PRIVATE WOHNUNGSBAUFINANZIERUNG

ERBBAURECHTE UND IHR POTENZIAL BEI DER SCHAFFUNG BEZAHLBAREN WOHNRAUMS

Sabine Georgi, Foto: Esswein

Das Erbbaurecht fristet in Deutschland gut einhundert Jahre nach Inkrafttreten noch immer ein Nischendasein: Lediglich fünf Prozent der hiesigen Grundstücke sind im Erbbau vergeben, verglichen mit anderen europäischen Staaten wie Großbritannien, Belgien oder den Niederlanden ist dies ein vernachlässigbarer Wert. Offensichtlich herrschen hier noch immer Vorurteile bei vielen Akteuren vor, die es auszuräumen gilt. Aus diesem Grund spricht sich die Autorin für eine gezielte Auseinandersetzung mit dem Erbbaurecht aus, weil dieses insbesondere Kommunen mehr Handlungsspielräume geben, aber auch Privathaushalten mehr Möglichkeiten für bezahlbaren Wohnraum einräumen könnte. Zudem liefert die Autorin konkrete Empfehlungen, wie das Erbbaurecht genutzt werden kann und was bei der Vertragsgestaltung zu beachten ist. Red.

Lösungen im Bereich des bezahlbaren Wohnraums, insbesondere bei der Baulandaktivierung, zu finden, ist auch in Zeiten der Corona-Krise ein hoch aktuelles Thema. Deswegen spricht sich die RICS für eine intensive Auseinandersetzung mit dem Erbbaurecht aus, um seine Akzeptanz bei potenziellen Erbbaurechtsgebern und Investoren zu erhöhen. Damit dies gelingt, sind neben dem politischen Gestaltungswillen auch technische Standards erforderlich, um die komplexen Fragestellungen in der Bewertung und Finanzierung adäquat bearbeiten zu können.

Als Chance erkannt?

Insbesondere bei der Neuschaffung von Wohnraum, Büro- und anderen Arbeitsplätzen sowie Quartieren ergibt sich aufgrund der limitierten Verfügbarkeit von Bauland ein Flaschenhals. Vielfach wollen sich Grundstückseigentümer nicht von ihrem Eigentum trennen. Daher bietet sich das Erbbaurecht als ein Instrument an, das auf der einen Seite dem Grundstückseigentümer eine auskömmliche Rendite und auf der anderen Seite dem Erbbaurechtsnehmer die Errichtung eines Gebäudes ermöglicht.

Für Kommunen und andere Gebietskörperschaften als Eigentümer von Bauland tritt ein klares Dilemma zutage: Verkaufen sie Grundstücke zur Bebauung, wird häufig eine Veräußerung staatlichen Tafelsilbers beklagt. Verkauft die öffentliche Hand geeignete Flächen nicht, wird mangelnde Unterstützung bei der Bereitstellung von beispielsweise bezahlbarem Wohnraum kritisiert. Das gilt vor allem bei der Veräußerung des Volleigentums, denn diese führt langfristig immer dazu, dass die Kontrolle über die Nutzung verloren geht; eine wirksame Nutzungsbindung kann bei Veräußerung des Volleigentums nur begrenzt vereinbart werden.

Das Erbbaurecht eröffnet eine Reihe von Gestaltungsmöglich keiten, um diese Herausforderungen zu meistern. Zunächst ermöglicht es, Flächen zur Bebauung zu vergeben, deren Verkauf ausscheidet, weil die Kontrolle über die Grundstücke nicht aufgegeben werden soll. Die Anfangsinvestitionen des Bauherrn sind dabei in der Regel geringer, da der Grundstückskaufpreis nicht getilgt werden muss.

Nachhaltige Stadtpolitik

Wird das Erbbaurecht zudem mit einer Reduzierung des Erbbauzinses kombiniert, die an die (soziale und/oder städtebauliche) Zweckerfüllung (oder eine andere Gegenleistung) gekoppelt ist, lässt sich dieser Vorteil auch dauerhaft nutzen, ohne zu einer zu starken haushalterischen Belastung des Erbbaurechtsgebers zu führen. Eine modellhafte Lösung muss natürlich auf den Einzelfall angepasst werden. Dabei können auch infrastrukturelle Maßnahmen mit zum Gegenstand des Erbbaurechts werden und so den Verzicht auf einen Verkaufserlös rechtfertigen. Und last, but not least: Statt Tafelsilber zu Höchstpreisen zu verkaufen, kann nachhaltige Stadtpolitik betrieben werden.

Wenn es gelingt, auf diesem Weg Bauland zu kostengünstigen Konditionen zu vergeben, führt dies zu geringeren Investitionskosten und kann insbesondere im Bereich der sozialen Infrastruktur die wirtschaftliche Machbarkeit begünstigen oder überhaupt erst schaffen. Das Erbbaurecht leistet damit einen entscheidenden Beitrag, denn der Grundstückseigentümer behält Einfluss auf die Bauvorhaben.

Erfahrungen aus anderen Ländern nutzen

Bislang wird das Erbbaurecht in Deutschland relativ selten angewendet. Nur fünf Prozent der für das Wohnen genutzten Flächen in Deutschland sind auf Erbbaurechten entstanden. In einigen anderen europäischen Staaten wird das Erbbaurecht intensiver genutzt. In Großbritannien und den Niederlanden, besonders in Ballungszentren wie Amsterdam, ist es eher die Regel als die Ausnahme. Allein die Stadt Amsterdam ist Eigentümer von 80 Prozent der Grundstücke und hat ungefähr 200 000 Verträge geschlossen.

Beim üblichen laufenden Erbbaurecht wird der Erbbauzins einerseits alle 50 oder 75 Jahre und andererseits zum Ende der Laufzeit beziehungsweise bei der Verlängerung auf der Grundlage des Wertes von Grund und Boden angepasst. Bei stark gestiegenen Grundstückswerten ergeben sich damit stark erhöhte Erb bauzinsen und Kosten für die Hauseigentümer. Bei der noch neuen Form des ewigen Erbbaurechts wird dieses Kostenrisiko ausgeschlossen. Der Erbbauzins ist fest vereinbart und unabhängig von der Erhöhung des Grundstückswertes. Dieses System wurde in Amsterdam 2016 eingeführt. Die Erbbauzinsen werden lediglich anhand der Inflation indexiert, damit wird allenfalls eine relative Steigerung der Bodenkosten im Rahmen des inflationsrelevanten Warenkorbes gewährleistet und die Erhöhung von aktuellen Grundstückswertschwankungen abgekoppelt.

Die OECD würdigt in einer Analyse ("The Governance of Land Use in the Netherlands") ausdrücklich die Einführung eines solchen Systems als Beitrag für die Schaffung bezahlbaren Wohnraums. Überdies belegen Studien diesen Preiseffekt von Gebäuden im Volleigentum im Verhältnis zu Gebäuden mit Grundstücken, für die ein Erbbaurecht besteht. In Deutschland werden diese Effekte nicht immer zu beobachten sein, dies mag zum einen an der Ausgestaltung des Einzelfalls liegen, aber auch in der mangelnden Beschäftigung mit dem Instrument.

Lange Laufzeiten sind üblich

Gleichwohl zeigen die Erfahrungen im Nachbarstaat, dass es auf die Ausgestaltung des Erbbaurechtes ankommt. Großen Einfluss haben demnach die Laufzeit des Erbbaurechts sowie die Anpassung und Ermittlung der Höhe des Erbbauzinses. Dabei ist in Ländern, in denen die Bestellung von Erbbaurechten üblich ist, die Laufzeit oft sehr lang. So wurde unter anderem in Australien zum Ende des Jahrtausends die zulässige Laufzeit auf bis zu 999 Jahre ausgedehnt. In Deutschland hingegen ist eine Gesetzesänderung nicht notwendig. Es gibt keine gesetzliche Begrenzung der Laufzeit auf 99 Jahre. Diese Regelung hatte sich jedoch in den Köpfen fest verankert, denn im Vorgänger des BGB, dem Preußischen Allgemeinen Landrecht, war geregelt, dass man nach 100 Jahren das Eigentum an einem Grundstück "ersitzen" konnte; das heißt, das Eigentum wurde aufgrund des durchgehenden Besitzes erworben. Um dies zu vermeiden, wurden 1919 bei der Einführung der Erbbaurechtsverordnung (ErbbauVO) maximal 99 Jahre als Laufzeit vereinbart. Mit Einführung des BGB entfiel die Möglichkeit des Erlangens des Eigentums durch das Ersitzen über 100 Jahre. Damit ist die Abwehrreaktion auf ein nicht mehr gültiges Gesetz obsolet, eine rechtliche Beschränkung der Laufzeit gibt es demzufolge nicht.

Reduzierung des Eigenkapitalanteils

Ein geringerer Gesamtfinanzierungsbedarf ermöglicht Finanzierungen bei niedrigerem Eigenkapital beziehungsweise bei gleichem Eigenkapitalbetrag steigt der relative Eigenkapitalanteil. Bei passender Gestaltung des Erbbaurechtsvertrages ist eine gegenüber dem Volleigentum unveränderte Gestaltung der Finanzierungskonditionen möglich. Bei einer Finanzierung tritt anstelle von Zins und Tilgung für den Grundstücksanteil der Erbbauzins, was sich in der Regel positiv auf die Gebäudefinanzierung auswirkt.

Zudem führt die Zahlung der Erbbauzinsen zu einer Einschränkung des Anspareffekts, der sich bei Erwerb des Volleigentums durch das Annuitätendarlehen auch für das Grundstück ergibt. Das korrespondiert letztlich mit dem geringeren Gesamtinvestitionsbedarf. Wenn der Grundstücksanteil nicht finanziert werden muss, können bei Nutzung des Erbbaurechts trotzdem die gleichen finanziellen Konditionen wie bei der Finanzierung des Gebäudeteils erzielt werden.

Besonders deutlich wird dies, wenn unterstellt wird, dass ein Bauträger auf einem Erbbaugrundstück Eigentumswohnungen errichtet und diese weiterverkauft. Für die Erwerber, also die Privathaushalte, ist es von entscheidender Bedeutung, wie hoch die Gesamtinvestition ist, auch wegen der in der Mehrheit notwendigen Finanzierung und des dafür benötigten Eigenkapitals. Wenn hier rund 30 Prozent (in Ballungsräumen bis zu 60 Prozent) des Kaufpreises wegfallen, kann dies einer der Hebel sein, um die Schaffung von Wohneigentum für Normalverdiener in den Städten mit besonders hohen Kaufpreisen überhaupt zu ermöglichen.

Bauverpflichtung und Nutzungsbindung

Das Erbbaurecht ermöglicht die Nutzbarmachung von Flächen, die sonst ungenutzt blieben, da der (öffentliche) Grundstückseigentümer das Volleigentum aus unterschiedlichen Gründen nicht aufgeben will. Zudem kann die Einhaltung von Auflagen von strategischer Bedeutung sein, die sich aus der Nähe zu hoheitlichen Auflagen ergeben, beispielsweise bei Bebauungen am Rande von Flughäfen. Bei der Neuentwicklung des Flughafens BER wurden so enge Bindungen zwischen der Nutzung und der technischen Ausstattung bestimmter, von Drittinvestoren errichteter Gebäude, sichergestellt.

Man kann das "Liegenlassen" der Baugenehmigung sanktionieren beziehungsweise verhindern. Wird zu einem vereinbarten Termin nicht gebaut, kann sich der Eigentümer die Rückforderung des Erbbaurechtes vorbehalten (sogenannter "Heimfall"). Diese kann mangels eines zu entschädigenden Gebäudes dann auch entschädigungsfrei gestaltet werden. (Achtung: Belastungszustimmung nur mit entsprechenden Klauseln erteilen, die sicherstellen, dass Belastungen nur zur Errichtung des Gebäudes verwendet werden dürfen!)

Gestaltungsspielräume für Investoren und Stadtplaner

Bei einem Verkauf von Volleigentum ist die langfristige Nutzungsbindung rechtlich problematisch, beispielhaft seien die Entscheidungen des BGH zu Dienstbarkeiten und Einheimischenmodellen genannt. Dadurch werden die engen Grenzen der Nutzungsbindung und der Konzeptvergabe nochmals deutlich. Beim Erbbaurecht bleibt der Einfluss des Grundstückseigentümers auf die Nutzung aufgrund privatrechtlicher Vertragsautonomie maßgeblich, weshalb der Nutzungszweck sehr konkret gefasst werden kann. Bei einem Vollverkauf dagegen gibt der Grundstückseigentümer die Kontrolle mittelfristig ab.

Gestaltungsspielräume können auch für potenzielle Investoren eingeräumt werden. Durch die Ausgestaltung der Verträge können Hemmnisse, die derzeit dafür sorgen, dass die Erbbaurechte von Investoren gemieden werden, abgebaut werden. Dies betrifft unter anderem die durchaus berechtigte Sorge, dass zum Ende der Laufzeit das Erbbaurecht, also das Gebäude, nur noch schwer zu veräußern ist. Es empfiehlt sich also, möglichst lange Laufzeiten (weit über 100 Jahre) zu vereinbaren und als Entschädigung zum Vertragsende den Verkehrswert zu vereinbaren. Überdies wirken sich bestimmte Veränderungen in den Zahlungsströmen positiv auf den Verkehrswert (Marktwert) aus, die Finanzierbarkeit hingegen verändert sich dadurch nicht.

Durch den Einsatz von Erbbaurechten können flexibel bestimmte Nutzungen oder ein besonders erwünschtes Verhalten belohnt werden, beispielsweise durch die Senkung des Erbbauzinses, wenn Wohnungen dauerhaft im sehr günstigen Mietsegment angeboten werden. Bei einem Bauprojekt in Ludwigshafen wurden im Interesse einer funktionierenden Quartiersgemeinschaft Erbbauzinsreduzierungen zugunsten von Bewohnern vereinbart, die sich für die Gemeinschaft einbringen: soziale Eigenleistung statt finanzieller Gegenleistung.

Schließlich könnten Eigenheime und Eigentumswohnungen auf Erbbaurechtsgrundstücken auch deshalb kostengünstiger angeboten werden, weil beim Erwerb vom Bauträger nur für das Gebäude die volle Grunderwerbsteuer zu entrichten ist: durch die Betrachtung der Erbbauzinsen als Bemessungsgrundlage ist für den Grundstücksanteil also weniger Grunderwerbsteuer zu zahlen (auch wenn dieser Effekt im Einzelfall häufig geringer ausfällt).

Gezielte Förderung

Im Gegensatz zur Herausgabe des Volleigentums ist es bei einem langfristig laufenden Erbbaurecht möglich, den Förderungsteil, beispielsweise vergünstigte Erbbauzinsen, an die Mieter weiter zu geben. Der Unterschied vom marktgerechten zum geringeren Erbbauzins sind die Kosten, die zur Erreichung des Zwecks eingesetzt werden. Damit ist die Vergabe von Erbbaurechten mit gemindertem Erbbauzins auch eine Art der Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus, denn der jährliche Discount entspricht dem Förderbetrag.

Bei solchen Modellen sind subventionsrechtliche Vorgaben zu beachten. Beispielsweise könnten geringere Erbbauzinsen an bestimmte Miethöhen gebunden werden. Bei einer etwaigen Überschreitung in der Zukunft könnte statt eines Heimfalls auch eine Erhöhung als Sanktionskaskade eingebaut werden.

DIE AUTORIN SABINE GEORGI Country Managerin, RICS Deutschland e.V., Frankfurt am Main
 
RICS-Empfehlungen zum Erbbaurecht: Standardisierung ist notwendig
1. Lange Laufzeit wählen > 99 Jahre.
2. Erbbauzins projektgerecht ausgestalten.
3. Bei der Ausgestaltung des Erbbauzinses eine Reihe von Aspekten beachten, die eine projektspezifische Lösung und die Beachtung unterschiedlicher Interessen ermöglichen.4. Es muss nicht immer der klassische jährliche Erbbauzins sein.
5. Der Erbbauzins kann ganz oder teilweise kapitalisiert und als Einmalzahlung geleistet werden. Nicht zuletzt, um fiskalische Interessen zu bedienen und den Effekt niedrigerer Erbbauzinsen während der Laufzeit auszugleichen.
6. Anstieg des Erbbauzinses absolut beschränken, zum Beispiel auf Inflation gedeckelt, dabei sind stets die langen Laufzeiten zu beachten.
7. Es können in Verbindung mit einer (teilweisen) Kapitalisierung erbbauzinsfreie Zeiten oder Phasen mit einem reduzierten Erbbauzins vereinbart werden.
8. Reduzierungen können mit der Einhaltung eines bestimmten Konzepts und der damit verbundenen Erreichung zum Beispiel städtebaulicher und/oder sozialer Zwecke verknüpft werden und so eine Kompensation erreicht werden.
9. Änderungen bei der Grunderwerbsteuer erreichen: Anrechnung der Restlaufzeit auf die Grunderwerbsteuer bei der (vorzeitigen) Verlängerung streichen. Für die Restlaufzeit wird dieses derzeit doppelt erhoben.
10. Erbbauzinsreallast als ein bei Zwangsversteigerung bestehenbleibendes Recht nach § 9 Absatz 3 ErbbauRG vereinbaren. Dies erhöht den deckungsstockfähigen Anteil und verbessert dadurch die Finanzierbarkeit.
11. Übertragung nach Ablauf des Erbbaurechtsvertrages des Gebäudes zu 100 Prozent des Verkehrswertes. Dadurch entstehende Risiken beim Grundstückseigentümer sind durch adäquate Vertragsgestaltung abzusichern: Dieser könnte sich für den Fall einer Neuvergabe vorbehalten, nur den im Rahmen einer Ausschreibung erzielbaren Betrag zu erstatten, der 100 Prozent des Verkehrswertes entspricht.
Quelle: RICS Deutschland
Sabine Georgi , Geschäftsführerin , Urban Land Institute (ULI) Deutschland, Frankfurt am Main
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