Aufsätze

Wenn Anlegerschutz zum Renditeschutz wird

Zum Jahresende 2012 fand eine Studie eines Bamberger Finanzwissenschaftlers den Weg in Tagesschau und Heute-Nachrichten und schockierte die Öffentlichkeit: Rund 50 Milliarden Euro Verluste sollen deutsche Verbraucher demnach jedes Jahr aufgrund schlechter Beratung, mangelnder Kundenorientierung und wenig wirksamer Verbraucherschutzregeln bei ihrer Altersvorsorge erleiden - eine unglaubliche Summe.

Doch die Kritik am Studiendesign kam prompt und unterlegte mit Fakten ihre Position, sodass die Untersuchung schnell wieder aus den Köpfen von Verbraucherschützern, Politikern und Bankberatern verschwand. Eines jedoch bleibt: Die Bankberatung gerät in Deutschland zunehmend unter Druck - durch Kunden, Politik und Regulierung einerseits, durch die Renditeerwartungen der Kunden und das andauernde Niedrigzinsumfeld andererseits.

Gute Performance dokumentiert

Wenn deutsche Anleger bereit sind zu investieren, dann suchen sie oft den Beistand eines Kundenberaters - und stellen fest, dass die vielerorts kritisch beäugten Anlagezertifikate oft eine echte Alternative darstellen. Die Gründe dafür können vielfältig sein: Bei Festgeldanlagen und erstklassigen Staatsanleihen erzielen Anleger leicht eine negative Realrendite, da die Inflationsrate für Deutschland im Jahr 2012 rund zwei Prozent betrug. Die Renditeaussichten von vermieteten Immobilien erscheinen oft fragwürdig, gerade weil die Preise regional bereits stark zugelegt haben. Gute Unternehmensanleihen sind nicht immer verfügbar und schwer zu beurteilen. Und eine Direktanlage in Aktien oder Aktienfonds ist vielen zu riskant. Somit bleiben also Anlagezertifikate. Doch sind diese Wertpapiere - im Grunde Schuldverschreibungen von Banken - wirklich seriös? Können sie ihre Renditeversprechen erfüllen? Vertreter der Zunft beantworten diese Fragen mit Ja - aus Überzeugung und Erfahrung.

Wer als Berater oder Privatkunde den Blick hebt, stellt fest, dass die reine Performance verschiedener Zertifikatearten verlässlich dokumentiert wird: Der Deutsche Derivate Verband (DDV) unterstützt die Initiative von Scoach, der Frankfurter Börse für strukturierte Produkte und der European Derivatives Group (EDG), Indizes für verschiedene Zertifikatekategorien zu veröffentlichen. Die Indizes zeigen die durchschnittliche Wertentwicklung auf Basis repräsentativer Zertifikate und spiegeln aufgrund der Indexzusammensetzung jeweils die Wertentwicklung der tatsächlich investierten Anlagegelder wider. Dadurch wird ein direkter Leistungsvergleich zu anderen Finanzprodukten möglich.

Seit dem Start der Erfassung im Januar 2009 schnitten beispielsweise Aktienanleihen, Discount- und Bonuszertifikate besser ab als ihr Vergleichsindex. Vor allem aber können Anlagezertifikate in einem eher günstig bewerteten Aktienmarkt (Kurs-Gewinn-Verhältnis im Dax: 11,11 per 8. Januar 2013) und bei den aktuell niedrigen Zinsen echten Nutzen stiften. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Mit einem einfachen Discountzertifikat auf den Dax können Anleger bereits eine Rendite von 6,93 Prozent per annum erzielen, wenn der Dax zum Bewertungstag im Dezember dieses Jahres dort steht, wo er sich am 7. Januar 2013 befand (7732 Punkte).

Verluste entstehen Anlegern bei diesem Beispiel erst, wenn der deutsche Leitindex zum Bewertungstag des Zertifikates unterhalb von 7 118 Punkten notiert. Das Beispiel steht stellvertretend für zahlreiche Chancen, die sich Anlegern auch heute noch am Aktien- und Zertifikatemarkt bieten. Und genau dieser wirtschaftliche Mehrwert wird Anleger 2013 überzeugen, dass "Zertifikate" eine Betrachtung wert sind. Denn Anleger suchen nach Rendite und Zertifikate können sie liefern.

Nationale und europäische Regulierung bereits umfangreich

Bei dieser Geldanlage stehen natürlich auch - zu Recht - Anlegerschützer, Politiker und Regulierer aktiv an der Seite der Verbraucher und greifen aktiv in den Markt ein. So gilt seit 2007, also ein Jahr früher als die Finanzkrise, die europäische Wertpapierdienstleistungsrichtlinie MiFID, die beispielsweise die Ansprache von privaten und professionellen Kunden getrennt und Geeignetheitstests für diese Anlegergruppen neu geregelt hat. Voraussichtlich 2014 könnte die nachfolgende MiFID 2 in Kraft treten. Sie könnte die Regeln für Wertpapiere auch auf manche Versicherungsverträge und Emissionszertifikate ausdehnen. Es ist beispielsweise vorgesehen, auf europäischer Ebene für alle Anlageprodukte die mit einer Anlage verbundenen Gesamtkosten standardisiert darzustellen, inklusive einer Netto-Rendite (ohne Steuern). Das gilt also für Anlagezertifikate ebenso wie für Investmentfonds und manche Versicherungsverträge. Zudem sollen Anlageberater und andere Mitarbeiter zukünftig "ausreichende Sachkunde nachweisen".

Im Mittelpunkt steht jedoch eindeutig die Klassifizierung und Risikoeinschätzung der beratenden Kunden. Obwohl sich die Regelungen der MiFID 2 vornehmlich auf die Vermittlung im Rahmen der Anlageberatung beziehen, können Verbraucher davon ausgehen, dass auch für Selbstentscheider, die ihre Orders beispielsweise selbstständig online tätigen, von diesen Regelungen profitieren können, da Dokumentationen der Zertifikate-Emittenten und der Discountbroker sicherlich transparenter werden.

Finanztransaktionssteuer

Auch steuerlich bleibt der deutsche Zertifikatemarkt nicht unberührt von Veränderungen. So trat beispielsweise am 1. Januar 2013 eine überarbeitete Fassung des § 20 Absatz 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in Kraft, der Auswirkungen auf die steuerliche Anrechnung von Verlusten mit spekulativen "Knock-out-Produkten" hat: Aktive Anleger können nun einen Großteil der gegebenenfalls erlittenen Totalverluste - üblicherweise wird in diesen kurzfristigen Geschäften weniger Kapital investiert als in strategischen Positionen - nicht mehr mit angefallenen Gewinnen verrechnen.

Für eine wesentliche, sehr aktiv handelnde Klientel im deutschen Zertifikatemarkt wird diese Veränderung einen deutlichen Mehraufwand nach sich ziehen. Möglicherweise verändern diese privaten Anleger ihr Trading- und Anlageverhalten, um ihre persönliche Steuerlast zu optimieren. Doch es ist abzusehen, dass der deutsche Gesetzgeber weiterhin aktiv bleibt und in den kommenden Monaten über eine deutsche Finanztransaktionssteuer debattiert. Frankreich ist zum 1. August 2012 mit einer neuen Börsenumsatzsteuer bereits vorgeprescht, und es ist denkbar, dass eine entsprechende Regelung trotz der zu überwindenden bürokratischen und parlamentarischen Schwierigkeiten auch auf EU-Ebene eingeführt werden kann.

Anleger wollen beraten werden

Studien zum Vertrauen von Bankkunden in ihren Anlageberater fördern verschiedene Ergebnisse zutage. Eine umfassende und belastbare Untersuchung legte das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) selbst Ende 2011 vor. Sie wertete sowohl Untersuchungen Dritter aus und führte ebenso eigene Befragungen durch. Darin gaben rund 75 Prozent der befragten Personen an, sich von ihren Anlageberatern bei ihren Anlageentscheidungen beraten zu lassen. Eine erstaunlich große Rolle spielen mit rund 45 Prozent Beratungen durch Bekannte, Freunde und Familie. Obwohl die Bedeutung der Anlageberatung als äußerst wichtig eingestuft wird, schätzen sich die meisten Verbraucher laut Studie wenig selbstbewusst ein. Da zudem das Vertrauen in den eigenen Anlageberater auch nach der Finanzkrise immer noch sehr hoch ist, verwundert es nicht, dass die aus der Beratung entstehenden Anlagevorschläge üblicherweise auch umgesetzt werden. Insgesamt kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass das Informationsbedürfnis der Anleger in Bezug auf die eigene Geldanlage sehr hoch ist.

Demzufolge empfiehlt die Studie, dass die Anbieter - vorwiegend Banken - einheitliche Kennzahlen zu Aspekten wie Risiko, Renditepotenzial und Kosten zur Verfügung stellen. Dabei spielen die Einfachheit und Verständlichkeit der Informationen eine wesentliche Rolle. Insgesamt werden diese Ergebnisse auch von anderen Studien bestätigt. Gelingt es also einem Berater, seine Kunden inhaltlich (hohe Kompetenz) zu überzeugen und die Sachverhalte auch noch anschaulich zu vermitteln, steht einem Erfolg nur wenig im Wege. Insofern kommt der Anlageberatung selbst auch nach dem medialen Dauerfeuer aktuell und vermutlich ebenfalls zukünftig eine größere Bedeutung zu.

Die eingangs erwähnten regulatorischen und gesetzgeberischen Maßnahmen stellen dabei eine Herausforderung dar. Denn für das Wesen einer individuellen Anlageberatung - Vermögenserhalt, Vermögensaufbau und Altersvorsorge - ist das Erreichen einer Rendite nach Steuern und Kosten von entscheidender Bedeutung. Werden jedoch die Faktoren Sicherheit und Anlegerschutz im Sinne einer allzu formalen Bürokratie überstrapaziert, wird gut gemeinter Anlegerschutz zum gefährlichen Renditeschutz. Wer 100-prozentige Sicherheit sucht, wird sein Kapital in diesen Zeiten real mindern. Wer nach Rendite strebt, muss Risiken am Kapitalmarkt eingehen. Mitunter ist auch ein wenig Mut erforderlich, um renditestarke Wertpapiere zu suchen und darin zu investieren. Für Anleger muss daher eine umfassende Risiko- und Kostenaufklärung stattfinden.

Diesen politischen Willen können die Banken nicht nur erfüllen, sie müssen ihn auch erfüllen wollen. Viele Institute tun das. Denn Offenheit und Ehrlichkeit stärken das Vertrauen innerhalb einer (Kunden-) Beziehung. Doch deutsche und europäische Politiker sollten auch anerkennen, dass bei den Bürgern nicht der chronische Eindruck des Misstrauens gefördert werden darf. Wenn also die Kampagne "Rauchen schadet Ihrer Gesundheit" als richtig, wichtig und effizient angesehen wird, könnte eine reichweitenstarke Kampagne "Anlageberatung nutzt Ihrem Wohlstand" ein Gegengewicht zur aktuellen Regulierungsdynamik bilden. Denn es ist ebenso politischer Wille, dass die Bürger ihre eigene Altersvorsorge ohne staatliche Unterstützung in die Hand nehmen.

Standards durch Anlegerschutzgesetz

Der deutsche Gesetzgeber hat indes mit dem sogenannten "Anlegerschutzgesetz", das im April 2011 in Kraft getreten ist, bereits viel geleistet, und man muss ergänzen: viel Positives. Denn mit der gesetzlichen Einführung einheitlicher Produktinformationsblätter zu Wertpapieren wurden Standards geschaffen, die die Geldanlage vergleichbar und verständlicher machen. Doch das Ärgernis vieler Anleger liegt seit der Finanzkrise aus den Jahren 2008 und 2009 nicht in einer mangelnden Produktaufklärung, sondern vielmehr in einer (allgemeinen) Unzufriedenheit mit der Anlageberatung.

Die Bundesregierung hat nun einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der die in Deutschland wenig beliebte und gleichwohl transparente Honorar-Beratung fördern soll. Im Mittelpunkt steht die Absicht des Gesetzgebers, Be ratungskunden eindeutige Einsicht in die Vergütung des Beraters zu gewähren. In Deutschland finanziert sich die Beratungsleistung in Banken in aller Regel über Provisionen aus den vermittelten Wert papieren oder Verträgen. Den Banken und Vermögensverwaltern gelang es so, die eigentliche Beratungsleistung auf den ersten Blick kostenfrei anzubieten - ein Service, der in Deutschland ebenso als selbstverständlich angenommen wird wie Leistungen am Geldautomaten. Dieser Entwicklung spielen die bereits dargestellten Initiativen rund um die Veröffentlichung von Vertriebsprovisionen in die Karten, sodass für Anleger zukünftig theoretisch eine hohe Transparenz möglich wird. Allerdings muss sich erst noch beweisen, ob das Angebot durch die Verbraucher zukünftig angenommen wird.

Im Übrigen würde bei einer Honorarberatung plötzlich das Feld "Vertriebsvergütung" in den Produktinformationsblättern innerhalb des Beratungsprotokolls leer bleiben, da ja keine Provision anfällt. Es wird nicht lange dauern, bis die ersten Stimmen laut werden, zusätzlich zur Provision auch die Marge der Produktanbieter zu veröffentlichen. Wie jedes Industrieunternehmen zögern bei diesem Schritt jedoch auch die Versicherer, die Fondsgesellschaften und die Banken, denn der ohnehin harte Wettbewerb würde dann um eine entscheidende und äußerst vergleichbare Kennzahl erweitert. Vielleicht würden sich deutlich weniger Menschen für Apple-Produkte begeistern, wenn sie über die Margen für das Unternehmen informiert wären?

Rendite erfordert immer auch Risiko

Möglicherweise wird es Wettbewerber im Zertifikateumfeld geben, die genau diesen Umstand für sich proklamieren und in ihren Werbebotschaften eine offensive "Niedrigprovisionspolitik" oder "Niedrigmargenpolitik" kommunizieren. Das bei den Kunden durchaus heikle Thema der Provisionen könnte also - auch jenseits der Beratung - zu einem Differenzierungsmerkmal unter den Produktanbietern werden. Auf diese Art könnte es den Produktanbietern beispielsweise gelingen, den eigentlichen Preis eines Wertpapiers aus der Schusslinie zu halten. Ähnliches erleben Verbraucher im Wettbewerb der Fluglinien, wo die eigentlichen Flugpreise sehr niedrig erscheinen, der Deckungsbeitrag aber mit Gebühren, Servicepauschalen und Zusatzleistungen erwirtschaftet werden kann.

Im Grunde können deutsche Verbraucher also sehr wohl von der zunehmenden Regulierung der Anlageberatung profitieren. Doch sie sollten dabei die Augen offen halten und sich vergegenwärtigen, dass Rendite immer auch Risiko erfordert. Hier können die inzwischen gut regulierten Anlagezertifikate ihre Stärken ausspielen: Private Anleger und ihre Berater können im jetzigen Niedrigzinsumfeld gleichermaßen Erfolge damit erzielen. Wer jedoch nur auf risikolose Finanzprodukte setzt, wird seine Wünsche zur nachhaltigen Gewinnerzielung nach Kosten, Steuern und Inflation wohl nicht erfüllen können.

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