Leitartikel

Lug und Trug

"Machen wir uns nichts vor. Wir sind müde, morsch und aufgerieben. Uns fehlt die berufliche Zufriedenheit, das seelische Gleichgewicht, der innere Friede. Werte, die wir, weiß Gott, nicht in Orgien sondern nur noch hinter Zuchthausmauern finden können."

"Ich habe mich informiert. Das gleichmäßige Leben im Zuchthaus wirkt Wunder. Verdauungsbeschwerden, Nervenschwäche, Herz- und Kreislaufstörungen sind unbekannt ..." "Mein Traum, das sind die stillen Abende in der Zelle, das frühe Lichterlöschen, der immer dunkler werdende Himmel in der Fensterecke, die ersten Sterne, der sorglose Friede, der ruhige Schlummer. Keine Hast, keine Furcht vor einer Entdeckung. Keine Angst vor Verrat, Rundfunk, Fernsehen. Und demnächst soll sogar ein monatlicher weiblicher Besuch aus den entsprechend sanitarisch kontrollierten Institutionen gestattet werden. Auf Kosten des Staates. Das sind doch eigentlich ideale Lebensbedingungen - verglichen mit unserer Bankexistenz."

(Dialog von Häberli mit Egli in Friedrich Dürrenmatts Bankiersgeschichte "Frank V".)

"Elite ohne Moral" titelt der Boulevard in diesen stürmischen Frühlingswochen fettzeilig. Das gefällt dem Publikum sehr, weil es dem gewöhnlichen Sozialneid eine beinahe ethische Rechtfertigung liefert - eben nicht mehr nur "Ihr da oben, wir hier unten", sondern "Ihr Bösen da oben, wir Guten hier unten". So etwas schmückt jede Gesellschaftskritik. Aber leider entbehrt sie, wenigstens nach der bisherigen Erfahrung mit den paar lächerlichen tausend Jahren einigermaßen menschlicher Existenz, des nachhaltigen Beweises. Die Reichen sind, selbst wenn man nur den bescheidenen Ausschnitt der Zehn Gebote als Maßstab gelten lassen würde, nicht prinzipiell die größeren Sünder als die Armen. Sie hinterziehen auch nicht in Relation gewertet - mehr Steuern. Und dass die Kriminalstatistik mehr Minderbemittelte als Hochvermögende nennen muss, ist zwar sprichwörtlich - "Not kennt kein Gebot" -, folgt aber durchaus der allgemeinen Häufigkeitsverteilung. Also: Ob der Mensch von Natur aus unbedingt "gut" ist und dann in der Folge durch teuflische Einflüsse mitunter sehr verdorben wird, oder ob er grundsätzlich als Übeltäter geboren wird, um durch anständige Erziehung und himmlisches Wohlwollen der Schlechtigkeit zu entrinnen, wir wissen es immer noch nicht genau genug. Die Philosophen und Theologen diskutieren weiter. .

Etwas bedenklich muss allerdings stimmen, dass Bestseller-Autor Bernhard Cornwell seinen wilden Wikingerkrieger Uhtred dem guten König Alfred von Wessex im Jahre 873 sagen lässt: "Es gibt nichts, was Männer mehr anspornen könnte als Habgier, Rache und Selbstsucht." Und weil Alfred das nicht glauben mag, verliert er beinahe sein letztes Königreich.

Ein Unglück der oberen Zehntausend ist es freilich, dass bei ihnen der Mangel an dem, was gerade als anständig gilt, mehr Aufsehen erregt als bei gewöhnlichen Leuten. Das darf bei bemüht wertfreier Betrachtung als ungerecht erscheinen. Denn ein Dax-Vorstand ist ja nicht ein solcher geworden, weil er ein besserer Mensch ist als sein Pförtner, sondern weil er vielleicht nur ein bisschen fleißiger, aufmerksamer, tüchtiger, beziehungsreicher nach oben strebte, als der brave Kollege unten. Man müsste dem Aufsteiger also eigentlich die gleichen Versuchungen, Fehltritte und Unsicherheiten wie dem Hockenbleiber zugestehen, schlicht von dem her, was man "menschliches Versagen" zu nennen pflegt. Aber das tut man natürlich nicht. Sondern man unterstellt, dass die Inhaber von Erfolg und Macht, Geld und Ruhm, Glanz und Gloria besser wissen müssten als alle Übrigen - eigentlich sogar am besten -, was zu tun und was zu lassen ist. Nur, dies stimmt so einfach eben nicht. Dann sogar, wenn man nicht so weit gehen möchte wie der oben zitierte Wikingerkrieger mit seiner Festlegung auf die Urmotive Habgier, Rache und Selbstsucht, sondern stattdessen als Bundeskanzler, Verbandspräsident oder FAZ-Herausgeber die Vorbild-Verpflichtung der Funktionseliten beschwört, wird man sich das klassische "Nichts-Menschliches-ist-mir-fremd"-Eingeständnis bewahren können. Nicht einmal Mutter Theresa ist, laut Überlieferung, von der edelsten Form der Selbstsucht frei gewesen. Denn auf die Frage, warum sie sich so mühe mit dem Gutes-Tun, antwortete sie: Nein, nein, nicht um der ewigen Seeligkeit willen, sondern nur, weil es sie hier auf Erden so sehr befriedige.

Unangenehm viele Bankvorstände sind in den schwierigen Bankenjahren 2007/2008 in institutionelle wie persönliche Schwierigkeiten geraten, weil sie nicht wussten, oder nicht zugeben wollten, wie viele Wertverluste ihre Kapitalmarktanlagen erlitten hatten. Das ist von der Sache her unentschuldbar, so wie man der Siemensführung im Bestechungsskandal vorwarf, sie sei auf jeden Fall betroffen: entweder, weil sie zu den Wissenden gehörte oder aber, weil sie zu den Unwissenden zählte. Nicht einmal die Undurchschaubarkeit des speziellen ABS-Marktes und seiner schier wahnsinnigen Usancen, nicht formelle Unzulänglichkeiten der Zweckgesellschaften und schon gar nicht die erschreckende Unkenntnis der volatilen IFRS-Bewertungen für die Bilanzen sind demnach als Entschuldigung zu akzeptieren. Alle diese Mangelerscheinungen sind für einen Bank-, einen Geschäftsbetrieb nicht hinnehmbar. Sie gehören deshalb so bestraft, wie sie jetzt von Markt und Gesetz bestraft werden.

Schwieriger wird es schon, wenn im Rahmen der globalen Fluchtbewegung "Rette-sich-wer-kann" ganz offenkundig zwischen Banken gegen jenen Treu und Glauben verstoßen worden ist, den die alten Börsianer miteinander als den höchsten Wert überhaupt hochhielten. Dieses begründete Misstrauen untereinander, entstanden aus der bitteren Erfahrung mit Lug und Trug, ist in dieser Form ein neues Phänomen. Aber - schlecht ist ein solcher Bruch nicht. Denn aus diesem Misstrauen heraus erwächst nun endlich doch das Verlangen nach Transparenz, nach einer möglichst lückenlosen Dokumentation von Handelsverläufen und Handelsinhalten: Es sollen inzwischen auch halbmeterdicke Prospekte von Derivaten schon gelesen worden sein.

Das entscheidende Motiv für die Verzögerung, Verdrängung und Verschweigung von Assetverlusten heute wie von Kreditverlusten vorgestern scheint wiederum viel weniger das Versagen von Teilen der kreditwirtschaftlichen Führungselite in komplizierten Märkten zu sein, als die Angst vor persönlichen Konsequenzen.

Denn es sind Vorsitzende und Vorstände nach der letzten Strukturkrise 2002 ff doch vielerorts schön und laut gefeiert worden. Sie hatten ja schließlich die Kreditbestände endlich wieder in Ordnung gebracht, hatten die Kostenstrukturen vorzugsweise über Entlassungen saniert, hatten die Geschäftsmodelle von Utopien einigermaßen befreit. Und sie hatten gar nicht selten auch wieder schönen Profit gemacht, gezeigt, ausgeschüttet. Die von ihnen erzielte "angemessene Kapitalmarktrendite" mindestens im Teen-Bereich und in der Spitze sogar mit Twen-Zahlen erfreute häufig Analysten, mitunter Investoren und ausdrücklich die Oberbürgermeister. Dass nun 2007/2008 der Sanierer einer Bank, der Retter aus der Not, der Stratege für die ganze Zukunft unverzüglich eine so noch nie erlebte Pleite aus Spekulationsgeschäften des eigenen Hauses eingestehen soll, das ist wahrhaftig viel verlangt zu viel?

Denn der Rücktritt aus freiwilliger oder angeordneter Übernahme der Verantwortung tut schrecklich weh. Abschied von den "Reichen und Mächtigen", Verlust des persönlichen Netzwerks, Nicht-mehr-gefragt-werden und Keinen-Ein-fluss-mehr-ausüben-können, Neuanfang als demütiger Consultant, dies ist eine furchtbare persönliche Niederlage. Sie bis zuletzt herauszögern, weil die Subprime-Kurse vielleicht doch wieder steigen könnten, ist falsch. Aber es ist dies ein nachvollziehbares Verhaltensmodell.

Nicht zum ersten Mal in der Republik und schon gar nicht zum ersten Mal in Gemeinden mit einer lebhaften Society hat Unanständiges in diesen Wochen eine namhafte Platzbank getroffen. Ausgerechnet in Düsseldorf, wo doch so gerne vertikalen Verbindungen zwischen Zentral- und Ortsinstituten nachgesonnen wird. Ordentliche Bankbeamte haben sich anstecken lassen von ein klein bisschen unordentlicher Gesellschaft. Um bei den Wikingern zu bleiben: Habgier ist in solchen Fällen, wenn überhaupt, mehr für immaterielle Werte wie etwa gehobene Lebensqualität als im Sinne von Bereicherung zu konstatieren. Selbstsucht ist vielleicht am kurzen Imagegewinn zu messen. Rache ist nicht erkennbar. Zweifellos passieren in solchen Zusammenhängen aber immer wieder Bankgeschäfte, die besser keine geworden wären, eben aus "persönlicher Verbundenheit" heraus. Wiederum darf man so etwas als menschliches Versagen brandmarken und bestrafen. Man muss es verurteilen.

Aber ein klein wenig Verständnis für die Leichtigkeit der Verführungen sei auch hier erlaubt. Und Vorbeugen scheint immerhin möglich. Vom Präsidenten eines Regionalverbandes wird glaubhaft kolportiert, er habe Sonderprüfungen bei jenen Mitgliedsinstituten angeordnet, deren Vorstandsvorsitzender sich beim schönen Golfspiel eines Handicap von "unter zehn" rühmte. Schließlich auch noch dieses: Wenn eine Stadtsparkasse durch hartnäckige Instrumentalisierung von Seiten ihrer Eigentümer in übelste Risiken getrieben wird, geht sehr viel öfter ein Vorstand als ein Bürgermeister.

Falls die von der Steuerfahndung so günstig erworbene Liste der Verdächtigen bleibt wie sie zu sein scheint, gehört das nationale Kreditgewerbe diesmal zu den Unverdächtigen. Nichts beachte man strenger als die Legalität hat jüngst ein PhG von Hauck & Aufhäuser bei einer "bank und markt"-Tagung mit ernstem Gesicht betont. Ein Lerneffekt gegenüber den Kofferträgerzeiten? Wer Steuern stehlen will, braucht aber deutsche Banken mitnichten - die der Nachbarn reichen völlig. Das weiß jeder Urlauber am Wolfgangsee. Derselbe meint, der namenlose Kontoauszug der Raiffeisenkasse sei nichts anderes als Savoir vivre. Klaus Zumwinkels Dummheit dagegen sei die pure Kriminalität. Quod licet bovi, non licet iovi. K. O.

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