Aufsätze

Finanzplatz Zypern: Tor zum Nahen Osten

Am 1. Januar dieses Jahres ist neben Malta die Republik Zypern der Euro-Zone beigetreten, und der Euro hat das zyprische Pfund endgültig abgelöst. Damit hat die kleine Inselrepublik nicht nur eine Reihe anderer Beitrittsländer des gleichen Jahrgangs überholt, sondern auch die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien. Einen Schönheitsfehler hat der Beitritt allerdings: Da die Insel gemäß dem Mehrheitswillen der griechischen Zyprer im Referendum von 2004 geteilt bleibt, werden die 200 000 Einwohner im Norden der Insel bis auf Weiteres nicht in den Genuss der Gemeinschaftswährung kommen.

Wohlstand durch Kapitalimport

Innerhalb der Gruppe der 25 EU-Staaten liegt Zypern (ohne den Nordteil) mit einem Pro-Kopf-Einkommen von knapp 20 000 Euro auf dem 15. Rang, gleichauf mit Griechenland und vor Portugal. Diese Position hat sich das Land mit Wachstumsraten von durchschnittlich sechs Prozent in den achtziger und neunziger Jahren und zirka vier Prozent in dieser Dekade erarbeitet. Das Bruttosozialprodukt von 15,5 Milliarden Euro (2007) wird heute vorwiegend in den Sektoren Tourismus, Schifffahrt, Bau- und Immobilienwirtschaft sowie dem Finanzsektor verdient. Von den rund 780 000 Einwohnern ist knapp die Hälfte als beschäftigt registriert; es herrscht praktisch Vollbeschäftigung, und die Zahl der Gastarbeiter aus Asien und Osteuropa nimmt stetig zu (seit der Öffnung der Grenze in 2003 gibt es auch eine stattliche Anzahl von Pendlern aus dem Norden). Wie konnte sich die kleine mediterrane Inselrepublik ohne nennenswerte Industrie und mit langer Bürgerkriegsgeschichte eine solche Position des Wohlstands erobern? Eindeutige Antwort: Die Zyprer haben es sehr geschickt verstanden, Fluchtgelder und wohlhabende Flüchtlinge nach Zypern zu holen. Der erste Glücksfall für die Insel war der langjährige Bürgerkrieg im Libanon, in dessen Verlauf viel Kapital nach Zypern transferiert wurde und viele Familien übersiedelten. Dieser Tatsache verdankt die Insel übrigens auch die Präsenz zweier französischer Großbanken, die ihre Privatkunden aus den ehemaligen Mandatsgebieten in Zypern weiter betreuen.

Die zweite Welle von Fluchtkapital und Flüchtlingen brachte der Jugoslawien-Krieg, und zwar aus Serbien. Dabei war man in der Frage, woher die Gelder stammen, wenig zimperlich, wie ein in 2006 eröffnetes Gerichtsverfahren deutlich gemacht hat: Ein serbischer Geschäftsmann hat die zweitgrößte Bank Zyperns verklagt, weil sie von der Milosevic-Clique rund vier Milliarden US-Dollar in Serbien gestohlenes Geld als Einlagen entgegengenommen habe. Ein ehemaliger Filialleiter der Bank sagte aus, dass Serben mit Plastiktüten und Koffern voll Bargeld nach Zypern geflogen seien und dieses zugunsten von Offshore-Gesellschaften bei der Laiki-Bank eingezahlt hätten. Pikant ist auch, dass die Gesellschaften mit Hilfe eines Anwalts gegründet wurden, der heute der Präsident des Landes ist.

Die dritte Fluchtwelle kam dann nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und im Zuge der folgenden Privatisierungen von Staatsvermögen aus Russland. Schätzungsweise 14 000 Offshore-Firmen wurden von russischen Investoren gegründet, und um die 50 000 Russen leben seither in Zypern. Während die Affinität zu den Nachbarn in Nahost zu einem guten Teil auf der gemeinsamen (300-jährigen) osmanischen Vergangenheit beruht, spielt im Falle Serbiens und Russlands die gemeinsame orthodoxe Religion eine nicht zu unterschätzende Rolle. Im Zuge der Beitrittsverhandlungen zur EU begann die Regierung, das Thema Geldwäsche-Verfolgung zunehmend ernster zu nehmen.

Günstige Standortfaktoren Heute entsprechen die Gesetze und Regularien voll und ganz den Standards in Zentraleuropa und übertreffen sie teilweise sogar, so dass sich die - aus zyprischer Sicht - Glücksfälle Serbiens und Russlands nicht mehr wiederholen werden. Dennoch ist der Zufluss von Auslandskapital weiterhin hoch (1,4 Milliarden US-Dollar in 2006). Dies liegt primär an den geringen Aufwendungen und Formalitäten bei der Gründung von Unternehmen sowie am niedrigen Körperschaftsteuersatz von zehn Prozent (4,25 Prozent vor EU-Beitritt) in Verbindung mit vorteilhaften Doppelbesteuerungsabkommen mit zahlreichen Ländern. Auch bleiben Kursgewinne aus Wertpapiergeschäften von der Besteuerung ausgenommen.

Im März 1996 wurde in der Hauptstadt Nicosia die Cyprus Stock Exchange eröffnet, deren Marktkapitalisierung sich derzeit auf rund 17 Milliarden Euro beläuft. Davon entfallen knapp 14,5 Milliarden Euro auf den regulären Markt mit 16 Werten und 2,5 Milliarden Euro auf 107 Werte in sogenannten parallelen beziehungsweise alternativen Segmenten. Die Aktien der drei privaten Banken (Bank of Cyprus, Marfin Popular Bank und Hellenic Bank) machen zusammen über drei Viertel der gesamten Marktkapitalisierung aus. Bei den übrigen Werten handelt es sich vorwiegend um Touristik-, Einzelhandels- und Bauunternehmen. In den elf Jahren seit Eröffnung der Börse hat der Index (CSE General Index) eine wilde Tal- und Bergfahrt hingelegt: So sank das Index-Niveau bis Frühjahr 2004 von ursprünglich 800 Punkten auf weniger als zehn Prozent des Ausgangswertes, um dann ab Sommer 2005 bis Sommer 2007 auf einen Wert von 5 500 Punkten zu klettern. Es ist bemerkenswert, dass die Trendwende zurzeit des EU-Beitritts einsetzte.

Boom mit dem EU-Beitritt

Wie an der Aktienbörse hat auch im Immobiliensektor mit dem EU-Beitritt ein beachtlicher Boom eingesetzt. Seit 2004 steigen die Baugenehmigungen jedes Jahr um rund zehn Prozent, der Umsatz der Baubranche beträgt über zwei Milliarden Euro per annum, wobei schätzungsweise 70 Prozent des Umsatzes mit ausländischen Investoren getätigt werden, die jeden Monat 400 bis 500 Wohneinheiten kaufen. Getrieben wurde der Markt zum einen durch die nicht wenigen vermögenden Immigranten (in erster Linie Libanesen und Russen), zum anderen durch die Tourismusbranche, die die Küste auf der Südseite der Insel regelrecht zubetoniert hat. Ferienwohnungen und -häuser spielen ebenfalls eine wichtige Rolle: Ehemalige britische Soldaten, die zuvor auf der Insel stationiert waren, sind ebenso eine Zielgruppe wie abgefundene Manager, die die fünfprozentige Einkommensteuer für Ruheständler lockt. Hinzu kommen zyprische Eigenheiten, die den Immobilienmarkt beflügeln: einerseits die Rückkehr vermögender Auslandszyprer, andererseits die Sitte, Töchtern zur Hochzeit, quasi als Mitgift, ein Haus zu vermachen.

Nachdem die Regierung die Einführung einer 15-prozentigen Mehrwertsteuer auf Grundstücksverkäufe zum 1. Januar 2008 angekündigt hatte, erlebte der Markt in 2007 einen neuen Zusatzboom, die Preise stiegen um 17,5 Prozent, und das Steueraufkommen aus Capital Gains Tax (Besteuerung des Wertzuwachses bei Verkauf) stieg um sagenhafte 142 Prozent. Inzwischen hat die Regierung - wegen der Einführung des Euro - die Mehrwertsteuereinführung auf 2010 vertagt.

Bankensystem im Umbruch

Die mit der Unabhängigkeit Zyperns 1960 gegründete Zentralbank, die Central Bank of Cyprus, hat in ihrer kurzen Geschichte zwei großen Herausforderungen gegenübergestanden: 1974, nach der türkischen Besetzung des Nordens infolge eines von Athener Militärs angezettelten Putsches, galt es, im südlichen Teil die Volkswirtschaft zu reanimieren, den Flüchtlingen finanziell aus der Not zu helfen und die kriegsbedingt zerstörte Infrastruktur wieder aufzubauen. Die Zentralbank hat diese Aufgabe mit einer expansiven Geldpolitik und zusätzlichen Kreditfazilitäten hervorragend gemeistert. Die zweite Herausforderung war der EU-Beitritt und die damit erforderliche Anpassung der Bankengesetzgebung und -Überwachung an die EU-Normen, angefangen bei den bereits erwähnten Geldwäsche-Normen bis hin zu Basel II.

Auch hier hat die Zentralbank ihre Hausaufgaben zügig und konsequent erledigt, wenn auch mitunter mit einem gewissen nahöstlichen Einschlag. So wurde zum Beispiel in der Richtlinie zur Prüfung der Befähigung und Eignung von Bankvorständen und -Aufsichtsräten festgelegt, dass die Kandidaten auch ihre persönlichen Vermögensverhältnisse offenzulegen hätten. Während die Branche noch spekulierte, ob künftig nur reiche Personen Banken würden leiten dürfen, wurde die Regel dann aber ausgesetzt.

In ihrer Statistik führt die Bankenaufsicht 45 Institute, davon vier börsennotierte lokale Banken, vier lokale Spezialkreditinstitute, sieben Töchter von ausländischen Banken, neun Filialen von EU-Banken, 17 Filialen von Nicht-EU-Banken und vier andere. Bei den Instituten, die zu Bankengruppen gehören, die außerhalb der EU angesiedelt sind, handelt es sich um Institute aus arabischen Ländern (14) sowie aus Russland (4), die ihren Kunden gefolgt sind. Unter den EU-Banken wird die Liste angeführt von fünf griechischen Banken, denen man mit der Einführung des Euro erheblich verbesserte Marktchancen zuschreibt. Von den beiden französischen Banken war bereits die Rede. Die intensivierten Wirtschaftsbeziehungen zu den neuesten EU-Mitgliedern unterstreicht die Präsenz von zwei bulgarischen und einer rumänischen Bank.

Die beiden dominierenden Banken im Inlandsgeschäft sind Bank of Cyprus und Marfin Popular Bank (vormals Laiki Bank). Ihre Marktanteile liegen im Passivgeschäft bei 31 Prozent beziehungsweise 15 Prozent und im Aktivgeschäft bei 21 Prozent beziehungsweise zehn Prozent. Auf der Basis landesweiter Filialnetze (Bank of Cyprus 131, Laiki 114) und Zinsspannen, wie sie in Deutschland in den späten siebziger Jahren noch erreicht wurden, wiesen beide Institute sehr auskömmliche Renditen auf.

Offensive der einheimischen Banken

Die Einführung des Euro und der damit verbundene zunehmende Wettbewerb insbesondere durch griechische Banken, für die es keine Sprach- und Schriftbarrieren gibt - hat die Institute in die Gegenoffensive gezwungen: Die Bank of Cyprus packte die Kostenseite an und reduzierte die Cost Income Ratio in nur einem Jahr von 59 Prozent auf 45 Prozent. Auch versuchte sie durch die Übernahme der Emporiki Bank in Griechenland den Sprung ins Mutterland, was jedoch misslang (Credit Agricole erhielt den Zuschlag).

Gelungen ist dieser Schritt dagegen dem Konkurrenten Laiki mittels eines Reverse Managers mit der Egnatia Bank und der Marfin Finance Group; im Ergebnis hat die neue Gruppe ihren Sitz (aus steuerlichen Gründen) in Zypern, verfügt über 144 Filialen in Griechenland, 24 in Serbien und acht in Rumänien. Wichtigster Aktionär - und treibende Kraft in der Fusion - ist mit 15 Prozent die Dubai Investment Group. Zuvor wurden angesichts der negativen PR-Effekte des Milosevic-Geldwäsche-Falles noch schnell der CEO und mehrere Aufsichtsräte ausgetauscht.

Isoliertes Nordzypern Ein Vierteljahrhundert lang hat sich der türkische Norden in Sachen Wiedervereinigung unansprechbar gezeigt, einen eigenen Phantom-Staat ausgerufen und die Grenze abgeriegelt. Es gehört zu den großen Tragiken der Geschichte, dass ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, zu dem sich im Norden die Politik radikal änderte und ein Referendum eine große Mehrheit für eine Wiedervereinigung im Rahmen des sogenannten Annan-Planes brachte, auf der griechischen Seite ein Mann zum Präsidenten gewählt wurde, der den von seinen Vorgängern mühevoll eingefädelten Wiedervereinigungsprozess torpedierte. Gleichzeitig hält die Regierung im Süden aber an der internationalen Boykottierung des Nordens verbissen fest.

Für Nordzypern bedeutet dies zwangsläufig den Verbleib unter türkischer Militärverwaltung und eine hohe wirtschaftliche Abhängigkeit von der Türkei. Das gilt auch für den Bankensektor, der nur türkische Institute kennt (zwar sieht man hier und da Namen und Logo der HSBC, dabei soll es sich jedoch nur um eine Art Franchise handeln). Dennoch zeichnet sich eine positive Richtung ab. Parallel zur Entwicklung im Südteil haben die Türken auf Tourismus und Immobilien gesetzt, was angesichts der bislang weitgehend unverschandelten Landschaft naheliegt.

Daneben wurden Universitäten aufgebaut, die vor allem für Studenten aus der islamischen Welt und der ehemaligen Sowjetunion von Interesse sind. Lag das Pro-Kopf-Einkommen im Jahr 2000 noch etwa bei einem Viertel des Wertes im Süden, so dürfte dieser Wert jetzt deutlich über einem Drittel bis knapp bei der Hälfte liegen. Bemühungen der EU um Öffnung wenigstens einzelner Häfen oder des Flughafens Ercan scheiterten bislang an der Halsstarrigkeit der Politiker im Süden.

Vorteilhafte Steuersätze

In jüngster Zeit mehren sich die Anzeichen, dass die Sektoren Tourismus und Wohnimmobilien ihre besten Zeiten hinter sich haben. Die Rede ist von einer Schrumpfung des Touristiksektors um fünf Prozent in 2007 und eine um 30 Prozent verringerte Nachfrage nach Immobilien aus dem Ausland. Unvermindert stark erweisen sich dagegen Schifffahrts- und Finanzsektor. Mit einer Tonnage von rund 22 Millionen und über 1 800 Schiffen unter zyprischer Flagge stellt die Inselrepublik die drittgrößte Flotte in der EU. Etwa 50 Firmen in Raum Limassol managen fünf Prozent der Welt-Tonnage. Erstaunlich ist, dass es unter diesen Umständen noch keinen Schiffs- Finanzierer nach Zypern getrieben hat.

Es gab Zeiten, da bezeichnete man den Libanon als die Schweiz des Nahen Ostens. Heute sollte man diesen Titel - zumindest was den Finanzplatz betrifft - eher Zypern zusprechen. Wenn auch das ungelöste Problem der Teilung aus europäischer Sicht ein latentes politisches Risiko darstellt, so ist die Insel aus nahöstlicher Sicht ein beneidenswerter Hort der Sicherheit und des Friedens. Was Investoren aus dem Westen überzeugt, sind zum einen die vorteilhaften Steuersätze, zum anderen gut ausgebildete und dabei preiswerte Fachkräfte im Servicesektor. Angesichts der vielen Pulverfässer im Nahen Osten und der hohen Gewinnsteuern in Zentraleuropa sollte deshalb der Finanzplatz Zypern mit Zuversicht in die Zukunft sehen können. Im on-shore Retailgeschäft wird den ansässigen Banken allerdings mit zunehmendem Wettbewerb anderer Euro-basierten Banken eine eher rauere See entgegenrollen.

Dr. Marcel Morschbach , Mitglied des Vorstands , Westend Bank AG, Frankfurt am Main
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