Leitartikel

Keine Angst

Man ist durchaus drastische Worte von Deutschlands oberstem Bankenaufseher gewohnt. Jochen Sanio ist niemand, der lange um den heißen Brei herumredet oder sich vor der Wahrheit drückt - bei allem diplomatischen Durchsetzungsvermögen auf nationaler wie internationaler Ebene. Und doch erlebte man zum Jahresauftakt einen ausgesprochen nachdenklichen und pessimistischen Bankenaufseher. Die Aufsichtswelt werde auch 2011 wieder "voller Risiken" sein, man stehe vor "alt bekannten, höllisch schwierigen Problemen", das Wort unmöglich sei bitte schön schleunigst zum Unwort des Jahres zu erklären und die "überbordende Kreativität" von Mitgliedern internationaler Regulierungsgremien könne zu "schlimmer Katerstimmung führen, wenn nämlich unvorhergesehene Nebenwirkungen die gut gemeinten Absichten zuschanden werden lassen". Seine Skepsis gegenüber den Heilsbringern in Form neuer Aufsichtsbehörden war dem Präsidenten ebenso anzumerken wie ein gehöriges Misstrauen gegenüber den zu beaufsichtigten Instituten, deren Eigentümern und Heimatländern. Man musste nicht allzu intensiv zwischen den Zeilen lesen, um eine gewisse Resignation und Amtsmüdigkeit des BaFin-Chefs festzustellen.

Dass Sanio Banken nur sehr eingeschränkt positive Überraschungen zutraut, wer mag es ihm verdenken. Zu lange kennt er die Branche schon, zu viel hat er erlebt. Doch wenn er nun feststellt, "das Bankensystem war unterkapitalisiert und von der Liquidität her in einem beklagenswerten Zustand", dann ist das nicht nur eine Ohrfeige für alle Risiko- und Liquiditätsmanager in den Instituten selbst, sondern natürlich auch für die Aufseher. Die Institute an die verschärften Anforderungen heranzuführen, ist eine neue Aufgabe. Und wahrlich keine einfache, denn auch 2011 wird sicherlich nicht das beste aller Bankenjahre. Außerhalb der höchst volatilen Einnahmen aus dem Handelsgeschäft wird es spürbar schwerer, Geld zu verdienen. Das Provisionsgeschäft ist ob der Zurückhaltung der privaten Kundschaft bei Weitem noch nicht wieder auf Vorkrisenniveau angekommen, im Zinsgeschäft drohen die anstehenden Leitzinserhöhungen die so feine Spanne zu beschneiden, und die höheren Eigenkapitalanforderungen werden zum einen zu niedrigeren Gewinnen, zum anderen zu einem Überdenken der Geschäftsmodelle und dem Abstoßen von Aktivitäten wie beispielsweise dem Kapitalmarktgeschäft führen. Darüber hinaus wird schon wieder fleißig spekuliert.

Durchaus mit ein wenig Sorge darf die Erfüllung der neuen Eigenkapital- und Liquiditätsstandards des Baseler Ausschusses betrachtet werden. Für all diejenigen, bei denen die thesaurierten Gewinne zur Erfüllung nicht ausreichen, wird es schwierig. Der Weg an den Kapitalmarkt ist steinig, das Misstrauen von Investoren gegenüber der Bankenbranche immer noch groß. Kapitalerhöhungen sind dementsprechend teuer, sodass manches Institut zu einfacheren Formen greift (siehe Gespräch des Tages Seite 116). Es droht eine Zweiklassengesellschaft. Banken, denen der Markt die Erfüllung zutraut und Banken, bei denen dies nicht der Fall ist. "Wer in der zweiten Liga spielen muss, dem geht es schlecht", so Sanio dazu. Dass manchem dieser Institute kein anderer Ausweg bleiben wird, als die Eigenkapital belastenden Risikoaktiva drastisch zu verringern, was zwangsläufig auch die Realwirtschaft in Mitleidenschaft ziehen würde, ist von den Regulatoren vielleicht nicht ausreichend bedacht worden. Dass von den verbliebenen erstklassigen, in der Regel großen Banken, denen es gelingt, sich den neuen Verhältnissen anzupassen, ein viel größeres Systemrisiko ausgehen wird, ist pure Ironie.

Bleibt zu fragen, ob wenigsten die neu geschaffenen Aufsichtsbehörden die Bankenwelt ein wenig sicherer machen? Die nationalen Aufsichtsbehörden um europäische Institutionen zu erweitern ist dabei ebenso unstrittig wie die Notwendigkeit, sich stärker mit der Früherkennung systemischer Gesamtrisiken zu befassen. Von daher sind die Gründung des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken (European Systemic Risk Board - ESRB) und die Erweiterung der bisherigen lockeren Verbünde europäischer Aufseher CEPS, CESR und CEIOPS zu echten Aufsichtsorganen zeitgemäß. Aber selbst wenn der Übergang reibungslos klappen sollte, künftige Verwerfungen werden auch die neuen Behörden nicht verhindern können. Im ESRB beispielsweise, dessen Verwaltungsrat aus 65 Mitgliedern aus den 27 EU-Mitgliedsländern und der EU-Kommission besteht, drohen Interessenkonflikte für die Vertreter der nationalen Zentralbanken, der europäischen Aufsichtsbehörden und der EU-Kommission. Es wird sich zeigen müssen, wer hier echter Europäer ist und nationale Interessen dafür links liegen lässt.

Die Befugnisse der European Banking Authority (EBA), der European Insurance and Occupational Pensions Authority (EIOPA) sowie der European Securities and Markets Authority (ESMA) sind gegenüber den Vorgängern zwar erweitert worden. So dürfen von allen drei Behörden direkte Weisungen an die nationalen Aufsichtsbehörden erfolgen, wenn eine Krisensituation vorliegt und/oder Gemeinschaftsrecht verletzt wird. Im Falle der Uneinigkeit nationaler Behörden bei der Beaufsichtigung grenzüberschreitender Institute kommt ihnen eine Schlichterrolle zu. Darüber hinaus, das wurde kurz vor Verabschiedung der Richtlinie noch nachgeschoben, dürfen sie auch direkt in der Institutsaufsicht tätig werden. Und zwar dann, wenn sich die nationalen Behörden nicht an die Weisungen halten. Dabei sind sie an die europaweit über die Capital Requirement Directive weitgehend vereinheitlichten nationalen Gesetze wie das KWG gebunden. Doch wissen wir alle, wie Banken auf zunehmende Regulierung reagieren. Sie weichen ihr einfach aus. Dafür hat sich der unschöne Begriff "Shadowbanking" etabliert. Und nach wie vor gibt es viel zu viele nur wenig oder überhaupt nicht regulierte Bereiche, die feine Arbitragemöglichkeiten bieten. Wird der Schattenbereich der Wachstumsmarkt der Financial Industry der Zukunft sein? Zudem gelten die neuen Regelungen vor allem für die großen, international agierenden Banken, im neuen Aufseher-Slang "Global Systemically Important Financial Institutions", kurz G-SIFIs, genannt. Allerdings ist deren Bestimmung und Abgrenzung zu den domestic SIFIs keineswegs so eindeutig, dass sie zweifelsfrei erfolgen kann. So erwartet nicht nur Jochen Sanio in den kommenden Monaten "einige seltsame Metamorphosen". Dann nämlich, wenn nationale Aufseher allerlei Kreativität walten lassen, um ihre vermeintlichen Topbanken eben gerade nicht unter die Kategorie "global" fallen zu lassen, sondern sie als einfache "super regionals" oder besser noch als rein nationales Systemrisiko verharmlosen.

Also doch alles wieder nur Augenwischerei? Die ganz überwiegende Mehrheit der deutschen Banken muss sich vor den neuen Behörden jedenfalls sicher nicht fürchten. Diese sind weit, weit weg. Die Aufsicht über Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken wird auch künftig von Bundesbank und BaFin durchgeführt, ganz sicher ohne Weisung von EBA oder ESMA. Hat sich bislang etwa der europäische Wirtschaftskommissar um den kleinen deutschen Unternehmer gekümmert? Dann muss sich der Mittelständler auch nicht um ihn kümmern. Keine Angst!

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