Leitartikel

Auch Not braucht ein Gebot

Ungerechte Welt! Da wird in Eile und Not von der angerufenen Regierung ein Rettungspaket gestrickt, das zunächst Banken vor dem Zusammenbruch bewahren und den Geldkreislauf wieder in Schwung bringen soll, um dann mittelfristig das Übergreifen der Finanzkrise auf die Realwirtschaft abzumildern. Doch genau das Gegenteil ist passiert: Banken, die darüber nachdenken, das Paket in Anspruch zu nehmen, verlieren das Vertrauen ihrer Kunden und Partner, gelten als schon weit über dem Abgrund stehend und werden leicht noch tiefer in den Strudel aus Liquiditätsnöten gerissen: Kundengelder fließen ab, Kreditlinien werden gestrichen, Interbankengeld gibt es, wenn überhaupt, nur noch "overnight" zu sündhaften Konditionen. Kein Wunder also, dass der Zuspruch zu Berlins Geldern noch ausgesprochen gering ist: Eine Präventionsmaßnahme ist zu einem akuten Notfallprogramm verkommen, denn nur die greifen zu, die ohnehin keine andere Wahl mehr haben.

Es zeigt sich nun schon im allerersten Praxistest, dass das Paket eine gewaltige Schwäche hat - die Freiwilligkeit der Inanspruchnahme. Doch so funktioniert Kapitalismus nur sehr ungern. Wenn von Seiten des Staates eine Branche geschützt werden soll, so muss das offensichtlich per Zwangsbeglückung erfolgen, durch verpflichtende Maßnahmen und keinerlei Wahlmöglichkeiten. Sonst bietet sich nur zu leicht der durchaus legitime Versuch an, auch aus dieser Situation Wettbewerbsvorteile zu ziehen, etwa sich selbst als den Starken und die anderen als die Schwachen darzustellen.

Andere Länder waren da bekanntlich pragmatischer und aufs Erste erfolgreicher: In den USA wurden die Kapitalspritzen an alle großen "systemrelevanten" Banken vergeben. In England müssen die Institute eine Eigenkapitalquote von zehn Prozent aufweisen, sonst werden sie zwangsverstaatlicht. In Österreich regelt eine staatliche Clearingbank den Inter-banken-Geldhandel, sammelt überschüssige Liquidität ein und verteilt sie dorthin, wo sie benötigt wird. In all den Beispielen ist keinerlei Stigmatisierung möglich. Dennoch: Man muss der Bundesregierung die Kürze der Zeit zugutehalten, in der das Paket geschnürt wurde, das trotz der Fehler großen Respekt verdient, und man muss den erheblichen Reputationsschaden berücksichtigen, der durch populistische Äußerungen sehr namhafter Bankmenschen entstanden ist.

Darüber hinaus wäre sicherlich eine stärkere Differenzierung nützlich, welche Komponenten die jeweiligen Institute überhaupt in Anspruch nehmen. Schließlich sind es drei Maßnahmen, die ihnen hierbei zugutekommen können. Erstens der Abkauf toxischer Kredite und Wertpapiere durch den Staat. Daran ist nichts zu kritisieren, Portfolioverkäufe gab es in den vergangenen Jahren zuhauf, sie wurden von der Börse in der Regel bejubelt. Zweitens nun die Garantie bei der Geldbeschaffung. Auch hier ist nichts Verwerfliches zu erkennen. Im Gegenteil, in Zeiten eines ausgetrockneten Geldmarktes und größter Verunsicherung unter den Partnern sollten solcherlei Zusagen als Beruhigung empfunden werden. Es ist also kein Zeichen von Schwäche, sollte eine Bank diese in Anspruch nehmen. Drittens schließlich der Zuschuss von Eigenkapital, der Einstieg des Staates also, für den die schärfsten Bedingungen gelten - Begrenzung der Managergehälter, Einfluss auf die Geschäftspolitik und, und, und. Es mag dies bei einigen Banken durchaus ein Grund sein, die Inanspruchnahme möglichst lange hinauszuzögern. Doch dass ein dehnbares(! ) Jahressalär von 500 000 Euro dem Vorstand zu gering erscheint, trifft gewiss nur die absolute Minderheit. Für die meisten Verantwortlichen in den Instituten ist der genannte Abstand zwischen Haben und Dürfen gar nicht groß, erst recht nicht in einem Katastrophenjahr wie diesem, in dem die leistungsabhängigen Gehaltsbestandteile sicherlich nicht ausufern werden. Schwieriger zu akzeptieren ist dagegen die Sache mit der Geschäftspolitik. Selbstverständlich muss sich ein Eigentümer versichern, dass das Geschäftsmodell nachhaltig ist, schließlich geht es um sein Investment. Es darf aber nicht sein, dass auf diesem Weg künftig staatliche Strukturpolitik betrieben wird, auch wenn das in der Vergangenheit selbst bei privaten Banken häufig genug vorkam. Der Anruf eines ranghohen Mitarbeiters der Landesregierung beim Firmenkundenvorstand mit der Bitte um freundliche Prüfung dieses oder jenen Kreditantrags ist allen Beteiligten gut bekannt.

Der Staat hat sich noch nie als der bessere Unternehmer gezeigt. Beispiel eins: Landesbanken. Es kommt nicht von ungefähr, dass ausgerechnet die öffentlich-rechtlichen Spitzeninstitute die ersten sind, die nach dem Rettungspaket greifen. Schließlich waren es in erster Linie fehlende Geschäfte (neben persönlichen Eitelkeiten), die die Landesbanken in die Arme des Investmentbanking und der Kapitalmärkte getrieben haben - mit den heute schmerzhaften und unübersehbaren Folgen. Daran sind die Eigentümer in voller Schuld. Jeder Ministerpräsident freute sich nur zu gerne über eine erfolgreiche Landesbank, und wenn sie gar die größte war - wie fein! Jeder Landespolitiker sah zu allererst einen vagen Nutzen für "politische" Maßnahmen und nicht die Zwänge, die sich daraus für die betroffenen Institute ergaben. Das zeigt, dass neben dem erheblichen Verständnismangel für das Bankgeschäft seitens der politischen Verwaltungsratsmitglieder die Trennung zwischen Wirtschaft und Politik nie einwandfrei funktionieren kann. Typisch gerade München: Der im Machtkampf mit der Landesregierung siegreiche Bayern-LB-Chef wird sich in Zukunft schrecklich in Acht nehmen müssen. Zu tief schmerzt "seinen" Ministerpräsidenten die eben erlittene Schlappe.

Doch auch der S-Teil der Landesbankeneigentümer muss sich hinterfragen. Jede Sparkasse samt der Verbandsverantwortlichen war und ist in erster Linie an ordentlichen Konditionen des Spitzeninstituts interessiert. Dass dabei kaum Dividende abfallen konnte, wurde nicht etwa akzeptiert, es musste mehr her, was aber nur durch die zusätzlichen Aktivitäten der Finanzabteilungen möglich wurde. Nun ist vielerorts das Ende nah. Die Mehrzahl der Landesbanken wird die aktuelle Flurbereinigung nicht überstehen - sei es aufgrund der zu großen Probleme, die addiert natürlich nicht kleiner werden, sei aus durch den zunehmenden politischen Druck.

Beispiel zwei: die Staatsbetriebe Deutsche Post, Deutsche Telekom und Deutsche Bahn. Welch ein Desaster. Die Post und die Telekom mühen sich fast verzweifelt (und verzweifelnd) in der neuen Freiheit nach der Privatisierung. Die Bahn kommt gar nicht erst soweit. Der Börsengang wurde erst zerredet, dann ganz abgeblasen. Die Abtrennung des Schienennetzes aus dem Paket zeigt die politische Furcht vor wirklich privaten Einflüssen, denn dann könnten ja auch "fremde Investoren" von den Infrastrukturinvestitionen der Vergangenheit profitieren. Die Deutsche Telekom verschleißt einen Vorstandsvorsitzenden nach dem anderen, wird von Skandal zu Skandal weniger glaubwürdig und die Konzernstruktur versteht schon lange keiner mehr. Die Deutsche Post will eigentlich ein weltweiter Logistikdienstleister sein, ist nach dem mühsamen Verkauf der Postbank - auch hier nahm die Politik gehörig Einfluss, dass 14 Millionen Bundesbürger ja nicht in ausländische Hände gelangten - auf diesem Weg ein Stückchen weiter gekommen, aber noch lange nicht am Ziel. Zu groß sind nach wie vor politisch motivierte Zwänge, zu wenig Raum bleibt für betriebswirtschaftliche Realitäten. Man hört förmlich den Aufschrei des Bürger meisters, wenn die viel zu große Infrastruktur ein kleines Stück weit bereinigt werden soll. Unser Dorf ohne eigene Telefonzelle - das geht doch nicht. Und den Postschalter schließen? Dann müssen wir alle vier Kilometer nach Nirgendwo. "Nein, Nein, Nein! "

Beispiel drei: die Montanindustrie. Wenn es um Kohle und Stahl geht, wird aus dem ökonomischen Prozess ein Politikum ersten Ranges. Eine Industrieregion steht auf dem Spiel, Symbole des Industriekapitalismus ("hart wie Kruppstahl") und des Sozialstaats (Montanmitbestimmung) bröckeln.

Dennoch müssen jahrzehntelang künstlich aufrechterhaltene Überkapazitäten in der Kohle- und Stahlindustrie abgebaut werden. Das trifft vor allem das östliche Ruhrgebiet hart, in dem die hohen Arbeitsplatzverluste in den etablierten "alten" Branchen vom Jobangebot in den "neuen" Dienstleistungsbereichen keinesfalls aufgefangen werden konnten. Dieser Strukturwandel ist von der Politik mehr und mehr hinausgezögert worden: Erst vergangenes Jahr einigten sich Bund und Länder auf einen Ausstieg aus der Kohlesubvention - im Jahr 2018! Dabei wurde allein im Jahr 2003 jeder Arbeitsplatz im Steinkohlebergbau mit über 57 000 Euro subventioniert. Das ist mehr als viele Bundesbürger im Jahr verdienen. Und das ist in einer globalisierten Welt, in der Kohle beispielsweise in Südafrika deutlich billiger gewonnen werden kann, nur mit einer politisch motivierten Brille vor dem Hintergrund von Arbeitsplätzen und Wahlversprechen einigermaßen nachzuvollziehen, nicht zu verstehen.

Staatsindustrien sind wahrhaftig kein deutsches Phänomen. Seit vielen Jahren gelten sie in allen Regionen dieser Erde als probates Mittel, um die Wirtschaft für politische Zwecke einzuspannen und so den Wohlstand der Bevölkerung zu sichern und zu mehren. In Großbritannien mischte sich der Staat stets in erheblichem Maße in das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben ein. Den Höhepunkt erreichte das nach dem Zweiten Weltkrieg unter der Labour-Regierung Clement Attlees. Allerdings erwies sich das Management der Wirtschaft als schwierig. Die britische Wirtschaft litt in den fünfziger und sechziger Jahren unter Wachstumsstörungen und schlitterte von Pfundkrise zu Pfundkrise. In den siebziger und achtziger Jahren kam die Regierung nicht umhin, in Schwierigkeiten geratene Unternehmen wie Rolls Royce, Mersey Docks oder Upper Clyde Shipbuilders zu verstaatlichen. Mit bekanntem Ausgang. In China erfreute sich die Seidengewinnung jahrzehntelang feinster staatlicher Förderung und größtem hoheitlichen Schutz, bis sie von persischer und arabischer Konkurrenz vom Monopol verdrängt wurde. Bewährt hat sich das Staatseigentum an Schlüsselindustrien nicht. Spätestens seit dem Zusammenbruch des Ostblocks und der DDR - der primär ein Kollaps der Staats industrien war - ist erwiesen, dass Verstaatlichung beträchtliche Nebenwirkungen hat: Staatsbetriebe tendieren dazu, mit zu viel Personal zu wenig und zu teure Produkte herzustellen - und oftmals noch dazu die falschen. Der Staat glaubt zwar genau zu wissen, was seine Schutzbefohlenen brauchen, ist mit dieser Meinung aber meist nicht allzu treff sicher. Das Beispiel DDR sollte sich auch der französische Ministerpräsident immer wieder vor Augen halten, bevor er vom notwendigen Schutz von Schlüsselindustrien spricht. Aber der Merkantilismus der Urgroßväter ist an den Grandes Ecoles halt ein Pflichtfach.

Auch für den deutschen Finanzminister gilt: Die staatliche Hilfe ist zur Linderung der schlimmsten Not absolut richtig und notwendig. Man sollte sich aber nicht in der Illusion versteigen, damit "ideologische, wertvolle" Beteiligungen zu verbinden. Die Eigenkapitalzuschüsse für die notleidenden Banken sind ein Finanzinvestment, nicht mehr und nicht weniger. Sie müssen bei erstbester Gelegenheit wieder aufgegeben werden. Dass daraus für den Haushalt durchaus Erfreuliches resultieren kann, liegt auf der Hand. Finanzwerte liegen am Boden, und die Verantwortlichen der SoFFin werden sicherlich nicht mehr bezahlen als notwendig. Sie sind zwar auch staatlich, können aber sehr genau rechnen. Günther Merl war bis gestern ein Landesbanker - mit Geschäftsmodell. P. O.

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