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Höheres Eigenkapital als Beitrag zur Finanzmarktstabilisierung

Anat Admati und Martin Hellwig, die Autoren dieses bereits im März 2013 im englischen Original erschienenen Buches,1) sind keine Unbekannten. Prof. Admati ist Lehrstuhlinhaberin für Finance und Economics an der Stanford Business School, Prof.

Hellwig ist Ko-Direktor des Bonner Max-Planck-Institutes zur Er forschung von Gemeinschaftsgütern. Die auch innige praktische Erfahrung mit dem Thema des Buches rührt für Anat Admati vor allem aus ihrer Mitgliedschaft im Systemic Resolution Advisory Committee des US-Einlagensicherungsfonds FDIC und für Martin Hellwig unter anderem aus seiner Tätigkeit als erster Vorsitzender (seit 2012 stellvertretender Vorsitzender) des wissenschaftlichen Beirats (ASC) des European Systemic Risk Board (ESRB), einer der 2010 neu gegründeten europäischen Aufsichtsinstitutionen.

Der Anklang des Titels an Hans Christian Andersens bekanntes Märchen "Des Kaisers neue Kleider" signalisiert dreierlei: Die Botschaft des Buches ist erstens simpel und kinderleicht zu verstehen. Was zweitens landläufig bereits als tauglich zur Sicherung der Finanzmarktstabilität ausgegeben und geglaubt wird, ähnelt in seiner leeren Anmaßung der höchst wirkungsvollen Argumentation gegenüber dem Kaiser, dass nur derjenige nichts sehe und verstehe, der, wie es im Märchen heißt, "nicht für sein Amt tauge oder der unverzeihlich dumm sei." Dem pompösen Blödsinn muss daher drittens so gründlich die Luft abgelassen werden, indem die ganze Geschichte noch mal von Anfang an, ganz langsam und für jedermann verständlich erzählt wird, dass am Ende endlich - wie das kleine Kind im Märchen über den Kaiser sagt: "Der hat ja gar nichts an!" - auch die Politik zur Einsicht gebracht wird, welchen Bären sie sich jahrelang hat aufbinden lassen.

Der Harvard-Professor Kenneth Rogoff, ehemaliger Research-Direktor des IWF und bekannt als Ko-Autor des Buches "This time is different", nennt das Buch denn auch "nahezu subversiv in seiner Klarheit" und "the most important book about bank ing in a very long time." Paul Volcker, vormals Chairman des US Federal Reserve und des US Economic Recovery Advisory Board, meint: "Das Buch erklärt in einfacher Sprache, warum die Bankenreform noch unvollständig ist, im Gegensatz zu dem, was Lobbyisten, Politiker und sogar einige Regulatoren uns erzählen." Mervyn King, ehemaliger Gouverneur der Bank of England und eine Vielzahl weitere in der Finanzwelt gewichtige Persönlichkeiten schließen sich dieser Einschätzung an. Die Lektüre des Buches ist offenbar ein "Muss".

Neben der Klarheit und Verständlichkeit des Duktus gefällt vor allem die Vermeidung von Polemik. Es geht nicht um Vorwürfe oder Diffamierungen, wie sie sonst gegenüber "den Bankstern" in jüngster Zeit Mode geworden zu sein scheinen, sondern um Aufklärung, Einsicht und Korrektur, hoffentlich auch seitens der führenden Bankmanager selber. Zu einem von ihnen meinte Anat Admati in einem kürzlichen Videointerview, dass er schlicht gar nicht verstanden haben könnte, was unter seiner Führung in seiner Bank alles passieren konnte: "He's just no big-picture guy."2) Auf den Namen der Bank und ihres Vorsitzenden kommt es an dieser Stelle weniger an als auf den charakteristischen Tunnelblick lediglich auf den Return on Equity und die eigene Vergütung unter vollkommener Absehung von den möglichen Folgen riskanter Strategien für den Rest der Gesellschaft. Das Buch erspart indessen nicht den Verantwortlichen in den Banken wie in der Politik die teilweise ebenso unerhörten wie peinlichen Details des Geschehens.

Als Kerngedanke zieht sich durch das Buch, dass die Krise sich erst infolge der zu geringen Eigenkapitalausstattung der global vernetzten Finanzinstitutionen zu den systemischen Dimensionen ausweiten konnte, die mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers im September 2008 ihren globalen Bedrohungscharakter offenbarten. In der Angst der Politiker vor einem Totalkollaps des Finanzsystems wurde nach dem Fall von Lehman erst einmal rundum gerettet, was ins Wanken gekommen war. In Deutschland fing das mit der IKB und der Sächsischen Landesbank schon 2007 an und setzte sich 2008 mit Hypo Real Estate und der Commerzbank fort. Und über die Schonung der Einlagen von Sparern hinaus wurde auch den institutionellen Gläubigern kein Haar gekrümmt. Hier liegen einige interessante Unterschiede zu der Entwicklung in den USA, wo schon bis 2009 eine Vielzahl kleinerer Banken abgewickelt wurde. Aber die großen, systemisch wichtigen Banken blieben in den USA wie in Europa bis auf den heutigen Tag weitgehend ungeschoren. Bei diesen liegt die Quote von Eigenkapital zu Bilanzsumme noch immer meist unter fünf Prozent, was nicht nur für das ungestörte weitere Funktionieren des Finanzsystems, sondern auch für die letztlich haftenden Steuerzahler erhebliche Risiken darstellt.

Admati/Hellwig zeichnen nach, dass es zu extrem niedrigen Eigenkapitalquoten bei den Banken erst ab dem Ende des 19. Jahrhunderts kam und sich seitdem eine Übung direkter und indirekter Staatsgarantien und Subventionen entwickelte, unter deren Schutz die Banken immer höhere Risiken bei immer geringerem Eigenkapital eingehen konnten. Niedrige Eigenkapitalquoten, also hoher Leverage, werden von den Banken mit Zähnen und Klauen verteidigt. Die von ihnen angeführte Begründung lautet, dass ein Zuviel an Eigenkapital die Gesamtkapitalkosten so stark treibe, dass dann die Kreditversorgung der Realwirtschaft zusammenbrechen müsse. Der Nobelpreisträger Merton Miller hat ähnliche Behauptungen schon vor 18 Jahren mit einer gesunden Prise Sarkasmus infrage gestellt.3) Trotzdem hat sich der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht zu den bekannt niedrigen Eigenkapitalmindestanforderungen bewegen lassen, gegenüber denen sich die von Admati/ Hellwig geforderte Quote von um 30 Prozent zunächst monströs hoch ausnimmt.

Warum? Weil alle seit Jahren von dem Diskurs um Basel II, Basel III, Solvenvy II, CRDs ... mental so stark befangen sind, dass Vergleiche mit dem bankseitig von den Kunden geforderten Eigenanteil bei Eigenheimfinanzierungen schon gar nicht mehr in den Sinn kommen oder auch Vergleiche mit Eigenkapitalquoten in der Realwirtschaft. Zu Unrecht, insistieren Admati/ Hellwig. Gegenwärtig steht das durchschnittliche Verhältnis von Nettoverschuldung zum Eigenkapital bei europäischen Unternehmen wegen außergewöhnlicher Investitionszurückhaltung auf einem 20-jährigen Tiefststand von 30 Prozent. Mäßige Nachfrage und Verunsicherung zur weiteren Entwicklung der Eurokrise dürften der wesentliche Grund dafür sein. Aus Risikoscheu behalten die Unternehmen also ihre Gewinne vorerst ein und bauen Cash-Reserven auf, statt in Maschinen und Anlagen zu investieren.

Möglicherweise würde es die Investitionsbereitschaft auch der Unternehmen befördern, wenn die Banken im Wege der Aussetzung von Dividendenausschüttungen einen vertrauensbildenden Beitrag zur Stabilisierung des Finanzmarktes zu leisten hätten. Und der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht sollte endlich auf die irrwitzig komplexe Systematik der Eigenkapitalunterlegung nach risikogewichteten Assetklassen verzichten, die nur Disincentives zu Hedge Fund ähnlicher Kurzfristorientierung auch bei den Banken setzt. Es ist erfreulich, dass das Buch nun auch in deutscher Sprache vorliegt. Nicht nur die Abgeordneten in den Land tagen, im Bundestag und im Europaparlament sollten es zur Kenntnis nehmen, sondern es gehört auch als Pflichtlektüre in die Schulen.

Fußnoten: 1) "The Bankers' New Clothes/What's Wrong with Banking and What to Do about It", Princeton University Press 2013.

2) http://ineteconomics.org/anat-admati-bankersnew-clothes-and-future-financeer

3) "Do the M&M Propositions Apply to Banks?" in Journal of Banking and Finance 19: 483-489; Download unter http://econ.queensu.ca/faculty/ milne/870/Merton%20Miller%20on%20banking%20and%20the%20MM%20theorem.pdf Michael Altenburg, Luzern

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