Leitartikel

Lehren aus der Krise

Das Jahr geht dem Ende zu, die Tage werden kürzer und die Abende dafür immer länger. In dieser Zeit neigt der Mensch, der gewöhnliche wie der geschäftige, dazu, eine erste vorsichtige Bilanz zu ziehen. War es ein gutes Jahr? Wurde erreicht, was man sich vorgenommen hat? Überwiegen die Glücks- die Unglücksmomente? Und mit dem Blick nach vorne fragt man sich natürlich auch, was man im kommenden Jahr besser machen kann. Für die Banken war 2007 ein bewegtes, ereignisreiches, schwieriges und hoffentlich lehrreiches Jahr. Die US-amerikanische Subprime-Krise hat offengelegt, wie eng die weltweiten Finanzmärkte verwachsen sind, wie wenig sich Krisen auf eine bestimmte Region begrenzen lassen, wie das Vertrauen in eben noch geschätzte Partner über Nacht verloren geht, wie schnell als solide geltende Geschäftsmodelle überdacht werden müssen und welche Summen in spekulativen Investments gehortet sind. Die zeitpunktbezogene Vermögensvernichtung ausgewählter Häuser zeigt nebenstehende Tabelle.

Was sind die Lehren? Die Redner der 53. Kreditpolitischen Tagung beschäftigte dies ebenso wie die gesamte Financial Community. An erster Stelle ist sicherlich die Forderung nach mehr Transparenz zu nennen, die nicht etwa von außen in die Branche hineingeredet werden soll, sondern von den betroffenen Instituten selber kommt. Transparenz im Sinne von einheitlichen Bewertungsmaßstäben, umfassenden Angaben zum enthaltenen Risikopotenzial und vor allem, einer Selbstverpflichtung der Hedge- und Private-Equity-Fonds, die eine immer wichtigere und überwiegend positive Rolle am Kapitalmarkt spielen. Ihr Appetit war es in der Vergangenheit, der den Banken neue Möglichkeiten der Risikodiversifikation geboten hat. Aber ihre scheinbar unendlich vorhandene Liquidität hat auch so manchen Vorsichtsgedanken ausgeschaltet. Nun zu glauben, dass die Branche vernünftiger werden kann, ist utopisch. Auf die Gier ist immer Verlass. Es werden auch in Zukunft schlaueste Köpfe immer wieder versuchen, die "Pionier-Prämie" einzustreichen, bevor Trittbrettfahrer wieder die Margen schmälern.

Es ist weiter sicherlich über die Aufsicht samt ihrer Organe nachzudenken. Die deutsche Bankenaufsicht hat sich in der bestehenden Form auch in dieser Krise wieder bewährt. Und wird dies gewiss auch in Zukunft tun - ob, wie vom Sach-verständigen-Gutachten gefordert, allein unter dem Dach der Bundesbank oder mit einer personell und finanziell gestärkten BaFin in der dualen Form. Unabhängig davon reicht die Zukunft der Bankenaufsicht sicherlich in das vereinte Europa hinein. Allerdings erscheint eine europäische Aufsichtsbehörde, die über das bestehende Netz an Kooperationen hinausgeht, derzeit noch nicht realisierbar. Die vorhandenen gesetzlichen, regulatorischen, aufsichtsrechtlichen, steuerlichen und wirtschaftspolitischen Unterschiede in den Ländern Europas würden eine zentralere Überwachung wenig effektiv machen.

Eine europäische Aufsicht hätte diese Krise nicht verhindern können. Denn auch ihr hätten kaum verlässliche Daten zur Verfügung gestanden. Eine überwachbare Marktpreisbildung für mit Hypotheken besicherte, 17-fach umgepackte, unzählig oft weiterverkaufte CDO- und ABS-Strukturen ist genauso unmöglich wie die Annahme, das zugrunde liegende Risiko verfolgen zu können, um Klumpen zu erkennen und damit zu verhindern. Siegfried Jaschinski, der Vorstandsvorsitzende der LBBW, stellt daher fest: "Eine schärfere Unterscheidung von handelbaren und nicht handelbaren Assets, das heißt Kredit und Anleihen, im Risikomanagement und in der Rechnungslegung, ist eine der Schlussfolgerungen aus der Finanzmarktkrise. Auch wenn einzelne Kredite gebündelt und zu Wertpapieren verpackt werden, hat das Wertpapier doch den

Charakter eines Kredits, der im Hinblick auf seine Werthaltigkeit und die Endfälligkeit hin beurteilt werden muss." Dabei gilt es auch, die Langfristkultur wieder höher zu bewerten. "Festzinskredite erleichtern auf der Aktivseite der Banken auch die fristenkongruente Refinanzierung auf der Passivseite. Für Zeiten austrocknender Liquidität eine gute Vorsorge", so der Vizepräsident der Deutschen Bundesbank, Franz-Christoph Zeitler. Er sieht aber auch die Politik in der Pflicht, die hierfür notwendige Incentives liefern muss, und nicht, wie beispielsweise durch die Diskussion um das Recht zur vorzeitigen Kündigung, die Regeln der Vorfälligkeitsentschädigung aufzuweichen und so die Langfristigkeit aufzuheben. Auch Verbraucherschutz hat bei aller Notwendigkeit seine Grenzen.

Die Rolle und die Anforderungen an Aufsichtsräte müssen hinterfragt werden. Kann der sicherlich tüchtige Vorstand eines Industrieunternehmens noch die potenziellen Risiken aus äußerst komplexen Kapitalmarkttransaktionen beurteilen oder ist er hier dem Vorstand beziehungsweise externen "Siegelgebern" wie Ratingagenturen unterworfen? Ist der Oberbürgermeister wirklich in der Lage, Geschäftsmodelle auf ihre Zukunftsfähigkeit hin zu beurteilen, Partikularinteressen hintanzustellen und eben nicht nur bis zur nächsten Wahl zu denken? Und erfasst der erfolgreiche Handwerksmeister wirklich die sich aus einer abflachenden Zinsstrukturkurve ergebenden Probleme bei gleichzeitiger bürokratischer Belastung des Provisionsgeschäfts samt allen neuen heilsbringenden Produkten? In der Szene spottet man: "MBS - Mit beschränkter Sicherheit. ABS - Aufsichtsräte besser stellen." Die internen Kontrolleure müssen professioneller werden. Das fängt bei Fragen der Corporate Governance an, ob der Ex-Vorstandsvorsitzende nun weiterhin seine Taten bewahren muss, geht über eine bessere Entlohnung und häufigere Zusammenkünfte bis hin zur Öffnung für ausländische Spezialisten bei internationalen Spielern.

Neu zu betrachten sind die Ratingagenturen. Nicht erst seit dem Baseler Akkord, der externe Ratings bankaufsichtsrechtlich besserstellt als interne Bewertungen, vertrauen Kapitalmarktakteure den Analysten (zu sehr?). "Es stellt sich die Frage, ob Risiken über Kennzahlen und Ratings ausreichend erfasst werden können. Zumindest die Subprime-Krise macht deutlich, dass durch Verbriefung übertriebene und damit gefährliche Incentives zur Kreditvergabe bei den Kreditinstituten gegeben sind", stellt Jaschinski fest. Wer eine derart gewichtige Rolle an den Kapital- und Finanzmärkten spielt, muss überwacht werden, von daher hat der PwC-Chef Hans Wagener recht, wenn er fordert, dass "alle Institutionen, die für den Kapitalmarkt ein anerkanntes Qualitätssiegel vergeben, bezüglich Regulierung und Haftung gleichbehandelt werden sollen". Genauso wenig wie externen Ratings dürfen gewissenhafte Manager von heute aber ihren hauseigenen Risikomanagementsystemen pur vertrauen. "Quantitative Modelle und Stresstests sind lediglich Risikosteuerungs-Vehikel", so DZ-Vorstandsvorsitzender Wolfgang Kirsch. Entscheiden muss immer noch der Mensch. Und es kann nicht schaden, wenn an dieser Stelle einmal über die notwendigen Voraussetzungen nachgedacht wird: Kredit ist eine zwingende Anforderung an den Bankvorstand von früher und von heute. Kapitalmarktwissen muss es unbedingt werden. Dabei nimmt das Spezialistentum in den Vorstandsetagen immer mehr zu. Der Generalist ist zumindest in größeren Häusern längst ein schönes Relikt aus der Vergangenheit.

Wo liegt aber der zukünftige Erfolg? Dafür kann es keine allgemeingültige Regel geben. Jedes Haus, gleich welcher Größe, muss für sich alleine und immer wieder die Zukunftsfähigkeit kritisch betrachten. Da spielen Überlegungen zu Zielgruppen und Produktpaletten, Vertriebswegen und Effizienzsteigerungen ebenso eine Rolle wie Make-or-Buy-Entscheidungen, Kooperationen und sogar das komplette Aufgeben von ehedem erfolgreichen Geschäftsfeldern. "Es ist kein Kavaliersdelikt, nicht über ein ausreichendes Geschäftsmodell zu verfügen", formuliert Jaschinski drastisch. Fehlende Geschäftsmodelle erhöhen die Risikobereitschaft und damit auch die Ge fahr von Schieflagen. Schlechte Beispiele der jüngsten Vergangenheit sind die IKB und die Sachsen-LB. Es wäre aber sicherlich zu einfach, nun die Geschäftsmodelle der Sparkassen und der Volks- und Raiffeisenbanken als überlegen zu bezeichnen.

Sicherlich, die Verbünde sind durch ihre Refinanzierung über Einlagen und die damit geringere Kapitalmarktabhängigkeit von der Krise deutlich weniger betroffen als private Großbanken. Das liegt aber nicht etwa an besseren Modellen, vernünftigeren Vorständen oder maßvollerer Zurückhaltung, sondern an der zentral auferlegten und erzwungenen Selbstbeschränkung. Viele Sparkassen- und Raiffeisenvorstände hätten liebend gerne mehr verbrieft, mehr in ABS investiert und höhere Ergebnisse und Renditen erwirtschaftet. Denn beide Verbünde stehen vor erheblichen Ertragsproblemen. Die aktuelle Zinssituation macht eine auskömmliche Fristentransformation nahezu unmöglich, der harte Wettbewerb über Preise im Privatkunden- und Mittelstandsgeschäft zehrt an den Margen, und das Provisionsgeschäft vermag bei weitem keinen Ausgleich zu schaffen. Kosten können nur noch bedingt gesenkt werden, und Fusionen zu größeren Einheiten schaffen oft mehr Probleme als sie beheben.

Ansatzpunkt ist - das gilt für Sparkassen wie Genossenschaftsbanken - eine Verbesserung der Arbeitsteilung. Die Neuordnung der Landesbankenlandschaft ist im Gange, mehr als drei oder vier werden aller Voraussicht nach nicht überbleiben, und auch bei den Kreditgenossen ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis DZ und WGZ zusammenfinden. Das geht Kirsch aber nicht weit genug. "Bei Back-Office-Funktionen oder auch im sogenannten 'Middle-Office' ließe sich hingegen eine noch stärkere Bündelung vorstellen. Eine Möglichkeit wäre die Zusammenführung von Personalsteuerung, Rechnungswesen und Controlling der gesamten Gruppe in einer Art operativen Holding. Insgesamt reizen wir unsere Vertriebskraft noch bei weitem nicht vollständig aus. [...] Ziel muss es sein, einen Marktauftritt und eine Strategie aus einem Guss zu formulieren und sich auf mehr Verbindlichkeit und Einheitlichkeit innerhalb des Verbundes zu verständigen. Andere europäische Genossenschaften sind da schon weiter. [...] Bei ihnen sind Verbands- und Zentralbankausgaben verschmolzen. Sie vermeiden so Doppelarbeiten und lneffizienzen." Da ist es wieder, das "Schreckgespenst Rabo". Man wird's landauf, landab - vor allem aber in Berlin

- genau vernommen haben, was hier in Frankfurt bedacht wird. Zum Jahresende zieht der Mensch nicht nur Bilanz, sondern er wünscht sich auch manches. An dieser Stelle bleibt zu wünschen, dass mit weiterer Regulierung vorsichtig umgegangen wird. Steigender Regulierungsdruck schränkt unternehmerisches Denken und Handeln erheblich ein und schafft nicht etwa mehr Sicherheit und Verlässlichkeit. Er sorgt allenfalls für mehr Kreativität bei der Umgehung der Vorschriften, was die Kontrolle künftig wiederum schwieriger macht. Die Vorschriften müssen sich an den Geschäftsprozessen orientieren - und nicht umgekehrt. P. O.

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