FACETTEN DER NACHHALTIGKEIT

EU-TAXONOMIE: DIE IMMOBILIENBRANCHE IM UMBRUCH

Dirk Rathlev, Foto: EY Real Estate

Mit ihrem kontroversen Vorschlag, Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke als klimafreundlich einzustufen, hat die EU-Kommission zum Jahreswechsel 2021/2022 ein kaum für möglich gehaltenes öffentliches Echo auf die Taxonomie ausgelöst. Die seitdem mit großer Leidenschaft geführte Debatte macht einerseits deutlich, wie wichtig das Regulierungsprojekt auf dem Weg zu einem dekarbonisierten Europa ist, andererseits zeigt sich auch, wie viele Missverständnisse dazu kursieren. Auch für die Immobilienbranche ist die Tragweite der Taxonomie noch einigermaßen nebulös, wie die Autoren des folgenden Beitrags zu berichten wissen. Red.

Nachhaltigen Immobilien(fonds) gehört die Zukunft. Doch was tatsächlich nachhaltig ist, darüber herrscht in Teilen noch große Unsicherheit. Dabei gilt die Offenlegungsverordnung (Sustainable Finance Disclosure Regulation, kurz SFDR) bereits seit fast einem Jahr. Mit Beginn des Jahres 2022 ist nun auch die EU-Taxonomie anzuwenden. Sie zwingt die zögernde Immobilienbranche endgültig zum Handeln. Im Fokus steht dabei die Transformation des Immobilienbestandes. Doch die Umsetzung könnte durch Unklarheiten gebremst werden.

Von Phrasen zu Quoten

Nachhaltigkeit hatte ihr Zuhause lange Zeit in den Marketingabteilungen von Immobilienunternehmen. Und auch, als sich eine weitreichende Regulierung der Branche abzeichnete, wurden vor allem ehrgeizige Ambitionen kundgetan, deren Realisierung teilweise bis zuletzt auf sich warten ließ.

Doch die in Kraft getretene Taxonomie duldet kein Zögern mehr. In ihrem Kern geht es darum, Vergleichbarkeit zwischen Anlageprodukten zu schaffen und Greenwashing zu vermeiden. Indem ein Klassifikationssystem mit definierten Kriterien für ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten geschaffen wird, soll Kapital hin zu nachhaltigen Investments verlagert werden.

Konkret bedeutet das: Finanzmarktteilnehmer müssen für Produkte mit ökologischen Merkmalen beziehungsweise Zielen und für nachhaltige Investitionen eindeutig aufzeigen, in welchem Maße Wirtschaftsaktivitäten zu einem Umweltziel beitragen. Für diese Produkte müssen sie mit Jahresbeginn 2022 den Anteil an taxonomiekonformen Investitionen ("Taxonomie-Quote") in vorvertraglichen Informationen dokumentieren.

Ferner ist in den Jahresberichten über die tatsächliche Taxonomie-Quote zu berichten. Dies gilt zunächst nur für die ersten beiden Umweltziele "Klimaschutz" und "Anpassung an den Klimawandel", wobei Letzteres in den jüngsten Debatten in der Immobilienbranche im Gegensatz zum "Klimaschutz" nicht im Fokus stand. Vier weitere Umweltziele, unter anderem zur Kreislaufwirtschaft und zum Schutz der Biodiversität, folgen ab Januar 2023.

Unsicherheit dominiert

Die Herausforderung für Finanzmarktteilnehmer liegt gegenwärtig vor allem darin, dass die Erwartungen von Investoren hinsichtlich der Taxonomie-Quote schwer abschätzbar sind. Der von EY Real Estate im Dezember 2021 veröffentlichte ESG-Snapshot zeigt, dass 100 Prozent der Befragten davon ausgehen, dass Anleger zukünftig überwiegend in nachhaltige Immobilienprodukte investieren werden (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Marktteilnehmer rechnen ausnahmslos mit Anlegerfokus auf nachhaltige Produkte (in Prozent) Quelle: EY Real Estate - "ESG-Snapshot", Dezember 2021
Abbildung 1: Marktteilnehmer rechnen ausnahmslos mit Anlegerfokus auf nachhaltige Produkte (in Prozent) Quelle: EY Real Estate - "ESG-Snapshot", Dezember 2021

Weniger eindeutig ist dagegen die Begrifflichkeit "nachhaltig" und die Erwartungshaltung hinsichtlich der Taxonomie-Quote: Liegt die Erwartung hinsichtlich der taxonomiekonformen Investitionen eher bei 15 bis 30 Prozent oder doch bei 70 bis 90 Prozent?

Als weitere Unwägbarkeit kommt eine Richtlinie der BaFin für nachhaltige Investitionsvermögen hinzu. Diese liegt zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Beitrags in der Konsultationsfassung vor. Die BaFin will durch schärfere Vorgaben hinsichtlich nachhaltiger Investitionen gemäß SFDR und der Taxonomie Greenwashing zum Schutze der Anleger verhindern. Der nationale Alleingang erschwert zusätzlich den europäischen Vergleich nachhaltiger Produkte.

Bestand im Fokus

Da das erklärte Ziel der europäischen und nationalen Gesetzgeber ist, im Gebäudesektor entstehende CO2-Emissionen zu reduzieren, richtet sich der Blick zwangsläufig auch auf den Immobilienbestand. Je nach Quelle existieren heute bereits rund 85 Prozent der Gebäude, die den Bestand im Jahr 2050 ausmachen werden. Um die Taxonomie-Konformität für das Umweltziel "Klimaschutz" zu erfüllen, bestehen zwei Möglichkeiten für Gebäude, die vor dem 31. Dezember 2020 gebaut worden sind:

Das Gebäude gehört zu den oberen 15 Prozent des nationalen oder regionalen Gebäudebestands. Diese Herangehensweise ist sinnvoll, da energieeffiziente Gebäude belohnt werden sollen und der relative Vergleich den Wettbewerb um Energieeffizienz fördert. In der Praxis ist dies allerdings problematisch - aus zweierlei Gründen. Zum einen ist nicht klar, welcher Wert diese Grenze kennzeichnet und wer den Grenzwert vorgibt. Zum anderen ist bisher nur die Unterscheidung zwischen Wohn- und Nicht-Wohngebäuden vorgesehen. Ob es sinnvoll ist, Büros mit Einzelhandel oder Hotel zu vergleichen, ist bis dato nicht näher ausgearbeitet.

Das Gebäude verfügt über ein EPC-Rating (Energy Performance Certificate) mindestens in der Klasse A. Auch hier stellt sich in der Praxis ein Problem: Die zugrunde liegende Energy Performance of Buildings Directive (EPBD) wird in den europäischen Ländern unterschiedlich umgesetzt. So gibt es beispielsweise bislang in Deutschland keine Einstufung der Energieeffizienz für Nicht-Wohngebäude anhand des EPC-Ratings.

Zusätzlich sind noch weitere Anforderungen hinsichtlich Klimarisiko- und Vulnerabilitätsbewertung und Mindestschutzvorschriften zu erfüllen.

Unabhängig davon, welche der beiden Möglichkeiten gewählt wird, ist der Anteil der taxonomiekonformen Gebäude am Portfolio zu berechnen. Aufgrund fehlender konkreter Umsetzungsvorschläge für die Immobilienbranche ist die Berechnungsbasis hinsichtlich Immobilienwert, Miete und Capex-Maßnahmen noch nicht abschließend geklärt.

Die sich aus dieser Gemengelage ergebende Ungewissheit spiegelt sich in den Ergebnissen des ESG-Snapshots wider (siehe Abbildung 2). Obwohl die Branche die Notwendigkeit zu mehr Nachhaltigkeit sieht, dominiert mit Blick auf die Einführung der Taxonomie Unsicherheit.

Abbildung 2: Unklarheit dominiert die Einführung der EU-Taxonomie (in Prozent) Quelle: EY Real Estate - "ESG-Snapshot", Dezember 2021
Abbildung 2: Unklarheit dominiert die Einführung der EU-Taxonomie (in Prozent) Quelle: EY Real Estate - "ESG-Snapshot", Dezember 2021

Neubau oder Manage-to-Green?

Bei aller Unsicherheit ist eines unumstößlich: Der Weg zu einer nachhaltigeren Immobilienwirtschaft und damit zur Klassifizierung von Fonds beziehungsweise Immobilien als "grün" führt neben energieeffizienten Neubauten über die Transformation des Bestandes. Das meint insbesondere dessen Dekarbonisierung.

Die EU-Taxonomie eröffnet hierbei unter anderem die Möglichkeit des Manage-to-Green-Ansatzes anhand der getätigten Capex-Maßnahmen. Dementsprechend werden die taxonomiekonformen Capex-Maßnahmen (unter anderem Reduzierung des Primärenergiebedarfs um 30 Prozent) jährlich ins Verhältnis zu den Gesamtmaßnahmen gesetzt.

Die Herausforderung hierbei ist, dass sich die Taxonomie-Quote aus der Gesamtsicht auf das Portfolio ergibt und Capex-Maßnahmen auch aus ökologischen Gründen nicht dauerhaft durchführbar sind. Dementsprechend kann eine Immobilie nach Renovierung entweder unter die Anforderungen an den Bestand (siehe oben) fallen oder die Immobilie kann für die Jahre nach Umsetzung eines Capex-Plans keine Taxonomie-Konformität nachweisen.

Für Investoren ergeben sich demnach zwei Optionen: Entweder sie investieren in nachhaltige neu errichtete oder sanierte Gebäude, um mit ihrem Produkt als "grün" zu gelten. Auf diese Weise könnten sie eine dauerhaft hohe Taxonomie-Quote erzielen. Oder sie folgen dem Manage-to-Green-Ansatz und setzen damit auf Produkte mit Retrofit-Bedarf.

Damit können sie jedoch unter Umständen keine dauerhaft hohe Taxonomie-Quote erreichen. Dementsprechend werden zukünftig unterschiedliche Produkte auf dem Markt erwartet. Die Frage, inwiefern ihr Produkt die Taxonomie-Konformität erreichen kann und soll, ist intensiv mit den Investoren zu diskutieren.

Eine dreidimensionale Thematik

Ferner sind noch technische Fragen bei der Konzeption zur Transformation eines erheblichen Anteils des Gebäudebestands ungelöst. Was passiert etwa mit der existierenden Infrastruktur im Objekt, beispielsweise mit Gasleitungen? Sollen diese komplett ausgetauscht werden, obwohl sie funktionstüchtig sind? Wie könnte eine Umstellung erfolgen? Und welche Zukunftstechnologien bieten sich an?

Zudem wäre der Blick allein auf Dekarbonisierung zu eng. Bekanntermaßen umfasst ESG weitaus mehr. Neben den ökologischen Aspekten sollten auch soziale und ökonomische Aspekte nicht unter den Tisch fallen. Wie der Snapshot zeigt, erwarten Marktteilnehmer bereits, dass soziale Kriterien in naher Zukunft immer relevanter werden (siehe Abbildung 1).

Auch die Abhängigkeiten unter den drei Dimensionen sollten berücksichtigt werden. Ist es beispielsweise sinnvoll, Kosten für energieeffiziente Sanierungen auf Mieter umzulegen, wenn gleichzeitig die Wohnkostenbelastung steigt?

Zaudern ist keine Alternative

Ungeachtet der vorherrschenden Unsicherheit am Markt zeigt der Snapshot, dass die Marktakteure die richtigen Schlüsse ziehen und bestehende Portfolios in taxonomiekonforme Bahnen lenken. Die Hälfte der befragten Unternehmen etwa achtet bei ihren gemäß SFDR als Artikel 8 beziehungsweise Artikel 9 klassifizierten Produkten darauf, taxonomiekonforme Objekte anzukaufen. Ebenso sind erste Bereinigungen der Portfolios hinsichtlich Stranded Assets zu erkennen (siehe Abbildung 2).

Der dahinterstehende Aufwand ist keinesfalls zu unterschätzen. Man denke etwa an die Umstellung zahlreicher, abteilungsübergreifender Prozesse - von Ankaufsprofilen über Bewertungsschemata bis hin zum Daten- und Risikomanagement. Das ist auch alternativlos, denn etwaige Hoffnungen, dass die EU angesichts von Unsicherheiten am Markt am eigenen Umsetzungsplan rüttelt, haben sich längst zerschlagen.

Mehr noch: Zum 1. Januar 2022 kam noch eine weitere Aufgabe auf Immobilienunternehmen zu, die nachhaltige Produkte im Sinne der SFDR besitzen: Für alle Artikel-8- und Artikel-9-Fonds musste die Berichterstattung angepasst werden, die nun auch ökologische und soziale Merkmale und/ oder nachhaltige Ziele beinhaltet.

Vergleichende Merkmale fehlen

Nicht nur im Reporting werden die Veränderungen spürbar, sondern auch bei den Assets selbst. 73 Prozent der für den ESG-Snapshot Befragten sehen bereits erste Effekte auf den Verkehrswert (siehe Abbildung 3). Doch auch hier gibt es gegenwärtig noch viele Fragezeichen.

Abbildung 3: Fehlende vergleichende Merkmale zur Bewertung nachhaltiger Immobilien (in Prozent) Quelle: EY Real Estate - "ESG-Snapshot", Dezember 2021
Abbildung 3: Fehlende vergleichende Merkmale zur Bewertung nachhaltiger Immobilien (in Prozent) Quelle: EY Real Estate - "ESG-Snapshot", Dezember 2021

Vor allem fehlt es an validen Daten, um die Auswirkungen von Nachhaltigkeitskriterien auf den Verkehrswert zu messen. Ob und in welcher Höhe Preisabschläge oder -aufschläge gezahlt werden, lässt sich gegenwärtig nicht verlässlich sagen. Basis für objektive Bewertungen von taxonomiekonformen Immobilien wird die vom Markt zu schaffende Datengrundlage sein. Wer sich diesen Transparenzanspruch verwehrt, wird allein dafür abgestraft werden.

Zudem ist davon auszugehen, dass sich die Regulatorik in Zukunft weiter verschärfen wird, um die Klimaziele zu erreichen. Denkbar ist dabei, dass nicht nur über die grünen Aktivitäten berichtet werden muss, sondern auch "braune" Investitionen, also ineffiziente Gebäude, offenzulegen sein werden.

Insbesondere aufgrund der wachsenden Komplexität der Taxonomie ist es für Immobilienunternehmen von zentraler Bedeutung, sich mit den Anforderungen frühzeitig auseinanderzusetzen und die Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft aktiv zu begleiten. Nur so lässt sich eine langfristig erfolgreiche Positionierung im Markt gewährleisten.

Die Immobilienwirtschaft steht vor der immensen Aufgabe, die Transformation in Richtung Dekarbonisierung und Nachhaltigkeit umzusetzen. Der Aufwand erscheint umso größer, da die praktische Umsetzung mit vielen Fragezeichen versehen ist. Die Bewertungskriterien der Taxonomie für den Immobilienbereich erscheinen zunächst einmal sinnvoll. Sie bedürfen jedoch näherer Erläuterungen und Umsetzungstipps für die Praxis. So ist nach wie vor unklar, wann eine Immobilie nach der neuen Regulatorik zu den "oberen 15 Prozent des nationalen oder regionalen Gebäudebestands" zählt. Dennoch oder gerade deshalb ergreifen Marktteilnehmer bereits erste Maßnahmen.

Ein kollektiver Auftrag

Es bleibt abzuwarten, welche Anforderungen Investoren an die Taxonomie-Quote stellen. Feststeht: Kommunikation und Sensibilität sind wichtig. Beispielsweise sind die Auswirkungen eines Manage-to-Green-Ansatzes auf die zu berichtenden Kennzahlen frühzeitig zu benennen. Denn bei der Transformation von Bestandsgebäuden ist es schwierig, dauerhaft eine hohe Taxonomie-Quote zu erreichen.

Dennoch bleibt festzuhalten, dass die Transformation ein kollektiver Auftrag ist. Die Immobilienbranche sollte und muss sich dieser Herausforderung stellen. Die Aufgabe ist für alle Akteure neu, ob Politik oder Markt. Sie sollte daher im Dialog gelöst und als Prozess verstanden werden. Unter solchen Vorzeichen bietet die Taxonomie Immobilienunternehmen neue Chancen und die Möglichkeit, einen positiven Beitrag zu leisten.

Dirk Rathlev , Director , Ernst & Young Real Estate GmbH, Hamburg
Carolin Haslinde , Manager , Ernst & Young Real Estate GmbH, Hamburg
Timo Manssen , Senior Consultant , Ernst & Young Real Estate GmbH, München

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