Leitartikel

Die große Freiheit

"Wehe! wehe! Beide Teile, stehn in Eile schon als Knechte, völlig
fertig in die Höhe! Helft mir, ach! ihr hohen Mächte!
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Und sie laufen! Naß und nässer wirds im Saal und auf den Stufen. Welch
entsetzliches Gewässer!
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Herr und Meister! hör mich rufen! - Ach, da kommt der Meister! Herr,
die Not ist groß! Die ich rief, die Geister werd ich nun nicht los.
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In die Ecke, Besen, Besen! Seids gewesen.
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Denn als Geister ruft euch nur zu diesem Zwecke, erst hervor der alte
Meister."
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Wer kennt sie nicht, diese Schluss-Zeilen aus Johann Wolfgang Goethes
"Zauberlehrling", die nicht erst durch die wahrlich gelungene Walt
Disney-Verfilmung mit Micky Maus als tolpatschigem und ein wenig
arbeitsscheuem Magier-Stift Berühmtheit erlangt haben. Geschrieben
zwar schon im Jahre 1797, enthalten diese Zeilen im Kern auch heute
noch Wahres und Aktuelles. Denn selbst im aufstrebenden 21.
Jahrhundert ist so mancher von den Geistern, die er rief, gar nicht
mehr begeistert. Werner Seifert ist solch ein gern genanntes Beispiel.
Jahrelang plädierte der einstige Vorstandsvorsitzende der Deutschen
Börse für freien Kapitalismus mit all seinen stets wandelbaren
Facetten, lobte neue Kapitalmarktinnovationen in jedweder Form,
schwärmte von Globalisierung, von Deregulierung, zunehmender
Vernetzung und bekannte sich zu dem Zwang, diesen Weg als einzig
richtigen mitzugehen. Plötzlich klingt das alles ganz anders. Seifert
spricht von einer Drohkulisse der Hedgefonds, vom Missbrauch von
Aktionärsrechten, von einem Acting in Concert, weil Marktteilnehmer
vielleicht gleichgerichtete Interessen verfolgen. Er fordert,
Aktionäre müssten sich ihrem Unternehmen vorstellen und beklagt, dass
Minderheitsaktionäre zulasten anderer Anteilseigner ein Unternehmen
ausnehmen könnten.
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Was war passiert? Der Kapitalismus in einer seiner jüngeren
Ausprägungen hat sich in die Deutsche Börse über den Markt eingekauft,
Aktionärsinteressen ordentlich geäußert und damit die Übernahme der
Londoner Börse durch Frankfurt verhindert, was letztendlich zum
Rücktritt Seiferts führte. Es schmeckt ein wenig mehr nach gekränkter
Eitelkeit, nach verletztem Stolz, denn nach berechtigter Kritik. Denn
- von der ein oder anderen Umgangsform einmal abgesehen - es gibt
nicht viel zu kritisieren. Die angeprangerten Hedgefonds und
Private-Equity-Gesellschaften haben in diesem speziellen Fall Deutsche
Börse nichts anderes getan, als jedem ordentlichen und
pflichtbewussten Aktionär zusteht. Sie sorgen sich um ihr investiertes
Kapital. Mit dem kleinen Unterschied, dass die gewöhnlichen Aktionäre
mehr von der Plünderung des HV-Buffets denn von den Zahlen und der
Strategie verstehen, und demzufolge Vorschläge zur Verbesserung der
Geschäftspolitik eher unterbleiben. Seiferts Äußerungen, aber auch die
von SPD-Fraktionschef Müntefering, dass "manche Finanzinvestoren wie
Heuschreckenschwärme über Unternehmen herfallen, sie abgrasen und
weiterziehen" zeugen vor allem von einer überflüssigen, freilich
öffentlichkeitswirksamen Stimmungsmache.
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Bundestagspräsident Norbert Lammert zitierte in einer Festrede Anfang
dieses Jahres Ralf Dahrendorf, der Ende der neunziger Jahre in einem
Aufsatz über die Globalisierungsperspektiven moderner Gesellschaften
und der damit verbundenen Internationalisierung der Wirtschaft drei
alternative, miteinander konkurrierende Kapitalismusmodelle beschrieb:
erstens den asiatischen Kapitalismus, geprägt durch hohes Wachstum,
ein beachtliches Maß an sozialer Kompetenz und ein sehr geringes Maß
an demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten. Das angelsächsische Modell
zeichne sich durch ein hohes Maß an Demokratie, ein beachtliches Maß
an stetigem Wirtschaftswachstum und den gleichzeitig weitgehenden
Verzicht auf eine, jedenfalls rechtlich organisierte, soziale
Verfassung der Gesellschaft aus. Für den dritten Fall, den rheinischen
Kapitalismus, seien dagegen ein hohes Maß an einklagbaren
sozialstaatlichen Ansprüchen, ein beachtliches Maß an demokratischer
Partizipation bei gleichzeitigem Verzicht auf Wirtschaftswachstum
charakteristisch. Dahrendorfs Schlussfolgerung aus der Konkurrenz der
Modelle: "Wenn die Volkswirtschaften denn schon eine Wahl treffen
müssen, dann haben sie lieber Wirtschaftswachstum und sozialen
Zusammenhalt mit weniger Demokratie, wie in Asien, als
Wirtschaftswachstum und Demokratie ohne Solidarität, wie in der
angelsächsischen Welt, oder Solidarität und Demokratie ohne
Wirtschaftswachstum, wie im rheinischen Modell." Die
Volkswirtschaften, so seine Furcht, präferierten also autoritäre
Vorgaben gegenüber demokratischer Mitwirkung und Legitimation.
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Doch was ist übertragen auf den Unternehmenssektor und die
Kapitalmärkte falsch daran? Der Spielraum eines Unternehmens definiere
sich heute, so formulierte es Lammert weiter, längst durch die Märkte.
Und zwar nicht nur durch diejenigen, die man heute bediene, sondern
auch oder gerade durch diejenigen, die morgen und übermorgen bedient
werden müssten. Dabei seien die Unternehmen inzwischen Landesgrenzen
entwachsen, was die Aussagekraft volkswirtschaftlicher
Gesamtrechnungen erheblich schmälere. Im gnadenlosen Wettbewerb um
Innovationen, Erfolg und Kapital muss aus Unternehmenssicht stets neu
und stets sorgfältig abgewogen werden, was Sozialverträglichkeit
kosten darf, und wo durch Sozialromantik das große Ganze mehr
gefährdet denn gefördert wird. Als Taschenfüller für gierige Manager
darf das Unternehmen natürlich nicht herhalten. Und auch
gemeinwohlorientierte Unternehmen wie Sparkassen haben durchaus eine
wichtige und nicht zu unterschätzende Daseinsberechtigung.
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Hinzu kommt aber: Die meisten Formen kooperativer Unternehmen und
Unternehmensführung sind mit Ausnahme der genossenschaftlichen
(Banken)Idee, die aber auch schon an der ein oder anderen Stelle mehr
oder weniger deutlich betriebswirtschaftliche kapitalistische Züge
aufweist, gescheitert, und Gewerkschaften als Kämpfer für die soziale
Gerechtigkeit haben sich als denkbar schlechteste Unternehmer
bewiesen. Durchgesetzt haben sich hierarchisch geführte
Aktiengesellschaften mit klaren Verantwortlichkeiten, kritisiert
oftmals für ihre Profitgier und ihren gnadenlosen, auf dem Rücken der
Arbeitnehmer ausgetragenen Gewinnmaximierungszwang.
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Diese Kritik ist sicherlich zuweilen nachvollziehbar, aber wird doch
ab und an zu hart vorgetragen. Denn wer ist schuld an diesem
Gewinnstreben der Unternehmen? Wer ist schuld an all den modernen
Formen der Kapitalanlage? Wir selbst, die in unstillbarer Gier ohne
Last reich werden wollen, die bei möglichst geringem Risiko die
maximale Rendite für das eingesetzte Kapital, das mühsam Ersparte
erreichen wollen. Die Lottogesellschaften gäbe es schon lange nicht
mehr, würden die Spieler ihre Gewinnchancen realistisch betrachten und
die Rendite auf das eingesetzte Kapital Jahr für Jahr berechnen. Doch
die Hoffnung stirbt zuletzt. Und ziehen nicht wir selbst das
eingesetzte Kapital aus Aktien ab, wenn anderswo mehr zu holen ist -
egal ob in anderen Aktien oder alternativen Anlageformen? Wie könnten
Hedgefonds und Private-Equity-Gesellschaften ohne unser Geld
Übernahmen von bis zu 22 Milliarden Euro finanzieren? Wie könnte sich
das gesamte investierte Private-Equity-Volumen in diesem Jahr bislang
auf mehr als 243 Milliarden Dollar summieren, wenn den Fonds nicht
genügend Kapital zur Verfügung gestellt würde.
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Diese Investoren arbeiten mit unser aller Geld - in den
angelsächsischen Ländern noch viel ausgeprägter als hierzulande, doch
auch in Deutschland und Kontinentaleuropa mit steigender Tendenz.
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Es ist also ganz offensichtlich ein Bedarf da für neue
Investitionsformen, neue Spielarten der Beteiligung. Dieser zeigt sich
auch in der Geschwindigkeit, mit der neue Verbände,
Interessengemeinschaften und sogar neue Indizes entstehen, die einen
Vergleich zwischen Aktien- und Private-Equity-Portfolios ermöglichen.
Emsige Investmentgesellschaften bieten bereits mit einigem Erfolg
Dach-Private-Equity-Funds an, die Privatanlegern ebenfalls die
Partizipation an dem Erfolg der neuen, alternativen Anlageformen
ermöglichen sollen.
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Wenn nun Unternehmer diese Entwicklung beklagen, so müssen sie sich
schon fragen lassen, ob sie selbst denn immer alles richtig gemacht
haben. Wenn die Firmen - unverschuldete Notlagen einmal außen
vorgelassen - so erfolgreich und solide dastehen würden, dass kein
Aktionär bereit wäre, seine Papiere zu veräußern, könnten sich die
"Heuschrecken" gar nicht erst breit machen. Sie müssten trotz voller
Geldkoffer unverrichteter Dinge wieder abziehen, könnten die den
Investoren versprochenen Renditen nicht zahlen, diese würden ihnen das
Geld entziehen und die Branche würde sang- und klanglos in der
Versenkung verschwinden. Tut sie aber nicht, im Gegenteil. Denn es ist
wie immer alles eine Frage des Preises. Und auf Verkäuferseite stehen
mitnichten die kleinen Privatanleger, sondern in der Regel sind es
andere Unternehmen, große Shareholder also, die den Hedgefonds den
Einstieg durch den Verkauf ihrer Aktienpakete erst ermöglichen -
Beschränkung auf Kernkompetenzen hin oder her.
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Dass die unregulierten Kapitalsammelstellen bei ihrer Tätigkeit den
ihnen (noch) gesetzlich zugestandenen Freiraum, die große Freiheit bei
der Kapitalanlage ausnutzen, ist nur allzu verständlich. Sie stehen im
harten Wettbewerb um Kapital und versuchen mit Renditen im
zweistelligen Bereich konkurrierende Anlageformen wie Aktien, Renten,
Investmentfonds oder Immobilien weit hinter sich zu lassen. Und eines
hat sich bislang immer gezeigt: Unverhältnismäßig hohe
Renditeansprüche wurden stets bestraft und riefen Gegenreaktionen
hervor. Bislang ist das im Private-Equity-Markt ausgeblieben. Und
vogelfrei sind die Investoren auch nicht: Ob bei Wohnimmobilien,
beispielsweise bei Mieterhöhungen oder Kündigungen, oder im
klassischen Beteiligungsbereich bei Unternehmensteilabspaltungen,
Restrukturierungen und damit verbundenen Entlassungen oder
Börsengängen - es gilt stets, Gesetze zu beachten.
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Wie lange der Boom bei den Private-Equity-Gesellschaften noch
weitergeht? Man weiß es nicht. Erste Abkühlungen deuten sich bereits
an, nicht auf der Kapitalseite, hier ist immer noch Geld im Überfluss
vorhanden, auch nicht auf der Investitionsseite, es gibt immer noch
genug zu kaufen, aber auf der Exitseite. Gerade durch die sehr großen
Übernahmen der jüngeren Vergangenheit rechnen Experten mit
Aufnahmeschwierigkeiten der Börsen, die neben Management Buyouts immer
noch die beliebteste Ausstiegsform für die Hedgefonds darstellen. Die
Folge könnten drastisch fallende Renditen sein. Doch auch wenn die
"Heuschrecken", wie von Müntefering befürchtet, dann weiterziehen, sie
hinterlassen kein leergefressenes Land. Und die neuen
Kapitalmarktformen, -produkte undregeln werden die Schwärme mit
Sicherheit lange überdauern. PO

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