Gespräch des Tages

Europäische Zentralbank - Reifeprüfung für die Jubilarin

Es ist mittlerweile bereits eine schöne Periode der geldpolitischen Stabilität, die die Europäische Zentralbank in diesen Tagen feiern durfte. Die Notenbank tat das mit dem Eröffnungskonzert ihrer Kulturtage Mitte Mai, mit dem Tag der offenen Tür im Eurotower genau zum zehnjährigen Jubiläum am 1. Juni und einen Tag später mit den offiziellen Feierlichkeiten, zu denen Präsident Jean- Claude Trichet neben der deutschen Bundeskanzlerin die Präsidenten des Europäischen Parlaments, des Rats, der Eurogruppe und der Kommission begrüßen durfte. All diese hochrangigen Politiker und viele weitere illustre Gäste haben mit ihrer Teilnahme gewürdigt, welch hohes Ansehen sich die Notenbank in der vergleichsweise kurzen Zeit ihres Wirkens an den Finanzmärkten erworben hat und welchen Stellenwert mittlerweile der Euro als Reserve- und Transaktionswährung gewonnen hat.

Gerade in Zusammenhang mit der Finanzmarktkrise hat die EZB viel Lob für besonnenes Handeln geerntet. Von den Befürwortern wird ihr zugute gehalten, bisher nicht in hektische Zinssenkungsschritte verfallen zu sein, sondern dem Markt immer wieder klargemacht zu haben, dem Problem des Moral Hazard hartnäckig widerstehen zu wollen. Einer überreichlichen Versorgung der Marktteilnehmer mit Liquidität konnte sie sich freilich nicht entziehen. In enger Abstimmung mit anderen wichtigen Notenbanken hat sie seit Herbst 2007 mehrfach an weltweit koordinierten "Maßnahmen gegen den erhöhten Druck an den Märkten für kurzfristige Refinanzierung" teilgenommen. Einigen Kritikern geht diese wiederholte Flutung der Geldmärkte entschieden zu weit.

Joachim Starbatty (siehe Beitrag in diesem Heft) erneuert in diesem Zusammenhang die wiederholt aufgekommenen Vorwürfe einer Abkehr der EZB von der bewährten Geldmengensteuerung der Bundesbank. Stattdessen konstatiert er faktisch den aus seiner Sicht zweifelhaften Ansatz, Konjunktur und Preisentwicklung über die Zinspolitik zu steuern. Insgesamt beschreibt er die Geldpolitik der EZB als einen Kurs, der mit zeitlichem Abstand und insgesamt vorsichtiger den Maßnahmen der Fed folgt. Zentralbanken können den Kreditschöpfungsprozess der Geschäftsbanken entscheidend einengen oder erweitern und damit deren Kreditvergabepraxis disziplinieren oder verlottern lassen, lautet seine These. Und darauf gründend schreibt er den Zentralbanken auch unter den heutigen Bedingungen komplexer Finanzmärkte die letzte Verantwortung für Inflation zu. In diesem Sinne erlebt die EZB dieser Tage eine echte Herausforderung. Sie muss in den nächsten Wochen und Monaten entscheiden, wie sie unter den komplizierten Bedingungen der Finanzkrise dem inzwischen von ihr selbst und auch von der Deutschen Bundesbank als eindeutig zu hoch erkannten Inflationspotenzial beikommen will. Nach Jahren der sehr disziplinierten Vorbereitung der europäischen Länder auf die Währungsunion und langer Phase einer vergleichsweise stabilen Preisentwicklung ist das die bisher ernsthafteste Bedrohung. Ob die Bank unter dem Einfluss all den widerstrebenden Interessen der Politik und der durchaus unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklung in den Mitgliedsländern auch dann ihre Unabhängigkeit bewahren kann, wenn die Auswirkungen der Finanzmarktkrise auf die Realwirtschaft noch stärker ankommen? Eine gute Notenbank muss auch in solchen Phasen eine überzeugende geldpolitische Linie vertreten. Die wahre Güte der EZB lässt sich erst beurteilen, wenn sie auf lange Sicht die volle Bandbreite des geldpolitischen Geschehens gut gemeistert hat, sich also auch in Phasen der Inflationsbekämpfung bewährt. Diesbezüglich ist ihre bisher schwerste Reifeprüfung in vollem Gange.

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