Aufsätze

Finanzmarktkrise und Regulierung: Masterplan gesucht

Seit Ausbruch der Finanzmarktkrise ist das Lager der Regulierer nahezu inflationär angeschwollen. Viele Jahre zuvor galt das Paradigma, dass jede Einengung das freie Spiel der Marktkräfte gerade in der Kreditwirtschaft behindere und daher einer Wohlstandsmehrung für alle nur im Wege stünde. Heute wissen es alle besser: Maximiert wurden die Boni der Investmentbanker und - allerdings nicht nachhaltig, sondern eher vorübergehend - auch die Gewinne der Investmentbanking-Sparten der international tätigen Großbanken.

Einzelmaßnahmen ohne System

In gesamtwirtschaftlicher Betrachtung hat das Deregulierungs-Mantra entscheidend zur größten Wertvernichtung aller Zeiten geführt. Der Anstieg der Staatsverschuldung in zahlreichen Ländern zur Verhinderung des Zusammenbruchs des Finanzwesens und darüber hinaus der Weltwirtschaft insgesamt macht dies deutlich. Dabei wurden einige Staaten von den Problemen der Kreditwirtschaft an den Rand des Abgrunds gedrängt und mussten die Hilfe der Staatengemeinschaft in Anspruch nehmen. Die Angelegenheit ist bekanntlich noch längst nicht ausgestanden. Auf der politischen Agenda stehen eine Vielzahl von Einzelthemen, zumeist auf nationaler Ebene, selten auf dem europäischen Level und nur in Ausnahmefällen darüber hinaus.

Es geht unter anderem um eine Bankenabgabe, die im Wesentlichen auf Deutschland beschränkt ist, um das Verbot ungedeckter Leerverkäufe (nur in Deutschland), Einschränkungen bei Kreditverbriefungen in den USA, Diskussionen über ein EU-weites Einlagensicherungssystem, Pläne zur Aufstockung der Kern- und Gesamtkapitalquote bei gleichzeitig engerer Fassung der Kernkapitaldefinition (G-20-Treffen, Baseler Bankenausschuss). Ein systemischer Ansatz ist nirgendwo erkennbar. Insgesamt stellen sich die Regulierungsmaßnahmen als Flickenteppich mit unterschiedlichen Reichweiten und Instrumenten dar, die nicht einmal isoliert betrachtet, geschweige denn als Gesamtheit als annähernd konsistent bezeichnet werden können. Eine supranationale Abstimmung ist grandios fehlgeschlagen. Da kaum ein Wirtschaftszweig dermaßen global vernetzt ist wie die Kreditwirtschaft, kann aber zwangsläufig nur ein international abgestimmtes Vorgehen tatsächlich Wirkung erzielen.

Eine zweite Finanzkrise, die jetzige dauert ja noch an, wäre von der Staatengemeinschaft nicht zu verkraften. Jeder weiß das, aber dennoch brechen sich nationale Interessen und unterschiedliche Beurteilungen und Bewertungen immer wieder ihre Bahn. Die Bankenabgabe, soweit sie bis heute konkret ist, soll von allen Kreditinstituten in Deutschland gezahlt werden und pro Jahr rund 1,2 Milliarden Euro einbringen. Über die Sinnhaftigkeit eines Beitrags der Sparkassen und Genossenschaftsbanken, die den mit der Bankenabgabe aufzufüllenden Sicherungsfonds nicht in Anspruch nehmen werden, sofern man ihnen das Prinzip der Institutssicherung über die EU nicht wegnimmt, ist bereits alles gesagt worden. Die Spreizung der Abgabe zwischen 0,02 Prozent bei einer Bemessungsgrundlage (Passiva minus haftendes Eigenkapital minus Kundeneinlagen) bis zehn Milliarden Euro hin zu 0,04 Prozent für Institute über 100 Milliarden Euro trägt weder dem Risikogehalt der von einigen großen Banken getätigten Geschäften noch dem systemischen Risiko, welches von Großbanken ausgeht, auch nur annähernd Rechnung.

Da es rund 100 Jahre dauern wird, bis das Zielvolumen von 120 Milliarden Euro erreicht ist, wäre der Steuerzahler im Falle einer Schieflage der Dumme. Solange, und vielleicht noch länger, steht das größte deutsche Kreditinstitut unter impliziter Staatshaftung. Bei kleineren Instituten gilt mit entsprechenden zeitlichen Abschlägen natürlich das Gleiche.

Schieflage zwischen Risiko und Haftung

Sollte der Staat nicht nach den Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit in einem überschaubaren Zeitraum aus dem Status der Erpressbarkeit heraus sein? Die längst abgeschafften staatlichen Haftungsgarantien für Sparkassen und Landesbanken werden durch verfehlte Konstrukte wie die Bankenabgabe bis zum Sankt-Nimmer-leins-Tag auf große Banken aller Art ausgedehnt. Damit kommt es zu einer veritablen Schieflage zwischen Risiko und Haftung. Die Eigentümer der großen Banken können für das Risiko, das sie eingehen, nur in Höhe des eingelegten Kapitals zur Rechenschaft gezogen werden - mehr nicht. Für den großen Rest muss weiterhin der Steuerzahler aufkommen.

Bereits beschlossen ist in Deutschland das Verbot ungedeckter Leerverkäufe von Aktien und Staatsanleihen von Euro-Staaten sowie Credit Default Swaps (CDS) auf Anleihen von Euro-Ländern. So sehr das Gesetz inhaltlich zu begrüßen ist, weil es Instrumente untersagt, mit denen mit außerordentlich kleinem Einsatz auf einen Kursverfall spekuliert werden kann, so gering ist seine Wirksamkeit, da Deutschland damit bislang isoliert dasteht. Eine solche Kirchtum-Regulierung ist sicherlich nicht optimal.

Auf internationaler Ebene ist ein ähnliches Vorhaben aber bislang nicht durchsetzbar. Eine gängige Gegenargumentation lautet, damit könne man sich nicht mehr gegen den Ausfall von Staatsanleihen absichern, was höhere Zinsen nach sich ziehen würde. Das ist natürlich Unsinn, weil es ausdrücklich um ungedeckte CDS geht, also Fälle ohne erkennbares Absicherungsinteresse.

EU-Einlagensicherung: Wettbewerb der Sicherungssysteme "wegreguliert"

International abgestimmte Maßnahmen sind keineswegs eine Gewähr für sinnvolle Krisenprävention. Ein aktuelles Beispiel dafür sind die Diskussionen über eine europäische Einlagensicherung. Bis 100000 Euro sollen Anleger laut EU-Plänen künftig aus einem europäischen Einlagensicherungstopf bekommen, unabhängig ob Privatpersonen, Unternehmen oder institutioneller Anleger. Für zahlreiche Kunden würde das einen höheren Anlegerschutz bedeuten, allerdings nicht für Deutschland. Dort garantieren die Sparkassen seit Jahrzehnten ebenso wie die Genossenschaftsbanken den Fortbestand des Instituts als Gesamtheit. Dieses Prinzip der Institutssicherung stellt Einlagen aller Art und in unbegrenzter Höhe sicher. Die Anzahl der Stützungsfälle etwa auf Sparkassenebene ist sehr überschaubar und hat für die Sparkassen insgesamt zu keinem Zeitpunkt ein Problem dargestellt.

Die Sparkassen und erst recht ihre Kunden sind mit diesem System gut gefahren. Jetzt wird in einem Bericht der EU-Kommission behauptet, die überlegeneren Einlagensicherungssysteme könnten zu Wettbewerbsverzerrungen führen, weil der Kunde den Grad der Absicherung bei seiner Anlageentscheidung mit einfließen lassen könnte. Etwas anderes kann doch gar nicht erwünscht sein! Selbstverständlich ist die Sicherheit der Einlagen ein für die Anlageentscheidung absolut im Vordergrund stehendes Kriterium. Dass die EU gerade unter Wettbewerbsgesichtspunkten den Wettbewerb der Sicherungssysteme ausschalten möchte, ist schlichtweg verfehlt. Wäre in der Vergangenheit deutlicher auf die Unterschiede der Sicherungssysteme hingewiesen worden, dann hätten die Lockangebote von manchen Banken zumindest nicht in dem geschehenen Ausmaß verfangen.

Dass überdies die Sparkassen neben der Bankenabgabe erneut etwas zahlen müssen, was die Wettbewerber entlastet, sie selbst aber nie in Anspruch nehmen werden, kommt hinzu. Und dabei geht es um ganz andere Dimensionen als im Fall der Bankenabgabe. Wenn die EU-Pläne Realität werden, würde das die rund 430 Sparkassen in Deutschland mit anfänglich rund 1,6 Milliarden Euro belasten. Spätestens dann, wenn zeitgleich die Eigenkapitalanforderungen nach oben geschraubt werden, würde dieser Betrag selbst für solide kapitalisierte Sparkassen aufgrund ihres hohen Einlagenanteils eine erhebliche Belastung darstellen. Die wenigen Beispiele von mehr oder weniger misslungenen Regulierungsansätzen unterstreichen, dass die zwingend notwendige Regulierung ganz sicher nicht zielgerichtet erfolgt, nicht hinreichend abgestimmt ist und nicht einmal ansatzweise einem Masterplan folgt.

Ein solcher Masterplan kann nur wirksam eine Wiederholung der Finanzmarktkrise verhindern, wenn er an den Ursachen der Beinahe-Kernschmelze ansetzt. Hauptursache war, dass Kreditinstitute und Schattenbanken wie Hedgefonds und Private-Equity-Gesellschaften zu hohe Risiken eingegangen sind und gleichzeitig zu groß beziehungsweise systemrelevant waren, um sie fallen zu lassen. In einem Fall - Lehman Brothers - ist dies geschehen. Die Folgen sind bekannt. Entscheidend ist, dass Risiko und Größe zusammentreffen. Wenn ein kleines Kreditinstitut ein zu hohes Risiko eingeht, ist eine Abwicklung möglich, ohne dass das Gesamtsystem gefährdet ist. Folglich sind zukünftig Vorkehrungen zu treffen, die gewährleisten, dass insbesondere große Kreditinstitute und andere Finanzmarktakteure keine zu hohen Risiken eingehen können.

Dazu kann man das Eigenkapital in Abhängigkeit vom Risikogehalt der Geschäfte aufstocken. Eine Verbindung zwischen Risiko und Höhe des vorzuhaltenden Eigenkapitalpuffers ist in den bisherigen Vorschlägen des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht nicht vorgesehen. Bestimmte Instrumente, die ihre Eignung als sogenannte Brandbeschleuniger in der jüngeren Vergangenheit unter Beweis gestellt haben, sind zu begrenzen oder zu verbieten. Dazu gehören sicherlich ungedeckte Leerverkäufe oder CDS, aber auch ein signifikanter Selbstbehalt bei Kreditverbriefungen, damit ein vollständiges und ungehindertes Herausdrehen von Kreditrisiken aus Bankbilanzen in Zukunft nicht mehr möglich ist.

Die optimale Funktionsfähigkeit von Märkten ist ein Gut, das nicht höher gewichtet werden darf wie die Existenz des Marktes als solches. Anders gewendet: Märkte dürfen ruhig etwas weniger liquide sein oder allgemein etwas schlechter funktionieren, wenn damit ein Beitrag zur Stabilisierung des Finanzsystems geleistet wird. Unabdingbar für eine effektive Regulierung ist ein internationaler Konsens über neue Regeln, Maßnahmen und Instrumente. Wenn dies nicht in einem Schritt gelingt, dann in mehreren, da ansonsten die Wirksamkeit in Richtung Null tendiert.

Alle Finanzakteure im Blick

Die Finanzmarktkrise zeigt überdies, dass es nicht ausreicht, allein die Kreditwirtschaft in den Blick zu nehmen. Reguliert werden müssten sämtliche Finanzmarktakteure wie zum Beispiel Hedgefonds, weil sie riesige Marktvolumina bewegen, und Ratingagenturen, weil sie einen gewaltigen Einfluss ausüben, ohne einer institutionellen Kontrolle unterworfen zu sein. Der Markt regelt es eben nicht, und in den USA sind erste Schritte unternommen worden, um Ratingagenturen in die Aufsicht einzubinden. Schließlich muss ganz sicher auch über die Größe von Kreditinstituten im Besonderen und der Kreditwirtschaft im Allgemeinen nachgedacht werden. Die Branche wird schrumpfen müssen. Ihr Anteil an der Wertschöpfung in einer Reihe von Staaten ist viel zu schnell gewachsen und hat Größenordnungen erreicht, die nicht gerechtfertigt und nicht verantwortbar sind. In der Schweiz beispielsweise macht die bereits deutlich geschrumpfte Bilanzsumme der beiden größten Schweizer Banken ein Volumen aus, das immer noch rund viermal so groß ist wie das Bruttoinlandsprodukt der Schweiz. Zählt man in Frankreich die Top-Drei-Banken zusammen, macht die Bilanzsumme etwa das Zweieinhalbfache des Bruttoinlandsprodukts aus. Der Präsident der BaFin, Jochen Sanio, spricht von einem Teufelskreis von staatlicher Stütze und gefährlicher Risikoneigung.

Insolvenzen ermöglichen

Es gibt keine Möglichkeit, in einer akzeptablen Zeitspanne einen Sicherungsfonds anzusparen, der die Gewähr bietet, dass auch nur eine Großbank unter Umgehung des Einsatzes von Staatsgeldern aufgefangen werden könnte. Zudem ist damit zu rechnen, dass zeitgleich mehrere Banken in Schwierigkeiten geraten und eben nicht nur eine. Daher bleibt kaum eine andere Wahl, als große Kreditinstitute entweder aufzuteilen oder zu schrumpfen oder diese Banken so umzustrukturieren, dass im Falle einer Schieflage nicht erneut der Staat haften muss und darüber hinaus über die Vernetztheit mit einer Vielzahl von anderen Marktteilnehmern eine Epidemie für die Gesamtbranche droht. Die Möglichkeit einer Insolvenz muss zwingend offen stehen. Im Restrukturierungsgesetz steht die geordnete Abwicklung im Vordergrund. Dieser Ansatz ist grundsätzlich zu begrüßen, aber er ist keine Maßnahme mit präventivem Charakter. Das heißt, dass an den Ursachen der Finanzkrise aber damit nicht angesetzt wird.

Während die Sparkassen in der Vergangenheit aufgrund ihrer ausgeprägten Nähe zur Realwirtschaft auch stets in etwa mit ähnlichen Wachstumsraten zugelegt haben, ist der Anstiegswinkel der großen, international tätigen Banken gleich um ein Vielfaches höher gewesen.

Diese Entwicklung zurückzudrehen beziehungsweise beherrschbar zu machen, ist Voraussetzung dafür, dass Staaten nicht noch einmal ohne wirkliche Alternative ihre Schuldenstände um teilweise deutlich über 20 Prozentpunkte binnen kürzester Zeit nach oben treiben müssen, um das Schlimmste zu verhindern. Unabhängig davon, wie hoch man nun die Kosten der Finanzmarktkrise und in deren Gefolge Wirtschafts- und Eurokrise schätzt: Es ist mehr als fraglich, ob die Staatengemeinschaft eine Finanzmarktkrise II verkraften wird. Nur die Umsetzung eines Masterplans, der eine systemische, wirksame Regulierung sicherstellt, kann dies verhindern.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X