PFANDBRIEFE UND COVERED BONDS

IMMOBILIENBEWERTUNG FÜR FINANZWIRTSCHAFTLICHE ZWECKE IN KRISENZEITEN

Jörg Quentin, Foto: pbb

Plötzlich, aber nicht unerwartet ist die Immobilienkrise da - wenngleich mit dem überraschenden Auslöser einer Viruspandemie. In aller Regel gehen sehr schnell die Transaktionen zurück, sodass Marktwerte für die Immobilienbewertung fehlen. Das stellt die Immobilienbewertung vor besondere Herausforderungen, wie die Ausführungen im vorliegenden Beitrag verdeutlichen. Mit die größte liegt dabei im gewählten Zeitpunkt zum Anpassen der Marktwerte. Der Autor warnt in diesem Zusammenhang insbesondere vor prozyklischen Verstärkungen infolge begrenzter Liquidität. Aktionismus sei deshalb zu vermeiden, stattdessen gelte es zunächst abzuwarten, ab wann die Marktverhältnisse wieder als stabilisiert angesehen werden können. Red.

Offensichtlich ist die nächste Immobilienkrise da. Obwohl sie seit Jahren erwartet wurde, kommt sie überraschend. Denn nicht Wirtschaftskriege oder politische Verwerfungen haben sie hervorgerufen, sondern eine weltweite Viruspandemie mit rigorosen Einschränkungen des privaten und öffentlichen Lebens, Lockdowns der Wirtschaft und Reiseverboten.

Vorhersagen eines Softlanding am Immobilienmarkt sind nicht eingetreten, wie schon bei der Finanzkrise 2008/09 oder dem Platzen der Dotcom-Bubble zur Jahrtausendwende. Auch damals galten die Märkte als fundamental stabil und ein mäßiger Abschwung als das wahrscheinlichste Szenario. Exogene Faktoren führten aber auch hier genau zum Gegenteil.

So wird zumindest absehbar für Hotels und auch den Einzelhandel ein langsamer Rückgang nicht mehr eintreten. Hier zeigt sich die deutliche Korrektur schon an klaren Fakten. Dauer und Umfang der Einschränkungen bestimmen, ob sich andere Teilmärkte dem entziehen können. Erhebliche Auswirkungen sind aber sicherlich auch für den Büroflächenmarkt zu erwarten.

In der Krise werden die Diskussionen um die Auswirkungen eines Abschwungs oft undifferenziert geführt. Vorstellungen des Krisenverlaufs von sehr optimistisch bis sehr pessimistisch werden munter mit den daraus zu erwartenden Wertveränderungen der Immobilien vermischt. Folge ist, dass der Immobilienmarkt zunächst von Unsicherheit geprägt ist und deshalb viele Transaktionen ausgesetzt werden.

Fehlende Transaktionen erschweren Marktwertermittlung

Immobilienbewerter haben dann das besondere Problem, dass Marktwerte sich nicht mehr an Transaktionen messen lassen, sondern bestenfalls aufgrund von Modellen zu ermitteln sind. Die Lösung ist dann die sogenannte "Uncertainty Declaration". Sie weist darauf hin, dass der Marktwert zwar nach bestem Wissen und Gewissen ermittelt wurde, aber wegen der großen Unsicherheiten im Markt verbunden mit fehlenden Transaktionen eben kein "realer" Marktwert ist. Es wird daher empfohlen, diesen "Wert" in kurzen Abständen zu überwachen.

Wie kann aber ein Nutzer damit umgehen? Für die Finanzwirtschaft stellt sich die Frage umso mehr, als sie strengen regulatorischen Anforderungen unterliegt, die auf realen Marktwerten basieren. Hier muss man zwei Anwendungen unterscheiden: Die Berücksichtigung des Marktwertes im Neugeschäft und die Anwendung im Bestandsportfolio, das in regelmäßigen Abständen zu überwachen ist.

Im Neugeschäft ist der Marktwert die wesentliche Größe zur Festlegung der Finanzierungsparameter und hier vor allem der Beleihungshöhe (Loan to Value, LTV). Ist der Marktwert im Gutachten mit der "Uncertainty Declaration" ausgewiesen, stellt sich die Frage, wie groß die Schwankungsbreite zukünftiger Marktveränderungen ausfällt. In der Regel bedient man sich dazu Szenarien über den Verlauf der Krise, die sich relativ eindeutig aus Erfahrungen aus vorangegangenen Krisen beschreiben lassen.

Sie müssen aber auch in den wesentlichen Parametern tatsächlich auf die jetzige Situation transferiert werden und sollten sich gegeneinander deutlich abgrenzen. Verluste im Net Operating Income beziehungsweise bei den Mieteinnahmen und daraus resultierende Marktwertveränderungen lassen sich damit relativ deutlich abbilden. Schwieriger wird es bei der Vorhersage der Renditen oder Multiplikatoren. Diese unterliegen einer wesentlich höheren Volatilität. Sie hängen außerdem, ähnlich wie im Kapitalmarkt, sehr stark von Investmenterwartungen sowie Schwankungen der Kapitalmarktzinsen und damit vergleichbarer Investmentprodukte ab.

Hier kann in einem zweiten Schritt mit einer Sensitivitätsanalyse relativ deutlich hervorgehoben werden, welche Veränderungen der Renditen möglich sind, bevor der LTV bestimmte Grenzen überschreitet. So lassen sich kreditvertragliche Vereinbarungen treffen, die der unsicheren Marktlage angepasst sind.

Regelmäßige und anlassbezogene Überwachung und Neubewertung

Zur Absicherung dieser getroffenen Regelungen bedarf es der regelmäßigen Überwachung der Szenarien und damit auch des Marktwertes. Nach Baseler Regelwerk, umgesetzt in den Richtlinien CRD ("Capital Requirements Directive") und CRR ("Capital Requirements Regulation"), müssen Banken ihre Sicherheiten zu den Immobilienkrediten regelmäßig und vor allem anlassbezogen überwachen und neu bewerten.

Die Corona Krise ist sicherlich ein solcher Anlass, der eine strengere Überwachung der Immobilienwerte erfordert und damit auch eine erforderliche Anpassung der Marktwerte nach sich zieht. Mit anderen Worten: Alle Banken müssen ihre Sicherheiten jetzt überprüfen und neu bewerten. Damit sind drei Fragen verbunden. Erstens, wie hoch ist die Anpassung bei der derzeitigen Marktunsicherheit? Zweitens und viel wichtiger, wie sehen nach der Neubewertung der Sicherheiten die Finanzkennzahlen des Bankinstituts und hier vor allem die Eigenkapitalanforderung aus? Und schließlich, wie geht man in diesem Zusammenhang mit dem Aspekt der Prozyklizität um?

Als Beispiel sei hier die Finanzkrise im Jahr 2009 angeführt. Im Anschluss an den Zusammenbruch von Lehman wurde im Londoner Büroimmobilienmarkt keine normale Transaktion mehr beobachtet. Die Preisvorstellungen von potenziellen Käufern und Verkäufern lagen zu weit auseinander. Daher gab es nach einem halben Jahr Unsicherheit vonseiten des Berufsverbands Royal Institute of Chartered Surveyors (RICS) die Verlautbarung, dass die Werte im Londoner Büroimmobilienmarkt um 50 Prozent gefallen seien. Ziel war es, Käufer und Verkäufer wieder zusammenzubringen und den Markt neu zu starten. War das der Zeitpunkt, die Sicherheiten der Immobilienkredite ebenfalls um 50 Prozent zu reduzieren? Wahrscheinlich noch nicht!

Prozyklische Verstärkung nicht im Interesse der Gesamtwirtschaft

Auch das Widereinsetzen von Immobilientransaktionen nach einem Marktschock ist ein schwieriger Zeitpunkt zum Anpassen der Marktwerte. Sind doch direkt nach einer Krise zunächst die Opportunisten am Markt die bestimmende Nachfragegruppe. Sie versuchen aus der Not einiger Immobilieneigentümer Kapital zu schlagen und bieten Tiefstpreise. Auch dieser Zeitpunkt ist nicht geeignet.

Das Resultat einer solchen gleichzeitigen Abwertung der Immobiliensicherheiten bei Investoren und bei Finanzinstituten ist eine Begrenzung der Liquidität. Das heißt, Investoren steht dann weniger Eigenkapital für Neuinvestitionen zur Verfügung und Finanzinstitute sind gleichzeitig in der Kreditvergabe begrenzt. Fehlende Liquidität in einer Rezession führt aber zu ihrer prozyklischen Verstärkung und kann nicht im Interesse der Gesamtwirtschaft sein.

Das Beispiel zeigt, dass die Überwachungen von Immobilien anhand des Marktwertes erhebliche Gefahren aufweist, die bei einer Bewertung zum Zwecke des Monitorings durchschlagen. Das Institut der Wirtschaftsprüfer IDW und die EZB haben jetzt gehandelt: Sie haben in Schreiben an die Finanzinstitute deutlich gemacht, dass man hier vorsichtig herangehen und eher eine langfristige Sicht in der Beurteilung der wirtschaftlichen Entwicklung vornehmen soll.

Was bedeutet das in der Immobilienbewertung? In einem Markt mit fallenden Immobilienwerten muss zum einen der Zeitpunkt identifiziert werden, ab dem die Marktverhältnissen wieder als stabilisiert gelten können und zusätzlich müssen opportunistische Deals als solche identifiziert werden und als Vergleichstransaktionen unberücksichtigt bleiben.

Trends versus kurzfristige Entwicklungen

Zum anderen ist es wichtig, Trends nicht mit kurzfristigen Entwicklungen zu vermischen. Marktverschiebungen aufgrund der Covid-19-Pandemie muss man unterscheiden von Bereinigungen des Marktes, die vorher schon beobachtet wurden. Das gilt zum Beispiel für den Einzelhandel: Das geänderte Einkaufsverhalten führt seit einiger Zeit zu fallenden Immobilienwerten selbst in guten Einkauflagen. Dieser Trend wird sich durch die Pandemie beschleunigen. Es stellt sich auch hier die Frage, ab wann im Sinne einer Anpassung des Marktwertes eingegriffen werden muss.

Zentral bleibt die Frage, welches Risiko tatsächlich für die Sicherheiten im gewerblichen Finanzierungsportfolio besteht? Hier sind verschiedene Dimensionen zu unterscheiden. Ein kurzfristiger Verfall der Marktwerte ist eigentlich nicht relevant für die Kreditsicherheit. Kurz- bis mittelfristig ist viel wichtiger, dass Zins und Tilgung durch die Immobilie erbracht werden können. Denn ein sicherer Cashflow bringt eine Immobilie über eine Krise, in der ein Transaktionsmarkt nicht mehr funktioniert.

In diesem Fall gibt es keinen Handlungsdruck für Eigentümer und natürlich auch Finanzierer, die Immobilie sofort verkaufen zu müssen. Anders als bei anderen Investmentprodukten hängt die Immobiliensicherheit ja nicht nur vom Eigentümer ab, sondern hat als zusätzliche Sicherheit den Mieter, dessen Mietzahlungen den Kapitaldienst erbringen. Nur wenn beim Cashflow Störungen auftreten, ist die Sicherheit für die Bank gefährdet. Erst unter langfristigen Gesichtspunkten kommt der Immobilienwert wieder stärker ins Spiel, spätestens am Laufzeitende eines Kredits. Hier muss sehr wohl bedacht werden, über welche nachhaltigen Komponenten eine Immobilie verfügt, damit sie am Markt veräußert werden kann beziehungsweise eine Umschuldung möglich wird.

Diese Überlegungen sind auch für das Monitoring der Marktwerte bedeutsam. Auf eine Marktwertanpassung kann zumindest kurz- und auch teilweise mittelfristig aus Risikosicht verzichtet werden, solange der Cashflow aus der Immobiliensicherheit vorhanden ist. Ist dieser allerdings nachhaltig unsicher beziehungsweise werden Ausfälle erkennbar, muss das in einem neuen Marktwert berücksichtigt werden.

Marktwertanpassungen müssen auf einen Wert in einem normalen Marktumfeld vorgenommen werden. Deshalb wurden im Basel-Regelwerk Regelungen zu einem "nachhaltigen Marktwert" aufgenommen. Dieser nachhaltige Marktwert ist dann für die LTV-Kalkulationen zur Eigenkapitalunterlegung heranzuziehen und eben nicht ein aktueller, sehr volatiler und damit prozyklisch wirkender Marktwert.

Wir haben in Deutschland in den letzten 100 Jahren sehr gute Erfahrungen mit einer ähnlichen Systematik gemacht. Der Beleihungswert laut Pfandbriefgesetz soll verhindern, dass Deckungsmassen zyklisch schwanken und damit die Sicherheiten des Investmentproduktes Pfandbrief volatil machen.

Trotzdem ist auch ein Beleihungswert zu überwachen und gegebenenfalls zu mindern. Aber auch hier spielen kurzfristige Marktverwerfungen keine Rolle und führen nicht gleich zu einer Anpassung. Nur bei fundamentalen Änderungen der Immobilienteilmärkte, wie sie derzeit im Einzelhandelsbereich erkennbar werden, ist über die Zeit auch eine Anpassung des Beleihungswertes erforderlich.

Mehr Orientierung für Gutachter schaffen

Solange ein Konzept für einen "nachhaltigen Marktwert", wie unter Basel III definiert, fehlt, entscheidet der einzelne Gutachter, wann und in welcher Höhe eine Anpassung des Marktwertes im Monitoringprozess an die aktuellen Verhältnisse vorgenommen wird. Es unterliegt seiner Beurteilung, inwieweit der Marktwert sich aufgrund der Krise oder anderer Aspekte verändert hat.

Institute und auch Aufsichten müssen daher in der aktuellen Lage Leitplanken für eine nachhaltige Wertanpassung vorgeben, in denen Gutachter sich bewegen sollten und die der Sicherheit Immobilie angepasst ist. So lässt sich vermeiden, dass die Immobilienmarktkrise prozyklisch verstärkt wird und sicherstellen, dass auch in schwierigen Zeiten ausreichende Liquidität im Markt vorhanden ist.

DER AUTOR JÖRG QUENTIN Head of Property Analysis and Valuation, Deutsche Pfandbriefbank AG, Garching
Jörg Quentin , Head of Property Analysis and Valuation , Deutsche Pfandbriefbank AG, Garching
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