitalpuffer steigen. Kernkapital sollte so eindeutig wie möglich die Funktion der Verlustabsorption erfüllen, zugleich aber sollten die Regelungen möglichst wettbewerbsneutral sein. Künftig wird die Abgrenzung daher prinzipienbasiert erfolgen:

Mit der Umsetzung der Änderung der europäischen Banken- und Kapitaladäquanzrichtlinie in deutsches Recht werden sich die Regeln zur Anerkennung von Kapitalbestandteilen als Eigenkapital nicht länger am Leitbild der im deutschen Recht entwickelten Kapitalinstrumente "stille Einlage" oder "Genussrechtsverbindlichkeit" orientieren, sondern allein an den in der Richtlinie vorgegebenen Qualitätsanforderungen. Danach ist in Zukunft jede Form der Kapitalaufnahme als Kernkapital anrechnungsfähig, sofern die vorgegebenen Qualitätsmerkmale erfüllt sind. Damit wird zum Beispiel die "stille Einlage" nicht in Frage gestellt. Im Gegenteil bringt die Umsetzung dieser Richtlinien für die Institute folgende Vorteile: Erstens erweitern sich dadurch die Kapitalaufnahmemöglichkeiten. Zweitens können so auch die in Deutschland etablierten Kapitalbestandteile weiterhin genutzt werden. Drittens wird die Qualität der aufsichtsrechtlichen Haftungsmasse auch durch europaweit einheitliche Anrechnungsgrenzen gesichert: Hybride Kernkapitalinstrumente dürfen dann maximal bis zur Hälfte des gesamten Kernkapitals eines Institutes ausmachen. Für bereits aufgenommene Eigenmittel stellt eine Übergangs- und Bestandsschutzregelung die weitere Anrechenbarkeit sicher.

Die Diskussion über Eigenmittel wird aktuell im Baseler Ausschuss fortgesetzt. Dabei geht es auch um die Anrechenbarkeit etablierter Kapitalbestandteile wie Genossenschaftsanteile und Vermögenseinlagen stiller Gesellschafter. Aus deutscher Sicht müssen solche etablierten Kapitalbestandteile zu angemessenen Voraussetzungen für Nicht-Aktiengesellschaften als hartes Kernkapital anrechenbar bleiben. Weiterhin muss auch hier eine angemessene Bestandsschutzregelung gelten. Die letzten Verhandlungsergebnisse scheinen in die richtige Richtung zu gehen. Es gilt, diese Zwischenergebnisse zu sichern, damit es nicht zu einer ungerechtfertigten Belastung der deutschen Kreditwirtschaft kommt.

2. Verbesserung der Anreize und Widerstandskraft auf Systemebene: Es entspricht der Philosophie von Basel II, nicht nur nach den Eigenmitteln zu fragen, sondern auch nach Risiken zu differenzieren. Übertragen auf die Systemebene heißt das, erhöhten systemischen Risiken müssen auch erhöhte Kosten gegenüberstehen.

Offensichtlich wird dies beim Thema Prozyklizität. Vor dem Platzen einer Blase werden Risiken systematisch positiver bewertet als danach. Da dies in der Breite passiert, sind auch die Reaktionen darauf kollektiv (zum Beispiel Bilanzausweitung, zunehmender Fristeninkongruenz im Aufschwung). Starke zyklische Schwankungen wie in der jüngsten Finanzkrise bewirken jedoch erhebliche systemische Risiken. Im Aufschwung werden strukturelle Risiken verschleiert, die im Abschwung umso stärker zutage treten. Die G20 werden deshalb zur Eindämmung von Prozyklizität bis Ende 2010 international abgestimmte Eigenkapitalregeln vereinbaren, die auch den Aufbau antizyklischer Kapitalpuffer enthalten werden. Diese Regeln werden stufenweise und in Abhängigkeit von der Erholung an den Finanzmärkten und der Gesamtwirtschaft eingeführt mit dem Ziel, sie bis Ende 2012 umzusetzen.

Ein weiteres Problem auf Systemebene wird oft mit dem Stichwort "too big to fail" angesprochen. Tatsächlich geht es aber wohl nicht allein um Größe, sondern um Systemrelevanz. Dafür spielt die absolute Größe zwar eine Rolle, aber ebenso das Maß der Vernetzung, der Komplexität, der Korrelation mit anderen systemrelevanten Marktteilnehmern oder der Marktmacht. Ziel ist, den "moral hazard" der von systemrelevanten Instituten ausgeht, einzudämmen. Für Institute kann Systemrelevanz attraktiv sein, wenn sie das Rating verbessert, die Refinanzierungskosten senkt und die vermeintliche Fähigkeit zur Risikoübernahme erhöht. Neben der Frage, wie dies das Verhalten der betroffenen Bank beeinflusst, ist entscheidend, ob solche Institute von anderen Marktteilnehmern als "unsterblich" wahrgenommen werden.

Schlimmstenfalls könnten sie dadurch wie "Krankheitsüberträger" wirken. Um dem zu begegnen, werden derzeit verschiedene Möglichkeiten diskutiert. Die G20 haben hierzu vom Financial Stability Board bis zum Herbst 2010 einen Bericht mit Handlungsvorschlägen angefordert. Die international diskutierten Maßnahmen reichen von intensiverer Aufsicht bis zur Zerschlagung großer Institute. Aus Sicht der Bundesregierung scheinen jedoch solche Vorschläge sinnvoller, die beim Preis ansetzen, also Systemrelevanz verteuern: International erwogen werden hier zum Beispiel Aufschläge bei Kapital- und Liquiditätsanforderungen für systemrelevante Institute, so dass solche Banken höheres Eigenkapital vorhalten müssen.

Gefahr einer Überregulierung?

Es werden schon erste Stimmen laut, die die Gefahr einer Überregulierung sehen. Ohne Zweifel ist es wichtig, dass politische Antworten auf die Finanzmarktkrise nicht selbst prozyklisch wirken. Das bedeutet zum Beispiel, dass schärfere Eigenkapitalregeln für Banken die aktuelle Krise nicht verschärfen dürfen. Aber es ist auch klar: Nur stabile Finanzsysteme können funktionierende Finanzsysteme sein. Höhere Eigenkapitalanforderungen werden die in Zukunft zu erzielenden Renditen im Finanzsektor senken, und auch höhere Finanzierungskosten für Unternehmen sind in Zukunft nicht auszuschließen. Aber in gesamtwirtschaftlicher Betrachtung waren in der Vergangenheit manche Renditen zu hoch und manche Risikoprämien zu niedrig.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X