Aufsätze

Kapitalmärkte zwischen staatlicher "Fürsorge" und unternehmerischer Freiheit - ein Plädoyer für weniger Regulierung

Was ist eigentlich die Staatsaufgabe in Bezug auf die Ordnung der Kapitalmärkte? In der Idealvorstellung ist die Antwort hierauf klar: Aufgabe des Staates ist es, einen Ordnungsrahmen vorzugeben, der für Integrität und Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte sorgt. Die Regeln der Kapitalmärkte sollten demnach so gestaltet werden, dass die Ersparnisse der Haushalte möglichst reibungslos in Investitionen der Unternehmen transformiert werden können, ohne dass dabei volkswirtschaftlich nicht tolerierbare Risiken entstehen.

Auf diesen kleinsten gemeinsamen Nenner wird man sich leicht einigen können. Er könnte auch in jedem politischen Papier stehen, das auf hoher und höchster politischer Ebene zu dieser Thematik verfasst wird - etwa in den Schlusserklärungen der europäischen Gipfel zu Finanzmarktthemen oder der G20.

Logik der politischen Prozesse

Ungleich schwerer und konfliktgeladener wird es, wenn man die abstrakte Forderung in konkrete Regeln überführen will, denn im Regelfall sind bei Regulierungsfragen der Finanzmärkte schwierige Zielkonflikte aufzulösen. Ein Mehr an Anlegerschutz bedeutet häufig mehr Kosten für Banken, börsennotierte Unternehmen und damit letztlich für die Anleger selbst. Ein Mehr an Systemschutz engt den Spielraum für die Banken und andere Finanzintermediäre ein, ihre ureigensten Leistungen für die Unternehmen beziehungsweise die Volkswirtschaften effizient zu erbringen. Theoretisch lässt sich in jedem Fall sogar ein Optimum an Regulierungsintensität definieren. Wer aber darauf vertraut, dass bei den schwierigen politischen Verhandlungen die Sachargumente solange ausgetauscht werden, dass schließlich als Verhandlungsergebnis das Optimum erreicht wird, sieht sich häufig enttäuscht.

Politische Prozesse folgen einfach anderen Regeln. Es kommen daher allzu oft keine sinnvollen Regulierungen heraus, dazu sind die systematischen Fehlerquellen einfach zu offensichtlich. Zum einen setzt gerade die Finanzmarktregulierung heute ein Expertenwissen und Verständnis für ökonomische Zusammenhänge bis weit ins Detail voraus, das häufig schlicht nicht im notwendigen Umfang vorhanden sein kann. (Man sieht das ja jetzt deutlich in der Eurokrise oder an der Diskussion über die Target-[2]-Salden). Selbst bei gutem Willen kommt es daher zu Regulierungsfehlern, die oft einer unvollständigen Analyse entstammen. So wird zum Beispiel regelmäßig ausgeblendet, dass schärfere Regulierungen von Banken und Finanzmärkten oftmals auch unmittelbar die Realwirtschaft beinträchtigen können.

Zum Zweiten - und das ist wichtiger zählt in der politischen Entscheidungsfindung letztlich häufig nicht das Sachargument (jedenfalls nicht allein), sondern das, was sich an der Wahlurne oder in Wählerumfragen auszahlt. Dies gilt auch dann, wenn jedem Beteiligten klar ist oder klar sein muss, welche (unter Umständen nachteiligen) ökonomischen Wirkungen die eine oder andere Regelung auslösen wird.

Die Finanzmarktregeln im Allgemeinen und die für börsennotierte Unternehmen sind da keine Ausnahme - im Gegenteil: Die Finanzkrise fungiert nicht nur als Aufhänger für ohne Zweifel notwendige Veränderungen, sondern zudem als willkommenes Argument, auch dort immer schärfere Regeln vorzuschlagen und zu beschließen, wo es nach einer näheren Analyse nicht notwendig, ja vielleicht sogar kontraproduktiv ist.

Regulierung, mehr Regulierung, Überregulierung

Hinzu kommt ein oft künstlich hoher Zeitdruck bei neuen Regulierungsvorhaben, der es den Regulierten, aber zunehmend auch der Legislative unmöglich macht, in adäquater Weise die Haupt- und Nebenwirkungen der Neuregelungen zu analysieren und hierauf hinzuweisen. Wenn Aufseher zitiert werden, dass sie befürchten, das "Regulierungsfenster" könne sich wieder schließen, lässt dies tief blicken. Offenbar herrscht bei manchen Akteuren Angst, es könne irgendwann doch deutlich werden, dass manche plakative Forderung einer näheren Überprüfung nicht standhalten könnte.

Übertrieben wird dabei zurzeit fast überall. Um nur drei Bereiche zu nennen, die aus Sicht der Realwirtschaft besonders wichtig erscheinen:

- Kapitalmarktrecht,

- Corporate Governance,

- Regulierung der Banken und Finanzmärkte mit Nebenwirkungen.

Im Kapitalmarktrecht werden aktuell im Windschatten der großen europäischen Themen unter anderem zwei zentrale Regulierungsvorhaben mit Hochdruck verhandelt, die für die börsennotierten Unternehmen von Bedeutung sind. Es geht dabei zum einen um die Transparenzrichtlinie, die festlegt, welche Transparenzvorschriften für börsennotierte Unternehmen gelten. Zum anderen betrifft das eine grundlegende Reform des Insiderrechts und der Ad-hoc-Publizität. Beide Vorhaben eint, dass sie momentan nicht die nötige Aufmerksamkeit bekommen beziehungsweise gar nicht bekommen können, obwohl sie durchaus das Potenzial haben, die Kapitalmarktregeln in Europa und in Deutschland deutlich zu verändern.

Transparenzrichtlinie

So wird die Transparenzrichtlinie im Zusammenspiel mit der Revision der EU-Rechnungslegungsrichtlinien unter Umständen den Einstieg in verpflichtende Corporate-Social-Responsibility-Berichterstattung schaffen. Unter dem Schlagwort "Country-by-Country"-Reporting sollen hier börsennotierte Unternehmen darauf verpflichtet werden, detailliert über Zahlungen an Staaten zu berichten. Hintergrund ist der Wunsch der EU-Kommission, auf diesem Wege vermeintlich etwas zur Korruptionsbekämpfung in Ländern der Dritten Welt beizutragen.

Zwar ist die neue Berichtspflicht zunächst auf Emittenten der "mineralgewinnenden Industrie oder der Industrie des Holzeinschlags in Primärwäldern" beschränkt, schon aber werden im Europäischen Parlament Stimmen laut, alle Branchen dieser Verpflichtung zu unterwerfen. Die entsprechenden NGOs sind mit diesen Forderungen zunächst am IASB-Board gescheitert, jetzt haben sie mit der EU-Kommission und dem Europäischen Parlament willfährige populistische Unterstützer gefunden.

Im Marktmissbrauchsregime geht es vor allem um eine Ausweitung der Begrifflichkeit der Insiderinformation. Auch dies mag dem neutralen Betrachter als ein unwichtiges Detail erscheinen. Werden aber die Vorstellungen der EU-Kommission tatsächlich umgesetzt, wird dies hochkomplexe Rechtsfragen und schwierige Compliance-Probleme bei den Unternehmen auslösen. Überdies ist in beiden Vorschlägen ein umfangreicher Sanktionskatalog enthalten, den das deutsche Recht in dieser Form nicht kennt und der auch nicht zur deutschen Rechtstradition passen würde. Proteste hiergegen - etwa vom Bundestag hört man bislang kaum.

Entmündigung der Aktionäre

In der Corporate Governance gilt schon seit Jahren: Regulierung, mehr Regulierung, Überregulierung. Das Korsett für die börsennotierten Unternehmen ist in den vergangenen zehn bis 15 Jahren beinahe von Jahr zu Jahr enger geworden. Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, all die Veränderungen aufzuzählen, die bei näherem Hinsehen eher einem politischen Reflex als einer ökonomischen Notwendigkeit entspringen. In jüngerer Vergangenheit gilt dies in erster Linie für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats, bei dem immer engere Schranken die Wahlmöglichkeiten der Anteilseigner einengen. Die EU hat zudem im Prüfermarkt ein neues Regulierungsfeld entdeckt, bei dem ähnliche Muster zu erkennen sind.

Auf der Strecke bleibt dabei zweierlei: Erstens ein faires Nachdenken über tatsächliche Missstände. Die meisten deutschen Unternehmen sind prinzipiell gut geführt und pflegen einen anständigen Umgang mit ihren Aktionären, aber auch anderen Stakeholdern. Das ist nicht erst seit der Corporate-Governance-Debatte der letzten 15 Jahre so, sondern Ausdruck der allgemeinen Unternehmenskultur hierzulande. Natürlich gibt es immer wieder Fälle, in denen Fehlverhalten festzustellen ist. Nur: Muss man darauf immer mit einer alle Unternehmen betreffenden Regulierung reagieren? Nein, man muss es nicht, sondern man sollte darauf vertrauen, dass die Aktionäre für sie nachteilige Verhaltensweisen ohnehin auf den Tisch bringen werden.

Zweitens bleibt damit auch der mündige Aktionär auf der Strecke. Ihm werden bei der Zusammensetzung des Aufsichtsrats oder bald vielleicht auch bei der Bestimmung des Abschlussprüfers Wahlmöglichkeiten genommen. Diese Entmündigung der Aktionäre verträgt sich übrigens nicht besonders gut mit der Wirtschaftsordnung, die darauf setzt, dass Individuen eigene Entscheidungen treffen können anstatt von einem Staat enge Grenzen für ihre Entscheidungen vorgegeben zu bekommen.

Also mehr Zurückhaltung: Umso bedauerlicher ist es, dass die Corporate Governance Kommisssion nicht wie in 2011 darauf verzichtet hat, den Kodex zu ergänzen, obwohl die allgemeine Meinung herrschen dürfte, dass die Veränderungen des Kodex von 2012 die deutsche Corporate Governance nicht auf eine höheres Niveau gehoben haben.

Wechselwirkungen zwischen den Regulierungsvorhaben vernachlässigt

Bei der Regulierung von Banken und Finanzintermediären treibt die Realwirtschaft ein anderes Thema um. Sie ist besorgt, dass die Politik übersieht, dass Finanzintermediäre wichtige Dienstleistungen für Unternehmen erbringen. Neben der Versorgung mit Krediten sind dies vor allem Produkte im Bereich des Risikomanagements. Gerade dort drohen viele Regulierungen für die Unternehmen nachteilige Entwicklungen auszulösen. Die Politik hat sich zum Beispiel das Ziel gesetzt, in einer ganzen Reihe von Regulierungsvorhaben - zum Beispiel der EU-Derivateverordnung, aber auch Teile von Basel III den Einsatz von bilateral vereinbarten Derivaten zu erschweren. Dabei wird häufig nicht ausreichend berücksichtigt, dass OTC-Derivate ein unverzichtbarer Baustein im Risikomanagement der Unternehmen sind.

Zudem werden Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Regulierungsvorhaben vernachlässigt. Noch ist zwar Zeit gegenzusteuern, doch die einschlägigen Vorhaben nähern sich unaufhaltsam der Zielgeraden. Wer nicht will, dass Erträge volatiler und Investitionen von und in Unternehmen riskanter werden, dem dürfen diese Entwicklungen nicht gleichgültig sein - so verständlich der Fokus in der Bankenregulierung auf die Verhinderung von Systemrisiken und die Stärkung der Eigenkapitalbasis auch ist.

Strukturelle Verschiebungen von der Öffentlichkeit unbemerkt

Die Beispiele verdeutlichen, dass die Qualität der Regulierung in den letzten Jahren zum Teil gelitten hat. Es leidet aber nicht nur die Qualität, sondern es ergeben sich auch strukturelle Veränderungen in der rechtlichen Struktur der Europäischen Union, von denen es kein Zurück mehr geben wird. Dies geschieht offenbar weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit und wird auch von der nationalen Politik weitgehend unkommentiert toleriert, vielleicht sogar ebenfalls in der gesamten Tragweite nicht erfasst.

Derzeit verdrängt die Maximalharmonisierung in großem Stil Minimumstandards, die wenigstens in Grenzen erlauben, nationale Besonderheiten bei der Umsetzung der europäischen Rechtsakte zu berücksichtigen. Richtlinien werden durch Verordnungen abgelöst, die unmittelbar Rechtskraft haben und damit die nationale Gesetzgebung letztlich darauf beschränken, existierenden Paragrafen in WpHG, BörsG und bald vermutlich auch dem KWG durch bloße Verweise auf europäische Verordnungen zu ersetzen. Und die Exekutive auf europäischer Ebene - das heißt die europäische Kommission und die neuen europäischen Aufsichtsbehörden - bekommen immer mehr Kompetenzen zugewiesen, die eigentlich der Legislative zustehen, oder füllen diese faktisch aus.

So macht die EU-Kommission gestützt auf einen vergleichsweise gut ausgestatteten Beamtenapparat, dem selbst größere Mitgliedstaaten personell nichts Vergleichbares entgegenstellen können oder wollen, sehr aktiv von ihrem Initiativrecht auch im Kapitalmarktbereich Gebrauch. Die Kommissionsentwürfe geben dabei faktisch eine Linie vor, die selbst in langwierigen Verhandlungen in ihren Grundzügen meistens erhalten bleibt. Außerdem wird immer häufiger zum Mittel des delegierten Rechtsakts gegriffen, mit dem unbestimmte Rechtsbegriffe, bei denen sich die Legislative offenbar nicht mehr zutraut in angemessener Zeit vernünftige Lösungen zu Ende zu diskutieren, auf späterer Stufe durch die EU-Behörden ausgefüllt werden.

Insgesamt verliert die Regelsetzung der EU in dem wichtigen Bereich der Kapitalmarktordnung zunehmend ihre demokratische Erdung, wenn nicht gar Legitimation. Das Europäische Parlament ist mit einem nationalen Parlament nicht vergleichbar, da es im Vergleich zu den nationalen Pendants nicht die gleichen Rechte hat und für die europäische Öffentlichkeit vergleichsweise "weit weg" ist. Überdies liegt es in der Natur der Sache, dass das Europäische Parlament im Zweifel einer stärkeren Betonung der zentralen europäischen Institutionen zuneigt. So erklärt es sich zum Beispiel, dass das Parlament durchaus fraktionsübergreifend regelmäßig neuen Aufgaben für die europäischen Aufsichtsbehörden ESMA, EBA und EIOPA relativ aufgeschlossen gegenübersteht, während hier die Nationalstaaten im Sinne des Subsidiaritätsprinzips eher zurückhaltend sind.

Einhalten und Durchatmen notwendig

Bei allem Verständnis für den politischen Druck, der angesichts der milliardenschweren Rettungspakete und der damit entstandenen Risiken für die öffentlichen Haushalte auf der Politik lastet, sollte auch bei der Finanzmarktregulierung gelten, dass man nur wohlüberlegte Schritte unternimmt. Eine Regulierung um jeden Preis ist den Preis am Ende nicht wert. Die Beispiele sollten verdeutlicht haben, dass in den letzten Jahren die Regulierungsschraube auf den verschiedensten Gebieten angezogen wurde - oft zulasten der börsennotierten Unternehmen und ihrer Aktionäre. Und dabei ist eine der offensichtlichsten Fehlentwicklungen noch nicht erwähnt worden - die Finanztransaktionssteuer. Sie ist ein typisches Beispiel dafür, wie voraussichtliche Entscheidungen an der Wahlurne ökonomische Sachargumente in den Hintergrund drängen. Wenn Sigmar Gabriel für die Finanztransaktionssteuer eintritt, weiß er sicher, dass diese ja nicht die Banken, sondern gerade seine Wähler, das heißt den kleinen Mann, trifft.

Nimmt man also die Finanztransaktionssteuer dazu, gewinnt man den Eindruck, dass heute alle Akteure des Kapitalmarkts in die Zange genommen werden: Das gilt für die Kapitalnehmer, indem immer schärfere oder unpraktikable Regeln für börsennotierte Unternehmen aufgestellt werden, die die Börsennotiz unattraktiv machen. Und es gilt für die Kapitalgeber, indem es Banken und Investoren schwieriger gemacht wird, Kapital und andere Finanzprodukte zu einem vertretbaren Preis anzubieten. Vielleicht stellt sich dadurch ja ein neues Gleichgewicht ein. Dieses wird aber voraussichtlich um den Preis einer verringerten Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes geschehen.

Die Politik hat es in der Hand, diese Entwicklungen zu verhindern - durch mehr Zurückhaltung. Dies erfordert Disziplin, von der Politik, aber auch von anderen Beteiligten. So kann man sich nur wundern, wenn das Institut der Wirtschaftsprüfer jetzt einen vierzehnseitigen Vorschlag für die Zusammenarbeit von Aufsichtsrat, Prüfungsausschuss und Prüfer vorlegt. "Regulierungsmüll" sondergleichen. Nichts ist schlimmer als dilettierende Bürokraten.

Das DAI unter der Leitung von Professor Rüdiger von Rosen hat immer gegen Überregulierung gekämpft. Es gilt jetzt neue Verbündete zu finden wollen die Unternehmen sich nicht in einem Käfig wiederfinden, wo selbst das Atmen besteuert wird und darüber noch vierteljährlich zu berichten ist.

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