Leitartikel

Was hätte die Bundesbank getan?

Mit der Zinserhöhung Anfang April durch die Europäische Zentralbank hat weltweit der letzte Akt des geldpolitischen Ausstiegs aus der Finanz- und Wirtschaftskrise begonnen. Angefangen hatte es mit den Restriktionsmaßnahmen der Schwellenländer. Dann kamen die kleineren Industrieländer von Kanada über Australien bis nach Schweden und Norwegen. Nach der EZB sind noch die Schweiz, Großbritannien, die USA und Japan dran. Die Schweiz wird bald folgen. Hier bremsen derzeit nur die Ängste vor einer weiteren Aufwertung des Frankens. England steht wegen der hohen Inflationsrate (4,4 Prozent) ebenfalls nahe vor einer Zinserhöhung. In den USA nimmt die Zahl derjenigen zu, die nach dem Auslaufen des Quantitative Easing Programms im Sommer für einen sukzessiven Exit plädieren. Die Bank von Japan befindet sich natürlich in einer Sondersituation.

Aus deutscher Sicht hat sich die EZB mit der Zinserhöhung viel Zeit gelassen. Die Bundesbank hätte zweifellos früher gehandelt. Das liegt in erster Linie daran, dass die Konjunktur hierzulande in einer viel besseren Verfassung ist. Wenn man sich die Zinszyklen in den fast 63 Jahren der Nachkriegszeit anschaut (siehe Grafik) zeigt sich jedoch auch, dass das Verhaltensmuster der Bundesbank anders war als das der Europäischen Zentralbank. Sie war schneller bei der Zinserhöhung. Sie hob die Zinsen jeweils auch stärker an. Die Zinsen sind in Bundesbankzeiten nie länger unter drei Prozent gefallen. In den zwölf Jahren der EZB gab es dagegen nur zwei Zinserhöhungszyklen. Das eine Mal war 1999/2000, als sie die Sätze von 2,5 auf 4,75 Prozent hochschleuste. Das zweite Mal begann Ende 2005, als die Leitzinsen von 2 auf 4,25 Prozent hoch gingen. Jetzt beginnt der dritte Zyklus.

Ist es ein Fehler, dass die EZB so viel ruhiger agiert? Gemessen an der Preisstabilität - das ist die Messlatte, auf die es ankommt - sicher nicht. Die Inflation war unter der EZB nicht schlechter, sondern insgesamt sogar besser als in Zeiten der Bundesbank. Die Preise erhöhten sich in der Bundesrepublik in Zeiten derD-Mark um durchschnittlich 2,7 Prozent per annum, in Zeiten des Euro um 1,5 Prozent per annum. Das Verhalten der Bundesbank war stark dadurch geprägt, dass es seinerzeit auf den Märkten bedingt durch Währungs- und Ölkrisen häufig sehr viel hektischer zuging. Die Inflationsrate ist auch zeitweise erheblichstärker gestiegen. Da muss natürlich auch eine Notenbank schneller reagieren. Hinzu kam, dass die deutsche Wirtschaft damals insgesamt robuster war. Selbst Zinsen von sieben Prozent und mehr, wie wir sie in den siebziger, achtziger und Anfang der neunziger Jahre hatten, haben der Wirtschaft nicht nachhaltig geschadet.

Schließlich ist zu bedenken, dass die Bundesbank in den Jahren der Nachkriegszeit nicht auf größere Vorbilder mit dem "finetuning" der Währungs- und Finanzpolitik zurückgreifen konnte. Sie musste ihre Erfahrungen selbst machen. Schaut man sich die Grafik genau an, dann sieht man, dass die Bundesbank schon in den achtziger und neunziger Jahren ruhiger agierte.

Die Europäische Zentralbank war in der glücklichen Lage, dass es in ihrer Zeit keine ernsthaften Gefährdungen durch die Inflation gab. Es gab nur zwei wirklich große Herausforderungen. Die eine war die Finanz- und Wirtschaftskrise - hier hat die EZB vorbildlich agiert, sogar insgesamt besser und überlegter als die amerikanische Federal Reserve. Die andere war die Eurokrise - hier hat sie einige Kritik einstecken müssen, weil sie fundamentale geldpolitische Grundsätze fallen gelassen hat.

Dass die EZB diesmal mit der Zinserhöhung so lange gewartet hat, sollte man ihr nicht ankreiden. Die wirtschaftliche Lage im Euroraum ist noch nicht so befriedigend. Die Wirtschaft wird in diesem Jahr vermutlich noch nicht ganz um zwei Prozent expandieren. Die Preissteigerung im Eurogebiet ist mit aktuell 2,6 Prozent zwar zu hoch. Zum Teil hängt dies jedoch auch mit steuerlichen Maßnahmen im Rahmen der Konsolidierung der Staatsfinanzen zusammen. So etwas darf die EZB nicht bekämpfen. Sie muss nur dafür sorgen, dass sich daraus keine negativen Zweitrundeneffekte ergeben.

Manche sagen, die hohe Preissteigerung in Euroland sei auch durch die Rohstoffpreissteigerungen bedingt, für die die EZB ja auch nichts könne. Dieses Argument ist gefährlich. Denn natürlich hängen die Preissteigerungen auf den Rohstoffmärkten auch mit den geldpolitischen Bedingungen zusammen. Wenn Investoren praktisch weltweit zu lächerlich niedrigen Zinsen unbegrenzt Kredit bekommen können, dann ist es ganz selbstverständlich, dass das auch die Spekulation auf den Rohstoffmärkten anheizt. Eine kleine Zentralbank wie etwa die der Schweiz kann dies als externen Faktor ansehen. Eine so große Notenbank wie die EZB muss sich - neben der Federal Reserve - auch eine Mitverantwortung für die monetären Bedingungen auf den Weltfinanzmärkten anrechnen lassen.

Das ruhige und überlegtere Verhalten der EZB ist ein Vorzug. Sie ist für die Märkte besser kalkulierbar. Die EZB arbeitet nicht mit dem Mittel der Überraschung. Im Übrigen muss die EZB immer auch sehr unterschiedliche wirtschaftliche und monetäre Bedingungen in den einzelnen Ländern unter einen Hut bringen. Schließlich, auch dies ist kein Nachteil, sitzen im Governing Council der EZB Notenbanker sehr unterschiedlicher Provenienz und mit verschiedenem fachlichen Hintergrund. Es ist sicher nicht einfach und braucht Zeit, sie auf einen Nenner zu bringen.

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