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Leverage Ratio - Was passiert wenn ...

Dass eine höhere, risikogerechte Eigenkapitalausstatung der Finanzwirtschaft dazu beitragen sollte, künftig die Stabilität des Finanzsystems zu erhöhen, ist weltweit ziemlich unbestritten. Mit welchen Maßnahmen dieses Ziel zu erreichen ist, wird freilich seit Monaten diskutiert. Und je näher die Umsetzung rückt und je mehr sich die weltwirtschaftlichen Verhältnisse normalisieren, umso stärker zeigen sich die unterschiedlichen Interessenlagen in den verschiedenen Weltregionen.

Vorvereinbarung auf G20-Ebene

Als zusätzliches Instrument der künftigen Krisenprävention gilt unter anderem die sogenannte Leverage Ratio. Ermittelt wird diese als Quotient aus Bilanzsumme und einem streng definierten Tier I Kapitalbegriff. Für die deutsche Kreditwirtschaft ist von besonderem Interesse, welche Kapitalbestandteile gegebenenfalls in Tier I einzubeziehen sind, speziell wie die hierzulande sehr geläufigen stillen Einlagen und wie das Hypridkapital zu berücksichtigen sind. Um diese Stellschrauben des Kapitalbegriffes wird bei Einführung einer Leverage Ratio in den internationalen Gremien mindestens ebenso gerungen, wie um die Größenordnung der Kennziffer. Und davor steht noch die zu klärende Grundsatzfrage, ob und inwieweit eine Leverage Ratio überhaupt Sinn macht.

Auf internationaler politischer Ebene wurde freilich im Zuge des G20-Prozesses längst eine Vorvereinbarung über die Einführung einer Leverage Ratio getroffen. Es geht eigentlich nur noch darum, wie die neue Kennziffer an die Seite der Basel-II- beziehungsweise künftiger Basel-III-Regeln gestellt werden soll. Was in deren konkreter Ausgestaltung noch verhandelbar erscheint, ist allenfalls der Verbindlichkeitsgrad. Soll die Größe zunächst im Rahmen der zweiten Säule der Baseler-Regeln mit überwacht werden? Oder soll es sich um eine strenge Anforderung der ersten Säule handeln?

Dass letztere Position sich in den Verhandlungen der internationalen Gremien durchsetzen wird, ist solange unwahrscheinlich, als die konkrete Höhe der Leverage Ratio maßgeblich von dem verwendeten Rechnungslegungsstandard abhängt. Weil die Bilanzierung nach IFRS kein Netting zwischen Long- und Shortpositionen erlaubt, erhöhen Derivate-Hedges die Bilanzsumme und damit die Leverage Ratio. Um solche ungewollte Verzerrungen gegenüber der Bilanzierung nach US-GAAP zu vermeiden, ist damit in jedem Falle die Neutralität der gewählten Bilanzierungsstandards sicherzustellen. Dies ist aus Sicht der hiesigen beziehungsweise der Gesamtheit der nach IFRS bilanzierenden Kreditwirtschaft zumindest in der Sache eine vergleichsweise einfache Forderung, die im Übrigen auch auf der Linie des Baseler Ausschusses liegt.

Die Bedenken der deutschen Kreditwirtschaft - wie auch der Deutschen Bundesbank - gehen darüber hinaus und sind viel grundsätzlicher. Mit der Einführung einer Leverage Ratio als verbindlichem Kriterium zur künftigen Eigenkapitalausstattung, so befürchten sie, bewegt sich die Kreditwirtschaft wieder weg von einer risikosensitiven Eigenkapitalunterlegung. Bestärkt wird diese Auffassung durch die Ergebnisse einer Anfang März 2010 vorgelegten wissenschaftlichen Studie der WHU - Otto Beisheim School of Management. Die Professoren Michael Frenkel und Markus Rudolf haben darin im Auftrag des Bundesverbandes der deutschen Banken die makroökonomischen und finanzwirtschaftlichen Effekte der Einführung einer Lever-age-Ratio-Regel in das internationale Bankensystem untersucht.

Anreiz für risikoreichere Anlagen

Ihre Kernbotschaften: Erstens schafft die Leverage Ratio für Banken Anreize, Bilanzpositionen in Zukunft verstärkt über den Kapitalmarkt abzuwickeln und Absicherungspositionen in Derivaten aufzulösen. Zweitens benachteiligt sie deutsche Banken stärker als angelsächsische Institute. Und drittens dürfte sie zu einer Reduzierung des Kreditangebotes und damit zu einer Verlangsamung der wirtschaftlichen Aktivität führen. Nun wäre die Benachteiligung deutscher Institute gegenüber amerikanischen und angelsächsischen Häusern sicher ein schlechtes Argument, auf eine Leverage Ratio zu verzichten, falls diese sich ansonsten als geeignet erweisen sollte, die Risiken für das Finanzsystem als Ganzes zu verkleinern. Aber auch das bezweifeln die Autoren. Eine Leverage Ratio, so ihre Argumentation, würde geradezu Anreize schaffen, relativ risikolose Anlagen durch risikoreiche mit niedrigerem Bilanzierungswert zu ersetzen. Trotz niedrigerer Kennziffer könnte damit ein höheres Konkursrisiko aufgebaut werden als es unter BaselII zulässig wäre.

Welche makroökonomischen Effekte darüber hinaus bei Einführung einer Leverage Ratio für die deutsche Wirtschaft zu erwarten sind, spielt die Studie anhand von verschiedenen Szenarien durch. Konkret wird dabei unter Zugrundelegung der aus der Bundesbankstatistik vom Oktober vergangenen Jahres entnommenen Datenlage für die Bilanzsumme und einen eng gefassten Eigenkapitalbegriff für die deutsche Kreditwirtschaft eine Leverage Ratio ermittelt, die mit knapp 38 im internationalen Vergleich eher hoch liegt. Darauf aufbauend wird dann simuliert, wie sich hierzulande verschiedene Levels einer Leverage Ratio auf die notwendige Eigenkapitalausstattung und auf die Kreditvergabetätigkeit auswirken könnten. Angenommen beispielsweise man einigt sich auf internationaler Ebene auf eine Leverage Ratio von 33, so bedarf es im deutschen Bankensystem eines zusätzlichen Eigenkapitals von 36 Milliarden Euro, um diesen Anforderungen gerecht zu werden. Sollte die LR auf 25 festgelegt werden, fehlen schon 125 Milliarden Euro an Eigenkapital.

Ungewollte makroökonomische Effekte

Um die gleichen LR-Werte durch eine Beschränkung der Kreditvergabe darstellen zu können, müsste das Kreditvolumen um 1093 Milliarden Euro zurückgeführt werden, bei einer LR von 25 gar um 2841 Milliarden Euro (siehe Tabellen 1 und 2). Und Letzteres, so wird an einer weiteren Modellrechnung gezeigt, verlangsamt das Wirtschaftswachstum, bremst den Anstieg der Investitionen, erhöht die Arbeitslosigkeit sowie die langfristigen Zinsen. (Tabelle 3)

All diese Szenarien, sind der Studie zu entnehmen und sollten der hiesigen Politik und der Kreditwirtschaft gleichermaßen verdeutlichen, wie wichtig es auf internationaler Ebene ist, möglichst rasch eine klare, gemeinsame Position zu beziehen. Denn bisher ist die deutsche Sicht der Dinge in den internationalen Verhandlungen bis hin nach Basel nicht gerade tief verankert. Als allein verbindliche Regel kann sich eine Leverage-Ration im Sinne der Systemstabilität sogar als kontraproduktiv erweisen. Und als flankierende Kenngröße bedarf sie zumindest der Bereinigung um Bilanzierungseffekte. Der gewichtigste Aspekt ihrer Einführung ist derzeit die politische Beschlusslage auf G20-Ebene. Mo.

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