EXPO REAL-SPECIAL

NACHHALTIGKEIT - DER ANTRIEB FÜR DIE TRANSFORMATION DER IMMOBILIENBRANCHE

Giulia Peretti, Foto: Real I.S. AG

Die Energiewende im Gebäudesektor ist in einer kritischen Phase angekommen. Laut den Daten des Umweltbundesamtes hat der Gebäudesektor seine Klimaschutzziele im vergangenen Jahr verfehlt. Während in den Bereichen Energie, Industrie und Verkehr die Emissionen zielkonform gesenkt wurden, überschritt der Gebäudesektor seine Marke um rund zwei Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Mit Blick auf das große Endziel eines klimaneutralen Gebäudebestands bis 2045 muss also definitiv (noch) mehr Schwung in die Sache kommen. Wo die größten Aufholpotenziale liegen, untersucht die Autorin des vorliegenden Beitrags. Dabei wird unter anderem deutlich, dass es bereits die einfacheren Maßnahmen, die nicht mit großen Umbauten verbunden sind, sein können, mit denen eine große Wirkung erzielt wird. Red.

Nachhaltigkeit ist für Investoren, Fondsdienstleister und Immobiliengesellschaften längst von großer Bedeutung und wird nicht zuletzt durch die zunehmende Regulatorik und die Klimaziele der EU eine immer größere Rolle spielen. Vieles hat sich schon bewegt. Während vor Jahren Nachhaltigkeitsbeauftragte lediglich in großen Konzernen zu finden waren, ziehen mittlerweile kleinere Unternehmen nach.

Gestiegenes Bewusstsein

Gleichzeitig hält die Immobilienbranche auf dem Weg zur Dekarbonisierung den Hebel in der Hand. Das reicht von der Etablierung nachhaltiger Prozesse innerhalb der Unternehmen, wie ein verstärkter Umweltschutz, Energieeinsparung und Recycling sowie Angebote und Schulungen für Mitarbeiter, bis zur Koordinierung und Mitwirkung bei der Entwicklung von nachhaltigen Produkten.

Das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Nachhaltigkeit ist gestiegen, das Thema ist allerdings sehr vielschichtig und noch immer gibt es viele Fragezeichen. Die EU-Taxonomie brachte zwar eine wichtige Orientierung für Anleger, was genau ökologisch nachhaltig ist, und hat einen großen Einfluss beziehungsweise Hebelwirkung in der Lenkung der Kapitalanlagen in eine nachhaltige Richtung.

Die Komplexität ist indes sehr hoch und es fehlen im Markt noch die Transparenz und Vergleichbarkeit nachhaltiger Gebäude beziehungsweise Investmentprodukte - portfolio- und länderübergreifend.

Ein einheitlicher Branchenstandard in Europa, der ganzheitlich die Nachhaltigkeitsperformance von Immobilien und Portfolios misst und benchmarkt, ist mit der Initiative "ESG Circle of Real Estate" (ECORE) aber in der Entwicklung.

Immobiliensektor mit enormer Verantwortung

Welche Verantwortung die Immobilienbranche beim Erreichen der Ziele der EU hat, bis 2050 als erster Kontinent klimaneutral zu sein, wird allein schon dadurch deutlich, dass mehr als 30 Prozent der Treibhausgasemissionen und 40 Prozent des Energieverbrauchs in der EU auf Gebäude entfallen. Das bedeutet, dass noch komplexe Herausforderungen zu stemmen sind, denn die Immobilienbranche wird nicht von heute auf morgen komplett nachhaltig werden.

Dies birgt aber zugleich auch signifikante Chancen für die ganze Branche, innovative Prozesse und Technologien einzuführen. Das ist auch deshalb dringend notwendig, weil bereits jetzt nachhaltige Immobilien ein knappes Gut sind und die Nachfrage nach energieeffizienten und umweltfreundlichen Immobilien weiter steigen wird.

Während der Fokus bislang noch auf ökologischen Kriterien lag, werden künftig in den Investitionsentscheidungen sämtliche ESG-Kriterien in ihren Ausprägungen mit ökologischen und sozialen Aspekten sowie Aspekten der Unternehmensführung eine Rolle spielen. Kurzfristig könnte die Renditekompression aufgrund der begrenzten Verfügbarkeit und der steigenden Nachfrage bei nachhaltigen Immobilien weiter zunehmen - insbesondere bei jenen, die den breiteren ESG-Ansatz schon berücksichtigen.

Aufholpotenzial liegt vor allem im Bestand

Langfristig werden sich die ESG-konformen Investitionen jedoch positiv auswirken, unter anderem durch die geringeren Risiken und eine bessere Wettbewerbsfähigkeit am Markt hinsichtlich der steigenden Kosten in diesem Bereich, beispielsweise der CO2-Preise.

Der größte Hebel, um CO2-Emissionen zu reduzieren, liegt allerdings nicht im Neubau. Zwar werden bei der Erstellung von neuen Gebäuden noch immer große Mengen an fossiler Energie verbraucht und CO2 wird freigesetzt.

Noch größeres Potenzial für Klimaschutz und Ressourcenschonung bietet allerdings ganz klar der Bestand. In Deutschland gibt es rund 22 Millionen Gebäude. 60 Prozent davon sind dem Bundesverband energieeffiziente Gebäudehülle e.V. zufolge aus energetischer Sicht als unzureichend einzustufen.

Ferner liegt die Sanierungsrate des europäischen Gebäudebestandes bei nur 1,0 bis 1,5 Prozent pro Jahr. Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, muss diese Rate deutlich erhöht werden. Das wiederum birgt Chancen, neue emissionsarme Technologien zu entwickeln oder breiter einzusetzen sowie klimaschädliche Materialien zu substituieren.

Dabei kann schon mit einfacheren Maßnahmen, die nicht mit großen Umbauarbeiten verbunden sind, viel bewirkt werden - zum Beispiel durch das Nutzen einer Gebäudesteuerung, um Verbräuche zu optimieren. Auch die Umrüstung von Leuchtstoffröhren und Halogenlampen auf LED lässt sich leicht umsetzen. Tiefgaragen müssen zum Beispiel nicht das ganze Wochenende oder über Nacht beleuchtet sein.

Einfache Maßnahmen, große Wirkung

Abgesehen von der Betriebsphase gibt es enormes, noch viel zu unterschätztes Potenzial für mehr Klimaschutz und Ressourcenschonung im gesamten Lebenszyklus einer Immobilie: Dämmstoffe zur Reduktion der Betriebsemission verursachen selbst Emissionen in der Produktion und End-of-Life.

Bei der Herstellung von Zement entstehen beispielsweise 6 bis 10 Prozent der globalen CO2-Emissionen, das ist mehr als der gesamte Flugverkehr.

Viele Forschungsprojekte auf diesem Gebiet sind noch in der Testphase beziehungsweise sind Technologien und Prozesse zur CO2-Reduzierung bei der Produktion von Stahl und Zement - zwei der am meisten verwendeten Baumaterialien und die größten Verursacher von klimaschädlichen Emissionen - noch nicht verbreitet. Stahl und Beton haben zudem viele positive Eigenschaften, die nicht so ohne Weiteres von anderen Materialien kompensiert werden können.

Wichtig ist der verstärkte Einsatz von Systemen und Maßnahmen, um den Materialeinsatz zu optimieren. Auch beim Rückbau von Gebäuden lässt sich viel Abfall vermeiden, wenn Materialien wiederverwendet werden und so im Kreislauf bleiben.

Es ist noch viel zu tun

Als Fazit lässt sich somit festhalten: Auf dem Weg zur Klimaneutralität hat die Immobilienbranche noch viel Handlungspotenzial. Denn in Anbetracht der EU-Klimaziele und zunehmenden Regulierungen hat sie keine andere Wahl, als optimierte Bauverfahren zu entwickeln und die Verwendung von herkömmlichen, oft klimaschädlichen Materialien zu überdenken.

Der größte Anteil, um CO2 einzusparen, findet sich ganz eindeutig im Bestand - auch durch Recycling und Wiederverwenden von Strukturen und Materialien. Zwar gibt es schon so einige Forschungsprojekte auf diesem Gebiet, jedoch muss die Material- und CO2-Einsparung im Rahmen der Kreislaufwirtschaft noch klar an Fahrt aufnehmen.

Davon profitiert nicht nur die Immobilienbranche, sondern die gesamte Gesellschaft. Mit der EU-Taxonomie sowie durch die verstärkten Förderungen für Bau und Sanierung soll die Wandlung zur klimaneutralen Baubranche ermöglicht werden. Eine länderübergreifende Zusammenarbeit von Forschung, Wirtschaft und Politik ist notwendig, um Prozesse voranzutreiben und die Angebotsstruktur von nachhaltigen Immobilieninvestments zu verbessern.

Giulia Peretti , Nachhaltigkeitsbeauftragte , Real I.S. AG
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