Schwerpunkt Stadtentwicklung

Positionen der Parteien zur Städte- und Wohnungsbaupolitik

CDU/CSU: Städtebauförderung als gemeinsame Aufgabe

Dirk Fischer, MdB, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Verkehr, Bau und Stadtentwicklung der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag

In einer zunehmenden Zahl von Städten und Regionen sind Wohnungsengpässe, wie es sie seit Jahren nicht gab, festzustellen. Gleichzeitig steigen die Zahlen im Wohnungsneubau stetig. Es sind vor allem Eigenheime und frei finanzierte Mietwohnungen, deren Refinanzierung bei gestiegenen Baukosten nur über entsprechend hohe Miete gesichert ist. Problematisch entwickelt sich somit das Segment der Mietwohnungen für Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen. Wohngeld und Leistungen der Grundsicherung gewährleisten die Versorgung der schwächsten Mieterhaushalte - aber nur, wenn es auch ausreichend preisgünstigen Wohnraum am regionalen Markt gibt.

Mit der Übernahme der Aufgabe der sozialen Wohnraumförderung seit 2009 haben die Länder eine sehr hohe Verantwortung übernommen. Die damaligen Ministerpräsidenten wollten diese Verantwortung - hoffentlich nicht nur, weil ihnen die damalige große Koalition die Übernahme finanziell großzügig und mit lockeren Zügeln ausgestattet hat. Diese Entscheidung war wegen der sehr differenzierten Entwicklung der regionalen Wohnungsmärkte grundsätzlich gerechtfertigt. Heute ist festzustellen, dass die Länder sehr unterschiedlich und mit zum Teil beklagenswerten Ergebnissen mit der übernommenen Aufgabe umgegangen sind. Berlin ist hier das auffälligste Beispiel. Die Bundesregierung unterstützt bis Ende 2013 Förderungen im Wohnungsbau durch die Länder mit jährlich 518 Millionen Euro. Seit Übertragung der Aufgabe entfiel die Notwendigkeit, die Bundesmittel in gleicher Höhe durch Landesmittel zu verdoppeln. Die Bundesregierung hat den Ländern ein Angebot zur Fortzahlung von Mitteln für den Wohnungsbau gemacht.

Forderungen der Länder nach höheren Mitteln sind jedoch nur glaubwürdig, wenn sie ihre eigenen Bemühungen im Wohnungssektor verpflichtend für die Zukunft verstärken. Das muss auch unter den gegebenen Rahmenbedingungen des Grundgesetzes möglich sein. Gerade in den Ballungszentren müssen wieder mehr Wohnungen auch für niedrigere Einkommen geschaffen werden. Deutschlands Städte haben gute Erfahrungen damit gemacht, wenn in Stadtteilen und Quartieren Menschen mit unterschiedlichen Lebenskonzepten und Einkommen leben. Vielfalt unterstützt Urbanität und soziale Stabilität.

Neben den vereinzelten regionalen Wohnungsengpässen bleibt der Beitrag des Wohnungssektors zum Gelingen der Energiewende die zentrale Frage der Wohnungspolitik auf der Bundesebene. Die Bundesregierung hat vertretbare Standards für die energetischen Anforderungen an neue Wohnungen entwickelt. Bei der Sanierung des Bestandes sind die ordnungsrechtlichen Standards derzeit wirtschaftlich nicht weiterzuentwickeln. Für die soziale Balance der Energiewende und deren gesellschaftliche Akzeptanz ist das ein ganz wichtiger Aspekt.

Im Wohnungsbaubestand kann mehr Energie über die massenhafte Sanierung auf das geltende Niveau eingespart werden als über vereinzelte Mustersanierungen zum Passivhausstandard. Es gilt daher, so viel wie möglich an Sanierungstätigkeit im Wohnungsbestand auf den Weg zu bringen. Dafür muss die Sanierungsquote langjährig auf ein Niveau von zwei Prozent pro Jahr gebracht werden. CDU und CSU stehen hier für die freiwillige Sanierung und deren Förderung, wenn man noch anspruchsvoller als ordnungsrechtlich vorgegeben investiert.

Staatliche Sanierungszwänge lehnen wir ab. Dieses Grundprinzip wurde im Energiekonzept der Bundesregierung verankert und muss verteidigt werden. Wer Hauseigentümer zu unwirtschaftlichen Investitionen zwingen will, provoziert das Ende des gesellschaftlichen Konsenses über die Energiewende.

Bei der Förderung setzen wir auf einen Mix aus Zuschüssen, zinsgünstigen Darlehen und steuerlicher Förderung. Man kann nicht alle Hauseigentümer durch einen "Einheits-Fördertopf" ziehen. Nur mit unterschiedlichen Angeboten können Investitionsanreize für Eigentümer mit unterschiedlichen Einkommens- und Vermögensstrukturen geschaffen werden. Mit 1,5 Milliarden Euro aus dem Energie- und Klimafonds hat die Bundesregierung zunächst eine stabile Basis für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm geschaffen. Diese muss für die darauffolgenden Jahre gesichert werden.

Bei der Stadtentwicklung bleiben die demografische Entwicklung, der Strukturwandel und die Herausforderungen der Energiewende die wirklich wichtigen Aufgaben der kommenden Jahre. Die Bundesregierung hat dafür bereits gute Antworten im Rahmen der Städtebauförderprogramme gefunden, die gilt es weiterzuentwickeln. Um die Städte und Gemeinden vor vergleichbaren landespolitischen Fehlentwicklungen wie bei der Wohnungsbauförderung zu schützen, sollte an der Städtebauförderung als gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen festgehalten werden.

Dass das auch unter den Zwängen der Haushaltskonsolidierung möglich und erfolgreich ist, hat die unionsgeführte Koalition bewiesen. Besonders zufrieden sind wir mit der besser gelungenen Einbeziehung der privaten Hauseigentümer in die Stadtentwicklung. Darüber hinaus gibt es mit dem neuen Programm zur energetischen Quartierssanierung nun ein interessantes Angebot an die Kommunen, sich mit innovativen Konzepten und Ideen für ihre städtischen Quartiere am Gelingen der Energiewende zu beteiligen.

Die Wohnungsbau- und Stadtentwicklungspolitik hat also auch in den kommenden Jahren wichtige Aufgaben zu bewältigen. CDU und CSU bekennen sich dazu und haben dafür einen klaren Kompass.

SPD: Bezahlbares Wohnen

Sören Bartol, MdB, Sprecher der Arbeitsgruppe Verkehr, Bau und Stadtentwicklung der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag

Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik gehören 2013 ganz nach oben auf die politische Tagesordnung. Der Bund muss wieder spürbar Verantwortung übernehmen für die Entwicklung der Kommunen, für den sozialen Zusammenhalt in den Städten und zwischen den Regionen und - das ist von zentraler Bedeutung - für bezahlbare und zukunftsfähige Wohnungen.

Die Bundesregierung stellt in ihrem Wohnungs- und Immobilienbericht fest, dass die Mieten in etlichen Groß- und Universitätsstädten 2011 um bis zu zehn Prozent gestiegen sind. Das trifft Menschen mit unteren und mittleren Einkommen, Familien, Alleinerziehende, Studentinnen und Studenten, Rentnerinnen und Rentner. Sie finden in den Innenstädten keine bezahlbaren Wohnungen mehr. Wenn Haushalte mit einem Einkommen von 1 300 Euro 45 Prozent davon für Miete und Nebenkosten aufbringen müssen, dann ist die Belastungsgrenze deutlich überschritten. Doch bisher gibt es keine Initiative der Bundesregierung, um die Mietpreisspirale zu stoppen und dem Neubau bezahlbarer Wohnungen Impulse zu geben, keine verlässliche Förderung der energetischen Sanierung, um die Heizkostenbelastung zu senken. Stattdessen will die Bundesregierung das Mietrecht zulasten der Mieter verschärfen. Die steuerliche Förderung der energetischen Sanierung stockt noch immer im Vermittlungsausschuss - nicht wegen der SPD, sondern weil die Bundesregierung sie zu einem finanziellen Verschiebebahnhof zulasten von Ländern und Kommunen machen will.

Bei der Wohnraumförderung verweist die Bundesregierung auf die Länder, statt endlich verlässliche Zusagen über die Bundesmittel für 2014 bis 2019 zu machen und die Länder zu verpflichten, die Mittel auch wirklich zweckgebunden für den Wohnungsbau einzusetzen. Auch wenn mit der Föderalismusreform die Kompetenz an die Länder übergangen ist, kann und muss der Bund seine Möglichkeiten nutzen, dort, wo Wohnungen knapp sind, Impulse für Neubau zu setzen, der für Normalverdiener bezahlbar ist. Dafür brauchen wir eine gemeinsame Initiative von Bund, Ländern und Kommunen, die kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsbau stärkt, aber auch private Wohnungsunternehmen und Einzeleigentümer dabei unterstützt, zukunftsfähigen Wohnraum zu schaffen.

Die Förderung der energetischen Gebäudesanierung muss so ausgerichtet werden, dass sie auch mehr Einzeleigentümer erreicht und an das jeweilige Gebäude angepasste Lösungen für nachweisbar mehr Energieeffizienz und geringere Energiekosten fördert. Dämmung ist nicht immer das Mittel der Wahl; eine dezentrale Energie- und Wärmeversorgung aus erneuerbaren Energien, ein bewusstes Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer können einen großen Beitrag zu mehr Energieeffizienz im Gebäudebereich leisten.

Neben zinsverbilligten Krediten brauchen wir auch Zuschussprogramme, zum Beispiel zum altersgerechten Umbau, die auch Eigentümer mit geringen Einkommen erreichen. Gerade für ältere Eigentümer sind Kreditprogramme nicht immer geeignet. Auch sie müssen wir in die Lage versetzen, ihre Wohnungen so zu modernisieren, dass sie möglichst lange in ihren eigenen vier Wänden leben können.

Geht es boomenden Städten darum, trotz wachsender Bevölkerungszahl Wohn- und Lebensqualität, ein gutes öffentliches Verkehrsangebot und Grünflächen zu schaffen sowie eine Spaltung in Gewinner- und Verliererstadtteile zu verhindern, liegt die Herausforderung in schrumpfenden Regionen darin, weiterhin eine Grundversorgung mit technischer Infrastruktur - dazu zählen auch leistungsfähige Telekommunikationsnetze - sowie den Zugang zu Gesundheits-, Bildungs- und Nahversorgungsangeboten zu gewährleisten. Nicht nur in einigen entlegenen ländlichen Gebieten, sondern in immer mehr Städten und Gemeinden - in Ost wie in West - werden geringe Wirtschaftkraft, fehlende Arbeitsplätze, sinkende Bevölkerungszahl und geringere öffentliche Einnahmen zu einem Teufelskreis.

Auch für Immobilienbesitzer in den Einfamilienhausgebieten der sechziger und siebziger Jahre ist das eine problematische Entwicklung: Der Wert ihrer Immobilie sinkt, die Verkaufschancen sind schlecht, wenn sie im Alter ihr Haus mit Garten und vielen Treppen für eine kleinere und möglichst barrierearme innerstädtische Wohnung aufgeben möchten. Es ist eine große Aufgabe des Stadtumbaus, Rückbau und Umgestaltung nicht nur großer Bestände, sondern auch solcher Häuser und Wohnungen mit kleinteiliger Eigentümerstruktur zu ermöglichen und dies mit einem Gewinn an Wohn- und Lebensqualität zu verbinden.

Die Städte und Gemeinden sind die entscheidende Ebene, wenn es um lebenswerte Nachbarschaften und wirtschaftliche Entwicklungschancen geht. Sie sind die entscheidende Ebene um Mieter, Wohnungseigentümer, Gewerbetreibende, Einzelhändler, Vereine und Verwaltung zusammenzubringen, um gemeinsam etwas für ihre Straße, ihren Stadtteil zu tun. Für uns als SPD ist es deshalb entscheidend, Finanzkraft und Handlungsfähigkeit der Kommunen zu stärken, ihnen ausreichend Finanzmittel für eine gute Infrastruktur und zukunftsgerichtete Stadtentwicklung an die Hand zu geben.

FDP: Eigenverantwortung und Mitbestimmung

Petra Müller, MdB, Sprecherin für Stadtentwicklungspolitik der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag

Ziel liberaler Politik ist eine energetischdynamische Stadtentwicklung. Damit greift die FDP die derzeit drängenden und gesellschaftlich unaufschiebbaren Aufgaben für eine moderne und nachhaltige Stadt- und Regionalentwicklungspolitik auf: Senkung des CO2-Ausstoßes, Schonung und Erhalt der Natur und Berücksichtigung des demografischen Wandels. All das muss bei größtmöglicher gesellschaftlicher Akzeptanz geschehen, also unter aktiver und frühzeitiger Bürgerbeteiligung, und darf die wirtschaftlich-unternehmerischen und konjunkturellen Möglichkeiten unseres Landes nicht beschneiden, sondern fördern.

Die Klimaziele der Bundesregierung wurden gerade auf dem Umwelt-Gipfel in Doha bestätigt. Alle Politikfelder müssen ihren Beitrag zur Umsetzung leisten; auch die Bereiche Bau und Stadtentwicklung. Denn der Beitrag von Konglomerationsräumen kann besonders groß und weit gefächert sein. Daher kommt ihm besondere Bedeutung zu. Wenn man bedenkt, dass allein dem Gebäudebereich fast 40 Prozent aller CO2-Emissionen zuzuschreiben sind, wird das Potenzial für den Klimaschutz sichtbar. Die FDP wird daher der energetischen Gebäudesanierung oberste Priorität einräumen. Unser Ziel wäre die steuerliche Förderung für Gebäudeeigentümer, die energetisch sanieren. Sollte das nicht gemeinsam mit den Ländern zu machen sein, streben wir direkte Förderprogramme zum Beispiel weiterhin über die KfW-Bank an. Damit muss deutlich werden, dass wir unsere Anstrengungen zur Erreichung der Klimaziele erheblich steigern müssen. Die mietrechtlichen Erleichterungen für Investoren und Vermieter hat der Deutsche Bundestag Ende 2012 beschlossen.

In den Fokus rückt des Weiteren ein konsistentes Infrastrukturkonzept. Angesichts steigender Energiekosten für Endverbraucher und Wirtschaft und aufgrund unserer Exportorientierung ist eine funktionierende Verkehrsinfrastruktur unabdingbar. Die christlich-liberale Koalition verausgabt daher 750 Millionen Euro mehr in den Haushalten 2013/2014 über die bisherigen Planungen hinaus. Für Schiene und Straßennetz, für Massenund Individualverkehr. Rund 60 Prozent der 570 Millionen Euro für Straßenbauprojekte sollen in die Beschleunigung bereits laufender Neubauvorhaben investiert werden. Rund 31 Prozent der Mittel sollen für 32 neue Projekte verwendet werden. Von den für die Wasserstraßen vorgesehenen 140 Millionen Euro fließen rund 54 Prozent in dringende Erhaltungsmaßnahmen, 16 Prozent in Aus- und Neubaumaßnahmen und 30 Prozent in Neubauprojekte. Im Schienennetz sollen 40 Millionen Euro in zusätzliche Lärmschutzmaßnahmen investiert werden.

Gleichzeitig muss durch die Förderung der Innenstadtentwicklung dafür gesorgt werden, dass Wege kurz bleiben oder kürzer werden. Doch lebendige, aktive Innenstädte haben weitere ökonomische, ökologische und soziale Funktionen. Die Zersiedlung in die Landschaft muss gestoppt werden. Die Novelle des Baugesetzbuches und die Förderprogramme "Stadtumbau Ost" und "Stadtumbau West" bieten den Kommunen beste Möglichkeiten. Insgesamt 24 Millionen Euro mehr veranschlagt die Regierungskoalition für beide Förderprogramme im Jahr 2013. Die Fördersumme steigt damit auf 167 Millionen Euro. Wer weiß, welche investive Wirkung das für Baugewerbe und Handwerk entfaltet, muss das reale Mittelstands- und Wirtschaftsförderung für Deutschland nennen.

Im ländlichen Raum will die FDP die Daseinsvorsorge in vollem Umfang aufrecht erhalten. Dem demografischen Wandel und Migrationsbewegungen geschuldet, muss die Abwanderung aus dem ländlichen Regionen proaktiv begleitet werden; durch Rückbau, Stärkung der merkantilen und gesundheitlichen Infrastruktur, Erhalt und Anbindung der Verkehrsinfrastruktur. Das Förderprogramm "Kleine Städte und Gemeinden", das in dieser Legislaturperiode von der christlich-liberalen Koalition ins Leben gerufen wurde, fördert genau das und wird es zukünftig verstärkt tun. Zehn Millionen Euro mehr werden FDP, CDU und CSU im Haushaltsjahr 2013 für dieses Programm ausgeben; insgesamt 55 Millionen Euro.

Die Städte und Gemeinden sind die architektonischen Herzkammern unserer Gesellschaft. Geschichtsbewusstsein und kulturelle Identität, reales Lebensumfeld und Raum für Visionen, Produktivkraft und Ort zur Rekreation - all das können urbane Räume für uns sein. Sie zu gestalten erfordert daher ein hohes Maß an Sensibilität und Akzeptanz. Dazu fordert die FDP die Instrumente der Bürgerbeteiligung bei Projekten, die das Leben und Umfeld der Menschen unmittelbar beeinflussen, frühzeitig in die Planungsprozesse einzubeziehen.

Mitbestimmung muss stattfinden, wo es noch etwas zu bestimmen gibt. Reine Informations- und Motivationsveranstaltungen genügen im Zeitalter der Mediendemokratie nicht mehr. Angesichts der großen Infrastrukturprojekte, die unter anderem die Energiewende mit sich bringt und bringen wird, ist die Akzeptanz bei der direkt betroffenen Bevölkerung für ein Gelingen der Projekte Grundvoraussetzung. Die FDP ist sich der damit verbundenen Verantwortung für die Gestaltung des öffentlichen Raumes bewusst und wird ihre Politik der Eigenverantwortung, des bürgerlichen Engagements und freiheitlichen Mitbestimmung fortsetzen.

Die Linke: Schrumpfung als Teil des Strukturwandels

Heidrun Bluhm, MdB, Bau- und wohnungspolitische Sprecherin der
DIE LINKE-Fraktion im Deutschen Bundestag

Stadt- und Regionalentwicklung heißt immer Gestaltung von Lebensraum für und durch Menschen. An ihren Bedürfnissen muss die Stadt- und Regionalentwicklung sich heute orientieren. Grundlegend dafür ist das politische Bekenntnis zur Daseinsvorsorge für die Menschen in einer Region und nicht vordergründig eine Denkweise zur Standortentwicklung, zur Vermarktung einer Stadt oder einer Region.

Stadt- und Gemeindeentwicklung in der Region bedeutet auch, sich lösen von der traditionellen Konkurrenz- und Wachstumsdenkweise. Wachstum, so wie wir es kennen und wie es von vielen, vor allem liberal-konservativen Politikern noch immer als erstrebenswerter Idealzustand propagiert wird, ist längst zu einem wirtschaftlichen Ausnahmetatbestand für wenige Boomregionen geworden. Und auch dort wird der Boom nicht ewig anhalten.

Stadtentwicklung kann daher auf Dauer nicht mehr im Wettbewerb der Städte um Wachstum gelingen, sondern sie muss davon ausgehen, dass regionale Entwicklungen äußerst differenziert verlaufen, dass ständiges, flächendeckendes Wachstum der Vergangenheit angehört, ja, dass in vielen Regionen das Schrumpfen zum Markenkern der Stadt- und Regionalentwicklung geworden ist.

Sich darauf einzulassen, Schrumpfung als objektive Tendenz des Strukturwandels zu betrachten - nicht als Makel - ist für viele Politikerinnen und Politiker noch immer ein schmerzhafter Prozess, aber er ist notwendig.

Dieses notwendige Umdenken ist auch deswegen so schwierig, weil in der Bundespolitik noch immer der Wachstumsfetisch hochgehalten wird und manche Politiker so tun, als wäre der sich längst vollziehende Strukturwandel nur eine konjunkturelle Delle, die man mit irgendwelchen Marktanreizprogrammen wieder ausgleichen könne.

Langfristigkeit, das Denken in großen räumlichen und zeitlichen Zusammenhängen gehört leider nicht zu den Qualitätsmerkmalen deutscher Politik. Gerade das wäre aber notwendig für eine nachhaltige, weil vorausdenkende Regionalentwicklungspolitik.

Wie auf der Bundesebene sind auch regional und kommunal neue Denkansätze und Handlungskonzepte für eine bedarfsgerechte Stadt- und Regionalwicklung und vorausschauendes Agieren lebensnotwendig. Zu lange und zu oft haben reale - manchmal auch vermeintliche - Sachzwänge die Länder und Gemeinden dazu verleitet, öffentliches Eigentum an Wohnungen, Liegenschaften und Infrastruktur zu privatisieren, um auf diese Weise Haushaltsengpässen zu entgehen.

Die fiskalischen Effekte waren oft nur von kurzer Dauer und geringer als erhofft. Vor allem aber haben Länder und Gemeinden mit dem Verkauf von Gütern der öffentlichen Daseinsvorsorge eigene Planungs- und Gestaltungsmöglichkeiten aus der Hand gegeben. Aus den gleichen Zwängen heraus haben Kommunen und Länder häufig ihre eigenen Planungserfahrungen und Kapazitäten durch den Abbau von qualifiziertem Personal und Mittelkürzungen geschwächt.

Das sind fatale Ergebnisse des jahrzehntelangen Scheininteresses der Regierungspolitik an Regional- und Stadtentwicklung, eines Auseinanderdriftens von Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik. Dabei gibt es ja durchaus von der Bundesregierung veranlasste Untersuchungen, Studien und Berichte. Es gibt sogar eine interministerielle Arbeitsgruppe "Ländliche Räume" mit zum Teil bemerkenswerten Erkenntnissen. Was jedoch fehlt ist der politische Umsetzungs- und Gestaltungswillen auf und zwischen allen politischen Ebenen.

Es liegen - zugegebenermaßen - aber auch wenig historische Erfahrungen für eine planvolle, über die politischen Ebenen greifende Stadt- und Regionalentwicklung vor. Städte und Regionen haben sich in der Vergangenheit immer in der Folge und zum Zweck wirtschaftlicher Prozesse entwickelt. Entlang der Handelsstraßen, um Bodenschätze und Industriekerne herum oder auch als Dienstleistungs- und Repräsentationszentren herrschaftlicher oder politischer Residenzen. All diese Triebkräfte sind größtenteils ausgestorben oder doch stark abgeschwächt. Sie werden ihre Wirkungen auch nie wieder in der Weise entfalten, wie das in den vergangenen Jahrhunderten der Fall war.

An ihre Stelle sind völlig andere Entwicklungserfordernisse getreten. Tiefgreifende soziale, demografische, klimatische Veränderungen prägen die heutige Gesellschaft und geben auch die Zielmarken für politisches Agieren vor. Jedenfalls sollte Politik konzeptionell langfristig agieren, statt halbherzig zu reagieren und auf selbstregulierende Marktmechanismen zu hoffen. Diese Erkenntnis zu gewinnen und umzusetzen, ist wohl die größte Herausforderung für die heutige Politik.

Bündnis 90/Die Grünen: Beteiligung, Zusammenhalt und Resilienz

Bettina Herlitzius, MdB, Sprecherin für Stadtentwicklung der Bündnis 90/Die Grünen-Fraktion im Deutschen Bundestag

Der englische Architekt Cedric Price hat die Entwicklung der europäischen Städte mit den Zubereitungsarten von Eiern beschrieben. Das gekochte Ei symbolisierte die frühen europäischen Städte. Wie die Schale eines Eis umgab die Städte eine Mauer. Es gab eine klare Abgrenzung zwischen der Stadt und den Siedlungen außerhalb. In der industriellen Stadt breiten sich die Stadterweiterungen wie bei einem Spiegelei ins Umland aus. Der Stadtkern bleibt gut zu erkennen. Die moderne Stadt entspricht dem Bild eines Rühreis. Die Grenzen zwischen Stadtzentrum und Umland verschwimmen. Zentrale Einrichtungen sind in der Stadt verteilt, neue Verflechtungen entstehen.

Komplexe Stadtstrukturen haben die idealtypische europäische Stadt abgelöst. Nicht zuletzt die Charta von Athen hat ihre deutlichen Spuren hinterlassen. Trotz Neuausrichtung der Stadtplanung im Jahr 2007 mit der Charta von Leipzig, hin zu einer nachhaltigen integrierten Stadtentwicklung, fehlt es noch vielerorts an entsprechenden Konzepten. Die Bundespolitik hat die Aufgabe, den Werkzeugkasten bereitzustellen, den die Gemeinden vor Ort für die Gestaltung dieser Zukunftsaufgabe nutzen können. Da die Zukunft der Städte im Bestand liegt, geht es dabei neben der Bauleitplanung vermehrt um das besondere Städtebaurecht mit Sanierungsmaßnahmen und städtebaulichen Geboten.

Der weitere große Ansatzpunkt ist die Städtebauförderung. Mit der Städtebauförderung werden die Gemeinden nicht nur finanziell unterstützt, Städtebauförderung ist auch Motor der Innovation. Und vor allem mobilisiert die Städtebauförderung auch privates Kapital. Leider wurde die Städtebauförderung von der Bundesregierung in den letzten Jahren massiv gekürzt und liegt heute weit unter dem tatsächlichen Bedarf. Dabei bleiben vor allem Programme wie die "Soziale Stadt" auf der Strecke. Obwohl dieses Programm wie kein weiteres zu einer neuen Qualität der Beteiligungskultur beigetragen hat, gerade weil auch investitionsbegleitende Maßnahmen gefördert wurden und weil viel Wert auf einen fachübergreifenden Ansatz gelegt wurde. Nur mit einem solchen Ansatz kann dem Rührei der modernen Stadt besondere Würze und durch neue Zutaten ein neuer Geschmack verliehen werden. Die Zeit, in der Stadtentwicklung einzig auf dem Reißbrett stattfand, ist vorbei. Die Umgestaltung unserer Städte im Bestand gehört in die Hände derjenigen, die dort leben. Die Potenziale der Bürgerinnen und Bürger muss die Stadtentwicklung für sich nutzen. Dafür setzen wir uns politisch ein.

Wachstum und Schrumpfung liegen in Deutschland nah beieinander. Es gibt Regionen, in denen Wohnhäuser abgerissen werden müssen, damit nicht ganze Straßenzüge langsam verfallen. Auf der anderen Seite gibt es Ballungszentren, in denen bezahlbarer Wohnraum knapp ist. In diesen Städten nimmt die soziale Spaltung weiter zu. Durch Gentrifizierungs- und Verdrängungsprozesse verinseln benachteiligte Stadtteile insbesondere in Städten mit engem Wohnungsmarkt zunehmend. Wir brauchen dazu ein Baugesetzbuch, das eine qualitative Innenentwicklung fördert, und ein Mietrecht, das die Lasten ausgewogen verteilt.

Wenn die soziale Spaltung nicht auch noch durch die Heizkosten befördert werden soll, muss der Bund steuernd eingreifen. Für die energetische Ertüchtigung des Gebäudebestands müssen die verfügbaren Mittel zielgenau eingesetzt werden. Um Akzeptanz zu steigern, müssen die Maßnahmen nicht nur sozial gerecht, sondern auch mit der Baukultur vereinbar sein. Eine Lösung für die vielschichtigen Herausforderungen kann die energetische Quartierssanierung sein. Begleitet durch integrierte Planungskonzepte können durch Gebäudesanierung, Aufstockung, Nachverdichtung und effiziente Wärmeversorgung höhere Energieund CO2-Einspareffekte erreicht werden. Um diesen Ansatz weiter zu verfolgen, sind im Grünen-Haushalt 1,8 Milliarden Euro jährlich im Grünen-Energiesparfonds für die energetische Sanierung in Quartieren mit einem hohen Anteil einkommensschwacher Haushalte vorgesehen.

Dem Thema Krisenfestigkeit (Resilienz) wird in der Stadtentwicklungspolitik noch viel zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Kernaspekte krisenfester, sogenannter resilienter Städte sind flexible, dezentrale Versorgungs- und Wirtschaftsstrukturen. In Erweiterung des Nachhaltigkeitsbegriffs wollen wir Städte so entwickeln, dass sie auf Klimawandel und extreme Wetterereignisse, gefährdete Infrastrukturen und steigende Energiepreise vorbereitet sind. Versorgungsnetze müssen verstärkt dezentral angelegt werden. Wir wollen die Versorgung und den Austausch von Waren und Dienstleistungen stärker regionalisieren, anstatt ausschließlich vom globalen Welthandel abhängig zu sein.

Bürgerbeteiligung, sozialer Zusammenhalt und Resilienz - es sind keine neuen Themen, sondern die klassischen Themen der europäischen Stadt, die vor dem Hintergrund aktueller Herausforderungen mit neuem Leben gefüllt werden müssen.

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