Schwerpunkt Bewertungsfragen

Marktwertermittlung im Kreditgeschäft - ist eine Anwendung der ImmoWertV sinnvoll?

Mit dem Inkrafttreten der Immobilienwertermittlungsverordnung (Immo-WertV) und ihren Richtlinien - insbesondere die Sachwertrichtlinie - wurde das normierte Wertermittlungswesen in Deutschland weiterentwickelt. Vor allem durch diese neuen, zum Teil sehr detaillierten Regelungen muss sich der in der Kreditwirtschaft tätige Gutachter die Frage stellen, ob die normierten Verfahren für die Zwecke des Kreditgeschäftes geeignet sind.

Im Folgenden werden die Entstehung und die Besonderheiten der Normierung - zweifelsohne im internationalen Kontext ein deutscher Sonderweg - erläutert. Anhand der Gegenüberstellung der unterschiedlichen Zielsetzungen der Wertermittlung wird deutlich, dass die Anwendung der ImmoWertV für die Marktwertermittlung im Kreditgeschäft nicht zwangsläufig sinnvoll ist.

Es werden Themenbereiche aufgezeigt, in welchen sich die kreditwirtschaftliche Bewertungspraxis regelmäßig von der Systematik der ImmoWertV lösen muss, um eine für kreditwirtschaftliche Zwecke fachlich fundierte Bewertung durchführen zu können.

Normiertes Wertermittlungswesen

Bei den Wertermittlungsverfahren der ImmoWertV handelt es sich um sogenannte normierte (also in einer Rechtsnorm geregelte) Verfahren. Aus diesem Grunde ragt die Domäne der Wertermittlung in das Feld der Rechtswissenschaften hinein. Auch hat daher die Literatur zur Wertermittlung in Deutschland oft den Charakter von Gesetzeskommentaren: Paragraf für Paragraf werden die Bestimmungen der Verordnung abgehandelt, und es fehlt nicht an zahlreichen Verweisen auf Gerichtsurteile zu einzelnen Auslegungsfragen.

Hat das Wertermittlungswesen hierdurch bereits eine amtlich anmutende Ausprägung, so wird dies durch den gesetzlich vorgesehenen institutionellen Rahmen noch verstärkt. Die Gutachterausschüsse, das Herzstück des organisatorischen Rahmens der Wertermittlung nach der ImmoWertV, haben so den Status von Behörden und unterstehen der Aufsicht der jeweiligen Landesregierung. Die von den Ausschüssen auf Basis der von ihnen geführten Kaufpreissammlungen ermittelten zur Wertermittlung erforderlichen Daten werden verschiedentlich sogar in den Amtsblättern des Verwaltungsträgers veröffentlicht.

All dies zeigt, wie sehr Wertermittlung in Deutschland als staatliche Angelegenheit in Erscheinung tritt. In den meisten anderen großen Industrienationen ist eine derartige Vereinnahmung eines im Grunde klassischen freiberuflichen Betätigungsfeldes durch die öffentliche Hand weitgehend unbekannt, weshalb auch hierzulande bereits wiederholt auf einen "deutschen Sonderweg" hingewiesen wurde. Tatsächlich finden sich bei anderen freien Berufen selten Rechtsnormen, welche in vergleichbarer Tiefe in die jeweilige Arbeitsmethodik eingreifen.

Verständlich wird diese Eigentümlichkeit durch einen Blick auf den historischen Entstehungszusammenhang des heute vorzufindenden normativen Systems, das heißt auf das Baugesetzbuch von 1960. Mit ihm wurde zum ersten Mal eine Legaldefinition des Verkehrswerts vorgelegt, und auch die Gutachterausschüsse verdanken ihre Entstehung diesem Gesetzestext. Außerdem wurde hier erstmals eine Ermächtigung formuliert, auf deren Grundlage die Bundesregierung Vorschriften über die Anwendung gleicher Grundsätze bei der Ermittlung der Verkehrswerte erlassen konnte.

Entstehung der normierten Wertermittlungsmethodik

Der Gesetzgeber hielt es ausdrücklich für geboten die Voraussetzungen zu schaffen, um die Wertermittlungsmethodik bis in die technischen Einzelheiten hinein einheitlich zu regeln. Im Kontext der weiteren Bestimmungen des Baugesetzbuchs ist auch unmittelbar ersichtlich weshalb. Wertermittlungen werden in diesem Gesetz ausschließlich im Zusammenhang mit Entschädigungs- und Ausgleichsregelungen erwähnt. Durch staatliches Handeln verursachte direkte Auswirkungen auf Vermögenspositionen der Bürger sollen auf möglichst objektive und einheitliche Weise messbar gemacht werden, eine im Sinne des Eigentumsschutzes nachvollziehbare Bestrebung.

Zugleich erhält dadurch auch der Staat eine erhöhte Rechtssicherheit, denn die Wertermittlungsmethodik kann nun nicht mehr Gegenstand gerichtlicher Überprüfung sein. Je detaillierter zudem das von den Gutachterausschüssen bereitgestellte Datenmaterial ist, welches seinerseits wieder quasi amtlichen Charakter hat, umso weniger Spielraum bleibt für subjektive gutachterliche Einschätzungen, und umso "gerichtsfester" werden die Gutachten.

Der Gesetz- und Verordnungsgeber hat ein in sich geschlossenes System erschaffen, welches dem Gutachter sowohl den Verfahrensgang genau vorgibt, als auch die zu verwendenden Rohdaten. Dem Sachverständigen obliegt die Aufgabe, diese Rohdaten den jeweils konkreten Begebenheiten entsprechend anzupassen, wobei hierzu wiederum umfangreiche, oftmals in tabellarischer Form veröffentlichte Umrechnungskoeffizienten, Faktoren und Kennwerte aus ergänzenden Richtlinien herangezogen werden können. Auf einen unvoreingenommenen Beobachter muss diese Form der Wertermittlung als eine Art Kombinatorik erscheinen, bei der vorgegebene Elemente nach einem vorgegebenen Schema zusammengefügt werden.

Marktwertermittlung im Kreditgeschäft

Im Gegensatz dazu hat es der Gutachter bei der Bewertung für kreditwirtschaftliche Zwecke mit einem grundlegend andersgearteten Umfeld zu tun. Im Zuge der Kreditvergabe werden keine hoheitlichen Eingriffe in Eigentums- und Vermögenspositionen vorgenommen. Das Ergebnis der Wertermittlung dient zwar unter anderem dazu, die Darlehenshöhe zu bemessen, doch handelt es sich hierbei meist um eine reine Sicherheitsvorkehrung, indem im Kreditvertrag die betragsmäßig vereinbarte Darlehenshöhe lediglich ein festgelegtes Verhältnis zum Marktwert des zu finanzierenden Objekts nicht übersteigen darf. Gleiches gilt für die laufende Kreditüberwachung.

Bewertung im Kreditgeschäft ist vornehmlich ein Instrument des Risikomanagements des Kreditinstituts, ein Erkenntnismittel, meist fernab jeglicher unmittelbaren Sorge um mögliche Rechtsstreitigkeiten. Auch in regulatorischer Hinsicht hat die Immobilienbewertung kontinuierlich an Bedeutung gewonnen. Die sich hieraus ergebenden Bewertungsanlässe stehen aber unter ganz anderen Vorzeichen als die Enteignungs- und Entschädigungstatbestände, auf welche die ImmoWertV vorrangig abzielt.

Diese völlig anderen Zwecke der kreditwirtschaftlichen Wertermittlungen erfordern eine Öffnung der anzuwendenden Bewertungsmethodik. Eine fachlich fundierte Wertermittlung muss im Vordergrund stehen und sollte es dem Gutachter nicht nur erlauben, sondern gar vorgeben, sich von dem Korsett der normierten Verfahren zu befreien. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sind hier beispielhaft einige mögliche Themenbereiche aufgezeigt, in welchen sich die kreditwirtschaftliche Bewertungspraxis regelmäßig von der Systematik der ImmoWertV wird lösen müssen.

Abweichungen von der ImmoWertV

-> Da kreditwirtschaftliche Wertermittlungen insbesondere ein Analysewerkzeug und Risikomanagementinstrument sind, wird die Bewertung unter hypothetischen Bedingungen, bis hin zur Betrachtung verschiedener möglicher Szenarien, regelmäßig in den Auftragsumfang fallen. Dies schließt die Ermittlung von Leerstandswerten und Bodenwertresiduen ein. Dem Gutachter wird hierbei ein erhöhtes Maß an geistiger Beweglichkeit abverlangt, und dies kann durchaus mit allzu starren methodischen Vorgaben unvereinbar sein. Im Vordergrund steht letztlich die Wertermittlung als Mittel zum Erkenntnisgewinn, und nicht die Verfertigung einer vor Gericht möglichst unangreifbaren Wertableitung.

-> Bei der Ertragswertermittlung gemäß ImmoWertV ist der Liegenschaftszins neben der marktüblichen Miete der gewichtigste Parameter. Hierbei ist der Gutachter allerdings in besonderem Maße abhängig von der von den Gutachterausschüssen gelieferten Datengüte. Es ist hinreichend bekannt, dass Letztere stark schwankt.

Zudem erscheint die aus einer Vielzahl ausgewerteter Transaktionen als Mittelwert abgeleitete Größe "Liegenschaftszins" für gewerbliche Immobilien - insbesondere solche, welche den Ankaufskriterien institutioneller Investoren gerecht werden - ein zu undifferenzierter Kennwert zu sein. Zu unterschiedlich sind die Risikoausprägungen bei diesen Objekten in Bezug auf die Vermietungssituation (Mieterbonität, Mietvertragslaufzeiten, Leerstand), als dass dies durch schematisch abgeleitete Liegenschaftszinsen ausreichend fassbar gemacht werden könnte. Viel zielführender ist hier in der Regel der direkte Kontakt mit dem Markt, das heißt die Kenntnis von konkreten Transaktionen vergleichbarer Objekte mit möglichst umfassenden Hintergrundinformationen.

-> Das in der Wertermittlung von gewerblichen Objekten mittlerweile weit verbreitete Discounted-Cash-Flow-Verfahren hat keinen Eingang in die Immo-WertV gefunden. Angesichts des oben beschriebenen Entstehungszusammenhangs dieser Norm ist dies wenig überraschend und sogar folgerichtig. Dass in der Diskussion des DCF-Verfahrens jedoch bisweilen Positionen bezogen werden, welche den Eindruck erwecken, als wäre die Anwendung eines prognosebasierten Wertermittlungsmodells geradezu ein Tabubruch, ist dagegen unverständlich. Gehört doch die auf fachlicher Kenntnis und Erfahrung beruhende Einschätzung des künftigen Ertragspotentials einer Immobilie zu der ureigenen Kompetenz eines Sachverständigen.

Die Preisfindung im Marktsegment der institutionellen Immobilieninvestments wird durch prognosebasierte Renditeanalysen geradezu dominiert. Ein Gutachter, der sich in diesem Markt gut auskennt, wird auch ein sicheres Urteilsvermögen bezüglich der von den Marktteilnehmern üblicherweise verwendeten Eingangsparameter haben. Dementsprechend spricht für kreditwirtschaftliche Wertermittlungen nichts gegen die Anwendung des DCF-Verfahrens, wenn dies den entsprechenden Teilmarkt angemessen widerspiegelt.

-> Die Sachwertermittlung wurde mit der vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) im Jahr 2012 herausgegebenen Sachwertrichtlinie auf eine neue Grundlage gestellt. Sie ergänzt die Ausführungen der ImmoWertV. Eine Konsequenz dieser Richtlinie ist es, dass es keinen Gleichlauf mehr zur Beleihungswertermittlung gibt. In den meisten Fällen wird dies jedoch kein wirkliches Problem darstellen, da die ImmoWertV anders als die BelWertV kein Zwei-Säulen-Prinzip kennt. Dementsprechend kann bei Objekten, welche unter Ertragsgesichtspunkten gehandelt werden, auf das Sachwertverfahren im Rahmen der Verkehrswertermittlung schlichtweg verzichtet werden.

Die Sachwertermittlung für den Beleihungswert benötigt weder den Rückgriff auf die viel kritisierten Normalherstellungskosten, noch auf möglicherweise noch nicht veröffentlichte Sachwertfaktoren. Der Gutachter kann aus eigener Erfahrung gewonnene regional spezifische Baukosten ohne Marktanpassung in Ansatz bringen und so der Kontrollfunktion des Sachwerts angemessen gerecht werden. Erreicht werden kann dies in der Marktwertermittlung auch, indem der Gutachter lediglich den "vorläufigen Sachwert" ermittelt und auf die Marktanpassung verzichtet. Allerdings wäre hier zumindest eine Anpassung des "vorläufigen Sachwerts" an das regionale Baukostenniveau erforderlich, womit sich der Gutachter dann aber erneut außerhalb der methodischen Vorgaben der ImmoWertV bewegen würde.

-> Dass die Anwendung der ImmoWertV bei der Wertermittlung von im Ausland belegenen Immobilien gänzlich unangemessen ist, bedarf eigentlich keiner Ausführungen. Trotzdem ist sie immer wieder in der Praxis anzutreffen, beispielsweise bei deutschen Kapitalanlagegesellschaften. Der Grundsatz der Modellkonformität wird hierbei ad absurdum geführt, da im Ausland bislang keine Gutachterausschüsse nach § 192 BauGB eingerichtet wurden, und dies auch nicht zu erwarten ist. Daten, die für die Bewertung nach normierten Verfahren unabdingbar sind, wie Bodenrichtwerte und Liegenschaftszinsen, Umrechnungskoeffizienten und Vergleichsfaktoren, stehen dem Gutachter also gar nicht zur Verfügung.

Wenn darum Kapitalanlagegesellschaften, mit Billigung der BaFin, in ihren Wertermittlungsrichtlinien unterschiedslos die Anwendung der deutschen normierten Verfahren fordern, ohne Rücksicht auf das Belegenheitsprinzip, so offenbart dies eine erstaunliche Ignoranz gegenüber grundlegenden Bewertungszusammenhängen. Die kreditwirtschaftliche Bewertung sollte sich dagegen auch bei der Marktwertermittlung an die in § 25 Abs. 2 BelWertV dargestellte Herangehensweise anlehnen, und den landestypischen Verfahren den ihnen gebührenden Vorrang einräumen, wobei der Rückgriff auf vor Ort tätige und mit den landesüblichen Gepflogenheiten vertraute Gutachter selbstverständlich ist.

Fachkunde wichtiger als "Kleben" an der Verordnung

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass bei kreditwirtschaftlichen Wertermittlungen die normierten Verfahren nach der ImmoWertV lediglich eine Option unter anderen darstellen. Die Wahl des Verfahrens obliegt dem Gutachter, allerdings unter Beachtung des Bewertungszwecks, des relevanten Teilmarkts und seiner Akteure, sowie der Qualität und Menge der verfügbaren Daten.

Der Hinweis, dass den normierten Verfahren im Rechts- und Wirtschaftsleben eine vermeintlich breite Allgemeingültigkeit zukommt, genügt allein noch nicht, um sich der ImmoWertV unterzuordnen. Außerdem sollten auch die Banken als Auftraggeber genau abwägen, ob und wann sie bei der Beauftragung eines Gutachtens dem Sachverständigen die Beachtung der ImmoWertV vorschreiben, und wann sie diese Entscheidung der Sachkunde und Erfahrung des Gutachters überlassen.

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