RISIKOMANAGEMENT

DROHENDE STAGFLATION: WIE SICH IMMOBILIENINVESTOREN WAPPNEN KÖNNEN

Falk Raudies, Foto: FCR

Nach über einer Dekade denkbar günstiger Rahmenbedingungen sehen sich viele institutionelle Investoren derzeit dazu veranlasst, ihre Kapitalanlagen auf den Prüfstand zu stellen. Auch für die Assetklasse "Immobilie" scheint der Moment gekommen, um Strategien zu überdenken und das Portfolio möglichst zukunftsfähig auszurichten. Denn klar ist: Die mittlerweile nicht mehr zu übersehenden Risikofaktoren - sei es die anhaltend hohe Inflation, die stetig steigenden Bau- und Finanzierungskosten oder die gesamtwirtschaftliche Eintrübung - lassen sich nicht einfach aussitzen. Der Autor des vorliegenden Beitrags beleuchtet die für Immobilieninvestoren im aktuellen Marktumfeld bestehenden Handlungsfelder. Red.

Das Marktumfeld seit der Finanzkrise von 2008 war von stetigem Wirtschaftswachstum, relativ niedriger Inflation und einem Nullzinsumfeld geprägt. Es waren goldene Zeiten für Aktien- und Immobilieninvestitionen.

Doch seit der Mitte des vergangenen Jahres finden wir ein verändertes Marktumfeld vor: die Inflation hat - vor allem aufgrund explodierender Energiepreise - deutlich an Fahrt aufgenommen und markiert Rekordwerte, die das letzte Mal vor mehreren Jahrzehnten registriert worden sind.

Ende der Goldilocks-Ära

Im Jahr 2021 legte die Inflation in der EU durchschnittlich um 2,9 Prozent zu, in Deutschland um 3,1 Prozent. Aufgrund des Kriegs in der Ukraine haben die Verbraucherpreise weiter angezogen: In der Eurozone betrug im April 2022 die Inflationsrate 7,5 Prozent, in Deutschland 7,4 Prozent.

Die amerikanische Notenbank Federal Reserve hat in Reaktion auf die horrende Inflation angekündigt, den US-Leitzins im Jahr 2022 schrittweise anzuheben. Die Europäische Zentralbank steht unter Zugzwang, ihre Geldpolitik ebenso zu straffen. Die erste Zinserhöhung wird hier im Juli erwartet.

Ein gefürchtetes Szenario

Die Wirtschaftsaussichten sind aufgrund gestörter Lieferketten im Zuge der Corona-Pandemie gedämpft und wurden infolge des Ukraine-Kriegs weiter eingetrübt. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat seine Konjunkturprognose für Deutschland für das laufende Jahr deutlich nach unten korrigiert: Anstatt um 4,6 Prozent soll die deutsche Wirtschaft aufgrund der neuen geopolitischen Lage nur noch um 1,8 Prozent wachsen.

Die schlechteren Konjunkturaussichten und die hohe Inflation könnten ein Szenario wahr werden lassen, das von vielen Ökonomen gefürchtet wird: eine Stagflation. Hinzu kommt noch ein relativ niedriges Zinsniveau im Euroraum. Vermeintlich sichere Anlageklassen wie Bundesanleihen erweisen sich somit als wenig geeignetes Sicherheitspolster gegen den Wertverfall.

Stark verteuerte Baukredite

Diese veränderte Großwetterlage hat Auswirkungen auf die Immobilienmärkte. Es gibt erste Anzeichen eines veränderten Investitionsumfelds. Bereits im vergangenen Jahr stiegen die Baufinanzierungszinsen stetig an. Seit diesem Jahr haben diese noch mehr angezogen. Die Zinsen für einen zehnjährigen Baukredit sind innerhalb eines Jahres um rund 1,7 Prozentpunkte angestiegen - von etwa 0,9 auf 2,6 Prozent (Stand: 29. April 2022).

Diese Entwicklung dürfte sich vor allem dämpfend auf die Nachfrage von Neubauimmobilien auswirken, da eine höhere Zinsbelastung die monatliche Finanzierungsrate signifikant in die Höhe treibt. Investoren, die in Immobilien investieren, müssen die veränderten Marktparameter bei ihrer Anlagestrategie berücksichtigen.

Wertsicherung mithilfe indexierter Mietverträge

Für Immobilieninvestoren bestehen im aktuellen Marktumfeld zwei Handlungsfelder: Wertverlust durch Inflation ausgleichen und stetige Mieterträge trotz sinkender Wirtschaftsleistung erhalten. Ersteres kann durch Indexklauseln in Mietverträgen erreicht werden. Bei Gewerbeimmobilien sind Indexklauseln gang und gäbe.

Somit kalkulieren Gewerbemieter diese Kosten im Vorhinein mit ein. Bei der Ausgestaltung der Indexmiete gibt es mehrere Möglichkeiten: die Anpassung der Nettokaltmiete an die Inflationsrate kann teilweise, vollständig oder bei dem Überschreiten einer vorab definierten Schwelle erfolgen.

Als Inflationsindikator können der Verbraucherpreisindex vom Statistischen Bundesamt, ein von den Landesämtern errechneter länderspezifischer Verbraucherpreisindex oder ein vom Statistischen Amt der Europäischen Gemeinschaft ermittelter Lebenshaltungskostenindex herangezogen werden. Aktuell gilt für diese Indizes das Basisjahr 2015.

Alternativ kann auch ein Index mit der größten Relevanz für den Mieter gewählt werden. Bei einem Lebensmitteleinzelhändler wäre dies etwa der Index für den Facheinzelhandel mit Nahrungsmitteln, Getränken und Tabakwaren. Den rechtlichen Rahmen gibt das im Jahr 2007 erlassene Preisklauselgesetz (PrKG) vor.

Branchenspezifische Indizes

Das Preisklauselgesetz unterscheidet zwischen einer "echten" und einer "unechten" Gleitklausel. Während bei der unechten Gleitklausel die Anpassung der Miete individuell überprüft werden muss, findet bei einer echten Gleitklausel die Mieterhöhung analog zur Inflation automatisch statt. Letzterer Fall ist rechtlich nur zulässig, wenn mehrere Bedingungen erfüllt sind. Dazu zählt die Vorgabe, dass der Mietvertrag mindestens eine Laufzeit von zehn Jahren hat.

Im Bereich der Einzelhandelsimmobilien ist dieser Fall nicht immer gegeben. Bei stationären Einzelhändlern mit sinkenden Erträgen wie beim Textilhandel drücken sich die schlechteren Geschäftsaussichten auch in tendenziell kürzeren Mietverträgen mit einer Laufzeit von weniger als zehn Jahren aus.

Sollte die Inflation in den nächsten Monaten und Jahren auf einem ähnlichen Niveau verharren wie dieses Jahr, bietet die Indexklausel einen wirksamen Schutz gegen die Geldentwertung. Jedoch müssen hinsichtlich der Nettorendite noch weitere Parameter betrachtet werden.

Höhere Finanzierungskosten müssen einkalkuliert werden

So müssen Investoren aufgrund der gestiegenen Zinsen höhere Finanzierungskosten einkalkulieren. Auf der anderen Seite verzeichnen einige Gewerbeimmobiliensegmente stagnierende oder wie der meiste Einzelhandel auch fallende Mieten. Im Jahr 2021 gingen bei allen Typen von Einzelhandelsimmobilien aufgrund der gestiegenen Immobilienpreise die Renditen zurück.

Das zweite Handlungsfeld, die Sicherung stetiger Mieterträge in einer potenziellen Stagflation, kann durch die Selektion geeigneter Gewerbemieter in Angriff genommen werden. Hierbei sind Mieter zu bevorzugen, die wenig von der Konjunkturentwicklung abhängig sind.

Dazu zählen Lebensmittelgeschäfte, Discounter und Anbieter von Basiskonsumgütern wie Drogerien oder Baumärkte. Auch gesellschaftliche Trends wie die Digitalisierung, die das Geschäftsmodell vieler Einzelhändler unter Druck gesetzt hat, können diesen bisher zumindest nicht viel anhaben.

Denn wie die Umsatzzahlen zeigen, präferieren die meisten Konsumenten bei Lebensmitteln und anderen Basiskonsumgütern weiterhin den Kauf vor Ort. So lag beispielsweise beim Lebensmittelhandel der Anteil des Onlinegeschäfts im von der Pandemie geprägten Jahr 2021 noch immer bei marginalen 2 Prozent.

Weiteres Renditepotenzial kann durch die Selektion des richtigen Standorts gehoben werden. So weisen Einzelhändler an Sekundärstandorten in der Nähe von Wohngebieten höhere Umsätze auf als Einzelhändler in Innenstadtlagen. Dieser Trend hat sich durch die Corona-Pandemie noch weiter verstärkt. Im Jahr 2021 sackten die Einzelhandelsumsätze in den deutschen Innenstädten im Vergleich zum Vorjahr um 36 Prozent ab.

Sorgsamkeit bei Mieter- und Standortwahl

Viele Investoren setzten auf Fach-, Bau- und vor allem Lebensmittelmärkte sowie lebensmittelgeankerte Objekte. Auf diese entfiel 2021 rund 60 Prozent des Transaktionsvolumens im Einzelhandel. Deren Funktion als Sicherheitspolster drückte sich auch in sinkenden Renditen aus: So lag die Nettoanfangsrendite von Supermärkten Ende 2021 mit 3,60 Prozent 1,2 Prozentpunkte unter dem Vorjahreswert.

Baumärkte wiesen eine im Vergleich zum Vorjahr 0,8 Prozentpunkte niedrigere Nettoanfangsrendite von 4,30 Prozent auf. Bei Fachmarktzentren war die Renditekompression mit minus 0,55 Prozent weniger stark ausgeprägt: 2021 betrug die Rendite 3,60 Prozent.

Wer im Bereich der lebensmittelgeankerten Nahversorger aber bereit ist, eine Sondermeile zu gehen, kann auch heute noch deutlich höhere Renditen erzielen. Hierfür sind Marktkenntnis und ein Netzwerk notwendig, um an die entsprechenden Deals an Sekundärstandorten zu kommen.

Im Jahr 2022 zeichnet sich laut JLL eine Erholung der Wirtschaftslage im Einzelhandel ab. Jedoch floss im ersten Quartal nach wie vor das meiste Kapital in Nahversorgungszentren und Fachmarktprodukte. Für die übrigen Einzelhandelssegmente könnte sich nach der Corona-Pandemie die hohe Inflation als neuer Hemmschuh erweisen. Die Konsumenten könnten ihre Ausgaben für Konsumgüter angesichts der Teuerung zurückfahren.

Neben Neubauimmobilien kann auch der Bestand sich als lukratives Investment im Gewerbeimmobilienmarkt erweisen. Nicht nur niedrige Einkaufspreise spielen hierbei eine Rolle, sondern auch, dass das Risiko steigender Baukosten und verzögerter Bauprozesse hier nicht gegeben ist.

Bestand rückt in den Fokus

Was aber bleibt, sind die Baukostenrisiken bei notwendigen Renovierungen. Nachhaltigkeitsanforderungen können durch energetische Sanierungen und modernisierte Ausstattungen umgesetzt werden. So kann beispielsweise die Errichtung von Ladesäulen für Elektroautos eine wichtige Säule in der Nachhaltigkeitsstrategie eines Gewerbemieters darstellen und eventuell sogar für zusätzliche Einnahmen sorgen.

Die skizzierte wirtschaftliche Entwicklung mit einer hohen Inflation und möglichen Stagnation oder gar Rezession der Wirtschaftsleistung erfordert ein Umdenken von Immobilieninvestoren. In puncto Inflation sind Gewerbeimmobilien ein geeignetes Investment, da indexierte Mietverträge hier im Gegensatz zum Wohnimmobilienmarkt bereits etabliert sind.

Hinsichtlich der Sicherung der Mieterträge und Vermeidung von Leerstand sollten Investoren bonitätsstarke Gewerbemieter aus konjunkturunabhängigen Branchen wie dem Lebensmitteleinzelhandel vorziehen. Nahversorger an Sekundärstandorten weisen eine stabilere Geschäftsentwicklung und höhere Renditen auf als Märkte in Innenstadtlagen.

Falk Raudies , CEO , FCR Immobilien AG, Pullach im Isartal
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