NICHT AUS DEN AUGEN VERLIEREN

Philipp Hafner Leitender Redakteur, Foto: Verlag Helmut Richardi GmbH

Seit dem 24. Februar, dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine, ist die Welt leider zweifellos eine andere. Denn neben der unermesslichen humanitären Katastrophe sendet dieser sinnlose Krieg seine Schockwellen in so viele weitere Lebensbereiche, dass man unwillkürlich an Humboldts "Alles hängt mit allem zusammen" denken muss: Sei es die Sorge vor Hungersnöten in Afrika, galoppierende Energiepreise, schwere Kapriolen an Finanz- und Kapitalmärkten oder die Neuauflage des Kalten Kriegs in Verbindung mit einer absurden Rückkehr militärischen Wettrüstens - die Liste ließe sich noch um einige düstere Beispiele verlängern.

Auch für den deutschen Wohnungsmarkt impliziert der russische Überfall einen echten Stresstest - als wäre die Lage hier nicht auch so schon anspruchsvoll genug. So rechnet Empirica in einer Analyse im Auftrag des ZIA mit bis zu 1,29 Millionen Flüchtenden und einem kurzfristigen Bedarf an 500 000 zusätzlichen Wohnungen. Viele Vertriebene könnten dabei zwar in leer stehenden Wohnungen unterkommen, knapp die Hälfte des Bedarfs müsse jedoch durch Neubauten gedeckt werden, so die Untersuchung. "Wir haben wenig Zeit", erklärt ZIA-Präsident Andreas Mattner und fordert "Erleichterungen in sämtlichen Phasen des Wohnungsbaus".

Bundesbauministern Klara Geywitz verweist unterdessen auf die deutlich aufgestockten Mittel für den sozialen Wohnungsbau, von denen gerade die vielen geflüchteten Frauen, Kinder und alten Menschen profitieren sollen. Demnach stockt die Ampel-Koalition die von der Vorgängerregierung vorgesehenen Mittel bis 2026 um mehr als das Dreifache auf 14,5 Milliarden Euro auf. Das Ziel sind bekanntlich 100 000 zusätzliche Sozialwohnungen pro Jahr. Allein mit mehr Geld ist dies aber freilich nicht zu schaffen. Die Ampel wird sich insbesondere auch an ihrer vollmundigen Ankündigung im Koalitionsvertrag messen lassen müssen, wonach die Bau- und Planungsprozesse künftig "digital, entbürokratisiert, seriell, modular und standardisiert" sein werden.

Und bei aller Dringlichkeit, die die Schaffung von zusätzlichem Mietwohnraum nun verständlicherweise erst einmal genießt, täte die Politik gut daran, das ohnehin selten im Rampenlicht stehende Thema "Wohneigentumsbildung" dabei nicht gänzlich aus den Augen zu verlieren. Denn hier herrscht mehr denn je Handlungsbedarf. So konnte nicht verhindert werden, dass der Anteil der Haushalte, die in ihren eigenen vier Wänden leben, erstmals seit der deutschen Einheit wieder rückläufig ist und aktuell nur noch bei rund 42 Prozent liegt. Schlimmer noch: Die hiesige Wohneigentumsquote läuft Gefahr, nachhaltig zu sinken. Insbesondere für junge Ersterwerberhaushalte drohen die Eigenkapitalanforderungen vielerorts zu einer schlichtweg unüberwindbaren Hürde zu werden. So schätzt das IW Köln, dass nur noch 15 Prozent der hiesigen Mieterhaushalte über ein Eigenkapital von 60 000 Euro oder mehr verfügen. Die von der Ampel in diesem Zusammenhang beabsichtigten Maßnahmen sind zwar durchaus vielversprechend und reichen von eigenkapitalersetzenden Darlehen, Tilgungszuschüssen und Zinsverbilligungen für Schwellenhaushalte bis hin zu einem Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer. Andererseits sollte man sich keinen Illusionen hingeben: Gerade bei letzterem Punkt ist der Bund bekanntlich schon mehrmals an der fehlenden Unterstützung der Länder gescheitert.

Definitiv nicht an Unterstützung mangeln wird es dagegen vonseiten der Bausparkassen, die - das wird beim Lesen der Beiträge in diesem Heft sehr deutlich - erstmals seit Längerem wieder ziemlich optimistisch in die Zukunft blicken. Dafür gibt es eine Reihe von guten Gründen: Erstens, wissen sie um den durch die Pandemie nochmals signifikant an Intensität gewonnenen Wunsch vieler Deutscher nach den eigenen vier Wänden. Wen wundert's, schließlich ist es inzwischen sogar wissenschaftlich belegt, dass Wohneigentümer glücklicher leben (siehe Beitrag Siebert, Seite 24). Zweitens tut sich mit der langsam aber sicher an Fahrt aufnehmenden Energiewende im privaten Wohngebäudebestand ein riesiger Wachstumsmarkt auf, man könnte gar von einer "historischen Chance" für die Branche sprechen (siehe Beitrag Bumberger, Seite 17). Ganz besonders natürlich, wenn man bedenkt, dass beim Bausparvertag im Unterschied zu anderen Finanzierungsformen keine Kleindarlehenszuschläge fällig werden. Er ist damit quasi prädestiniert, sich in einen Energiespar- und Klimaschutzvertrag zu verwandeln.

Und last, but not least wäre da freilich noch die sich zuletzt am Horizont abzeichnende Zinswende. Laut Interhyp sind die Bauzinsen allein vom 1. Januar bis 22. März 2022 um 0,8 Punkte auf 1,8 Prozent in die Höhe geschossen. Dieser Trend entlastet nicht nur die Bilanz der Bausparkassen, er beschert zugleich auch ihrem Kernprodukt verbesserte Absatzchancen. "Zinsabsicherung ist das Gebot der Stunde", bringt es Bernd Hertweck im Interview auf den Punkt (siehe Seite 11). Faszinierend zu sehen, wie relevant dieses gut 100 Jahre alte Traditionsprodukt doch auch in Zeiten von Blockchain, Bitcoin und Crowdfunding noch ist.

Philipp Hafner , Leitender Redakteur, Immobilien & Finanzierung , Helmut Richardi Verlag
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